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Sechstausend Fuss jenseits von Mensch und Zeit – Engadiner Höhenflüge

Literarische Reisebücher haben sich in den letzten Jahren ein eigenes Marktsegment erobert. Es gibt inzwischen viele, auch über das Engadin. In der schönen Reihe der «Picus Lesereisen» hat die Innsbrucker Journalistin Susanne Schaber einen weiteren und sehr sympathischen Versuch unternommen, dem besonderen Zauber von Land und Leuten zwischen Maloja und Martina gerecht zu werden, mit […]

Literarische Reisebücher haben sich in den letzten Jahren ein eigenes Marktsegment erobert. Es gibt inzwischen viele, auch über das Engadin. In der schönen Reihe der «Picus Lesereisen» hat die Innsbrucker Journalistin Susanne Schaber einen weiteren und sehr sympathischen Versuch unternommen, dem besonderen Zauber von Land und Leuten zwischen Maloja und Martina gerecht zu werden, mit Abstechern übrigens ins Bergell und ins Putschlav. Sie kennt sich aus, wandert gern und viel und nicht immer auf ausgetretenen Pfaden, sie spricht mit Hirten und Sennern ebenso wie mit Hoteliers und Ingenieuren, und im Silser Nietzsche-Haus hat sie sich einst sogar heftig verliebt. Es ist ein sehr persönlicher Text, der uns hier offeriert wird, und man lässt sich gern von ihm an den jungen Inn und seine Quellen, nach Sils-Maria und St. Moritz, nach Soglio oder Poschiavo entführen. Man fährt mit der Rhätischen Bahn durch eine alpine Spielzeugwelt, taucht ein in die Geheimnisse des zu Unrecht sonst oft zu kurz kommenden Unterengadin und lernt neben Giacometti und Segantini auch weniger bekannte Graubündner Künstler etwas näher kennen. Wir erfahren, was die mondäne Welt der Belle Epoque einst zu sich nahm, und beim Umblättern liegt uns der herzhafte Geschmack kräftigender Putschlaver Spezialitäten wie «Pizzocheri» oder «Bresaola» sozusagen auf der Zunge. Zusammen mit den schönen Versen von Luisa Famos erhalten wir eine knappe Einführung in die Problematik des Rätoromanischen, und die Halbinsel Chasté im Silser See wird uns ähnlich vertraut wie dem Dichterphilosophen des späten 19. Jahrhunderts. Susanne Schaber ist Journalistin und keine Poetin, und so geht es bei ihr nicht ganz so literarisch zu wie in Christoph Braendles Ägypten-Buch und manch anderem aus dieser Reihe. Aber sie schreibt angenehm, und selbst wenn sie unverzeihlicherweise den in Sils-Maria spielendenwunderbaren Prosaband «Nicht kalt genug» von Bernhard Setzwein nicht einmal erwähnt, sind ihre Höhenflüge doch allen zu empfehlen, die das Engadin schon lieben – oder es endlich lieben lernen möchten.

Dr. Klaus Hübner ist Redaktor der Zeitschrift «Fachdienst Germanistik».

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