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Schweizerreise in konspirativer Absicht

Die Tagebücher einer Fürstenfamilie von 1783

Im grandiosen Landschaftsgarten von Wörlitz bei Dessau stösst man im sogenannten «Gotischen Haus» auf alte Zürcher Wappenscheiben in grosser Zahl, mit Szenen aus der älteren Schweizergeschichte. Sie zeugen vom lebhaften Interesse des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau ( 1740–1817), der den Park für die Alte Eidgenossenschaft hatte anlegen lassen. Dieses Interesse führte ihn im Sommer 1783 zu einem längeren Aufenthalt in die Schweiz, mit einer Entourage, der seine Frau, sein natürlicher Sohn Graf Waldersee und eine entfernte Verwandte angehörten. Angezogen von Johann Caspar Lavater, mit dem sie sich befreundet hatten, bezogen sie ein Standquartier in Zürich-Hottingen. Von dort aus unternahmen sie eine Reise in die Innerschweiz, besuchten das Rütli und die Hohle Gasse und übernachteten in Gersau.

Die Tagebücher, die die fürstlichen Reisenden während dieses Aufenthaltes führten, hat nun Anna Franziska von Schweinitz unter Mitarbeit von Conrad Ulrich in einem sehr schön ausgestatteten Band erstmals zugänglich gemacht. Von Tag zu Tag findet man die ausführlichen, erstaunlich unbefangenen Berichte des neunzehnjährigen Waldersee über seine Erfahrungen mit der Schweiz und die knappen Notizen des Fürstenpaares hintereinander. Angefügt sind die schwärmerischen Gedanken und Gefühle über die fürstlichen Gäste, die die achtzehnjährige Bäbe Schulthess, die Tochter von Goethes Zürcher Freundin, ihrem Tagebuch anvertraute. So wird oftmals dieselbe Begebenheit auf das reizvollste nacheinander in drei oder vier ganz verschiedenen Lebensaltern, Temperamenten und Interessenlagen gespiegelt, jeweils ergänzt um eine zeitgenössische Illustration.

Für die Herausgeberin ist die sorgfältige Dokumentation dieser fürstlichen Schweizerreise nicht Selbstzweck. Sie vermutet hinter der Reise eine politische, konspirative Absicht. Denn der Fürst von Dessau verfolgte damals den brisanten Plan, einen Bund der mindermächtigen deutschen Fürsten auf die Beine zu bringen, um der wachsenden Vorherrschaft der Grossmächte Österreich und Preussen und allenfalls von aussen kommenden Bedrohungen etwas entgegenzusetzen und den Reichsverband zu reaktivieren. Die Formulierung der Ziele dieser geplanten Union erinnert nicht von ungefähr an die eidgenössischen Bundesverpflichtungen. Der Bund der Eidgenossen habe dem Dessauer als dem Hauptinitianten des Fürstenbundes als Modell vorgeschwebt, das er 1783 an Ort und Stelle studieren wollte. Das erkläre auch, weshalb er mehrfach aus Zürich verschwand, vermutlich um Gleichgesinnte zu besuchen, vor allem den Markgrafen Karl Friedrich von Baden, dessen Minister Wilhelm Freiherr von Edelsheim intensiv an der Schmiedung eines solchen Fürstenbundes beteiligt war. Vor diesem politischen Hintergrund erhält die Liebe des Fürsten von Dessau zur Schweiz eine zusätzliche plausible Erklärung, noch jenseits der zeitgenössischen Mode, in die Schweiz zu reisen, und der persönlichen Hoffnung der Fürstin, bei Lavater seelsorgerliche Hilfe in ihrer unglücklichen Ehe zu finden.

Dieser politische Hintergedanke, den die Herausgeberin aus anderen Quellen überzeugend belegen kann, setzt die Lektüre dieser Tagebücher zusätzlich unter Spannung. Gerade weil er darin offenbar nirgends explizit formuliert werden durfte, fahndet man nach Spuren davon. Ein deutlicher Reflex steckt in Waldersees Bericht vom 22. Oktober vom Besuch auf dem Rütli : «Von hier aus entdeckten wir den Ort, wo die drei Schweizer ihren Bund geschlossen haben. Wir gingen dort an Land und stiegen bis zu der Stelle hinauf, wo man einen Brunnen sieht, der durch die genannte Tat geweiht ist. Als Andenken pflückten wir Efeu, welcher die Steine dieses wegen der Freiheit bemerkenswerten Brunnens umgibt. Gleichzeitig gedachten wir des gegenwärtigen Zustandes von Deutschland, das so sehr vom Umsturz bedroht ist, und begaben uns, innerlich gestärkt, da der Tag zu sinken begann, zur Heimfahrt aufs Schiff.» Dazu passt, dass im Schlafzimmer des Fürsten in Wörlitz eine Glasscheibe mit den drei schwörenden Eidgenossen hing. Er idealisierte offensichtlich die Alte Eidgenossenschaft zum Muster einer funktionierenden Föderation. Der Fürst holte schliesslich auf Lavaters Empfehlung den Zürcher Prediger Johann Caspar Häfeli und den Reformbauern Heinrich Bosshard aus Winterthur zu sich nach Dessau, auf die Dauer allerdings ohne den erhofften Erfolg.

Der geplante Fürstenbund kam nicht zustande, und sechs Jahre später warf der Ausbruch der Französischen Revolution vorerst alle reformerischen Bemühungen hüben und drüben über den Haufen. Die vorliegende sorgfältige Dokumentation des Interesses, das der zu seiner Zeit auch auf anderen Gebieten reformfreudigste unter den deutschen Kleinfürsten und seine Begleitung an der Eidgenossenschaft nahmen, kann jedoch in Erinnerung rufen, wie positiv die Schweiz einstmals vom Ausland her eingeschätzt wurde und welche Reformanstösse man sich von ihr versprach. Zugleich werden in diesen Spiegelungen die helvetischen Zustände zur Zeit des ancien régime in vielen Nahaufnahmen lebendig.

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