Selbst ist der Anleger!
Klug investieren trotz Negativzinsen, Schuldendebakel und jederzeit möglichen Baissen.
Eigentlich kann man nie in Aktien investieren, denn in einer von zwei möglichen Situationen ist man immer: Entweder befindet sich der Markt in einer Baisse und sein weiterer Fall könnte zu Verlusten führen oder das Kurswachstum ist in einer Hausse so gut gediehen, dass der Markt teuer scheint und irgendwann fallen muss. Defensiven Sparern kommt ihre Haltung teuer: Die Zeiten, in denen ihr Bankguthaben eine ansehnliche Rendite abgeworfen hatte, sind vorbei. Ausgelöst wurde das durch die perpetuierte Krisenpolitik der Zentralbanken, die die Zinsen immer tiefer und zunehmend in den negativen Bereich drückt – offiziell wegen der zu geringen Inflation, inoffiziell, um die Staaten mit ihren rekordhohen Verschuldungen sowie den strukturellen Problemen im europäischen Süden zu unterstützen. Darüber hinaus wird das Sparen durch die verkorkste Altersvorsorge mit der Umverteilung zulasten der Jungen belastet.
Hat es vergleichbare Perioden schon gegeben? Nein! Trotzdem bietet die Geschichte Anschauungsunterricht bezüglich des Schuldenmachens und Gelddruckens: Das heute als finanzieller Musterschüler geltende Deutschland hat im Nachgang zu beiden Weltkriegen wegen der massiven Schulden eine Währungsreform durchgeführt: 1923 und 1948. Wer zu diesem Zeitpunkt als Sparer Bankguthaben oder (Staats)anleihen besass, hat alles oder nahezu alles verloren. Wer seine Aktien behalten hat, litt in diesen und anderen Krisen sehr – über die Zeit wurden aber die Verluste wieder aufgeholt. Das offenbart den fundamentalen Unterscheid zwischen Nominalwerten wie Bankguthaben und Realwerten wie Aktien: Letztere haben grössere kurzfristige Wertschwankungen, jedoch ein kleineres Risiko eines Ruins bei ganz grossen Krisen.
Weshalb? Bei Nominalwerten verspricht Ihnen jemand, irgendwann einen fixen Geldbetrag, sagen wir 1000 Euro, zurückzubezahlen. Wenn sich das Geld durch massive Inflation oder eine Währungsreform entwertet, erhalten Sie zwar den Betrag zurück, können aber damit kaum mehr etwas kaufen. Zudem ist es bei gegebenem politischem Willen einfach, Nominalbeträge nicht oder nicht ganz zurückzubezahlen. Beispiele der letzten Jahre sind Schuldenschnitte bei griechischen Anleihen oder der Zugriff von Zypern auf die Konten seiner Bürger, um die Bankenrettung zu finanzieren. Demgegenüber sind Realwerte wie Aktien oder Immobilien mittelfristig immun gegen eine inflationsbedingt schwächer werdende Währung. Mit einem Aktienbesitz von 1000 Euro besitzen Sie den x-ten Anteil an einem Unternehmen wie Nestlé, BASF oder Microsoft. Wenn sich nun die Kaufkraft wegen hoher Inflation halbiert, steigt der Wert der Beteiligung ceteris paribus, ausgewiesen in der nun schwächeren Währung, auf 2000 Euro – die Kaufkraft bleibt dieselbe. Würden die Aktien verkauft, könnte mit dem Erlös folglich die gleiche Menge an Konsum- oder anderen Gütern finanziert werden.
Aktuelle Lage spricht für das Halten von Realwerten
Die heutige Ausgangslage mit global aufgeblähten Geldmengen und hohen Staatsverschuldungen spricht deshalb für das Halten von Realwerten. Ebenfalls dafür spricht die höhere Ertragskraft, da man von der Wertschöpfung des Unternehmertums profitiert. In den letzten 93 Jahren brachten es beispielsweise Schweizer Aktien trotz einer Handvoll Einbrüche von –30 Prozent, –40 Prozent oder gar –5,0 Prozent auf einen durchschnittlichen jährlichen Wertzuwachs von 7,6 Prozent; Anleihen hingegen nur auf 4,3 Prozent und ein Konto auf 2,0 Prozent1. «Nur» eine Differenz von 3,3 Prozent,2 wenn man Schwankungen nicht mag und daher lieber Anleihen statt Aktien hält? Achtung! Das meist unterschätzte Phänomen beim Vermögensaufbau ist die Macht des Zinseszinseffekts. Wer die Erträge einer Anlage wieder investiert, erhält auch darauf Erträge. Wenn eine Anlage einen höheren durchschnittlichen Zuwachs pro Jahr aufweist, kann sich dieser Effekt viel wirkungsvoller über die Zeit entfalten. Das investierte Kapital verdoppelt sich bei einem Zuwachs von 7,6 Prozent nach 10 Jahren, bei 4,3 Prozent nach 17 Jahren und bei 2,0 Prozent erst nach 35 Jahren. Oder anders gesagt: Wenn Sie im Alter von 30 Jahren 100 000 Franken erben, haben Sie bei 2,0 Prozent Rendite bei der Pensionierung 200 000 Franken, mit 7,6 Prozent sagenhafte 1,3 Millionen Franken.
Fassen wir die bisherigen Erkenntnisse zusammen: Langfristig ist es das grösste Risiko, nicht investiert zu sein. Realwerte wie Aktien sind zentral für den Vermögensaufbau, weil sie das Risiko eines Ruins in grossen Krisen eingrenzen und über eine überlegene langfristige Ertragskraft verfügen. Viele mögen jetzt denken: «Das ist aber gefährlich – ich kenne diverse Leute, die mit Aktien viel Geld verloren haben!» Deshalb drei zentrale Punkte, die es zu beachten gilt: Erstens sollte nur Geld, das man zehn Jahre oder mehr nicht braucht, in Aktien angelegt werden. Denn wird man zur Unzeit, das heisst in einer Delle, durch einen Mittelbedarf zum Verkauf genötigt, ist die Rendite ruiniert. Glauben Sie, zweitens, nie irgendwelchen Aktientips vom Freund Ihres Freundes; halten Sie Aktienanlagen diversifiziert. Als Faustregel beim Kauf von Einzelanlagen soll gelten: mindestens 20 Titel. Nehmen Sie, drittens, die Sicht des Unternehmensmiteigentümers ein und halten Sie gute Titel langfristig. Investieren ist so, als schauten Sie dem Gras beim Wachsen zu. Viele haben eine kurzfristige Kaufen-Verkaufen-Mentalität und machen dabei zudem den Fehler, dass die Anlagen, die sich als Problemfälle erwiesen haben und im Verlust sind, behalten werden, weil man den Verlust nicht realisieren will. Bei guten Anlagen wird hingegen der Gewinn mitgenommen, sobald der Kursanstieg beispielsweise 20 Prozent beträgt. Wer so vorgeht, sitzt mittelfristig auf einem Restdepot von Rohrkrepierern.
Langfristige Geduld zahlt sich auch für Nichtreiche aus
Nur Tips für Reiche? Mit Entschiedenheit – nein! Heute kann jede und jeder auch kleinere Beträge anlegen. Aber tun muss man es. Der Medianlohn in der Schweiz beträgt 6500 Franken. Viele dieser Lohnempfänger geben für Kommunikation 100 bis 200 Franken aus, und nochmals so viel für den morgendlichen Coffee-to-go mit Croissant. Es ist also möglich, monatlich 150 Franken oder mehr in die Selbstvorsorge zu investieren. Wer das konsequent über die letzten 10 Jahre gemacht hat, hat heute mit Aktien (mit Anleihen)3 knapp 30 000 Franken (21 000 Franken) angespart. Über 20 Jahre sind es 72 000 Franken (49 000 Franken), über 30 Jahre sind es satte 222 000 Franken (97 000 Franken). Von diesen 222 000 Franken ist nur ein Viertel auf die Einzahlungen zurückzuführen. Der Rest brachte der Zinseszinseffekt, der aufgrund der einbehaltenen Kursgewinne und wieder angelegten Dividenden zustande kommt.
Ein Aktionstag eines Lebensmittelhändlers mit 20 Prozent Vergünstigung zieht alle an. Gibt es dagegen am Aktienmarkt 20 Prozent Rabatt, rennen alle davon. Dabei können in Krisen die Sparbeiträge erhöht und somit mehr Aktien mit einem Abschlag erworben werden. Wer so vorsorgt, kann auch gelassener auf die Diskussion rund um die AHV und die zweite Säule blicken. Das Zwangssparen für die Altersvorsorge hat dazu geführt, dass sich die meisten auf den Staat verlassen. Mehr Eigenverantwortung ist gefragt! Es ist ein gutes Gefühl, über Mittel zu verfügen, die nicht unter staatlicher Vormundschaft stehen. Und es kann von Vorteil sein, selbst für das Alter zu sparen, statt Einkäufe in eine Pensionskasse zu tätigen – und dies trotz der steuerlichen Begünstigung im letzteren Fall. Denn wenn Sie langfristig mit Realwerten zusätzlich selbst vorsorgen, ist das oft besser, als im Jahr eines Pensionskasseneinkaufs einmalig vom Steuerabzug zu profitieren, dann aber während Jahren und Jahrzehnten nur eine geringe Rendite von 1 bis 3 Prozent4 auf dem angesparten Kapital zu erhalten. Pensionskassen können aufgrund gesetzlicher Vorgaben betreffend Anlagen und Deckung der Verpflichtungen nicht aktienlastig anlegen5, was zu einer tieferen erwarteten Rendite führt. Ein Teil davon wird dann noch umverteilt, um aus heutiger Sicht überhöhte, aber nicht abänderbare Altersrenten zu finanzieren.
Zu guter Letzt noch folgender Hinweis: Schönwetterkapitäne laufen bei Unwetter auf Grund. Wenn man sich bei Sonnenschein an den Märkten entscheidet, die langfristig anlegbaren Mittel in Aktien zu investieren, muss man auch gewillt sein, diese Strategie bei Börsenunwettern konsequent durchzuziehen – das gilt übrigens auch für Pensionskassen. Erinnern wir uns an den gigantischen Einbruch der Finanzkrise: Mitte 2007 begannen die Schweizer Aktien nachzugeben, bis im Februar 2009 hat man sehr schmerzhafte –49 Prozent verloren. Wer damals die Nerven nicht verlor, dessen Portfolio hat den Verlust bis Oktober 2013 wieder aufgeholt. Wer die Nerven verlor und die Hälfte in Anleihen umschichtete, musste bis zum Erreichen des Vorkrisenhöchsts bzw. bis zum Februar 2019 – also über 5 Jahre länger – warten. Und wer ganz in Anleihen umgeschichtet hat, wartet bis heute auf den Ausgleich.
Jahresdaten der Bank Pictet von 1925 bis 2018. ↩
Dimsen Elroy et al., Summary Edition Global Investment Returns Yearbook 2019, Seite 21, zeigen vergleichbare Werte auf globaler Basis für die Jahre 1900 bis 2018. ↩
Es liegen Monatsrenditen des Schweizer Aktienindexes und des Schweizer Anleihenindexes zugrunde. ↩
Gemäss Schweizer-Pensionskassen-Studie der Swisscanto Vorsorge AG für die Jahre 2017, 2018 und 2019 lag die Verzinsung der Altersguthaben in den Jahren 2014 bis 2017 zwischen 1,7 Prozent und 2,5 Prozent, sie betrug im Jahr 2018 1,5 Prozent. ↩
Gemäss Schweizer-Pensionskassen-Index, 2. Quartal 2019, der Credit Suisse (Schweiz) AG hielten Pensionskassen 31,5 Prozent Aktien, Realwerte insgesamt (Aktien und Immobilien) waren es 55,0 Prozent. ↩