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Selbstgerechte Sprache
Benno Luthiger, Bild: ethz.ch

Selbstgerechte Sprache

Aus akademischen Theorien zur Sprache ist in den letzten drei Jahrzehnten ein ­politischer Aktivismus mit aggressivem Vokabular entstanden. Die oft inkonsistenten Vorstellungen unterscheiden sich bisweilen kaum von Verschwörungstheorien.

 

Eine der faszinierendsten und möglicherweise erschütterndsten Feststellungen, die Menschen in ihrer Kindheit machen, ist die Erkenntnis, lügen zu können. Später kommt die Einsicht hinzu, zugleich lügen und dennoch behaupten zu können, die Wahrheit zu sagen. Hierbei erkennen Heranwachsende, dass Sprache nicht nur ein Mittel der Verständigung, sondern auch der Irreführung ist. Solch frühe Erfahrungen lehren sie, Sprache mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Wer einer Person vertrauen will, schaut, was diese Person macht, und nicht, was sie verspricht. Für Vertrauen zählen Taten, nicht Worte. Diesen Umstand gilt es angesichts der gegenwärtigen Popularität sogenannter «gerechter Sprache» zu bedenken.

Politische Folgen eines akademischen Jargons

Die aktivistische Rede von «sozialer Gerechtigkeit» hat ihre Wurzeln im Dekonstruktivismus. Damit war ursprünglich ein vom ­Philosophen Jacques Derrida (1930–2004) geprägtes Lektüreverfahren zur Analyse von Zeichen, Sinn und Bedeutung gemeint. In den 1980er-Jahren bekam dieses eine ethische wie politische ­Ausprägung. Bald darauf wurden diese Überlegungen von der ­Philosophin Judith Butler aufgenommen und schufen die Basis für die Gender Studies. In Butlers Vorstellung ist das biologische ­Geschlecht eine diskursive Konstruktion, das erst im ständigen ­Zitieren von Geschlechternormen hergestellt werde. Dies wurde rasch zur Aussage verallgemeinert, dass die Art und Weise, wie wir denken, bestimmt, was wir erkennen: «Sprache bildet die Wirklichkeit nicht nur ab, sie formt sie auch», heisst es beispielsweise auf der Webseite der Universität Zürich zu gerechter Sprache.

Weil in diesem Verständnis Theorie mit Politik verknüpft ist und beide wiederum mit der Sprache, wird alles, was als un­gerecht wahrgenommen wird, als Resultat gesellschaftlicher Diskurse gedeutet. Hierüber erlangten die Gender Studies die Weihen einer sprachlichen Befreiungstheologie, die schnell von progressiven Kreisen übernommen wurde. In den letzten Jahren wurde das Fach stark von der Critical Race Theory (CRT) beeinflusst. Charakteristisch für diese ist die Ablehnung des Liberalismus, das Er­setzen wissenschaftlicher Methoden durch «Narrative», also die Art und Weise, wie über etwas gesprochen wird, sowie durch das Konzept der «Intersektionalität», womit in der Regel Mehrfachdiskriminierung gemeint ist. Die CRT stellt grundlegende liberale Konzepte wie die Rationalität der Aufklärung, rechtliche Gleichheit und verfassungsrechtliche Neutralität in Frage, erachtet die von liberalen Überzeugungen geprägte amerikanische Bürgerrechtsbewegung als gescheitert und setzt stattdessen auf eine «rassenbewusste» soziale Transformation.

Gender Studies und CRT pflegen ein ähnliches Vokabular. Beide sehen sich als wissenschaftliches Forschungsfeld, ihre ­Anhänger verstehen sich zugleich aber auch als Aktivisten mit politischem Programm. Charakteristisch für dieses ist, eine «vielfältige» und «gerechte» Gesellschaft dadurch erreichen zu wollen, dass eine «dekonstruktive» Sprache gepflegt wird. Folglich setzten sie auf aggressive Sprachkontrolle: Begriffe, Bemerkungen wie Personen werden als «rassistisch» oder als «transfeindlich» ­deklariert, um auf politischer Ebene die Tilgung missliebiger Wörter und die Verbannung solcher Individuen einzufordern.

Verschwörungstheoretische Anklänge

Hieran zeigt sich, dass Sprachskeptiker und Aktivisten einer ­«gerechten» Sprache ausgehend von einem Unbehagen an der Sprache zu völlig entgegengesetzten Resultaten kommen. Während erstere der Sprache grundsätzlich misstrauen und sich an der Realität, d.h. an effektiv ausgeführten Interaktionen orientieren, wollen letztere eine als ungerecht erfahrene Sprache durch eine neue ersetzen. Während für erstere Rassisten Menschen sind, welche andere Menschen aufgrund ihrer Herkunft herabsetzen, sind Rassisten für letztere Menschen, die verpönte Begriffe verwenden. Gerechte-Sprache-Aktivisten sind bestrebt, den ­gesellschaftlichen Diskurs mit von ihnen geprägten Begriffen zu bestimmen.

Problematisch an diesem Aktivismus ist nun insbesondere, dass er Elemente der Selbstimmunisierung und Merkmale einer Verschwörungstheorie aufweist. Ein selbstimmunisierendes ­Moment besteht etwa darin, Kritik an der Theorie als deren Bestätigung aufzufassen oder Einwände mit der Begründung abzulehnen, dass diese nicht in der gewünschten Sprache formuliert seien. Analog werden in der Traditionslinie der CRT Beanstandungen mit dem Hinweis abgelehnt, ein Kritiker sei aus biologischen oder sozialen Gründen (als «weisser Mann») gar nicht in der Lage, das jeweilige Anliegen zu verstehen.

Auf ihren Webseiten hat die Europäische Union sechs Kriterien zusammengestellt, an denen sich eine Verschwörungstheorie erkennen lässt. Demnach zeichnet sich eine solche durch die ­Behauptungen aus, dass 1) angeblich eine geheime Verschwörung existiere, dass diese 2) von einer Gruppe betrieben werde, dass es 3) «Beweise» hierfür gebe, welche die Verschwörungstheorie zu stützen scheinen, dass 4) nichts zufällig sei, sondern sich alles passend füge; zudem unterteile eine Verschwörungstheorie 5) die Welt in Gut und Böse und mache 6) bestimmte Menschen oder Gruppen zu Sündenböcken.

Welche dieser Kriterien treffen auf Aktivisten in der Tradition von Gender Studies und CRT zu? Der Begriff der «strukturellen Diskriminierung» macht sie a priori anfällig für das erste Kriterium. Internetsuchen hierzu zeigen schnell, dass er dominant im Zusammenhang mit Minderheiten verwendet wird, deren Unterdrückung nicht offensichtlich erfolge, sondern in gesellschaft­liche «Strukturen» eingebaut sei. Gender- und CRT-Forschung ­arbeiten intensiv an der Erfüllung des dritten Kriteriums. Die ­gesellschaftspolitische Kritik, welche die Gerechte-Sprache-­Aktivisten äussern, wenn sie White Supremacy und den «weissen, alten Mann» anklagen, erfüllt zudem zweifellos die letzten beiden Kriterien.

Nebenschauplätze

Welche Folgen hat das für politische Auseinandersetzungen? Während Sprachskeptiker den Leistungsbegriff hochhalten und die Wirkung von (politischen) Massnahmen beobachten, wollen Gerechte-Sprache-Aktivisten eine Politik der Symbole betreiben. Weil auf dieser Ebene weder Verständigung noch Verständnis möglich ist, sind solche Diskussionen nutz- und wirkungslos. Sie haben ausschliesslich den Zweck, Positionen zu beziehen. Da die Argumentationsweise für «gerechte» Sprache etliche Elemente enthält, welche Verschwörungstheorien kennzeichnen, ist eine Vorgehensweise hilfreich, die gegenüber Verschwörungstheoretikern empfohlen wird. Entscheidend ist, ihnen mit einer klaren Sprache zu begegnen, die es erlaubt, die politischen Probleme ­anzusprechen, deren Relevanz abzuschätzen und mögliche Lösungen zu erarbeiten.

Die Fixierung auf Sprache fällt nicht hierunter: Wird Rassismus wirklich aktiv bekämpft, wenn ein diskriminierendes Wort aus dem 19. Jahrhundert wie «Mohrenkopf» aus dem öffentlichen Raum verbannt wird? Das Gendersternchen ist ein weiteres Beispiel: Die Verwendung des «*» gilt als Merkmal einer geschlechtergerechten Sprache, die kein Geschlecht ausschliesse. Selbstverständlich kann man mit der Sprache Zugehörigkeit herstellen oder auch diskriminieren. Allerdings erfolgen diese Mechanismen nicht so eindeutig, wie es eine formelhafte Anwendung von Symbolen behauptet. Mitunter fühlt sich eine angesprochene Person ausgeschlossen, obwohl das vom Sprecher in keiner Weise beabsichtigt war. Wichtig und richtig ist, dass Gesetze und Regelwerke dahingehend untersucht werden, ob sie zu einer Schlechter­stellung von Frauen führen. Weil dem Geschlecht in jeder Ge­sellschaft eine elementare Bedeutung zukommt, dürfte eine geschlechterblinde Gesetzgebung wohl kaum möglich sein. Frauen gebären Kinder, und diese Tatsache hat eine Auswirkung auf die Erwerbsarbeit der Frauen, ihre Tätigkeitsgebiete und Arbeitspensen.

Sprachtheoretische Moden

Interessant ist es, Zyklen solcher Sprachmodernisierungen zu untersuchen. Schon vor 40 Jahren wurde beispielsweise mit dem Binnen-I versucht, Frauen zu einer besseren Stellung in der ­Gesellschaft zu verhelfen. Doch die wirklichen Verbesserungen erfolgten auf anderen Wegen.

Populär werden solche Mittel genau dann, wenn sie ihre Funktion als soziales Unterscheidungsmerkmal entfalten können. Weil es billiger ist, die Sprache statt das Verhalten zu ändern, ist nachvollziehbar, wenn sich gewisse Kreise sprachlich vom Rest der Gesellschaft abheben, um Fortschrittlichkeit zu beweisen. ­Ihren Höhepunkt erreichen solche Sprachmoden allerdings, wenn sie sich vollständig von ihrem theoretischen Hintergrund entfernt haben: heutzutage beispielsweise, wenn von «Mitglieder*innen» die Rede ist. Das Gendersternchen verwendet nun, wer sich «progressiven» Kreisen anbiedern will, gleichzeitig wird es aber immer häufiger parodiert, weil sich das Symbol für solche Zwecke richtiggehend aufdrängt.

Damit ist ein Ende dieser Sprachmode absehbar. Erst kommt das Fressen, dann die Moral: An dieser universellen Prioritätenordnung kommen auch Theorien einer gerechten Sprache nicht vorbei. Eine reiche Gesellschaft kann sich Gender Studies und ­deren Auswirkungen auf die Sprache leisten. Wir können uns über diesen Umstand ärgern, sollten das aber nüchtern beurteilen. Die Realität ändert sich, und Sprache passt sich diesem ­Umstand an – nicht umgekehrt.

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