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Safari, Zirkus, Plüsch und Plausch

Starker Franken, wenig Schnee und kalte Betten: beim Besuch in Arosa blicken die Hoteliers Hans C. und Hitsch Leu zurück auf vier Jahrzehnte bewegter Hotelleriegeschichte. Stillstand ist für sie auch in Zukunft keine Option.

Safari, Zirkus, Plüsch und Plausch

Die Herren Leu: wie gut kennen Sie sich aus in Schweizer Hotelleriegeschichte?

Hans C. Leu: Finden Sie es heraus!


Wo steht das erste schriftlich erwähnte Hotel der Schweiz?

Hans C. Leu: Das ist die «Blume» in Zürich – oder das «Trois Rois»?

Hitsch Leu: Nein. Das Hotel «Süsswinkel» in Chur.


Es ist das Grimselhospiz auf dem Grimselpass. Erwähnt wird es erstmals 1142.

Hans C. Leu: Gut, die erste Niete. (lacht)


Vor 870 Jahren tat sich die Reise durch die Schweiz nur an, wer wirklich musste – das hat sich geändert. Heute werden jährlich 30 Milliarden Franken durch die Hotelbranche eingefahren. Damit steht sie auf Rang 4 unserer Exportwirtschaft…

Hans C. Leu: Eigentlich steht die Hotellerie sogar noch besser da! Die einzelne Übernachtung im Hotel ist schliesslich nur ein Bruchteil dessen, was ein Tourist in seinen Ferien ausgibt. Die mit der Hotellerie verbundenen Käufe von Schweizer Uhren, Lebens- und Genussmitteln und auch die Transporteinnahmen fehlen in dieser Statistik.


Einverstanden. Trotzdem: die Bettenzahl in der Schweiz stagniert seit Jahrzenten. Weshalb?

Hitsch Leu: Viele kleine Hotels müssen schliessen, weil sie wirtschaftlich nicht überlebensfähig sind. Deshalb gibt es weniger Hotels, diese aber verfügen über eine grössere Bettenzahl.

Hans C. Leu: Und die Situation wird sich weiter akzentuieren. Zurzeit kämpfen die Hoteliers vor allem mit einem schlechten Währungsverhältnis. Hinzu kommt der schlechte Winter. Gut möglich, dass im Frühling einige Hotelbetriebe Konkurs anmelden müssen. Diese Entwicklung ist gewollt. Zu folgendem Zweck: damit jene, die übrigbleiben, die guten, sich füllen lassen.


Wie gehen die betroffenen Hoteliers damit um?

Hans C. Leu: Viele sehen die Solvenzprobleme kommen, hoffen aber, dass sie sich über die Runden bringen mit der Hotelleriekreditgesellschaft. Die will aber keine Halbtoten am Leben erhalten: sie vergibt ihre Kredite an jene Betriebe, die noch eine Chance haben und sich neu positionieren.

Hitsch Leu: Stopp. Da muss man ganz grundsätzlich differenzieren zwischen den neuen Häusern, die oft einer Kette angehören, und der klassischen Schweizer Hotellerie. Jene, die schliessen müssen, sind meistens die kleinen Schweizer Hotels. Und die Grossen, die entstehen, sind meistens Kettenhotels. Letztere sind nicht so krisenanfällig, haben andere Marketingmöglichkeiten und sind besser finanziert. Die gegenwärtig schlechten Bedingungen, von denen mein Vater spricht, verkürzen diesen eigentlich langfristigen Prozess, der letztlich zu Verhältnissen wie in Amerika führen wird.


Das heisst: es wird irgendwann keine kleinen Privatbetriebe mehr geben in der Schweiz. Weg vom KMU, hin zum Franchising im grossen Stil?

Hitsch Leu: Zum Beispiel. So gesehen, steht es sehr schlecht um die klassische Schweizer Hotellerie, sie ist zu einem Aussterbemodell geworden. Das ist tragisch. Denn in Österreich können die Familien ihre Hotels behalten.


Zwei Schweizer Hotelpioniere orientieren sich an Österreich?

Hans C. Leu: Der Schweizer Tourismus hat relativ bescheidene Mittel im Gegensatz zum österreichischen Tourismus. Dort arbeitet man mit staatlichen Unterstützungen oder Vergünstigungen…


…staatliche Töpfe für wirtschaftliche Sentimentalitäten – das kann nicht das Ziel sein.

Hitsch Leu: Ich rede nicht von Geschenken. Sondern von anständigen Bedingungen und gezielter Wirtschaftsförderung, wie sie in ganz vielen Branchen üblich ist. Ein Beispiel: Der Schweizer Hotelier zahlt für vierjährige Kredite 5 bis 7 Prozent Zinsen. Normal wäre ein Zinssatz von 2,5 bis 3 Prozent. Hier wird ein Wirtschaftszweig benachteiligt.

Hans C. Leu: Absolut. Investitionen aus privater Hand werden behindert, während öffentliche Investitionen in die falschen Kanäle fliessen. Österreich fördert sein Ferien-Image, die Schweiz pflegt ihre Bauern. In diesem Punkt sind wir noch ein Entwicklungsland. Wir selbst können aber dagegenhalten und sagen: «Wir sind letztlich preiswert, weil die Qualität bei uns viel höher ist.» Das wird angestrebt.


Die Freundlichkeit erhöht den Preis? Jene, die seit Jahren zum Skifahren nach Österreich fahren, behaupten: der Unterschied beim Service ist gar nicht so gross. Dafür aber der Preis.

Hitsch Leu: Wenn man es wirklich vergleicht, sind die Österreicher nicht viel billiger, sondern praktisch gleich teuer. Das «günstige Österreich» ist ein Mythos. In der Luxushotellerie sind sie sogar oft teurer. Die Schweiz wird auch nie ein wirklich günstiges, sondern immer ein teures Land sein.


In der Exportwirtschaft wie in der Hotellerie setzt die Schweiz zunehmend auf die Premium-Class. Muss Arosa, ähnlich wie St. Moritz, in diese Premium-Class aufsteigen?

Hitsch Leu: Es gibt einfach zwei Klassen. Wenn heute Hotels entstehen, dann sind das keine Ein- oder Zweisternehäuser mehr. Die Zeiten sind vorbei.

Hans C. Leu: Das ist zu teuer.

Hitsch Leu: Genau, es braucht niemand mehr ein Hotelzimmer ohne Badezimmer, das ist heute undenkbar. Das heisst: jedes Hotel, das entsteht, ist mindestens ein Dreisternehaus. Somit ist dieses untere Segment Vergangenheit. Es gibt das Premium-Segment und die Loserklasse: das Viersternehotel. Mit den Orten ist es dasselbe. Und wenn man es genau anschaut, zum Beispiel so ein 3-Sterne-Designhotel, dann sieht das zum Teil genau gleich gut aus wie ein Luxushotel, es hat einfach keinen Service.

Hans C. Leu: Und was den von Ihnen angesprochenen, oft mangelhaften Service darüber hinaus angeht: das ist eindeutig ein Führungsproblem. Wenn der Patron unfreundlich ist, dann sind es die Mitarbeiter selbstverständlich auch. Freundlichkeit muss vom Chef her kommen. Die Nähe zum Gast findet man übers Herz und nicht über ein aufgesetztes Lächeln. Mich haben die Gäste oft gefragt: «Wie kommt es, dass Ihre Mitarbeiter so freundlich sind?» Viele Kunden sagen, das sei nicht überall so. Bedauerlich, dass sie recht haben.


«Mit gutem Beispiel vorangehen» – mit Verlaub, das ist eine Floskel.

Hans C. Leu: Sie haben zum Teil recht: Betriebe, die von sich behaupten, sie seien besonders freundlich und sich das auf die Fahne schreiben, haben schon verloren. Denn Freundlichkeit ist eine
Voraussetzung, kein Marketing-Alleinstellungsmerkmal! Im Gegenteil, wenn man nicht freundlich ist bei uns, dann muss man gar nicht erst antreten. Wenn ich Freundlichkeit aber als Selbstverständlichkeit in den Raum werfe, dann verstehen das die Angestellten und zelebrieren es auch so.


Wie war es in Ihrer Familie? War der Papa auch der Patron, der gesagt hat, wie man das Glas hinstellt?

Hans C. Leu: Ich war immer einer, der alles delegiert hat…

Hitsch Leu: …und wir Kinder haben dann genau das Gegenteil gemacht. (lacht)


Hans C., Sie sind in der Familie nicht nach Ihren berühmten 5 C.s vorgegangen?

Hans C. Leu: Charme, Charakter, Calme, Cuisine und Courtoisie, meinen Sie? Nein, die haben eine andere Geschichte: Ich plante den Bau des «Giardino» in Ascona, um in das Relais Château zu kommen, in diesen Club mit der prestigegeladenen Marke und dem Credo der 5 C.s. Das ist mir, mit einigem Glück, auch gelungen.


Glück allein reicht selten – heute scheint alles eine Frage guter Werbung zu sein.

Hans C. Leu: Wenn man Werbung macht, muss sie so innovativ sein wie der beworbene Betrieb. Mir ist es damals gelungen, schon nach kurzer Zeit, die Marke Giardino bekanntzumachen. Ich habe auf die Heckscheibe der bei uns parkierten Autos das «Giardino»-Logo geklebt, um Fremdparker zu entlarven! Das hat sich dann verselbständigt: alle wollten plötzlich so einen Kleber haben. Leute, die sich ein neues Auto gekauft haben, fragten mich: «Herr Leu, können Sie mir nicht noch einen Kleber schicken?» Das ging dann so weit, dass sich eine «Giardino»-Community auf den Parkplätzen getroffen hat. Sobald einer sah, dass da ein anderer den «Giardino»-Kleber auf der Heckscheibe hatte, haben die beiden zusammen über das «Giardino» geredet. Das war ein Selbstläufer!


Der Schweizer Tourismus lebt vom Charme der Gastgeber, aber hauptsächlich vom Charme und der Authentizität der Landschaft. Ist diese «unique selling position» in Gefahr, wenn die Berge mehr und mehr erschlossen werden, die Landschaft zersiedelt wird?

Hans C. Leu: Der Touristikforscher Jost Krippendorf hat einmal gesagt, der Tourismus zerstöre den Tourismus. Bauen auf Teufel komm raus, erschliessen, planieren. Ganz von der Hand weisen kann man das nicht: wir müssen wahnsinnig aufpassen, was mit der Landschaft geschieht. Der Tourismus ist eine jener Branchen, die auch räumlich enorm wachsen. Die Touristen haben sich zu einem Gutteil aber längst daran gewöhnt, dass heute nicht mehr nur ein einzelnes Chalet im Tal steht, sondern mehrere. Das geht Hand in Hand.

Hitsch Leu: Ich stelle fest, dass die Gäste im Schnitt positiv auf neue Infrastrukturmassnahmen reagieren. Wenn eine neue Brücke gebaut wird oder eine neue Bahnstrecke, dann finden sie das toll, schliesslich dienen solche Projekte letztlich ihrem Komfort.


Sie gelten beide als sogenannte Event-Hoteliers. Welche Rolle spielt der Unterhaltungsfaktor in der modernen Hotellerie?

Hans C. Leu: Ich hatte ja anfangs im «Dolder» in Zürich einen Schoggijob als Rezeptionschef: morgens um neun antreten, abends um fünf nach Hause gehen und viel mit meinen Kollegen in der Umgebung telefonieren, um herauszufinden, wer noch freie Zimmer hat – weil der Andrang so gross war. Ich habe die Leute manchmal bis nach Luzern oder Basel ausquartiert, so schlimm war es. Und dann bin ich an die Spitze des «Kulms» in Arosa gewählt worden, dieses ständig ausgebuchten Hotels mit riesigem Namen – aber eigentlich war auch das eine verlotterte alte Bude, wie alle Hotels damals in Arosa. Damit kann man auf Dauer nicht viel anfangen.


Wenn das Hotel ausgebucht war, musste man das ja auch nicht. Klingt nicht unbedingt nach Stimulus für revolutionäre Hotelentwicklungen…

Hans C. Leu: Die Hotels engagierten jede Wintersaison zwei, drei grosse Künstler und machten eine Gala. Das war dann das Highlight der Saison. Ich fand das unfair gegenüber den Leuten, die auch da waren – aber nicht zur Gala. Ich habe mir also gesagt: ich mache selber Theater. Ich mit den Mitarbeitern! Das machten wir dann jedes Jahr und es hat sich sehr bald herumgesprochen. Bald hat man dann in den einschlägigen Hotellierkreisen gesagt: der Leu, das ist doch kein Hotel-, sondern ein Zirkusdirektor. Gut, dachte ich, das ist mein nächstes Programm, ich mache Zirkus! Und das war der absolute Durchbruch bei den Journalisten. Die Journalisten lieben Zirkus.


Sie waren auch der erste, der ein Frühstücksbuffet gemacht hat in der Luxushotellerie.

Hans C. Leu: Stimmt. Und wieder dachten alle: spinnt der Leu? Ich habe mit den Gästen Sachen unternommen, zum Beispiel habe ich die Langlaufsafari erfunden. Ich war der erste, der Mountainbikes hatte. Ich habe Mountainbikesafaris gemacht und vieles mehr. Das ist sehr gut angekommen, auch bei mir, weil ich so die Bedürfnisse der Gäste immer eins zu eins vernommen habe. Ich habe im Prinzip die Luxushotellerei vom Plüsch zum Plausch geführt. Bei mir musste man auch keine Krawatte mehr tragen, bei uns herrschte ein lockerer Betrieb.


Hitsch, Sie haben die «Arosa Gay Ski Week» ins Leben gerufen und sind Mitgründer des Arosa Humorfestivals. Haben Sie sich dabei von Ihres Vaters Erfahrungen leiten lassen – oder bewusst einen radikal anderen Weg eingeschlagen?

Hitsch Leu: Ich nahm natürlich viel Know-how aus meiner Familie mit. Mit dem «Eden» hier in Arosa hatten wir aber eine andere Ausgangslage. Wir – meine Frau Valerie und ich – haben hier mit den Gästen prinzipiell genau das Gegenteil gemacht wie mein Vater: nämlich genau nichts. Dafür haben wir einen Spielplatz geschaffen, auf dem sich unsere Gäste selbständig vergnügen konnten, ohne Animator oder so. Ich bin nämlich kein Animator, eher ein Regisseur. Wir haben gesagt: wir wollen gar keine Sterne und kein Relais Château und überhaupt nichts von diesen Dingen.


Damit haben Sie sich den Ruf als «Enfant terrible» der Schweizer Hotellerie erarbeitet. Ein nützlicher Titel?

Hitsch Leu: Manch kreatives Konzept kommt dem Etablierten sicher etwas absurd vor. Das Humor Festival zum Beispiel war am Anfang ja ein gewagtes Unterfangen von vier Hoteliers. Es war gedacht für einen Fall, wie wir ihn 2011 wieder erlebt haben: für
einen schlechten Dezember. Damit man etwas bieten kann, wofür die Leute trotz Schneeflaute kommen.


Hatten Sie Angst vor den Fussstapfen Ihres Vaters? Ich habe erfahren, dass Sie zuerst vorhatten, etwas anderes zu machen; ganz am Anfang haben Sie ja einen Piratensender betrieben.

Hitsch Leu: (lacht) Stimmt, ich wollte nicht von Anfang an Hotelier werden. Viele, die in einem Hotelbetrieb aufgewachsen sind, sagen sich: Im Leben nie mehr! Auch meine beiden Schwestern sind nicht so begeistert von der Hotellerie. Ich denke, es hat nicht nur mit der Zeit zu tun, sondern auch noch damit, dass die Ferienhotellerie während der Saison zu einer Lebensform wird, an der die Familie genauso teilnimmt: ohne Feierabend, kontinuierlich, nichts anderes. Die Frage ist, ob man diese Art von Lebensform mag oder nicht.


Ist die Luxushotellerie hierzulande zukunftsfähig?

Hans C. Leu: Sie ist gut aufgestellt, denn sie lebt von reichen Leuten, die sagen: «Wir wollen das Geld in ein Hotel investieren, damit wir als grosse Gastgeber auftreten können.» Zum Glück!


Das bedeutet umgekehrt: es gibt kaum einen Markt für Luxushotels, sonst würden auch jenseits des Mäzenatentums Unternehmer Hotels bauen. Prunk und kalte Zimmer? Sprechen wir hier von
einer Blase?

Hans C. Leu: Nein, vielmehr von einem finanziell gut abgestützten Prestigegegenstand. Ein Beispiel: das neue «Bürgenstock». Niemand wollte den alten Kasten kaufen. Viele haben den Bau für ein Fass ohne Boden gehalten, obwohl er da oben auf dem Berg sehr gut gelegen ist. Und dann kam ein Investor aus Katar und steckte etwa eine halbe Milliarde in den Bau! Das ist phantastisch, weil das «Bürgenstock» eines der Schweizer Hotels ist, die etwas ganz Spezielles darstellen, ähnlich dem «Palace» in St. Moritz oder dem «Lenkerhof» im Berner Oberland. Dort wurde der Philippe Frutiger, mein Nachfolger im «Kulm», engagiert von einem Mäzen, der wiederum dort viel Geld investiert hat. Es ist ihm gelungen, den «Lenkerhof» innerhalb eines Jahres zum Hotel des Jahres zu machen.


Ihr Argument lässt sich aber auch umkehren: es entstehen vermehrt Luxushotels, die zunächst die lokale Konkurrenz verdrängen und dann – wenn es beim Mäzen einmal nicht so gut läuft – abgestossen werden, weil sie viel kosten, aber mit ihnen kein Geld zu verdienen ist.

Hitsch Leu: Das hört man oft, es geschieht aber selten. Und: der Familienurlaub findet ja auch weiterhin nicht im «Bürgenstock» statt, sondern im Gasthof oder Familienhotel am Fuss des Berges. Die Spitzenhotels sind letztlich also bloss ein Plus, von dem alle profitieren.

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