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Schlaf, Menschlein, schlaf

Arianna Huffington über Verblödung, Hyperaktivität und Wandergespräche

Frau Huffington, wer liest noch im Jahr 2030?

Ich! Und ich bin mir sicher: mit mir viele andere auch. Ich war kürzlich auf einer Buchtournee und wurde Zeuge, wie Menschen in Scharen in Buchläden kommen, Bücher kaufen und sich in ihrer Wertschätzung für Bücher früheren Generationen anschliessen.

Trotzdem hören wir in den Medien immer wieder von einer wie auch immer gearteten «Verblödung» breiter Bevölkerungsschichten. Nicht wenige führen das auf die angeblich gesunkene Aufmerksamkeitsspanne unserer Zeitgenossen und auch auf einen zunehmenden Leseüberdruss zurück. Sind am Ende die am Verblöden, die sagen, dass alle verblöden?

Nach dem sogenannten Flynn-Effekt nahmen die Intelligenzquotienten seit dem frühen 20. Jahrhundert in jedem Jahrzehnt kontinuierlich zu. Also werden unsere IQs immer höher. Unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, kann allerdings mit diesem Wachstum nicht schritthalten. Wo auch immer wir uns auf dieser Welt umsehen, sehen wir, wie kluge Köpfe – in der Politik, in der Wirtschaft, in den Medien – furchtbare Entscheidungen treffen. Was ihnen fehlt, ist nicht Intelligenz, sondern: Weisheit.

Schön gesagt. Vielleicht ist aber nicht nur entscheidend, was uns fehlt, sondern was im Überfluss auf uns einprasselt: Informationen.

Ja, wir haben mehr Informationen – mehr Daten –, und nicht im gleichen Masse angestiegen ist unsere Fähigkeit, diese zu synthetisieren, in einen Kontext zu setzen. Aber mehr Informationen – das ist eigentlich doch eine gute Sache. Es ist nur so, dass wir wohl auch mehr Raum und Zeit brauchen, um sie zu verarbeiten und zu verstehen. Daran kann man arbeiten.

Indem man was tut?

Indem man zum Beispiel mehr schläft. Viel zu lange schon erliegen wir der kulturellen Irreführung, dass das eigene gute Auskommen mit wenig Schlaf und konstantem Multitasking ein Turbolift nach oben ist. Wenig Schlaf ist ein Symbol für Tapferkeit geworden. Wir haben einen Fetisch daraus gemacht, nicht genug Schlaf zu bekommen, und wir prahlen damit, mit wenig Schlaf auskommen zu können. Irrigeres ist kaum denkbar! Ein Beispiel: Ich traf mal einen Mann zum Abendessen, der damit angab, dass er in der Nacht zuvor nur vier Stunden geschlafen hatte. Ich widerstand der Versuchung, ihm zu sagen, dass das Abendessen viel interessanter gewesen wäre, wenn er eine Stunde länger geschlafen hätte!

Das ist neu: Wirtschaftsführerinnen, die zu mehr Schlaf raten!

Die Wissenschaft hat bestätigt, dass Schlaf für jeden Teil unseres Wohlbefindens essentiell ist: für Kreativität, Produktivität, Beziehungen sowie unsere emotionale und physische Gesundheit. Schlaf sollte also schon aus reiner Vernunft zuallerletzt geopfert werden, unabhängig davon, wie beschäftigt Sie sind.

Sie brechen mit populären Wirtschaftsklischees und nicht selten auch mit althergebrachten Strukturen. Welchen Anteil haben Ihrer Meinung nach eigentlich globale Netzwerke am Aufbrechen alter Hierarchien? Oder ist die Rede vom «Network» bloss Businessjargon, um weiterhin vitale Hierarchien zu kaschieren?

Sicherlich nützen immer mehr Unternehmen klugerweise Netzwerke, Communities und vernetztes Engagement. Gleichzeitig werden Hierarchien in vielerlei Weise weiterbestehen, weil Entscheide getroffen werden müssen. Der Trick besteht darin, diese Hierarchien nicht in Stein zu meisseln bzw. gegen aussen abzuschotten. Denn: Interaktionen von Angesicht zu Angesicht sind wichtiger denn je! Unsere Hypervernetzung mit Technologien entspricht der Schlange, die im Garten Eden herumschleicht. Wir bekunden zunehmend Mühe, den Stecker zu ziehen, uns zu erneuern und echte Beziehungen zu anderen aufzubauen. Das ist ein Grund, warum ich eine leidenschaftliche Wanderin bin – dies zwingt mich, alle Geräte niederzulegen und mit Menschen zu interagieren, die mir wichtig sind.

Sie wandern aus Gemeinschaftssinn? Viele gehen in die Berge, um mal allein zu sein.

Ich habe eine Gruppe von Freunden, mit denen ich regelmässig wandern gehe. Es ist zu einer Tradition geworden, dass die Person, die am Wandertag am meisten Energie hat, die anderen der Gruppe den Berg hinaufschwatzen muss. Die andern reden dann während des Abstiegs. Ich bin als konsequente Abstiegsrednerin bekannt. Aber um Ihre Frage zu beantworten: So wertvoll digitale Beziehungen sind, sie können nicht ersetzen, was ein menschliches Bedürfnis ist: echte, persönliche Verbundenheit.

Welches Bild kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die bergige Schweiz denken?

Die meisten meiner Eindrücke von der Schweiz stammen von verschiedenen Reden und Konferenzen. Deswegen erinnert mich die Schweiz immer an einen Ort lebhafter Konversationen, weniger an Schokolade oder Berge.

Welche grossen Verschiebungen begeistern Sie?

Ich beobachte begeistert, wie eine globale Verschiebung in Richtung Führungswerte stattfindet, die als weiblich gelten: Flexibilität, Mitgefühl, Kooperation, Empathie, Fürsorge.

Und welche bereiten Ihnen Sorge?

Was mir Sorge macht und mich dazu inspiriert hat, das Buch «Thrive» zu schreiben: Erfolg ist in vielen Köpfen zu einem Syn­onym von Geld und Macht geworden. «Was ist das gute Leben?» war die Frage, die sich Philosophen seit der griechischen Antike stellten. Aber irgendwo auf unserem Weg haben wir der Frage den Rücken gekehrt und verschoben unsere Aufmerksamkeit auf andere Fragen: Wie viel Geld können wir verdienen? Wie gross kann das Haus sein, das ich mir kaufen will – und wie hoch die Karriereleiter, die ich grad erklimme. Das sind alles legitime Fragen, aber sie sind weit von denen entfernt, die für die Führung eines erfolgreichen Lebens von Bedeutung sind.

Was ist denn die Quelle Ihrer Willenskraft?

Meine Mutter.

Ihre Mutter?

Ja, sie gab mir ein Gefühl bedingungsloser Liebe. Als ich hinaus in die Welt ging, wusste ich, dass, wenn ich scheitern würde, sie mich kein bisschen weniger lieben würde.

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