Service public netto
Die SRG verhält sich oft wie ein Privatsender. Sie ist aber öffentlich finanziert. Deshalb braucht es eine klare Aufgabenstellung.
«CR der kleine Portugiese hat ne super tolle Friese Doch, es wird ihn Nerven kosten, ging der Schuss nur anen Pfosten.»
Dieses Gedicht wurde am 18. Juni 2016 auf dem offiziellen Twitter-Kanal der ARD (@ARDde) publiziert, nachdem der 1,85 Meter grosse portugiesische Fussballspieler Cristiano Ronaldo im Europameisterschaftsspiel gegen Österreich bei der Ausführung eines Elfmeters nur den Pfosten getroffen hatte. Sind dümmliche Klowandsprüche mit Rechtschreibfehlern ein unverzichtbarer Service public, der geleistet werden muss, damit die demokratische Willensbildung nicht zusammenbricht? Wohl eher nicht. Doch auch die Programme der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG versuchen, zu unterhalten, neu auch vermehrt im Netz. Verständlich, denn dazu sind sie gemäss Verfassung und Konzession angehalten. So warb SRF 3 im Frühling den mit flachen Witzen operierenden Comedian Stefan Büsser vom Privatsender Radio Energy ab: «Radio SRF 3 baut seine Comedy-Kompetenz weiter aus», hiess es in der Medienmitteilung dazu.
Artikel 93 der Bundesverfassung befasst sich nur mit Radio und Fernsehen. Hat die SRG im Internet überhaupt etwas zu suchen? «Der Bundesrat kommt nicht umhin, angesichts der technologischen Entwicklung und der veränderten Mediennutzung anzuerkennen, dass das Internet auch Teil des Service public ist», steht im am 17. Juni 2016 publizierten, 137seitigen Bundesratsbericht zum Service public der SRG. Künftig, so der Bundesrat, sollen «auch reine Online-Angebote als Service-public-Anbieter anerkannt werden können». Das Online-Werbeverbot für die SRG soll beibehalten werden, solange die Gesamteinnahmen der SRG stabil bleiben. Woraus gefolgert werden kann, dass eine Aufhebung angestrebt wird, sobald die Einnahmen einbrechen. Geschieht das, wird die SRG den privaten Medienanbietern die bescheidenen Einkünfte, die sie bisher im Internet erzielen konnten, abgraben. Ob durch den Medienwandel oder aus anderen Gründen: das vor zwanzig Jahren noch florierende Verlagsgeschäft mit Zeitungen und Zeitschriften ist schwierig geworden, viele etablierte Verleger notleidend. So bietet sich SRG-Generaldirektor Roger de Weck gerne als Helfer an und schlägt ihnen vor, sich vermehrt in Public-Private-Partnerships einzubringen. Diesen durchaus verlockenden Angeboten müssen die Verleger aber weitgehend widerstehen, wenn sie unabhängig bleiben und überleben möchten. Denn es werden meist nicht die Privaten sein, die aus so einer Verbindung mächtiger hervorgehen; im Gegenteil, sie werden marginalisiert oder ganz vereinnahmt werden.
Als Stratege kann man Generaldirektor de Weck nur loben. Er hat die Nase vorn, weil er erkannt hat, wie fundamental der Medienwandel ist. Seine generelle Argumentation, die stets in zwei Richtungen verläuft und so erfolgreich jede aufkommende Kritik kontert, ist eine Analyse wert: Erstens beruft er sich korrekterweise auf den zu erfüllenden Leistungsauftrag und die sich daraus ergebenden Zwänge. Doch zweitens präsentiert er die SRG auch als Unternehmen, das im harten Wettbewerb steht, und das nicht nur etwa schweizweit, nein, international! Radio- und Videostreams, Portale wie Netflix oder YouTube, auch soziale Medien sieht er als jene Konkurrenz an, gegen die er und seine SRG zu bestehen haben. Hinsichtlich des Medienwandels ist das durchaus richtig. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass nur Plattformen überleben können, die als starke Marke die Aufmerksamkeit der Werbung und des Publikums anziehen. De Wecks Doppelargumentation wird auch vom Bundesrat verwendet, der einerseits schreibt, es brauche regulierende Eingriffe der öffentlichen Hand, um die Gesellschaft «mit qualitativ hochstehenden und demokratierelevanten elektronischen Medien» zu versorgen, und andererseits beklagt, dass «selbst Sendungen, die in der deutschsprachigen Schweiz ein grosses Publikum erreichen, sich nicht vollständig über Werbung finanzieren lassen». Bei den nur vereinzelt ein grosses Publikum erreichenden Privatsendern wie 3+ oder Joiz scheint letzteres wenigstens ansatzweise zu funktionieren, wenn auch unter schwierigsten Bedingungen angesichts der Dominanz der SRG. Dessen ungeachtet ist die Debatte müssig, denn es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen den privaten Portalen und Medien und einem Service-public-Medienhaus: Wer von Steuergeldern oder Gebührengeldern finanziert wird, der ist kein Unternehmer – und deshalb auch nicht auf Einkünfte aus Werbung und Abonnements angewiesen. Auch Roger de Weck ist kein Unternehmer, er kann gar keiner sein. Er ist SRG-Generaldirektor und erhält Gebühren, um einen Auftrag zu erfüllen, und zwar den Leistungsauftrag gemäss Konzession. Gebührenempfänger, die grosse Lust verspüren, diesem Auftrag zu entfliehen und unternehmerisch tätig zu sein, sollten eine Firma gründen oder sich einen Job in der Privatwirtschaft suchen.
Auftragsdefinition
Nehmen wir es an dieser Stelle also gleich vorweg: Eine mit der Vielzahl von neuen Medien einhergehende Erkenntnis ist nicht mehr zu ignorieren: Es macht keinen Sinn, Service public in einzelnen Mediengattungen zu erlauben und in anderen zu verbieten. Diskutiert werden muss stattdessen über den Auftrag: Was soll der Service public liefern? Und was soll er kosten? Im Bundesratsbericht werden Unterhaltung und Sport als angeblich «unverzichtbare Bestandteile des SRG-Angebots» dargestellt. Der Sportbereich sei aufgrund seiner Unterhaltungsfunktion wichtig, auch «weil er zur gesellschaftlichen Integration und Identifikation beiträgt». In die Information, ein Bereich, zu dem auch Klatschsendungen wie «Glanz & Gloria» gezählt werden, flossen 2015 nur 39 Prozent des Betriebsaufwands. Weiter stellt der Bericht fest, dass sich ein Teil des heutigen TV-Unterhaltungsangebots der SRG kaum von jenem des Privatfernsehens unterscheide. So verletzt die SRG das in der Konzession festgehaltene Gebot, die Unverwechselbarkeit ihrer Programme sicherzustellen und sich damit von kommerziell ausgerichteten Veranstaltern zu unterscheiden.
Mit ihrem Kurs, die Ideen der Privaten zu kopieren, um vom Publikum eine hohe Aufmerksamkeit zu erlangen, ist die SRG nicht erfolgreich: Beim Schweizer TV-Publikum verlieren die Programme der SRG und der ausländischen öffentlich-rechtlichen Sender seit Jahren Marktanteile an Privatsender. Dennoch gibt sich der Bundesrat vom teilweise seichten SRG-Programm angetan. Fernsehunterhaltung habe eine «Leitbildfunktion», erfährt man in Unterpunkt 14.2.1.3, was kritische Geister wohl eher als «Volkserziehung» auslegen würden. Der Bundesrat formuliert freilich eleganter: «Lineares Fernsehen spielt als Unterhaltungsmedium eine bedeutende Rolle. Unterhaltung dient der Entspannung. Sie stellt Gesprächsthemen zur Verfügung, die Eingang in das Alltagsleben finden. Als Sozialisationsinstanz konstruiert und vermittelt das Unterhaltungsmedium Fernsehen Normen, Werte, Rollen- und Weltbilder wie auch Lebensentwürfe und spiegelt bedeutsame Fragen und Probleme der Gesellschaft.» Welches Medium tut das nicht? Und kann das nicht privaten Anbietern überlassen werden? Natürlich.
Wie der vielfach geäusserte Unmut im Vorfeld der Abstimmung zur Volksinitiative «Pro Service public» gezeigt hat, haben viele Bürger den Eindruck, die Post, die Bahn und das öffentliche Fernsehen seien von ihrem eigentlichen Auftrag abgekommen oder würden ihn nicht in der geforderten Qualität ausführen. Soll Service public die Befriedigung jedes Wunsches eines Schweizer Medienkonsumenten mit Steuer- und Gebührengeldern sein? Nein. Service-public-Medien braucht es nur in jenen demokratierelevanten Bereichen, die private Anbieter nicht oder nicht in ausreichender Qualität ausfüllen. Konsequent wäre deshalb eine Rückorientierung zu einem Service public netto, der nicht unterhält, sondern sich auf eine nüchterne Verbreitung von Informationen zu den Themen Politik, Wissen und Kultur beschränkt. Service public soll die Erfüllung eines klar definierten Auftrags sein, kein sich in alle Richtungen amalgamierendes Potpourri. Die seit Jahrzehnten ausufernden Tätigkeiten von Betrieben im Besitz eines solchen Auftrags müssen per Verfassung und Konzession zurückgebunden, der Auftrag zur Unterhaltung gestrichen und die Werbefinanzierung untersagt werden (vgl. «Schimpfen bringt nichts» im «Schweizer Monat» von Januar 2015).
Nichtprivate Betriebe als Infrastruktur- und Medienanbieter sowie als Werbeverkäufer: Swisscom , SRG und Admeira
Was die Stellung der SRG im Markt angeht, zieht eine von der Eidg. Medienkommission EMEK in Auftrag gegebene Studie des privaten Marktforschungsunternehmens Publicom eine eindeutige Bilanz. Die zu 75 Prozent gebührenfinanzierte SRG dominiere den Schweizer Rundfunkmarkt «in beiden relevanten Märkten (Publikums- und Werbemarkt)» und lasse der privaten Konkurrenz kaum Spielraum. Ebenso dominant ist die ehemalige PTT, die heutige Swisscom. Soll es ihr und ihren Tochterfirmen erlaubt sein, mit Bluewin.ch ein werbefinanziertes Online-Boulevardportal, mit Teleclub ein Bezahlfernsehen, mit Swisscom-TV ein IPTV-Angebot anzubieten?
- «Fans wegen Francine Jordis Höschen aus dem Häuschen», «So sehr leidet Athina Onassis nach der Trennung», «Trotz Schleuderpreis: Keiner will Udo Jürgens’ letzte Wohnung». Diese Schlagzeilen sind nicht aus dem «Blick», sondern waren allesamt am 15. Juni 2016 auf Bluewin.ch zu lesen. Besonders an diesem Boulevardportal ist, dass es nicht in privater Hand ist: Als Teil der Unternehmenseinheit Privatkunden gehört Bluewin.ch der Swisscom, die wiederum zur Mehrheit dem Bund gehört.
- Auch Teleclub gehört via Tochterfirma CT Cinetrade zu 75 Prozent der Swisscom und hat sich eben für 35 Millionen Franken im Jahr die Übertragungsrechte für die 1. und 2. Liga im Schweizer Fussball gesichert. Die Rechte für die Eishockeyliga konnte sich erstmals die private UPC sichern. Für das Schweizer Fernsehen ändert sich kaum etwas, es strahlt weiterhin Livespiele und Zusammenfassungen aus.
- Und dann ist da noch das Digitalfernsehen: Mit dem 2006 gestarteten Swisscom TV (1,331 Millionen) überholte die Swisscom 2015 die UPC Cablecom (1,302 Millionen) bei der Anzahl Digital-TV-Kunden. Wie bedeutsam nichtanaloger Konsum heute ist, stellte der Bundesratsbericht 2014 fest: «Wenn Online auch dazugerechnet wird, entfallen mehr als 90 Prozent des Medienzeitbudgets in der Schweiz auf elektronische Medien.»
Eine klare Trennung von privaten und staatlichen Aufgaben wäre also angezeigt. In der Realität geht es jedoch in die entgegengesetzte Richtung: Ringier (privat), SRG (öffentlicher Auftrag) und Swisscom (mehrheitlich staatlich) konnten sich 2016 im Werbebereich zur Admeira zusammenschliessen. Mit 280 Mitarbeitern nennt sie sich «grösste Vermarktungsfirma der Schweiz». Die Admeira ist eine Art digitale Neuauflage der Publicitas – nicht mehr im privaten, sondern im halbstaatlichen Gewand. Dass der ordnungspolitische Wahnsinn dieser Union kaum nennenswerte Proteste hervorgerufen hat, ist erstaunlich. Man stelle sich mal vor, was in Deutschland los wäre, wenn der von den 1968ern gehasste Axel-Springer-Verlag seine Werbung zusammen mit ARD/ZDF und der Deutschen Telekom vermarkten würde. Über sich selbst schreibt Admeira: «Ringier, SRG und Swisscom sind unternehmerisch unterwegs und sind verantwortlich, den Mehrwert für Aktionäre und Besitzer zu erhöhen. Ohne diese gemeinsame Initiative bestünde das grosse Risiko, dass bestehende Umsatzquellen geschwächt werden und mittelfristig wegfallen.» Zur Erinnerung: öffentlich-rechtliche Anstalten wurden geschaffen, um Angebote abseits von unternehmerischem Druck zu ermöglichen. Staatsfirmen haften nicht mit ihrem Privatvermögen. Die SRG finanziert sich zu 25 Prozent selbst. Die Swisscom gehört mehrheitlich der Eidgenossenschaft.
Der Zusammenschluss zur Admeira ist nicht nur ordnungspolitisch grotesk, zu beachten ist auch die Überwachungsproblematik. Schon jetzt weiss die Swisscom viel über das Medienverhalten ihrer zahlungsfreudigen Kunden, denn viele von ihnen beziehen Leistungen der Firma in den Bereichen Mobiltelefonie, Digital-TV und Internet. Es ergibt sich eine geballte Ladung an Daten, die nun von der parastaatlichen Admeira in Werbegelder umgemünzt werden soll. Die Daten, die natürlich auch beim Lesen von Ringier-Portalen wie Blick.ch oder beim Fernsehen auf Swisscom-TV anfallen, sind auch für alle weiteren Interessenträger eine potentielle Goldgrube: Geheimdienste, Staatsanwaltschaften, Polizei, Militär, eidgenössische Departemente. Selbstverständlich versichern die Admeira-Teilhaber, diese Datenmacht niemals zu missbrauchen. Doch wie glaubwürdig ist das? Verfügbare Daten, so zeigt die Erfahrung, werden im Zweifelsfall immer ausgewertet, da kann man noch so viele Gesetze und Vorschriften erlassen. Swisscom-Kunden, die nicht möchten, dass ihre Nutzungsdaten von der Admeira verwertet werden, müssen das übrigens explizit über den Kundendienst beantragen, im Opt-out-Prinzip.
Uneinige Kritikerschar der SRG
Die aufwendig in Szene gesetzte und prominent bestückte, 15köpfige Eidg. Medienkommission EMEK wird im Bundesratsbericht lediglich in drei kurzen Absätzen auf einer halben Seite abgehandelt (Punkt 10, Seite 84) – was einige Fragen zum Aufwand und Ertrag dieser Kommission aufwirft. Bei einer der wenigen greifbaren Ideen der EMEK, der Schaffung einer unabhängigen Regulierungsbehörde, sieht der Bundesrat «keinen dringenden Handlungsbedarf». Somit hat der Bundesrat die EMEK im Bestreben, nichts verändern zu wollen, noch übertroffen. Sehr deutlich wird das im Punkt 14.5 des Bundesratsberichts, «Weiteres Vorgehen»: Das Ziel des Bundesrats ist eine Konzessionsverlängerung ohne weitere Auflagen oder Änderungen. Im wesentlichen soll sich gar nichts ändern, so die Politik von Medienministerin Doris Leuthard (CVP). Sicherstellen soll das auch Jean-Michel Cina (CVP), ein enger Vertrauter Leuthards, der ab dem 1. Mai 2017 die SRG präsidieren wird. Und da die Gegner dieser Bewahrungs- und Stillstandspolitik bisher nicht geeint auftreten (und diverse eigene Ziele verfolgen), ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich nichts ändert, hoch.
Blickt man auf die letzten Jahre der Medienpolitik zurück, waren sowohl der Verband Schweizer Medien als auch die Aktion Medienfreiheit bemerkenswert wirkungslos, was die Veränderung der rechtlichen Grundlagen angeht. Sie machten sich als Stimmen im öffentlichen Diskurs zwar bemerkbar, mehr aber auch nicht. Selbst finanziell will sich der Bundesrat kaum etwas anderes vorstellen als den Status quo. Er geht davon aus, «dass eine Gebührenunterstützung im Umfang von 1,2 Milliarden Franken nötig und gerechtfertigt ist» – überraschenderweise exakt so viel, wie die SRG derzeit verbraucht. Die Volksinitiative «No Billag», die eine ersatzlose Abschaffung der Gebührengelder fordert («Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben»), könnte der seit vielen Jahren stillstehenden Medienpolitik einen radikalen Schnitt zufügen. Vermutlich aber ist der beabsichtigte öffentlich-rechtliche Totalkahlschlag der Mehrheit der Stimmbevölkerung zu extrem, als dass diese Initiative Erfolg haben könnte. Es braucht deshalb ein vereintes, zielgerichtetes Zusammenspannen aller politischen Kräfte, die eine Einschränkung der ausgeuferten SRG-Tätigkeiten fordern. Um kurzfristig Änderungen an der Konzession und langfristig Änderungen an der Verfassung vorzunehmen.