Schafft das Urheberrecht ab!
Geistiges Eigentum schützen? Das hemmt bloss die Innovation. Eine Provokation.
Jean-Bernard Lévy, Chef des weltweit grössten Musikverlages Vivendi, hat im Januar die europäischen Regierungen dazu aufgefordert, endlich den illegalen Musikmarkt zu bekämpfen. Lévy und seine Branchenkollegen beklagen sich seit Jahren darüber, dass der legale Verkauf von Musik rückläufig sei, weil immer mehr Menschen Musik illegal aus dem Internet herunterladen würden.
Tatsächlich ist es so, dass gemäss einer Studie von Jupiter Research aus dem Jahr 2008 ein Fünftel aller Europäer sogenannte Filesharing-Netzwerke benutzen.* Dank dieser Netzwerke ist es möglich, aktuelle Musikalben binnen weniger Minuten gratis auf einen MP3-Player herunterzuladen. Die Existenz solcher Netzwerke erklärt auch, weshalb Hersteller von MP3-Players Geräte anbieten, auf denen sich bis zu 40’000 Lieder speichern lassen. Denn wollte die heutige Jugend ein solches Gerät tatsächlich mit gekaufter Musik füllen, die etwa einen Schweizer Franken pro Lied kostet, bräuchte sie eine beträchtliche Taschengelderhöhung. Die Diskrepanz zwischenden Appellen der Industrie an die Regierungen und der Realität des heutigen Konsums geistiger Inhalte aus Musik-, Film-, Fernseh-und Bücherwelt wirft die Frage auf, welchen Status der Schutz des geistigen Eigentums im digitalen Zeitalter geniessen soll.
Ich bin 1987 auf die Welt gekommen. Als Vertreter einer jüngeren Generation bin ich der Ansicht, dass das geistige Eigentum keinerlei staatlichen Schutzes bedarf. Wenn es nach mir ginge, könnte man sowohl die Institution des Urheberrechts wie auch das Patentwesen ersatzlos abschaffen. Ich beschränke mich hier auf das Urheberrecht, ähnliche Argumente wie die folgenden treffen aber auch auf Patente zu. Ich werde zeigen, dass die Idee des Urheberrechtes liberalen Prinzipien widerspricht und dass dessen Schutz unnötig ist.
Das Rezept des Brotbäckers
Ein liberales Rechtssystem sorgt nach klassischer Auffassung dafür, dass Leben, Freiheit und Eigentum der Bürger geschützt wird. Mit «Eigentum» ist physisches Eigentum gemeint, das nicht unbeschränkt verfügbar ist. Somit scheint es nur gerecht, dass jemand, der beispielsweise mit eigener Arbeitskraft einen Steinofen gebaut und Weizen geerntet hat, frei über diese Dinge verfügen und nach Belieben ein Brot backen kann. Niemand soll ihn daran hindern können.
Hat unser Brotbäcker aber auch einen Monopolanspruch auf das Rezept, das er erfunden hat? Oder anders gefragt: Ist es gerecht, wenn unser Brotbäcker andere Leute davon abhält, mit ihrem eigenen Ofen und ihrem eigenen Weizen, aber nach seinem Rezept ein Brot zu backen? Auf den ersten Blick scheint es klar, dass der Brotbäcker keinen solchen Anspruch hat. Schliesslich kann es ihm ja egal sein, was andere Leute mit ihrem Eigentum machen. Die Idee, die hinter dem Rezept steckt, kann beliebig geteilt werden. Bloss weil andere Leute das Rezept unseres Brotbäckers übernehmen, heisst das nicht, dass der Brotbäcker von nun an das Rezept nicht mehr gebrauchen kann. Durch den «Diebstahl» des Rezeptes kommt der Brotbäcker also in keiner Weise zu Schaden.
Trockener formuliert lautet das Argument folgendermassen: Ein liberales Rechtssystem sollte nur jene Formen von Eigentum schützen, bei denen ein Interessenkonflikt besteht. Da physisches Eigentum nicht beliebig geteilt werden kann, entstehen bei physischem Eigentum Interessenkonflikte. Somit sollte das physische Eigentum geschützt werden. Geistiges Eigentum hingegen kann beliebig geteilt werden, so dass keine Interessenkonflikte entstehen. Somit braucht geistiges Eigentum auch nicht geschützt zu werden.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Könnte man aber nicht sagen, dass auch im Falle des Brotrezeptes Interessenkonflikte entstehen können, wenn wir davon ausgehen, dass der Brotbäcker seinen Lebensunterhalt damit verdient, Brot zu verkaufen? Ist es nicht ungerecht, wenn eine Person dem Brotbäcker Konkurrenz macht, indem sie sein Rezept übernimmt und ein nahezu identisches Brotprodukt anbietet? Ist es nicht unfair, wenn der Brotbäcker viel geistige Energie in die Erschaffung des Rezepts gesteckt hat und andere Leute das Rezept «gratis» übernehmen?
Zu diesen Einwänden lassen sich drei Dinge sagen. Erstens ist es zu begrüssen, wenn der Brotbäcker Konkurrenz bekommt. Konkurrenz belebt in der Regel das Geschäft, senkt die Preise und erhöht die Qualität der Produkte. Zweitens ist eine geistige Kreation nicht alleine deswegen schützenswert, weil jemand viel geistige Energie in sie gesteckt hat. So wäre es etwa nicht besonders sinnvoll, ein schlechtes Rezept zu schützen, auch wenn es das (misslungene) Resultat eines grossen geistigen Efforts ist. Und drittens ist es nicht die Aufgabe eines liberalen Rechtssystems, bestimmte Geschäftsmodelle zu schützen und also zu privilegieren. Das Rechtssystem setzt die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Akteure ihre Interessen verfolgen können; es soll aber nicht Brotrezepte schützen, damit eher auf die eine als auf die andere Art und Weise hergestelltes Brot verkauft wird.
Viele Leute würden diesen letzten Punkt wohl nicht gänzlich akzeptieren. Auch wenn es vielleicht illiberal sein mag, bestimmte Geschäftsmodelle wie jenes des Grossunternehmens Vivendi zuschützen, so ist dies dennoch nötig – so argumentieren sie –, weil ansonsten niemand mehr einen Anreiz hat, Musik zu vertreiben. Tatsächlich schafft das Urheberrecht aber nicht nur positive Anreize. Angenommen nun, unser Brotbäcker habe einen Monopolanspruch auf einige klassische Brotrezepte: in diesem Fall würde er zweifellos Brot verkaufen und die Wünsche seiner Kunden befriedigen. Wenn aber niemand mit ihm in Konkurrenz treten darf, hat der Brotbäcker keinerlei Anreiz, seine Rezepte zu verbessern, seine Produktion effizienter zu gestalten und seine Preise zu senken.
Frei verfügbare Bücher!
Trotz dieses offensichtlichen Negativanreizes ist es vor allem unter Ökonomen beliebt, mit Betonung der Anreizstruktur für die Notwendigkeit des Schutzes des Urheberrechts zu plädieren. Zwei Ökonomen, die dieser Orthodoxie widersprechen, sind die Amerikaner Michele Boldrin und David K. Levine von der Washington University in St. Louis. In ihrem Buch «Against Intellectual Monopoly», 2008 bei Cambridge University Press erschienen, aber zugleich frei und legal im Internet verfügbar, zeigen sie überzeugend auf, dass der Schutz des geistigen Eigentums in der Summe zu einer Wohlfahrtsreduktion führt. Cambridge University Press wird mit diesem Buch wohl kaum einen grossen Profit machen. Das liegt aber weniger daran, dass das Buch frei im Internet verfügbar ist, sondern dass es sich um ein akademisches und anspruchsvolles Werk handelt. Boldrin und Levine weisen indessen auf ein anderes Buch hin, das trotz freier Verfügbarkeit im Internet zu einem Bestseller wurde: der «9/11 CommissionReport», der am 22. Juli 2004 von der US-amerikanischen Regierung ohne Urheberrechtsbeschränkungen ins Internet gestellt wurde. Am gleichen Tag erschien eine vom Verlag W.W. Norton herausgegebene gedruckte Fassung des Reports. Zwei Wochen später veröffentlichte der Verlag St. Martin’s in Zusammenarbeitmit der «New York Times» ein Buch, in dem neben dem Report auch Artikel und Analysen von Autoren der «New York Times» abgedruckt waren. Beide Bücher landeten auf der Bestsellerliste der «Washington Post», die Version von W.W. Norton auf dem ersten und jene von St. Martin’s auf dem achten Platz. Dies, obwohl der Report 6,7 Millionen Mal im Internet heruntergeladen wurde.
Ähnliche Beispiele lassen sich in allen Branchen finden (und viele weitere werden von Boldrin und Levine in ihrem Buch angeführt), die von einer Abschaffung des Urheberrechts betroffen wären. Das Debütalbum der englischen Band Arctic Monkeys etwa verkaufte sich in Grossbritannien Ende Januar 2006 schneller als alle anderen Musikalben seit 1992. Dies, obwohl die Band frühere Aufnahmen der meisten Lieder, die auf dem Album waren, bereits Anfang 2005 frei ins Internet stellte – und obwohl das endgültige Album im Dezember 2005 – auf illegalem Wege – seinen Weg ins Internet fand.
Gewinner und Verlierer
Welche Arten von Vertriebsmodellen sich Unternehmen ausdenken würden, wenn es keinen Schutz des geistigen Urheberrechts gäbe, darüber kann nur spekuliert werden. Dass es aber bereits heute erfolgreiche Ansätze zur Verbreitung von geistigen Inhalten gibt, die sich nicht auf das Urheberrecht stützen, zeigt,dass es nicht das Urheberrecht ist, das die Schaffung und den Vertrieb von geistigen Inhalten vorantreibt. Vielmehr ist es die Marktkonkurrenz – wie natürlich auch die Freude an der Kreativität –, die Autoren, Künstler und Unternehmer zu immer neuen Produkt-, Prozess- und Vertriebsinnovationen drängt, damit sie jenen komparativen Vorteil erlangen, der sie gegenüber anderen auszeichnet.
Natürlich würde die Abschaffung der Institution des Urheberrechtsauch Verlierer schaffen. Jean-Bernard Lévy von Vivendi wäre vielleicht einer von ihnen. Das Urheberrecht wurde aber nicht mit dem Zweck geschaffen, grossen Musikverlagen eine Existenz zu sichern. Vielmehr wurde es geschaffen, damit Musik existiert. Für diesen Zweck ist das Urheberrecht jedoch unnötig. Es wäre zumindest einen Versuch wert, das Urheberrecht einmal temporär oder in ausgewählten Branchen abzuschaffen und zu schauen, welche neuen geistigen Inhalte und Geschäftsmodelle der Markt in einem Prozess der kreativen Zerstörung hervorbringen würde. Ich bin ziemlich sicher, dass wir von der grossen Fülle ziemlich angetan wären.
* BBC News vom 2. Juli 2008. Verfügbar hier.