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Schon immer Vielfalt

Inspiriert wurde diese Ausgabe der «Schweizer Monatshefte» durch einen Zyklus in fünf Teilen mit Musik und Referaten in St. Gallen unter dem Titel «Melting Pot?» – der Akzent lag auf dem Fragezeichen. In den Diskussionen über die unterstellten kulturellen Konsequenzen der Globalisierung ist das Fragezeichen selten zu finden. Mit dem Bild vom Schmelztiegel wird häufig […]

Inspiriert wurde diese Ausgabe der «Schweizer Monatshefte» durch einen Zyklus in fünf Teilen mit Musik und Referaten in St. Gallen unter dem Titel «Melting Pot?» – der Akzent lag auf dem Fragezeichen. In den Diskussionen über die unterstellten kulturellen Konsequenzen der Globalisierung ist das Fragezeichen selten zu finden. Mit dem Bild vom Schmelztiegel wird häufig eine Angleichung der Unterschiede assoziiert: Die verschiedenen Zutaten im Tiegel sollen etwas Homogenes ergeben, so wie etwa Kupfer und Zinn zur Bronze legieren. In den USA, dem «Melting Pot» par excellence, beinhaltete die Idee das Versprechen, alle Migranten zu Amerikanern zu machen, die unterschiedslos an den Früchten von Freiheit, Demokratie und Wohlstand teilhaben. Mag hier mit der Schmelze noch Positives verbunden sein, so klingt doch in vielen anderen Zusammenhängen die Furcht vor dem Verlust der Vielfalt und vor der Nivellierung aller Eigenheiten an.

Doch die Begegnung der Kulturen muss nicht immer im Einerlei enden. Der «Melting Pot» hat schon längst sein Pendant erhalten. Die «salad bowl» ist eine kulinarische Metapher für den Ort, an dem sich die Zutaten der Kulturen mischen, ohne an Substanz und Form zu verlieren, und eine Komposition ergeben, die durch einen eigenen Geschmack verführt. Die Küche ist ohnehin ein Beispiel, an dem sich mit wenigen Worten plakativ die Möglichkeiten zeigen lassen, die in der Vermengung der Kulturen liegen: eine fade Pizza, auf die alles, von Sellerie über Morcheln bis zum Fleischkäse, geschichtet ist; eine durch ein fremdes Gewürz dominierte und damit ungeniessbar gewordene Hausmannskost wie Geschnetzeltes; ein sinnliches Früchtearrangement, bei dem die Zwetschge neben der Mango, der Apfel neben der Lychee liegt u.s.f.

Es ist schwer, ein Nahrungsmittel zu finden, das nicht vom Einfluss anderer Kulturen zeugen würde. Die uns so vertraute, bodenständige Kartoffel etwa wurde im 16. Jahrhundert von den spanischen Eroberern bei der Suche nach dem «El Dorado» in Lateinamerika entdeckt. Ab dem 18. Jahrhundert wurde sie dann auch in der «Alten Welt» zu einem Hauptnahrungsmittel. Der Schweizer Name «Härdöpfel» ist der Versuch, sich die fremde Knolle sprachlich anzueignen, indem bei der Namensgebung auf eine heimische Frucht mit ähnlichem Geschmack zurückgegriffen wurde. Die Italiener dachten hingegen vor 500 Jahren, als sie die indianischen «Papas» kennen lernten, an ihre Trüffel und bildeten deshalb «tartufolo», was sich im Hochdeutschen schliesslich zur «Kartoffel» wandelte.

Auch im vermeintlich typisch Nationalen sind daher schon immer zwangsläufig vielfältige Einflüsse enthalten, da jedes Wort, jeder Ritus, jede Besonderheit historisch gewachsen ist. Die Rede von der «Reinheit» einer Kultur ist daher Unfug. Die Gegenwart ruht auf den Fragmenten vergangener Kulturgemenge und ist auch für die Zukunft auf diese angewiesen.

Der Zyklus in St. Gallen endete mit einem selbstbewussten «Melting Pot!», dem Motto des letzten Abends, an dem drei Gruppen, die Klezmermusik, Tango und Appenzeller Streichmusik spielten, an einem Ort zu gemeinsamer, freier Improvisation eingeladen wurden. «Salad Bowl!» wäre ein ebenfalls treffendes Motto gewesen.

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