Schreibtischtäter Mörgeli
Der «Weltwoche»-Journalist Christoph Mörgeli kritisiert einen Vortrag an der ETH als «marxistische Veranstaltung». Wäre er selber vor Ort gewesen, hätte er seine Vorurteile revidieren müssen.
Am Mittwoch fand an der ETH ein Vortrag über den Zusammenhang zwischen Marxismus und ökologischer Nachhaltigkeit statt. Die Vorlesung wurde im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche der ETH gehalten.
Auf der Website der «Weltwoche» kommentierte Christoph Mörgeli den Vortrag. Er zitiert dabei den Text auf der Webseite der Veranstaltung und erklärt, dass das, was dort beschrieben wird, bei der Veranstaltung auch «prompt» passiert sei:
«Somit wurden die Themen ‹Marxismus› und ‹ökologische Nachhaltigkeit› … parallel gesetzt. Was selbstverständlich prompt auch an der Veranstaltung selber geschah: ‹Wir werden in Begleitung relevanter Wissenschaftler auf diesem Gebiet die Gemeinsamkeiten dieser beiden Wissensbereiche untersuchen, insbesondere ihre Übereinstimmung hinsichtlich der Notwendigkeit staatlicher Eingriffe zur Behebung von Marktunvollkommenheiten.›»
Für Mörgeli war es eine «marxistische Veranstaltung». Doch Mörgeli war bei der Veranstaltung, die er anprangert, gar nicht anwesend. Andernfalls hätte er sie wohl gelobt, und nicht kritisiert.
Der spanische Organisator der Veranstaltung und Moderator des Podcasts «Escaping Mediocrity», Alex Buxeda, sah in der Tat eine Parallele zwischen Marxismus und ökologischem Nachhaltigkeitsdenken. Beide Weltanschauungen, so seine These, glauben an staatliche Eingriffe in den Markt, weil sie weder dem Einzelnen noch der Menschheit als Ganzes zutrauen, ihre Probleme durch Innovation selbst zu lösen. Insbesondere die Umweltschützer, so Buxeda, lehnten die Idee ab, dass «der menschliche Einfallsreichtum die Lösung für jeden Engpass ist». Buxedas Humanismus, seine Sympathien für den freien Markt und seine Ablehnung von staatlichem Interventionismus zogen sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung.
Weit davon entfernt, dass Buxeda «prompt» «in Begleitung relevanter Wissenschaftler auf diesem Gebiet» war, stellte Buxeda zu Beginn seines Vortrags klar, dass aufgrund von Wokeismus und Cancel Culture keiner der von ihm angefragten Wissenschaftler etwas mit dieser Veranstaltung zu tun haben wollte. Warum? Weil Buxeda es wagte, ketzerische Gedanken zu äussern, die in eine libertäre Richtung gingen und einer über den Zeitgeist herrschenden grünen Misanthropie widersprachen. Entsprechend entschuldigte sich Buxeda für die Abwesenheit der auf der Veranstaltungswebsite versprochenen Fachleute.
Als nach einer Viertelstunde die Diskussion für die rund ein Dutzend Anwesenden geöffnet wurde, war sie offen und kontrovers. Ein Teilnehmer argumentierte, dass Umweltschutz und Marxismus nichts miteinander zu tun hätten und dass Marx die modernen Umweltschützer genauso abgelehnt hätte, wie er Thomas Malthus verpönte.
Natürlich mag der «Weltwoche»-Autor mit seiner Vermutung Recht haben, dass die meisten Veranstaltungen der Nachhaltigkeitswoche eine Verschwendung von Steuergeldern sind. Aber in seinem Eifer, die ETH aufs Korn zu nehmen, hat er sich das denkbar schlechteste Beispiel herausgepickt.
Dass Mörgeli eine Veranstaltung schlecht macht, an der er selbst nicht teilgenommen hat, lässt an seinem journalistischen Pflichtbewusstsein zweifeln. Seine Vorurteile darüber, was an einer solchen Veranstaltung über Nachhaltigkeit und Marxismus normalerweise passiert, wurden von Roger Köppel in «Weltwoche Daily» bereits aufgenommen. Köppel spricht über Mörgelis Artikel und tadelt auf dieser Basis die ETH für ihren Wokeismus. Köppels einleitende Worte der Sendung passen wunderbar zum Vorgefallenen: «Unterschätze nie den Faktor Inkompetenz in menschlichen Belangen. Und am meisten anfällig für Irrtümer ist der Mensch dann, wenn er sich moralisch absolut im Recht wähnt.»
Ein Lob hat dagegen nicht nur Buxeda verdient, sondern auch die ETH dafür, dass sie diesen Event zuliess und dass er zivilisiert vonstattengehen konnte. Wir brauchen mehr davon. (as)