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Schwitter rutscht aus

Thomas Schenk: «Im Schneeregen». Frankfurt: Weissbooks, 2010.

Die Sonne paukt den Himmel. Das Blau sprotzt, und die Luft tropft über den Rand des Horizonts. Es ist heiss. Man schafft es gerade noch, ein Buch aus der Badetasche zu fingern. Der Titel «Im Schneeregen» ist herzlich willkommen und sorgt für einen Anflug von Kühle. Weisse Bettenberge zieren den Umschlag…

Nein, Erotik ist nicht zu erwarten, eher Infusionsständer und Seifenspender. Niemand mag Schneeregen. Schwitter schon. Anlageberater Schwitter ist im Spital: vom Weg abgekommen, ausgerutscht, «eingeknickt, das Gleichgewicht verloren und hingefallen». Hätte ihn nicht ein Bauer gefunden, er wäre wohl langsam erfroren.

Schwitter ist einer, der sich im Krankenbett liegend Erklärungen für den Chef zurechtlegt; der sich Urlaubsgeschichten für seine Arbeitskollegen ausdenkt; der den umgeschütteten Tee mit dem Kissenbezug aufwischt, um ja keinen Katheter verpasst zu bekommen; der sein Leben an sich ganz gut organisiert hat, der aber unter Druck gerät, wenn seine Pläne durcheinandergeraten; der an «körperliche Beschädigung» denkt, wenn von Veränderungen die Rede ist.

Schwitter redet nicht viel bei der Arbeit. Sein Chef sagt, er positioniere sich nicht. Schwitter hat einmal den Ausbruch aus seinem Leben probiert, ist aber wieder bei seiner Bank gelandet. Schwitter landete auch bei Beatrice, mehr zufällig als gewollt. Die bringt allerdings Unruhe in sein Leben, und er verliert sie nicht gerne, die Kontrolle über die kleinen Dinge im Alltag; er fühlt sich dafür verantwortlich, Kühlschrankware vor dem Verderben zu retten und den Geschirrspüler korrekt einzuräumen.

«Wie schnell soll man gehen, um bei Regen richtig nass zu werden?» Für Fragen nimmt sich Schwitter gern Zeit, und wenn er schwelgt, abwägt und argumentiert, ist der Text sprachlich und inhaltlich am stärksten: Wie soll man sich wohl bei seinem Lebensretter gebührend bedanken? Was für ein Café ist wann das richtige? Was denkt sich einer, der für sein Ableben verantwortlich ist? «Falls Schwitter im Verkehr umkommen sollte, dann möchte er von hinten überrollt werden.» Ja nichts und niemandem ins Auge sehen zu müssen, wünscht er sich. Mitunter kommt aber auch er nicht umhin, sich mit realen Ereignissen (die hier nicht verraten seien) auseinanderzusetzen.

Es sollte einen festen Betrag geben, um sich für die Dienstleistung der Lebensrettung erkenntlich zu zeigen, heisst es an einer Stelle. Für die Dienstleistung des Schreibens dieses gemütlich-gemächlichen, unaufgeregt-poetischen, angenehm-zeitlosen Buches ist ein fester Betrag hingegen festgelegt. Man möge den nächsten Buchhändler aufsuchen und sich «Im Schneeregen» zulegen. Angenehme Stunden – bei welcher Wetterlage auch immer – garantiert.

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