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Sehen & Tage

Sigmar Polke im Kunsthaus Zürich

Was zurzeit in Zürich gezeigt wird, ist keine Retrospektive. Vielmehr demonstriert der 64jährige Künstler mit seinen jüngeren und zum Teil speziell für die Ausstellung gefertigten, grossformatigen und mit skurrilen Rastermotiven durchsetzten Bildern die ständige und überraschende Weiterentwicklung seiner photographischen Ansätze. Der 1941 in Oels/Schlesien geborene Polke, der 1963 in Düsseldorf zusammen mit Gerhard Richter die Malweise des «Kapitalistischen Realismus» begründete, experimentiert zwar bereits seit den 60er Jahren mit Stilen, Themen und Materialien. Die grosse Konstante in seinem Œuvre ist jedoch das gemalte, gerasterte Zeitungsbild. Er ist kein Pop-Art-Künstler wie Roy Lichtenstein oder Andy Warhol, die den Siebdruck in die Malerei einführten, um grossformatige Darstellungen auf eine Leinwand bannen zu können. Polke malt jeden seiner Rasterpunkte von Hand, und man staunt angesichts dieser Maltechnik über seine ungeheure Produktivität, von der die zehn grossen Bilder ein Zeugnis ablegen, die er allein in den ersten Monaten dieses Jahres geschaffen hat. Wohl nicht zuletzt deshalb lautet der von Polke selbst gewählte Untertitel seiner dritten Zürcher Ausstellung «Werke & Tage». Diese Formulierung entlehnt er einem Epos von Hesiod (um 700 v.Chr.), das den Niedergang der Menschheit beklagt und die ehrliche und harte Arbeit als einzigen Weg zurück zum Wohlstand und zur Kreativität des Goldenen Zeitalters preist. Der Weg zu Polkes Experimentierlust und zu den alchemistischen Ansätzen in seinen jüngeren Bildern soll, so Bice Curiger, Kuratorin der Ausstellung, ebenfalls schon bei Hesiod zu finden sein. Auch das Motiv der verhängnisvollen Büchse der Pandora, die der Mensch aus Neugierde öffnete und damit die Übel in die Welt brachte, hat seine Wurzeln bei dem antiken Dichter.

Immer wieder verarbeitet Polke neue Materialien, er experimentiert und arbeitet mit giftigen Substanzen und Farben. Exemplarisch dafür ist das Werk «Purpur», ein mit Purpursekret bemaltes Tuch aus dem Jahr 1986. Die Photoserie «Purpurschnecke» (1986/1990) zeigt, wie viel es braucht, um diese Königsfarbe der Antike aus der Drüse der Purpurschnecke zu gewinnen. Es gibt unterschiedliche Schattierungen von Purpur, in grün, blau, violett und schwarz. Alle diese Farben kommen in Polkes Werk zu eigenwilliger Gestaltung. Die grossen Violettbilder, «Negativwerte I–III» (1982), sind repräsentativ für Polkes Werk, das die Geschichte der Alchemie von der Antike bis zur Gegenwart als Verwandlung in verschiedenen Farbtönen wiedergibt.

Sujets, die aus Zeitschriften des «Fin de siècle» stammen, werden in Rastermalerei und mit modischen Material- und Farbkombinationen dargestellt, was die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart zum Ausdruck bringt. Titel wie «Die Erfindung des Lachgases» (1999) oder «Mit Potemkin durch die Dörfer» (2005) sind ironisch gemeint, und man fragt sich, ob die mit einer Rasterhaube unkenntlich gemachte und dadurch entstellte «Köchin» (2005) auf einem durchsichtigen und silbrig schimmernden Tüllstoff-Hintergrund, tatsächlich ein essbares Gericht zubereitet oder ob es sich eher um eine Hexenküche handelt, in der hochgiftige Substanzen gemischt werden. Das Atelier des Künstlers in Köln wird gerne mit der Werkstatt eines Alchimisten verglichen.

Polkes Bilder entsprechen dem Zeitgeist, da sie dem Betrachter (und gelegentlich auch dem Maler selbst) unterschiedliche und vielfältige Sehoptionen eröffnen. Polke wollte ein Bild, das in der aktuellen Ausstellung einer Bildserie fälschlicherweise verkehrt herum gehängt worden war, ausdrücklich so belassen, weil sich auch für ihn so eine neue Betrachtungsweise ergab.

Die Ausstellung «Sigmar Polke – Werke & Tage» ist bis zum 19. Juni 2005 im Kunsthaus Zürich zu sehen (www.kunsthaus.ch).

JULIANA SCHWAGER-JEBBINK berichtet für die «Schweizer Monatshefte» über Kunstausstellungen. Sie lebt und arbeitet in St. Gallen und Zürich.

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