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Schöne Literatur – nützlich oder elitär?

Merkwürdig doch, dass dort, wo überhaupt noch über Literatur – über sogenannte schöne Literatur – debattiert wird, vorab von deren Markttauglichkeit und Aktualität, allenfalls von deren Nützlichkeit für die Gesellschaft die Rede ist. So auch in unserm Kolumnen-Dialog. Wir reden von Literatur nicht als Kunst, sondern als Medium für etwas, das nicht Literatur und meistens auch […]

Schöne Literatur – nützlich oder elitär?

Merkwürdig doch, dass dort, wo überhaupt noch über Literatur – über sogenannte schöne Literatur – debattiert wird, vorab von deren Markttauglichkeit und Aktualität, allenfalls von deren Nützlichkeit für die Gesellschaft die Rede ist. So auch in unserm Kolumnen-Dialog. Wir reden von Literatur nicht als Kunst, sondern als Medium für etwas, das nicht Literatur und meistens auch keine Kunst ist, von einer (Art von) Literatur, die mit staatlicher Förderung ihre «Leistung für die Gesellschaft» erbringt, sich aber gleichzeitig dagegen verwahrt, diese Leistung in den Dienst des Staats, des Volks, der Gesellschaft zu stellen. Tatsache ist, dass politisch und sozial interessierte Autoren in aller Regel staats- und gesellschaftskritisch eingestellt sind. Je nach Trend wird gegen unterschiedlichste Missstände angeschrieben – aktuell gegen Abzockerei, Kindsmissbrauch, Geschichtsklitterung, Umweltzerstörung, Immigrationspolitik, Informationsüberflutung, Behördenwillkür u.a.m. –, aber ist dies in jedem Fall auch eine Leistung für die Gesellschaft, und soll und kann eine solche Leistung tatsächlich mit literarischen, also künstlerischen Mitteln erbracht werden? Heutige Bestseller sind in aller Regel entweder belletrisierte Sach- bzw. Geschichtsbücher oder in Romanform gebrachte Lebens-, Reise-, Liebes- und Krankheitsberichte.

Inwiefern können Bücher dieses Typs – auch wenn sie offenkundig einem breiten Publikumsbedürfnis entsprechen – als «Leistung für die Gesellschaft» ausgewiesen werden? Was leisten sie mehr und leisten sie besser als ein gut geschriebener Magazinbeitrag oder ein kundig geführtes Interview zu eben jenen rezenten Themen? Manche literarischen Produkte sind von Essays oder Reportagen kaum noch zu unterscheiden und können kaum noch die künstlerische Qualität eines Literaturwerks beanspruchen. Was übrigens auch gar nicht erwartet wird, weder vom Publikum noch von der Kritik. Heutige Erfolgsliteratur ist keine «schöne» Literatur mehr, sie sollte der schöngeistigen Fakultät der Publizistik zugeschlagen werden, müsste allerdings dannzumal ihre «Nützlichkeit» erst recht beweisen.

Die gängige, durch Ratings beglaubigte Belletristik mag sein und bleiben, was sie nun mal geworden ist, nämlich ein Teil der Unterhaltungsliteratur und des Infotainments. Doch weiterhin gibt es auch jene minderheitliche, nur noch am Rand wahrgenommene Literatur, die sich primär als Kunst zu behaupten versucht und die an sprachlichen Formalien und Experimenten mehr interessiert ist als an modischen Themen und saisonalem Erfolg. Ich plädiere dafür, dass diese zugegebenermassen elitäre Literatur den Kunstanspruch allein vertreten und auch dazu stehen soll, dass das E-Book nicht ihr Medium und der Normalverbraucher nicht ihr Publikum ist.

Eine kleine Minorität verlangt nach solcher Literatur und wird sie auch ausserhalb des Grossbuchhandels ausfindig machen, derweil die überwiegende Mehrheit  der Leserschaft wie auch der Kritik klaglos darauf verzichten kann. Mein Vorschlag wäre deshalb, die saisonale Belletristik vollumfänglich den elektronischen Medien zuzuschlagen und das Buch allein der Kunstliteratur vorzubehalten. Wer auch künftighin Bücher kaufen würde, könnte sich dann einigermassen darauf verlassen, dass er für einen deutlich höheren Preis auch deutlich mehr Qualität geboten bekäme – mehr Kunst! Und darüber hinaus nachhaltige Texte, die widerständig, vielleicht schwer verständlich sind, die aber auch eine zweite, eine dritte Lektüre lohnend machen können. Ein schönes Beispiel dafür ist die unlängst erschienene Gesamtausgabe der «Cantos» von Ezra Pound, ein Buch, das sich vom Preis her nur wenige leisten können, das aber auch nur von ganz wenigen gelesen und verstanden werden kann, und diese Leser (die kein «Publikum» sind, sondern individuelle Partner des Autors) werden sich die 121 Schweizer Franken noch so gern zusammensparen – im vertrauensvollen Wissen, dass ihr Geld über die Saison hinaus gut angelegt ist.

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