Scheitern wir am Raum?
Die Konstellation ist brisant: die Schweiz ist in den letzten Jahrzehnten bevölkerungsmässig spürbar gewachsen, von 6,3 (1980) auf 8,2 Millionen (2013) Einwohner – und mit ihr der Wohnraum, allerdings nicht in die Höhe, sondern in die Breite. Dem bunten Treiben haben Herr und Frau Schweizer bis vor kurzem mit Gelassenheit, ja Gleichgültigkeit zugeschaut. Das Siedlungswachstum, […]
Die Konstellation ist brisant: die Schweiz ist in den letzten Jahrzehnten bevölkerungsmässig spürbar gewachsen, von 6,3 (1980) auf 8,2 Millionen (2013) Einwohner – und mit ihr der Wohnraum, allerdings nicht in die Höhe, sondern in die Breite. Dem bunten Treiben haben Herr und Frau Schweizer bis vor kurzem mit Gelassenheit, ja Gleichgültigkeit zugeschaut. Das Siedlungswachstum, maximal dezentral und unkoordiniert, war in der Eidgenossenschaft kein Thema. Jede Gemeinde, jeder Kanton freute sich über neue Steuerzahler, und es galt die Regel: Jeder soll an seinem Ort, auf seine Fasson und in seinem eigenen Heim glücklich werden.
Die Gleichgültigkeit ist in den letzten Jahren politischer Betriebsamkeit gewichen. Gleich zwei Abstimmungen – die Initiative zur Beschränkung der Zweitwohnungen in Tourismusgebieten (2012) und die Revision des Raumplanungsgesetzes auf Bundesebene (2013) – haben gezeigt: Die Bürger wollen die Überbauung des Landes wenn nicht zentralisieren, so doch in überschaubare Bahnen lenken. «Zersiedelung» heisst das Feindbild, «verdichtetes Bauen» die Losung der Stunde. Zu den Anwälten der Verdichtung zählen längst nicht mehr nur Naturschützer und Nachhaltigkeitsapostel, sondern auch Ökonomen mit liberaler Schlagseite und Wirtschaftsverbände. Ihnen allen ist klar, dass es bei der Raumplanung nicht bloss um Landschaftsschutz geht, sondern um die Frage nach dem haushälterischen Umgang mit einer natürlich knappen Ressource: jener des Bodens.
Die neue gemeinsame Rhetorik darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Konflikte entstehen werden, wenn’s konkret ans Eingemachte geht und die Verdichtung plötzlich im eigenen Garten steht – mithin also die eigene Lebenswelt tangiert. Wie wird das Postulat des «effizienten Bauens» unsere Lebensweise beeinflussen und unsere Wahlfreiheit beschränken? Werden wir uns den Luxus des Pendelns auch dann noch leisten können, wenn die Mobilitätskosten steigen? Spitzt sich die seit 200 Jahren anhaltende Verstädterung weiter zu oder ist im Gegenteil die Verödung der Zentren zu befürchten? Ist deren «Dichte» ein gefährlicher Stress- oder ein zentraler Wirtschaftsfaktor, und was gewinnen wir, wenn wir die Räume anderer Zeiten und Weltgegenden in den Blick nehmen?
Wenn wir hier das Problem der Raumentwicklung aufwerfen, rühren wir an eine Vielzahl von Fragen. Deren letzte und fundamentalste lautet: In welchem Land wollen Herr und Frau Schweizer in Zukunft zusammenleben?
Die Redaktion