Schmutzige Hände und weisse Westen
Kirchen und NGO fordern gerne moralisch saubere Lösungen. Doch in der realen Welt sind diese kaum zu haben.
Der süsse Duft der Revolution liegt in der Luft. Im derzeit auf der Bühne des Zürcher Schauspielhauses aufgeführten Politthriller «Die schmutzigen Hände» von Jean-Paul Sartre geht es um Macht und Schuld, um Pragmatismus und Idealismus, um Realos und Fundis, um schmutzige Hände und weisse Westen.
Sartre stellt zwei gegensätzliche Charaktere einander gegenüber. Auf der einen Seite steht Hugo, der zartbesaitete Revolutionär aus bourgeoiser Familie mit hehren Idealen. Auf der anderen der mit allen Abwassern gewaschene pragmatische Parteifunktionär Hoederer, der in den Augen seiner Genossen ein Verräter ist. Das Stück springt mitten hinein in die Rededuelle zwischen dem Realo und dem Fundi und in die zentrale Frage, wie weit man mit dem Feind kooperieren darf, um Menschenleben zu retten. Die dilemmatische Ausgangslage ist aktueller denn je, aber die Regie widersteht der Versuchung direkter Anspielungen. Das erlaubt es dem Publikum, Themen wie Opportunismus und Populismus, Macht und Moral selber auf die Gegenwart zu beziehen.
Im moralischen Dilemma
Was im Zentrum des Stücks steht, nämlich moralische Konflikte, ist auch jenseits der Theaterbühne Tag für Tag erfahrbar: Zuweilen geraten wir in eine Zwickmühle, in der uns keineswegs klar ist, was das richtige oder wenigstens weniger falsche Verhalten ist. In eine Situation, in der wir uns zwischen mehreren gleichermassen inakzeptablen und oftmals sich gegenseitig ausschliessenden Alternativen entscheiden müssen. Eine Situation also, in der es keine ethisch unumstrittene oder eindeutig richtige Lösung gibt. Man befindet sich in einem moralischen Dilemma. Gilt das Lügenverbot immer und überall? Oder darf notfalls gelogen werden, wenigstens ein bisschen?
«Zuweilen geraten wir in eine Zwickmühle, in der uns keineswegs klar ist, was das richtige oder wenigstens weniger falsche Verhalten ist.»
So richtig verzwickt werden kann es bei politischen Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen, etwa bei der Frage, die so alt ist wie aktuell: Ist die gezielte Tötung eines Tyrannen oder Terroristen gerechtfertigt? Soll der Staat das Leben eines (unschuldigen) Menschen opfern, um zu verhindern, dass sich die terroristische Bedrohung für andere erhöht? Oder gefährdet er die Sicherheit und allenfalls das Leben vieler Menschen, um einen Einzelnen vor seinen Mördern zu retten?
Selbstgerechte Belehrungen
Durch die Globalisierung kommen auch in der Wirtschaft häufiger Konflikte um moralische Prinzipien vor: Dürfen Unternehmen mit Ländern, die Menschenrechte verletzen, Geschäfte führen? Sind das nun schmutzige Geschäfte, mit denen ein Unrechtssystem noch gestützt wird? Oder tragen ausländische Firmen über die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Aufbau von Infrastruktur letztlich zu einem positiven Wandel im Land bei?
«Durch die Globalisierung kommen auch in der Wirtschaft häufiger Konflikte um moralische Prinzipien vor.»
Charakteristisch für solche Situationen ist die gleichzeitige Gültigkeit mehrerer moralischer Prinzipien, aus denen jedoch unterschiedliche Handlungsempfehlungen resultieren. Oftmals entstehen, egal wie die Entscheidung ausfällt, in der Konsequenz keine moralisch einwandfreien Ergebnisse, und der Handelnde macht sich so oder so schuldig.
Die genannten Beispiele ethischer Dilemmata machen deutlich, dass moralisch saubere Lösungen, wie sie die moralisierte Öffentlichkeit, wie sie Kirchen und NGO fordern, auf dieser Welt und somit auch in der Welt der Politik und Wirtschaft kaum zu haben sind. Wer in den Redaktionsstuben, in den Ratssälen, auf dem Lehrstuhl, am Stammtisch oder auf der Kanzel andere selbstgerecht darüber belehrt, wie sie sich moralisch zu verhalten hätten, verwechselt Moral mit Moralismus.