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Schwarz auf weiss? Schwarz auf weiss!

Klara Obermüller: «Schwarz auf weiss». Frauenfeld: Huber, 2009

Wer Klara Obermüller eine der wichtigsten literaturkritischen Stimmen der Schweiz nennt, hat natürlich recht – und läuft gleichwohl Gefahr, nur die halbe Wahrheit zu sagen. Die Spannweite ihrer journalistischen Arbeiten nämlich, von denen viele über Tag und Anlass hinaus bedeutsam geblieben sind, hebt sich wohltuend vom zunehmenden Spezialis-tentum eines Betriebs ab, dessen Horizont kaum noch über neuerschienene Romane hinaus reicht. Schon die gleichzei-tige Kompetenz für Gedichte und Theaterstücke ist ja selten geworden. Wem aber würde man gar zutrauen, dass er (oder sie) sich, neben einem Essay beispielsweise über zentrale Motive bei Hermann Burger, ebenso kenntnisreich über die «politische Theologie» Dorothee Sölles äussert, dass er (oder sie) Reiseberichte aus der Antarktis verfasst und zugleich höchst Sachkundiges über Kontroversen zur Sterbehilfe vorzulegen versteht?

Klara Obermüller kann dies, wie «Schwarz auf weiss» nachzulesen in einem Band mit Texten aus knapp vier Jahr-zehnten – von ihr selbst nach strengen Massstäben ausgewählt, jeweils in den Entstehungszusammenhang eingeordnet und in fünf grosse Sinnabschnitte untergliedert. Womit auch immer sie sich auseinandersetzt, in welchem Duktus oder Genre auch zwischen kürzeren Kommentaren und ausgefeilten Essays, zwischen Porträts, Reportagen und Be-richten: nie fehlt es an der persönlichen Grundierung. Was Klara Obermüller schreibt, geht immer auch sie selbst an, hat notorisch mit ihrer konkreten Person zu tun, in der sich zahlreich Thematiken spiegeln.

Keineswegs das Eindeutige ist es, was Klara Obermüller interessiert. Recht eigentlich verfügt sie allenthalben über einen Blick für Grenzbereiche oder, wie es einmal heisst, «extreme Bedingungen». Das beginnt mit existenziellen Fragen, nach dem Stadium des Kindes oder den «Mühen des Älterwerdens». Weit mehr als nur Schlaglichter werden auf die Rea-lität psychiatrischer Kliniken wie auf Kämpfe ums Überleben in Hungergebieten geworfen. Bewusst sucht diese Autorin die Begegnung mit fremden Kulturen, die vor der Haustür beginnen und sie bis in entlegene Länder führen. Früh zeigt sie gerade hier ein Gespür für Konfliktbereiche, die heute allgemein geworden sind. Politische Umbrüche in untergegan-genen Staaten wie der Sowjetunion oder der DDR fordern sie nicht minder heraus als die Dickfelligkeiten der offiziellen Schweiz. Noch in allem Engagement aber gibt Klara Obermüller sich als jemand zu erkennen, der zunächst einmal genau wahrnehmen und verstehen will. Mit ihr haben wir niemanden vor uns, der immer schon über alles Bescheid weiss. «Nicht … recht zu haben, sondern Fragen aufzuwerfen und Stellung zu beziehen», ist für sie das Wichtige. Dahinter steht eine Haltung, die den Leser in seiner Mündigkeit nicht nur ernst nimmt, sondern diese ausdrücklich zur Bedingung macht.

In allem kennzeichnend für die Autorin ist schliesslich ihre Fähigkeit, Spannungen darzustellen und selbst auszuhal-ten. Diejenige zwischen Frausein und Emanzipation etwa, bereits kurz nachdem es die Chance zu dieser überhaupt gab. Solchen Sinn für Ambivalenzen zeigt auf das schönste noch ihr Artikel nach der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst, wo sie klarer gesehen hat als viele, deren Jubel seither in mehr als nur Ernüchterung umgeschlagen ist.

Gern liest man sich in diesen welthaltigen

250 Seiten fest. Am Ende möchte man keinen der 36 Beiträge missen. Und man beginnt davon zu träumen, wie schön es wäre, wenn man denn Texte eines vergleichbar souveränen Journalismus zwischen Informiertheit, Leidenschaft, Nachdenklichkeit und Kunst häufiger zu lesen bekäme.

vorgestellt von Hans-Rüdiger Schwab, Münster

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