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Sagen Sie mal Edda Moser,

warum verstehen wir die Oper so wenig?

 

Ich sehe zwei Ursachen. Erstens: Wenn wir als junge Leute – aus Bildungsgründen – von unseren Eltern in die Oper gebracht wurden, dann waren wir vorbereitet. Es gibt ja hervorragende Opernführer, und als wir zum ersten Mal in die «Meistersinger» gegangen sind, hat unser Vater uns vorab eben etwas über die Handlung erzählt, aber auch über Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert, Hans Sachs und so weiter. Wir sind aber auch mit der Schule immer wieder in die Oper gefahren, in den «Freischütz» oder die «Zauberflöte», ebenfalls gut vorbereitet. Diese Vorbereitung prägt einen für ein ganzes Leben. Leider werden der Musik- und der Deutschunterricht in den Schulen heute enorm vernachlässigt. Das Gewicht liegt eben woanders: auf der Technik, der Mathematik oder was weiss ich. Es ist tragisch.

Auf der anderen Seite wird die Oper heute durch die Regisseure in einer so sträflichen Weise verändert, dass die jungen Leute den Inhalt gar nicht mehr kennen. Das ist eine ­Verletzung der guten Sitten und ein Betrug am Komponisten und am Textdichter! Die glauben, ein Stück «zeitgenössischer» und fürs heutige Publikum verständlicher zu machen, indem sie eine vollkommen selbst erdachte Version zeigen. Heraus kommt aber nichts als eine Fälschung. Das beschränkt sich nicht auf die Oper: Als ich einmal in Weimar war, um an die Quelle des «Faust» zu kommen, habe ich das Stück nicht wiedererkannt. Da sprach der Mephisto die Worte, die der Faust sprechen sollte, die Mephisto-Passagen sprach der Faust, und beim Prolog im Himmel sprach Faust, wo Gott sprechen sollte. Goethe hätte sich im Grab umgedreht – und alle, die ihn als grossen Dichter verehren, mit ihm! Wie soll man so die Tragik und Dramatik des «Faust» begreifen? Ich bin in der Pause nach Hause gefahren. Diese Regisseure bekommen viel Geld, und je verfälschender die Inszenierungen sind, desto mehr schlagen sie heraus. Wir ­leben in der ganzen Theaterwelt im Betrug. Die Demut ist uns abhandengekommen, nicht nur auf der Bühne.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich habe überhaupt nichts gegen modernes Theater. Die «Salome», die ich in Paris mit Kent Nagano und Jorge Lavelli gesungen habe, war hochmodern – ich spielte barfuss in einer Wüste zwischen Autowracks, und Jochanaan kam völlig verdreckt aus irgendeiner Höhle gekrochen. Man muss das nicht mit Federhüten und Rokokokleidern spielen – überhaupt nicht nötig. Ein Wieland Wagner hat so viel von der Bühne weggenommen, aber das Stück hat als solches immer gestimmt. Man kann machen, was man will, aber der Inhalt muss gewährleistet sein. Beim «Festspiel der deutschen Sprache», das ich 2006 ins Leben gerufen habe, habe ich deshalb gesagt: Regie kommt nicht in Frage. Die Künstler sitzen an Tischen, und dann wird «Kabale und Liebe» gelesen. Die Regie macht die Sprache. Und das klappt. Dieses Jahr machen wir unter anderem die «Zauberflöte» – in einer Version von Goethe. Der meinte ja in ­seiner ganzen Selbstgefälligkeit, Mozart noch verbessern zu können.

In meinem hohen Alter muss ich zuweilen von der guten alten Zeit sprechen, sehen Sie mir das nach. Ich durfte mit grossen – aber eben: demütigen! – Regisseuren arbeiten, die wissend und gebildet waren, dass es zum Zungenschnalzen war. Ich habe am Tag der deutschen Wiedervereinigung in Leipzig «Fidelio» gesungen und dem Florestan die Ketten abgelegt – was für ein Bild! Und meine Aufnahme der Königin der Nacht aus der «Zauberflöte» schwebt auf einer Kupferplatte durch die Galaxien, die 500 Millionen Jahre halten soll. Eine Gnade. Ich hatte wahrlich ein erfülltes Bühnenleben. Mir tun bloss die jungen Leute leid, die kaum noch die Möglichkeit haben, die Leidenschaft eines Theaterabends zu erleben, wie ich das noch kenne: Wie wir uns die Augen ausgeweint haben über den «Faust», wenn das Ende endlich da war! Ja, auch die Träne ist aus den Theatersälen völlig verschwunden.

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