Schaurige Geschichten aus dem Sihlwald
Melchior Werdenberg: Malefizien.
Dorftragödien, mysteriöse Ereignisse, teuflische Schicksale: In seinem neuen Erzählband «Malefizien» entführt Melchior Werdenberg die Leser unter anderem in die Landschaft rund um den Zürcher Sihlwald. Es sind märchenhafte wie realistische Geschichten, die mal weit in der Vergangenheit spielen, mal die Gegenwart streifen. Thematisch deckt der Zürcher Autor ein breites Spektrum ab. Seine Protagonisten kämpfen mit Eifersucht und Neid, verteidigen ihre Ehre oder wehren sich gegen Gerüchte. Das Unheil lässt nicht lange auf sich warten. Die inneren und sozialen Konflikte münden nicht selten in Kriminalfälle, die so geheimnisvoll wirken wie die nebelumwobenen Schauplätze.
In «Der kleine Prinz» verstrickt sich ein junger Fussballspieler ungewollt ins organisierte Verbrechen, während «Die Gottesanbeterin» von einem weiblichen «Teufelskind» erzählt, das sein Leben lang dem Fluch eines äusseren Merkmals zu entfliehen versucht. «Hexenwahn in Sognvitg» wiederum versprüht eine mittelalterliche Atmosphäre, weil die Menschen im Ort ein Mädchen als «menschliche Raubkatze» dämonisieren. Und Werdenbergs Alter Ego Crisper, dem im Band gleich drei Episoden gewidmet sind, sucht als Untoter immer manischer nach Mordopfern.
Die angespannte Stimmung ist vor allem in der Auftakterzählung «Das lange Schweigen» greifbar, die vom plötzlichen Verschwinden eines Jungen handelt. Die emotionale Aufgewühltheit drückt sich in kurzen, atemlosen Sätzen aus, die wie ein unbändiger Fluss vorwärtstreiben, wobei jedoch die eine oder andere Information auf der Strecke bleibt. Geschickt arbeitet der Autor mit Anspielungen und unscharfen Fährten, mit Ellipsen, die die Leser dazu animieren, die Lücken selber zu schliessen.
Am Ende lüften sich die Geheimnisse, doch die Auflösung fällt bisweilen so überraschend aus, dass bei der Lektüre der Atem stockt. Werdenberg erzählt die Irrungen und Wirrungen des Dorflebens so virtuos, dass die Spannung nie abfällt – mal nüchtern, mal ironisch, mit einem Augenzwinkern, in dem sich viel Lebenserfahrung spiegelt. Seine «Malefizien» begeben sich in die Tiefe der menschlichen Seele und spülen dabei so manch verschüttetes Wissen zutage.
Melchior Werdenberg: Malefizien. Graz: Elster & Salis, 2022. Besprochen von Eugen Zentner, Literaturkritiker.