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Selfie statt Schaukel

Die Smartphone-Nutzung der Eltern beeinträchtigt die Beziehung zum Kind.

Selfie statt Schaukel
Illustration von Daniel Garcia.

 

Schon ein flüchtiger Blick auf den zeitgenössischen Alltag zeigt, dass sich die menschliche Kommunikation durch die Nutzung von Smartphones grundlegend verändert. Auch wenn im Alltag weniger von Angesicht zu Angesicht kommuniziert wird, wollen und müssen Menschen kommunizieren; gemäss dem Psychoanalytiker Peter Fonagy gibt es einen natürlichen menschlichen Kommunikationstrieb. Fonagy erwähnt dabei auch den Anthropologen und Entwicklungsforscher Michael Tomasello, der die drei Antriebe Auffordern, Informieren und Teilen postuliert, die Kommunikation überhaupt ermöglichen. Exakt dafür bieten die digitalen Medien eine optimale Plattform, und das macht sie derart attraktiv. Sie kommen dem menschlichen Bedürfnis nach Kommunikation absolut entgegen. Online sind auch fast alle ständig erreichbar.

Diese gewaltige Veränderung der zwischenmenschlichen Kommunikation hat wahrscheinlich auch einen Einfluss auf die Interaktionen und die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern. Entrüsteten Schilderungen, wie Mütter, ihren Kinderwagen schiebend, oder Väter, auf einer Bank beim Spielplatz sitzend, auf ihr Smartphone starren, haben sicher alle schon zugehört. Kritisch wird bemerkt, dass sie primär dem Gerät ihre Aufmerksamkeit schenken und erst sekundär dem Kind. Quengle das Kind, schaue die Mutter oder der Vater kaum vom Smartphone auf.

Aufmerksamkeit als umkämpfte Ressource

Aufmerksamkeit wird so zur umkämpften Ressource. Ein ständiger Wechsel findet statt zwischen dem immer verfügbaren Smartphone und der physischen Umwelt, aber auch zwischen den verschiedenen Anwendungen auf dem Smartphone. Damit die Benutzer möglichst lange auf einer App bleiben, versuchen diese mit verschiedensten Tricks, die Verweildauer zu verlängern. Dieses Eintauchen in eine Anwendung, diese möglichst ungeteilte Aufmerksamkeit für eine Anwendung wird häufig als Immersion bezeichnet. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die sogenannte Technoference: Mit diesem Begriff wird die Unterbrechung durch die digitalen Geräte z.B. durch Push-Nachrichten gefasst. Sowohl die Immersion wie auch die Technoference attackieren die Kommunikation zwischen physisch anwesenden Personen, also auch zwischen Eltern und ihren Kindern.

Aber welchen Effekt hat die elterliche Smartphone-Nutzung tatsächlich auf die Eltern-Kind-Interaktion und die kindliche Entwicklung? Eltern sind von Smartphones und anderen Digital Devices abgelenkt, während sie mit ihren Kindern zusammen sind. Zwar wurden Eltern immer schon auf verschiedenste Weisen in der Interaktion mit den Kindern unterbrochen oder waren mit etwas beschäftigt, das ungeteilte Aufmerksamkeit benötigte. Die Idee, dass Kinder sehr viel und ausschliessliche Aufmerksamkeit bekommen sollen, ist eine Forderung der jüngeren Zeit. Und doch bringt die Beschäftigung mit dem Smartphone offensichtliche Eigentümlichkeiten mit sich:

  1. Die Häufigkeit der potentiellen Unterbrechung. Sie kann sich mehr oder weniger immer ereignen, zu Hause, unterwegs, während einem Spiel. Die Nutzung von Smartphones und anderen digitalen Geräten hat sich jedoch im Familienleben ausgebreitet und eingenistet: Intrusionen und Unterbrechungen aufgrund von Smartphones passieren ständig. Mobile Geräte erlauben den Anwendern, gleichzeitig verschiedene Rollen zu managen: Familie, Arbeit, soziale Beziehungen, Freizeit. So besteht die Gefahr der Fragmentierung der elterlichen Aufmerksamkeit.
  2. Die starke Gewohnheit, die bis zur Abhängigkeit vom Smartphone führen kann. Der Drang, nach dem Smartphone zu greifen, kann zur Sucht werden und dazu führen, dass andere Tätigkeiten vernachlässigt werden.
  3. Die Schwierigkeit, unsere Aufmerksamkeit vom Smartphone abzuziehen. Das Ziel der App-Hersteller ist es, uns Nutzende möglichst lange auf einer Plattform zu halten. Mit psychologischen Tricks und Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften werden die Apps so programmiert, dass wir uns länger damit aufhalten, als wir eigentlich beabsichtigten.

Noch gibt es kaum verlässliche Forschungsdaten über die Effekte dieser Medienrevolution auf das elterliche Erziehungsverhalten und die Entwicklung der Kinder. Insbesondere fehlen Längsschnittstudien, die über die tatsächliche Wirkung Auskunft geben könnten. Dass sich eine Smartphone-Sucht der Eltern negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirkt, ist unmittelbar plausibel.

Doch wie sehen die Zusammenhänge im einzelnen aus? Anhand von fünf Fragen soll der aktuelle Stand der Forschung im folgenden zusammengefasst werden.

Weshalb brauchen die Eltern das Smartphone, während sie mit den Kindern zusammen sind?

Grundsätzlich greifen Eltern aus den genau gleichen Gründen wie Nichteltern zum Smartphone. An den Antworten, die Eltern auf diese Frage geben, ist besonders interessant, dass Eltern sagen, Gefühle der Einsamkeit und depressive Gefühle brächten sie dazu, weil sie sich dann mit andern verbunden fühlten. Somit kann die Smartphone-Nutzung Gefühle der Einsamkeit lindern. Ausserdem greifen Eltern offenbar häufig gerade dann, wenn Kinder schwierig sind, zum Smartphone. Dies kann die Auswirkung haben, dass Kinder dann noch schwieriger werden.

Wie beeinflusst die Smartphone-Nutzung die Erziehung und das elterliche Verhalten?

Eltern selbst antworten sehr wohl, dass sie durch die Smartphone-Nutzung von der Interaktion mit den Kindern abgelenkt würden. Es gibt Studien, die sagen, dass die elterliche Responsivität beeinträchtigt werde, wenn die Aufmerksamkeit zwischen Smartphone und den Kindern geteilt werden müsse. Bei Säuglingen ist es jedoch für die Entwicklung der Bindungsbeziehung wichtig, dass die Signale (z.B. Weinen, Quengeln etc.) ohne Verzögerung wahrgenommen werden und dass sie innerhalb der für das Kind tolerablen Frustrationszeit befriedigt werden. Ausserdem ist elterliche Smartphone-Nutzung mit weniger verbaler Interaktion gepaart; auch sind die Antworten der Eltern im Durchschnitt ungeduldiger und unfreundlicher. Eltern sagen ausserdem, sie würden sich weniger mit den Kindern verbunden fühlen, wenn sie gleichzeitig durch das Smartphone abgelenkt seien. Schliesslich sagen Adoleszente, dass ihre Eltern zu viel am Smartphone seien, durch das Smartphone zu viel unterbrochen würden und dadurch weniger nett mit ihnen umgingen.

Weshalb verschlechtert die Smartphone-Nutzung die Qualität der elterlichen Interaktion?

Zuerst geht es ganz einfach um die Quantität: Die Zeit mit dem Smartphone geht der Zeit mit dem Kind verloren. Die sogenannte Verdrängungshypothese besagt, dass die Zeit, die man mit den technischen Geräten verbringt, die mit den Kindern verbrachte Zeit reduziert. Eltern sagen ausserdem, dass es für sie schwierig sei, zwischen Smartphone und Kind zu «switchen». Gerade mit dem Smartphone scheint Multitasking schwierig zu sein, weil dessen Anwendungen unsere Aufmerksamkeit absolut absorbieren können. Eltern sagen schliesslich, dass die Dinge, die sie auf dem Smartphone machten (z.B. geschäftliche E-Mails lesen), eine Reihe von Emotionen evozieren könnten. Tatsächlich fühlen sich viele gestresst, überfordert oder sie haben andere negative Emotionen als Folge der Smartphone-Nutzung. Dies kann die emotionale Verfügbarkeit verringern, was dann zu unfreundlicheren Reaktionen mit den Kindern führen kann.

Wie beeinflusst die Smartphone-Nutzung der Eltern die Kinder?

Am häufigsten diskutiert wird, ob Kinder als Folge der Smartphone-Nutzung der Eltern eine unsichere Bindungsbeziehung zu ihren Eltern haben. Postuliert wird eine Parallele mit depressiven Müttern: Im sogenannten Still-Face-Experiment zeigte sich, dass das Baby in Stress gerät, wenn Mütter längere Zeit innerlich abwesend sind. Wie bei depressiven Müttern sind vom Bildschirm absorbierte Eltern oft nicht mehr fähig, die Signale des Kindes wahrzunehmen, diese richtig zu interpretieren und sie in einer noch tolerierbaren Zeit und angemessen zu befriedigen. Es sind dies die Merkmale von feinfühligem Verhalten mit Säuglingen und diese gelten als Voraussetzung für die Entwicklung einer sicheren Bindung bei den Säuglingen. In Studien wurde das sogenannte Still-Face-Paradigma auf die Thematik der Smartphone-Nutzung angewendet. Tatsächlich bemerken Eltern laut eigenen Angaben sehr wohl, dass ihre Kinder negativ reagieren, wenn sie mit dem Smartphone beschäftigt sind. Insbesondere können Kinder wütend werden oder sich auch entmutigt zurückziehen. Auf alle Fälle beeinflusst die kindliche Interaktion mit ihren smartphonefokussierten Eltern die Erfahrung von Beziehung an sich und zeigt dem Kind, wie menschliche Beziehung und Interaktion ausschaut.

Können Erkenntnisse über die Auswirkungen von TV-Konsum genutzt werden?

Die Forschung über die Auswirkungen des Fernsehens auf die Familien kann Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Smartphone-Nutzung und kindlicher Entwicklung liefern. Als Auswirkungen des Fernsehens wurden Übergewicht, Schlafpro­bleme, aggressives Verhalten und Aufmerksamkeitsprobleme identifiziert. Gleichzeitig haben die meisten Familien einen Weg gefunden, wie sie die positiven Seiten des Fernsehens nutzen können, ohne allzu sehr den negativen Seiten zu verfallen. Allerdings gelingt das nicht allen Familien gleich gut. Nun ist aber fernsehen eine passive Handlung. Deshalb sind die Überlegungen zu den Auswirkungen des Fernsehens nur eingeschränkt anwendbar auf die hochinteraktive Smartphone- und Tablet-Nutzung. Die Einzigartigkeit der mobilen Technologie und deren Auswirkungen müssen spezifisch untersucht werden.

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