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Sagen Sie Ja, damit ich Ja sagen kann
Greg Zwygart, zvg.

Sagen Sie Ja, damit ich Ja sagen kann

Für die meisten Menschen ist das Heiraten eine Selbstverständlichkeit. Nicht aber für homosexuelle Paare. Sie sind von der Ehe ausgeschlossen. Am 26. September könnte sich das an der Urne ändern.

 

Sind Sie verheiratet? Wenn ja, was hat Sie zur Ehe bewogen? Sind Sie romantisch veranlagt, oder ging es Ihnen einfach darum, sich und Ihren Partner beziehungsweise Ihre Partnerin rechtlich abzusichern? Heirateten Sie, weil unerwartet ein Kind unterwegs war? Oder machten Sie den Gang zum Standesamt, weil es sich einfach so gehörte?

Diese Fragen muss ich mir nicht stellen. Ich darf nämlich gar nicht heiraten. Jedenfalls nicht die Person, die ich liebe: meinen Freund. Und das nur aus dem Grund, weil er das gleiche Geschlecht hat wie ich. Dabei spielt es keine Rolle, dass wir seit über neun Jahren in einer Beziehung sind.

Am 26. September hat das Schweizer Stimmvolk die Gelegenheit, die Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare wie uns zu öffnen. Die Gesetzesvorlage «Ehe für alle» wurde im Dezember 2020 von National- und Ständerat verabschiedet, im April brachten erzkonservative Gruppierungen das Referendum zustande. Nebst der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht die Vorlage verheirateten Frauen den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin. Wie heterosexuelle Ehepaare hätten somit auch zwei Frauen die Möglichkeit, sich mit einer Samenspende den Kinderwunsch zu erfüllen. Am Verbot der Leihmutterschaft ändert sich – anders als von vielen befürchtet – nichts. Sie bleibt auch bei einer Annahme der Ehe für alle verboten, auch für heterosexuelle Paare.

Ich will nicht um den heissen Brei herumreden. Mit meinem Text möchte ich Sie dazu bewegen, am 26. September abstimmen zu gehen und ein Ja zur Ehe für alle in die Urne zu legen. Nicht weil ich unbedingt heiraten will, sondern weil in der Schweiz Tausende von gleichgeschlechtlichen Paaren leben, darunter viele, die aus wirtschaftlichen oder aus rechtlichen Gründen auf die Ehe warten. Etwa, weil sie Kinder haben oder weil sie sich über einen einfachen Weg gegenseitig absichern möchten.

Keine Gleichbehandlung

Nun könnten Sie etwa einwenden, dass für gleichgeschlechtliche Paare bereits seit 2007 die Möglichkeit der eingetragenen Partnerschaft bestehe. Damit haben Sie natürlich recht. Doch die eingetragene Partnerschaft ist der Zivilehe nicht gleichgestellt, und das gleich in mehreren Punkten.

So können sich etwa Ehemänner von Schweizerinnen und Ehefrauen von Schweizern erleichtert einbürgern lassen. Tragen ein Schweizer und ein ausländischer Partner ihre Partnerschaft ein, so erhält letzterer zwar eine Aufenthalts- oder eine Niederlassungsbewilligung, muss sich aber dem ordentlichen und damit teureren und langwierigeren Einbürgerungsverfahren stellen. Im Vermögensrecht greift bei der Ehe standardmässig die Errungenschaftsbeteiligung, bei eingetragenen Partnerschaften gilt hingegen automatisch die Gütertrennung. Diese Ungleichbehandlung lässt sich jedoch vertraglich korrigieren. Des weiteren sind eingetragene Paare von der Adoption ausgeschlossen – ausgenommen sind leibliche Kinder. Diese können vom Partner beziehungsweise von der Partnerin adoptiert werden, allerdings erst seit 2018.

Von weiteren Ungleichbehandlungen sind Frauen in eingetragenen Partnerschaften betroffen. Verwitwete Ehefrauen erhalten eine lebenslängliche Hinterlassenenrente, sofern sie beim Tod des Ehemanns älter als 45 Jahre und länger als fünf Jahre verheiratet waren, selbst wenn die Ehe kinderlos war. Eine überlebende Partnerin in einer eingetragenen Partnerschaft kann nur eine Witwenrente beanspruchen, wenn sie minderjährige Kinder hat. Der Anspruch erlischt, sobald das jüngste Kind volljährig ist.

Wird ein Ehepaar mit Hilfe einer Samenspende Eltern, so gilt der Ehemann automatisch als Vater des geborenen Kindes. Eine eingetragene Partnerin, die sich aufgrund des geltenden Verbots im Ausland künstlich befruchten lässt, wird zwar als Mutter anerkannt, ihre Partnerin jedoch nicht. Sie muss die Stiefkindadoption beantragen, was erst nach dem ersten Geburtstag des Kindes möglich ist.

Last but not least ist das Kästchen «in eingetragener Partnerschaft» auf offiziellen Formularen insofern heikel, als es einem automatischen Outing gleichkommt. Die Tatsache, dass die Person in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt, sollte administrativ keine Rolle spielen und setzt sie unnötig einer möglichen Diskriminierung aus. Ein Kästchen «verheiratet» sowohl für heterosexuelle als auch für homosexuelle Paare würde dieses Problem lösen.

Ein politisches Konstrukt

Stimmt das Schweizer Stimmvolk am 26. September der Ehe für alle zu, würde unser Land keine Pionierrolle einnehmen. Im Gegenteil. Es wäre eines der letzten Länder Westeuropas, das homosexuelle Paare rechtlich gleichstellt. Die Niederlande öffneten die Zivilehe bereits 2001, es folgten Belgien, Spanien, Schweden und Norwegen. Im katholischen Irland sagte das Volk 2015 mit 62 Prozent Ja. Deutschland führte die Ehe für alle 2017 ein, Österreich zwei Jahre später per Verfassungsgerichtsentscheid.

Diese Staaten haben erkannt, dass es bei der Zivilehe nicht um Gottes Segen in der Kirche geht, sondern um ein politisches Konstrukt, das das Zusammenleben zweier Menschen in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht stärkt. Dieses Konstrukt soll zwei einwilligenden Erwachsenen offenstehen, ungeachtet ihres Geschlechts. Etwas anderes ist eine Ungleichbehandlung und der Schweiz nicht würdig.

Hierzulande setzen sich die Gegnerinnen und Gegner der Ehe für alle aus Persönlichkeiten aus der EDU, der SVP, der Mitte sowie aus freikirchlichen Kreisen zusammen. Ihnen ist der Zugang zur Samenspende für lesbische Ehefrauen der grösste Dorn im Auge. Mit schwarzen Plakaten und weinenden Kindern propagieren sie die Nein-Parole und sehen das Kindswohl bedroht, das angeblich unter einer Öffnung der Zivilehe leiden soll. Ironischerweise ist das Gegenteil der Fall. Es ist der Status quo, der das Kindswohl in sogenannten Regenbogenfamilien gefährdet, indem Elternteile lange Fristen und bürokratische Hürden auf sich nehmen müssen, um für diese Kinder die Verantwortung zu übernehmen.

Dass gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz Kinder gebären und grossziehen, ist schon längst Realität. Ein Nein am 26. September würde dem keinen Riegel schieben, sondern die rechtliche Unsicherheit dieser Familienkonstellationen unnötig aufrechterhalten.

Sollten die bis anhin erwähnten Argumente Sie nicht zu einem Ja bewogen haben, dann vielleicht dies: In der Schweiz ist die Selbstmordrate von lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgenderen (LGBT) Jugendlichen fünfmal höher als bei heterosexuellen Jugendlichen. Mehrere Studien belegen, dass eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ein nicht zu unterschätzendes Zeichen in einer Gesellschaft setzt. In Ländern wie Dänemark, Schweden und den USA nahmen nach der Eheöffnung die Vorurteile gegenüber der LGBT-Gemeinschaft deutlich ab, und auch die Suizidrate von LGBT-Jugendlichen ging zurück. Kommende Generationen erhalten dadurch die Zusicherung, dass ihr Staat ihre Rechte bedingungslos gewährleistet – egal, ob sie nun einen Mann oder eine Frau lieben.

Sollte das Stimmvolk die Ehe für alle am 26. September tatsächlich annehmen, so müssen wohl auch mein Partner und ich uns damit auseinandersetzen, ob wir heiraten wollen. Beweggründe gibt es, wie eingangs erwähnt, viele. Doch eins ist klar: Eine ungewollte Schwangerschaft wird es bestimmt nicht sein.

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