Schweiz 2050
Die Schweiz braucht eine Vision, will sie im 21. Jahrhundert ihre Stellung in der Welt festigen. Allein: sie fehlt. Überlegungen und Anregungen eines neulich weitgereisten US-Amerikaners zur potentiellen Vorreiterrolle einer kleinen Alpenrepublik.
Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, innerhalb einer Woche Dänemark, die Schweiz und Singapur zu bereisen. Während dieses Trips bemerkte ich, dass alle drei Länder, jedes auf seine Art, eine kleine, besondere Gruppe von Staaten in unserem nunmehr globalen Dorf repräsentieren. Diese aparte Gruppe könnte man als SWOPs bezeichnen: Small, Well Organized, Prosperous Countries. Zu Deutsch: kleine, gut organisierte Wohlstandsländer.
Eigentlich war ich in jedes dieser Länder eingeladen, um mit Vordenkern aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft über die Herausforderungen zu sprechen, mit denen diese Länder im noch jungen Jahrhundert konfrontiert sind – und sein werden. Es mag überraschen, dass von mir als US-Amerikaner Hinweise auf Strategien für diese Länder erwartet wurden. Schliesslich hatten die USA im Jahr 2008 die Finanzkrise losgetreten und somit grosse Teile der weltweiten Ökonomie in die Rezession geschickt. Meine Heimat war es auch, die im Irak und in Afghanistan zwei zweifelhafte und kostspielige Kriege führte.
Richte keinen Schaden an – das ist eine wertvolle Handlungsmaxime für politisch und wirtschaftlich mächtige Staaten wie die USA. Und deshalb hüte ich mich davor, anderen Ländern ungebetene Ratschläge zu erteilen. Aber mir ist zugleich klar, dass sich ein Land wie die Schweiz fragt, wie SWOPs künftig überleben können. Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, dass starke Kräfte wirken, die sich ausserhalb der Kontrolle einzelner Nationalstaaten befinden: Innerhalb der nächsten 40 Jahre wird die Weltbevölkerung auf 9 Milliarden Seelen wachsen. Das Epizentrum dieses demographischen Wandels wird in Asien, Afrika und Lateinamerika liegen. Das Zentrum der wirtschaftlichen Macht wird sich, das ist ebenso sicher, nach Osten verlagern, in Richtung China.
Der sogenannte Westen, wozu die Schweiz wie die USA kulturgeschichtlich zweifellos zu zählen sind, ist bisher nicht unbedingt mit zukunftsfähigen Konzepten hervorgetreten, die die sich abzeichnenden demographischen, sozialen und ökonomischen Umwälzungen angemessen berücksichtigen oder diesen gar mit einer Strategie begegnen. Der Westen muss sich, will er seinen zivilisatorischen Einfluss bewahren, einmal mehr neu erfinden. So wie er es nach den zwei Weltkriegen getan hat.
Was auf uns zukommt
Schauen wir die Problemfelder, die sich mit den Umwälzungen zwingend ergeben, genauer an: Die weltweite Nachfragekurve für Ressourcen – Rohstoffe, Energie und Wasser – wird rasant ansteigen. Zwar ist mittlerweile Malthusʼ Prognose empirisch widerlegt, dass es weder genug Platz noch genügend Ressourcen für die heutige Zahl von Menschen auf diesem Planeten habe. Um ihn aber auch in den nächsten Jahrzehnten Lügen zu strafen, wird uns jede Menge Einfallsreichtum abverlangt werden, und wir werden phantastische Sprünge des technologischen Fortschritts hinlegen müssen, um einer steigenden Nachfrage nach lebenswichtigen Gütern auch ein steigendes Angebot gegenüberzustellen.
Der Klimawandel, ob nun vom Menschen verursacht oder natürlich-zyklisch, ist eine Tatsache und verlangt nach vom Menschen entwickelten und vor allem raschen Lösungen. Dies aus einem simplen Grund: wir können es uns nicht leisten, einen jahrhundertelangen Zyklus abzuwarten, der die Atmosphäre vielleicht irgendwann wieder herunterkühlt, Land vom Wasser wieder freigibt, kurz: die Welt «heilt». Die Wissenschaft wird sich mit neuen Modellen für Wetter, Landwirtschaft, Bewohnbarkeit und Epidemiologie auseinandersetzen müssen.
Nicht nur die Meeresspiegel dürften steigen, sondern auch die Zahl und Art von Sicherheitsbedrohungen. Ich rede von unkon-trollierter, grenzüberschreitender Migration aufgrund von lokalen Konflikten, scheiternden Staaten, Klimaveränderungen oder einfach aufgrund wirtschaftlicher Faktoren. Die Verwundbarkeit der nationalstaatlichen Systeme mit ihrer zum Teil veralteten Infrastruktur ist offensichtlich. Dies gilt auch für die Telekommunikation: Cyber-Attacken sind heute bereits täglich in den Schlagzeilen, sie werden rasant zunehmen und – was das analoge Bedrohungspotential angeht – auch rasch aufschliessen zu den «alten» Sicherheitsbedrohungen durch chemische, biologische und radiologische Waffen.
Der aktuelle Zustand dessen, was wir als «Global Governance» bezeichnen, ist – rechtlich, regulatorisch und politisch – beklagenswert. Westliche Nationen, die an der Spitze der Befürworter einer progressiven Internationalisierung standen, haben sich unter dem Einfluss wirtschaftlicher Sachzwänge und realpolitischer Müdigkeitserscheinungen seit 1989/91 radikal gewandelt und stehen vor nationalen Scherbenhaufen, die es zuerst aufzukehren gilt.
Drei Problemfelder
Die Bürger sind zu Recht misstrauisch gegenüber politbürokratisch-technokratischen Megalösungen für die genannten Probleme. Nüchtern betrachtet ist die Welt viel zu komplex, um sie überhaupt überschauen oder gar zur Zufriedenheit aller managen zu können. Damit wäre das erste von drei grossen globalen Pro-blemfeldern aufgerissen: die Komplexität. Das komplexe Zusammenspiel von dynamischen Variablen in der Finanz- und Wirtschaftswelt, aber auch in Politik, Umwelt und Sicherheit ist so unübersichtlich wie nie zuvor in unserer Geschichte. Selbst die Fortschritte im Quantencomputing werden uns kaum befähigen, die Wechselwirkungen des globalen Austauschs zu ordnen, zu verstehen oder gar angemessen darauf zu reagieren. Wir werden also auch in Zukunft nicht alle Risiken des globalen Wechselspiels antizipieren können. Und wir werden deshalb auch keine politische Globalstrategie anstreben können, die dieser Unübersichtlichkeit Rechnung trägt. Das macht die Entwicklung einzelner wirksamer Geschäftsstrategien und auch die politische Planung schwieriger als je zuvor.
Zweitens scheint mir in «reifen» Demokratien des Westens eine zunehmende politische Unreife auf dem Vormarsch, die der Komplexität allzu simple Lösungen entgegensetzt. Wir müssen uns fragen, warum die politische Führung sich häufiger in Populismus flüchtet, wenn nüchtern-analytisches Handeln angezeigt wäre. Die politischen Führungen wurden – nach den Vorgaben unserer demokratischen Entscheidungen – entweder durch unentschlossene Politiker, populistische Rhetoriker oder gar ganze ex-tremistische Bewegungen ersetzt. Ich frage: Wo sind die neuen Roosevelts, Churchills, Adenauers, die mit unserer zunehmend komplexeren globalen Matrix gewissenhaft umgehen?
Das dritte grosse Problemfeld sind soziale Spannungen, die durch wachsende Ungleichheit innerhalb der Länder verursacht werden. Der technologische Fortschritt hebt zwar den durchschnittlichen Wohlstand, geht aber nicht automatisch einher mit dem, was als «Verteilungsgerechtigkeit» bezeichnet wird. Ob und wie eine solche überhaupt anzustreben ist, sei dahingestellt, aber in den USA hat sich das durchschnittliche Einkommensverhältnis vom Arbeitnehmer zum CEO in den letzten 30 Jahren drastisch verändert: von 1 zu 40 bis auf 1 zu 380. Relativ gesehen werden die Reichen also rasant reicher, während die Armen hinterherhinken oder gar ärmer werden. In den USA brechen derzeit weite Teile des Mittelstands weg. Lassen wir hier die Gerechtigkeitsfrage aussen vor, es geht vor allem um Besonnenheit. Wenn Geschäfts- und Politeliten mit extremen Einkommen ihren Sinn für andere Per-spektiven und somit ihre Verankerung im allgemeinen menschlichen Befinden verlieren, kann dies für sie gefährlich werden.
Das beste Jahrhundert aller Zeiten?
Eines Morgens, es ist noch nicht lange her, fragte mein zehnjähriger Sohn mich auf dem Weg zur Schule, ob das 21. Jahrhundert wohl das beste Jahrhundert überhaupt werden könne. Kinder sind mit ihrer Direktheit oft sehr entwaffnend: Ich antwortete ihm so zuversichtlich, wie ich eben konnte: «Ja, das wird es wohl. Wir müssen einfach dafür sorgen, dass es das beste wird.» Ich bin sicher, dass Schweizer Eltern ähnliche Gespräche mit ihren Kindern führen. Die Frage für uns Erwachsene ist deshalb bestechend einfach, solange wir noch eine Chance haben, einen gewissen Einfluss auf die Ergebnisse auszuüben: Was müssen wir tun?
Das bringt mich zu den SWOPs zurück. Für die Schweiz – ein sehr gutes Beispiel für ein SWOP – schlage ich fünf Maximen für praktisches Handeln vor, die ihr dabei helfen können, durch das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu manövrieren. Ich schicke vorweg, dass es sich dabei um unwissenschaftliche Gedanken eines respektvollen Gasts handelt, nicht um Handlungsanweisungen eines Insiders mit tiefgreifendem Wissen.
1. Eine nationale Strategie
Jedes SWOP braucht eine eigene, nationale Strategie. Wir sprechen hier nicht über die vielzitierten Fünfjahrespläne, sondern von einer Art intellektueller High-Touch-Strategie. Dazu gesellen sich eine Reihe von normativen Zielen und passenden praktischen Taktiken, um diese innerhalb einer bestimmten Zeit zu erreichen. Es geht also nicht um eine PR-Kampagne, sondern um ein Narrativ der Schweizer Selbstwahrnehmung: Solange die Schweiz keinen Konsens darüber hat, was oder wer sie ist, kann sie ihren Standpunkt auch global nicht vertreten.
Die Schweiz verfügt über eine grosse kulturelle und sprachliche Vielfalt auf kleinstem Raum, sie ist beinahe ein Mikrokosmos der wichtigsten Kulturen des europäischen Kontinents. Das wird gern diagnostiziert, leider bleibt es weitgehend bei einer Dia-gnose, die Potentiale bleiben ungenutzt. Diese Vielfalt sollte, so möchte ich meinen, freilich eine Stärke sein, keine Schwäche. Damit das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist und zudem global ausstrahlt, muss der Schweizer Stoff sich gleichsam auf die silbernen Fäden der Einheit konzentrieren. Dabei geht es nicht um Nationalismen oder Mythen, sondern um folgende, ganz subjektiv zu beantwortende Frage: Wenn Sie eine Geschichte über die Schweiz im Jahr 2050 erzählen müssten, was würden Sie gern sagen? Gelingt es der Schweiz, aus den vielen Einzelstimmen die besten Übereinstimmungen herauszufiltern, so fördert dies das Eigenverständnis zu Hause und im Ausland.
2. Lügen Sie sich nicht in die eigene Tasche!
Wie Shakespeare sagte: «Sei redlich gegen dich selbst.» Es ist unerlässlich für ein SWOP, das zu bewahren und zu pflegen, was man die «Magie des kleinen Massstabs» nennt. Es handelt sich darum, eigene organische Stärken zu identifizieren und sie zu pflegen. Zum Beispiel hat die Schweiz ein hervorragendes Bildungs- und Ausbildungssystem, das völlig heterogene Gesellschaftsgruppen auf einen höheren gemeinsamen Nenner hebt. Das Land ist spezialisiert auf effiziente Produktion und innovatives Handwerk, und es verfügt mit seiner direkten Demokratie über ein erprobtes Werkzeug, um die Politik zu steuern. Diese Attribute stehen hinter der aussergewöhnlichen Belastbarkeit, die die Schweiz als Land nun seit über einhundert Jahren auszeichnet. Die Welt braucht mehr von dem, worin die Schweiz gut ist – also täte die Schweiz gut daran, Wissen und Werte zu exportieren, die sich daheim als sinnvoll herausgestellt haben.
Ein Vorbild für diesen effizienten Umgang mit eigenen Stärken darf ein weiteres SWOP sein: Singapur. Der Stadtstaat war in den letzten Jahrzehnten gut darin, strategische Investitionen in seine Industrie zu tätigen. Singapurs Staatsfonds Temasek und GIC bauen die nationale Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand für die kommenden Jahrzehnte auf. Man erkannte den Erfolg der eigenen Strukturen früh, Singapur ist deshalb zu einem Exporteur von «Smart City»-Infrastrukturlösungen geworden, die auf der ganzen Welt gefragt sind.
3. Veränderungen begrüssen!
Wenn ich eben schrieb, dass man sich der eigenen Stärken bewusst sein muss, um diese zu kommunizieren, so heisst das nicht, dass man damit die Illusion nähren sollte, als Land in einem Vakuum zu leben. Wie der grosse italienische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa beobachtete: «Wenn Sie wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, so muss sich alles ändern.» Ich paraphrasiere: Um lokal zu bestehen, muss man global denken. Dies ist keine neue Lektion, aber immer wieder eine Erinnerung wert: Der Heimmarkt Schweiz ist bei weitem nicht gross genug, um ausschliesslich auf eigene Rechnung hin gedeihen zu können. Und genau deshalb muss er immer seine Pforten geöffnet halten für neue, talentierte Arbeitskräfte, für Humankapital also ebenso wie für jede andere Art von Kapital.
Darüber hinaus ist ein komparativer Vorteil keine statische Grösse – gerade im Dienstleistungsbereich, einschliesslich des Finanzsektors. Die Schweiz könnte künftig im Onshore-Banking denselben Erfolg haben, den sie bisher im Offshore-Banking hatte. Denn: in Zeiten, in denen die weltweiten Regeln vor allem auf Transparenz im Banking ausgerichtet werden, während sich daheim die Fiskalbelastungen erhöhen, ist es wahrscheinlich schwierig, ein Bankengeschäftsmodell zu unterhalten, das in erster Linie auf dem erquicklichen Zustrom potenter Auslandskunden – auf der Suche nach Steueroasen und Finanzschlupflöchern – basiert.
4. Das «Donut-Problem»
Die Schweiz hat ein «Donut-Problem». Sie ist, politisch gesehen, das Loch in der Mitte eines Donuts. Das mag etwas gar amerikanisch klingen, aber ich will Ihnen sagen, was ich damit meine: Ich fragte im Vorfeld meiner Reise ein paar Freunde nach einem berühmten Schweizer Politiker, um mich selbst zu orientieren. Sie ahnen, was passierte: Niemand konnte mir auch nur einen einzigen Namen nennen. Nun mag man in der Schweiz argumentieren, dass ein Fehlen von Aushängeschildern kein Problem, sondern – umgekehrt – eine Lösung sei. Richtig ist wohl, dass das Phänomen eine Folge der dezentralen direkten Demokratie und ebenso dem Prinzip der Neutralität geschuldet ist, man also zwischen Basel und Chiasso gar keine markante Aussenpolitik anstrebt. Die Folge dieses «gefühlten Vakuums» an der Spitze eines Landes ist aber, dass, international betrachtet, die Schweiz keine klare Stimme hat und ebenso wenig eine Führungsrolle übernimmt. Oder noch kürzer: das Land hat politisch nicht eines, sondern mindestens sieben Gesichter – von denen keines für die Politik des Landes steht. Die Folgen für die internationale Wahrnehmung sind fatal.
In schlechten Zeiten wird die Schweiz als unnahbar, gierig und verschroben angesehen. Das weithin bekannte Bankgeheimnis nährt diese Wahrnehmung zusätzlich. Die Neutralität der Schweiz, die besondere historische Wurzeln hat und viele echte Vorteile, verwandelt sich in der Fremdwahrnehmung immer wieder in die eine oder andere Spielart des Opportunismus. Viele Nichtschweizer betrachten die Schweiz deshalb nicht als humanitäres Pionierland, sondern als Schacherparadies, das beim Handeln und Beherbergen keinerlei Unterschied macht zwischen einem ehrenhaften Geschäftsmann und den weltweit berüchtigtsten Stinktieren.
Um diese Reputationslücke zu einem gewissen Grad aufzufüllen, spielt die Schweiz vergleichsweise häufig die grosszügige Rolle des Gastgebers für internationale Institutionen. Das Internationale Rote Kreuz, die WTO, die WHO, grosse Teile der UNO-Institutionen, der Menschenrechtsrat, das WEF: Wer heute «Genf» oder «Davos» sagt, weiss, was sich politisch und wirtschaftlich dahinter verbirgt, ohne dass man vorher an grosse Wasserfontänen oder Skirennen hat denken müssen. Auf diesem Wege, so möchte ich meinen, macht die Schweiz viel Reputationsboden wieder gut, sie sollte aber die systematische Vertiefung der bilateralen Beziehungen mit Ländern wie den USA durch institutionalisierte Dialoge und Handelsdiplomatie auch politisch stärker forcieren. Gesichtslosigkeit ist ein politischer Luxus, den sich in einer ohnehin unübersichtlichen Welt wohl nur wenige Länder werden künftig leisten können.
5. Vorstellen einer europäischen Zukunft
Man könnte sagen, dass die Schweiz sich zwar auf europäischem Boden befindet, aber kein Teil dessen ist, was viele Politiker meinen, wenn sie heute von «Europa» sprechen. Eine distanzierte Haltung zur EU ist glaubwürdig und auch umsichtig für ein SWOP. Die nordeuropäischen Länder verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Es ist vernünftig, Vor- und Nachteile eines Beitritts mit Bedacht aufzuzeigen und diejenigen Vorteile zu ergreifen bzw. Zugeständnisse zu machen, die eine bestmögliche Integration bei gleichzeitiger Wahrung der Eigenverantwortlichkeit erlauben. Allerdings: die Schweiz sollte sich von der derzeitigen Krise der Euro-Zone nicht zum Glauben verleiten lassen, sich auf einer einsamen, sicheren Insel zu befinden. Auch wenn sich derzeit die Befürchtungen der Euro-Skeptiker zu bestätigen scheinen, die Schweiz kann nicht dauerhaft ein Donut-Loch in einem nur wenig grösseren Donut-Loch sein, sie muss ihren geldpolitischen Weg mit Bedacht wählen, eventuelle Allianzen mit anderen Währungsräumen andenken. Die Anbindung des Schweizer Frankens an den Euro war ein ebenso schwieriger wie lobenswerter geldpolitischer Schritt. Europa und sogar der Euro sind wahrscheinlich gekommen, um zu bleiben.
Gastgeberrolle neu definieren
Fassen wir die vorgeschlagenen Imperative zusammen: Die Schweiz braucht eine nationale Strategie, um international ein Gesicht zu erhalten. Hierzu muss sie sich des kleinsten gemeinsamen Nenners ihrer Stärken bewusst sein, sie muss ehrlich mit sich selbst und anderen sein und weiterhin den Fortschritt begrüssen, statt auf konservative Imagepflege zu setzen. Sie braucht eine politische Stimme und muss sich Allianzen suchen, die diese stärken und ihr international mehr Gewicht verleihen. Um all dies mit einem Schlag auf den Weg zu bringen, braucht es Denkarbeit im Inneren und Zeichen nach aussen.
Die folgende Idee, hier nur skizzenhaft angerissen, könnte der erste Schritt sein: Die Schweiz sollte, und dies recht bald, für einmal nicht nur als bequemer neutraler Gastgeber fungieren. Sie sollte eine erste Sitzung der Liga oder der Union der SWOPs einberufen, um die gemeinsamen globalen Herausforderungen dieser Länder zu diskutieren. Neben Singapur und Dänemark – und je nach Aufnahmekriterien, die so locker wie möglich sein sollten – wären auch die übrigen Skandinavier, Holland, Estland, Neuseeland, Hongkong, Costa Rica und eventuell Australien und Kanada Kandidaten für diesen neu zu formierenden Player in der Weltpolitik. Die SWOP-Gruppe könnte von den Schweizer Behörden initiiert werden, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit einer führenden Universität wie der ETH Zürich, der HSG St. Gallen oder Universität Genf. Auf der Tagesordnung wäre natürlich nicht die Weltherrschaft, sondern bloss zwei Punkte: der Blick auf innovative Strategien für die Aufrechterhaltung der Identität der relativ kleinen Länder und das Management von Risiken in einer sich weiterhin schnell globalisierenden Welt.
Um es noch einmal zu wiederholen: es geht nicht um eine PR-Kampagne. Es soll nicht um Beschönigung oder Marketing gehen, sondern um eine mögliche künftige Realität. Auf dem Spiel steht dabei nicht nur die Reputation der einzelnen Länder, sondern auch jene von Einzelpersonen oder Unternehmen. SWOPs sind nicht bedeutend anders als andere Länder, aber sie haben den echten globalen Vorteil, klein, potentiell wendig, gut organisiert und vergleichsweise wohlhabend zu sein. Die wahre Herausforderung für die Schweiz besteht in einer zunehmend dynamischeren Welt darin, einen genuin schweizerischen Weg zu einer Vision für dieses Land zu finden – zu einer Vision dessen, was das Land im, sagen wir, Jahr 2050 tatsächlich sein will. Es steht also jede Menge Denkarbeit an. Diese überlasse ich nun gerne den klugen Köpfen der einzelnen SWOPs, in diesem Fall den klugen Köpfen der Schweiz. Dazu gehören auch Sie.
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Wiederstein.