Scheitern gehört zum Programm der Wirtschaft
Ist Scheitern strafbar? Die Frage ist derart provokativ, dass man unwillkürlich und dezidiert mit einem «Nein» antworten möchte. Misslingen muss ja auch dann sanktionsfrei bleiben, wenn es, wie das Wort «Scheitern» suggeriert, mit einer nutzlos grossen, manchmal fast verzweifelten Anstrengung verbunden ist. Die Antwort bleibt auch dann «Nein», wenn man aus der Sicht des Strafrechtes […]
Ist Scheitern strafbar? Die Frage ist derart provokativ, dass man unwillkürlich und dezidiert mit einem «Nein» antworten möchte. Misslingen muss ja auch dann sanktionsfrei bleiben, wenn es, wie das Wort «Scheitern» suggeriert, mit einer nutzlos grossen, manchmal fast verzweifelten Anstrengung verbunden ist.
Die Antwort bleibt auch dann «Nein», wenn man aus der Sicht des Strafrechtes blickt. Strafbar ist, wer einen Straftatbestand erfüllt, und in der Regel wird dazu Vorsatz, also Absicht, verlangt, wobei allerdings der Eventualvorsatz, also das «Inkaufnehmen» genügt. Und einen Straftatbestand von der Art «Wer scheitert und einem anderen damit einen Vermögensnachteil zufügt, wird mit Gefängnis bestraft», gibt es nicht; er wird auch nicht in absehbarer Zeit eingeführt werden, obwohl man inzwischen gelernt hat, sich diesbezüglich schon an vieles zu gewöhnen.
Die Verhältnisse sind indes komplizierter; doch muss man zuerst die Domänen des Scheiterns differenzieren. Wer beispielsweise in der Liebe scheitert, wird sicherlich zusätzlich zu den traurigen Ereignissen nicht noch bestraft, wenn er sich nicht geradezu zu Racheaktionen oder Nachstellungen hinreissen lässt. Wer im Sport scheitert, wird vom Publikum, den Zeitungen und allenfalls mit Entlassung «bestraft», aber der Staatsanwalt bleibt da passiv, ausser eben wiederum: ein Revanchefoul mit körperverletzenden Folgen rufe auch hier nach Polizei und Strafe. Anders scheint es heute in der Wirtschaft zu sein. Wo immer ein Skandal mit Folgen organisatorischer Zerrüttung, wie Nachlass und Konkurs, das Publikum beschäftigt, ist die Konsequenz regelmässig nicht nur «Schande» – früher nicht selten von standesgemässen Selbstmorden begleitet – sondern auch eine Strafuntersuchung. Da geht es in der Regel um Sachverhalte wie unwahre Angaben über Handelsgesellschaften, manchmal Urkundenfälschung (Bilanzen sind Urkunden im strafrechtlichen Sinne) oder Unterlassung der Buchführung; es geht um ungetreue Geschäftsbesorgung, ferner auch Gläubigerschädigung und Gläubigerbevorzugung. In Extremfällen wird gar «Misswirtschaft» (Art. 165 StGB) angeprangert.
Wo betrügerische Handlungen zur Debatte stehen, ist dies alles gerechtfertigt und verständlich. Nicht selten ist es aber doch so, dass das Publikum schlicht «Schuldige» sehen will, denn es besteht oftmals die Meinung, ohne böse Absicht oder ganz arge Nachlässigkeit sei ein wirtschaftliches Scheitern wohl ausgeschlossen oder jedenfalls vermeidbar. Die Öffentlichkeit verlangt so in spektakulären Fällen, die allgemein Erstaunen, Schrecken oder Unverständnis auslösen, nach Sündenböcken: gewiegte Kaufleute scheitern nach allgemeiner Meinung nicht, sondern disponieren um; die Marktwirtschaft habe ferner auch geeignete Sanierungsinstrumente im Arsenal. Der «wahre Unternehmer» bewährt sich nach dieser Auffassung vor allem in Krisensituationen, in denen er den Turnaround schafft.
Diese Haltung ist erstens einmal systematisch falsch, nämlich im Lichte des Wirtschaftssystems; die Marktwirtschaft rechnet nicht nur mit Unternehmensgründungen, sondern auch mit Niedergängen, Zusammenbrüchen und Verschwinden. Sie ist ein auf Risiko, das heisst Verlustwahrscheinlichkeiten gebautes System fortwährender Optimierung. Sie ist ein Suchen nach neuen Produkten und Methoden. Wenn Unternehmer «schöpferische Zerstörer» (Schumpeter) sind, so verursachen sie eben nicht nur Aufbau, sondern auch Abbau.
Die Langwierigkeit und die Resultate nicht weniger Untersuchungen zeigen, dass der populistische Appell an das Strafrecht vor dessen Beweisanforderungen nicht standhält. Es kommt dazu, dass in den Bereich eines überlegten unternehmerischen Ermessens nicht eingegriffen werden soll; der Strafrichter ist nicht der Obercontroller risikofreien Wirtschaftens.
Es muss also dabei bleiben, dass Scheitern weder strafbar ist noch sein soll, und dass man sich vielleicht einige Anstrengungen vermehrt ersparen könnte, die von Leuten stets gefordert und verursacht werden, die diese Tatsache immer wieder nicht wahrhaben wollen. Scheitern, so bedauerlich es sein mag, ist oft nicht nur unvermeidlich, sondern gehört geradezu zum Programm der Wirtschaft, wo das Konkursrecht als doch recht schickliche Bestattungsordnung gesehen werden kann.
Peter Nobel ist Rechtsanwalt in Zürich und lehrt Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen.