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Schöpfer der «Schokoladenschweiz»

Unternehmer bewegen die Welt. Sie sind innovativ. Mutig. Und wissen Zufälle
zu nutzen. In einer losen Folge porträtieren wir wichtige Unternehmer der Vergangenheit, die uns auch heute noch inspirieren.
Diesmal ist es Philippe Suchard

Die Schweiz lässt sich ihr gutes Image jedes Jahr Millionen kosten. Eine der wirkungsvollsten Swissness-Kampagnen entstand indes durch privates Unternehmertum. Der Schokoladepionier Philippe Suchard hat das Bild der Schweiz als Schokoladeland erfolgreich in alle Welt getragen. Dabei wirkte er nachhaltiger als die meisten heutigen Initiativen von staatlicher Hand.

Philippe Suchard (1797–1884), einer der originellsten und vielseitigsten Unternehmer der Schweizer Wirtschaftsgeschichte, verstarb vor 125 Jahren. Der Schokoladepionier stammte aus einer Gastwirtsfamilie mit hugenottischen Wurzeln. Schon als elfjähriger Bub träumte Philippe von einer kleinen Schokoladefabrik, nachdem seine erkrankte Mutter dank Schokolade aus der Apotheke gesund geworden war. Im Garten seiner Eltern bastelte er Wasserräder und entwickelte die Idee, mit Wasserkraft Schokolade rentabel herzustellen.

18 Jahre später, nach einer Lehre als Zuckerbäcker, realisierte Philippe Suchard in der Schlucht des Wildbachs Serrières bei Neuenburg seinen Traum. Mit Hilfe der Wasserkraft konnte er sein Grundmaterial, Kakaobohnen, effizient verarbeiten und so erstmalig in grossem Stil Schokolade herstellen. In seiner kleinen Fabrik experimentierte der Autodidakt mit neuen Schokoladerezepturen und Produktionsmethoden. Die Bürger von Neuenburg blieben zunächst skeptisch gegenüber dieser neuen Süssigkeit. Denn sie kannten Schokolade bisher nur als Luxusprodukt. Die oberen Gesellschaftsschichten hingegen wurden bald zu grossen Schokoladeliebhabern. Selbst der preussische König Friedrich Wilhelm III. galt als leidenschaftlicher Suchard-Kunde. Er soll, so die Legende, mit einem Stück Schokolade im Mund verstorben sein.

Seinen internationalen Erfolg bei breiten Bevölkerungsschichten erreichte Suchard vor allem durch geschickte Werbung. Als erster in der Schweiz vermarktete er seine prächtig verpackten Süssigkeiten offensiv. Er warb in Zeitungen, an Fassaden, Bahnhöfen, und selbst an Felswänden. Ausserdem erregte er an internationalen Ausstellungen Aufsehen mit originellen Auftritten. Seine buntbedruckten, mit Schleifen verzierten Schachteln zeigten oft Kinder oder junge Frauen vor malerischer Kulisse. Typisch etwa ein Sujet mit zwei Trachtenfrauen, die auf einem Bergsee im Boot Schokolade transportieren. Mit diesen Bildern prägte Suchard wesentlich das Image der Schokolade-Schweiz als Alpenidylle.

Doch Suchard war nicht nur ein genialer Marketingexperte und Miterfinder der Swissness. Als höchst neugieriger und wagemutiger Unternehmer liess er auch das erste Dampfschiff für den Neuenburgersee bauen. Typisch für den Perfektionisten Suchard: er brachte das Schiff nicht nur gegen alle Widerstände auf Kurs, sondern er befehligte dieses auch jahrelang sehr erfolgreich als Kapitän – und zwar sieben Tage die Woche. Um die Fabrikgeschäfte kümmerte sich der umtriebige Unternehmer vor und nach den Kursfahrten. Natürlich machte Suchard auf dem Schiff auch Werbung für seine Schokolade. Gleichzeitig kam es regelmässig zu Zusammenstössen zwischen dem eigenwilligen Unternehmer und den Zollbeamten. Einmal nahm er einen übereifrigen Zöllner sogar zwangsweise mit zur nächsten Haltestelle und liess ihn dafür auch noch zahlen. Daraufhin wurde der Schokoladepionier verhaftet, kam aber mit einer Busse davon.

In Neuenburg war Philippe Suchard auch als Sozialpionier tätig und bot seinen Mitarbeitern für die damalige Zeit ungewöhnlich viele Sozialleistungen. So organisierte er einen Betriebsarzt, schloss eine Arbeiter-Unfallversicherung ab und liess die Arbeitersiedlung «Cité Suchard» errichten. Diese wurde sogar auf der Weltausstellung von 1900 präsentiert. Der dynamische Unternehmer versuchte sich aber auch in diversen anderen Geschäftsfeldern, wie dem Asphaltverkauf oder der Seidenraupenzucht. Seine USA-Begeisterung motivierte ihn, als Starthelfer für Schweizer Emigranten in der neuen Welt aktiv zu werden mit der Blockhaussiedlung «Alpina» im Staate New York.

Nach diversen Umstrukturierungen ist die Marke Suchard heute Teil des amerikanischen Nahrungsmittelkonzerns Kraft Foods. Dies erwies sich als Glücksfall. 180 Jahre nach der Gründung der Schokoladefabrik Suchard existieren heute in der Schweiz zwar keine eigenen Suchard-Produktionsstätten mehr. Kraft Foods besinnt sich jedoch erfolgreich auf die Schweizer Wurzeln der Schokolade und knüpft bewusst an die Tradition an – der Mythos lebt.

Bernhard Ruetz, geboren 1968, ist promovierter Historiker und Geschäftsführer des Vereins für wirtschaftshistorische Studien. Jüngst ist in der vereinseigenen Edition von Christa Edlin erschienen: «Philippe Suchard: Schokoladepionier, Kapitän und Meister der Reklame» (2009).

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