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«Schöpferischen Zerstörung»

Joseph A. Schumpeter ist einer der grossen Ökonomen des letzten Jahrhunderts.
Seine Erfahrungen als Unternehmer, Wirtschaftspolitiker und Wissenschafter verarbeitete er in einer brillanten Analyse der grundlegenden politischen und ökonomischen Kräfte und verknüpfte in seinem dynamischen Ansatz liberale, konservative und interventionistische Betrachtungsweisen.

«Der Kapitalismus ist also von Natur aus eine Form oder Methode der ökonomischen Veränderung und ist nicht nur nie stationär, sondern kann es auch nie sein. Dieser evolutionäre Charakter des kapitalistischen Prozesses ist nicht einfach der Tatsache zuzuschreiben, dass das Wirtschaftsleben in einem gesellschaftlichen und natürlichen Milieu vor sich geht, das sich verändert und durch seine Veränderung die Daten der wirtschaftlichen Tätigkeit ändert; diese Tatsache ist zwar wichtig, und diese Veränderungen (Kriege, Revolutionen usw.) bedingen oft auch eine Veränderung der Industrie; sie sind aber nicht ihre primäre Triebkraft. Auch ist dieser evolutionäre Charakter nicht einer quasiautomatischen Bevölkerungs- und Kapitalzunahme oder den Launen des Geldsystems zuzuschreiben, von denen genau das gleiche gilt. Der fundamentale Antrieb, der die kapitalistische Maschine in Bewegung setzt und hält, kommt von den neuen Konsumgütern, den neuen Produktions- oder Transportmethoden, den neuen Märkten, den neuen Formen der industriellen Organisation, welche die kapitalistische Unternehmung schafft.

Wie wir im vorangehenden Kapitel gesehen haben, hat der Inhalt des Arbeiterbudgets, sagen wir von 1760 bis 1940, nicht einfach in unveränderter Richtung zugenommen, sondern er unterlag einem Prozess der qualitativen Veränderung. Gleicherweise ist die Geschichte des Produktionsapparates eines typischen landwirtschaftlichen Betriebes vom Beginn der Rationalisierung des Fruchtwechsels, des Pflügens und des Mästens an bis zur Mechanisierung von heute – zusammen mit Getreidesilos und Eisenbahnen – eine Geschichte von Revolutionen. Ebenso ist dies die Geschichte des Produktionsapparates der Eisen- und Stahlindustrie vom Holzkohlen- bis zu unserem heutigen Typ des Hochofens, oder die Geschichte der Energieproduktion vom oberschlächtigen Wasserrad bis zur modernen Kraftanlage oder die Geschichte des Transportes von der Postkutsche bis zum Flugzeug. Die Eröffnung neuer, fremder oder einheimischer Märkte und die organisatorische Entwicklung vom Handwerksbetrieb und der Fabrik zu solchen Konzernen wie dem U.S. Steel illustrieren den gleichen Prozess einer industriellen Mutation – wenn ich diesen biologischen Ausdruck verwenden darf –, der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft. (Anmerkung: Diese Revolutionen sind nicht eigentlich ununterbrochen; sie treten in unsteten Stössen auf, die voneinander durch Spannen verhältnismässiger Ruhe getrennt sind. Der Prozess als ganzer verläuft jedoch ununterbrochen – in dem Sinne, dass immer entweder Revolution oder Absorption der Ergebnisse der Revolution im Gang ist; beides zusammen bildet das, was als Konjunkturzyklus bekannt ist.) Dieser Prozess der «schöpferischen Zerstörung» ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum. Darin besteht der Kapitalismus und darin muss auch jedes kapitalistische Gebilde leben.»

zitiert aus: Joseph A. Schumpeter, «Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie», siebte, erweiterte Auflage. Tübingen und Basel: Francke Verlag, 1993, S. 136-138.

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