Sachbuch
Jürgen Morlok (Hrsg.) Der Freiheit verpflichtet. Beiträge zum 80. Geburtstag von Otto Graf Lambsdorff Stuttgart: Lucius & Lucius, 2007 Wenn ein liberales Urgestein wie Otto Graf Lambsdorff Geburtstag feiert, ist die Tabula gratulatoria reich besetzt – dazu zählen politische Weggefährten ebenso wie Freunde, liberale Mitstreiter und Experten, Staatsmänner und -frauen und sogar ein religiöses Oberhaupt. […]
Jürgen Morlok (Hrsg.)
Der Freiheit verpflichtet. Beiträge zum 80. Geburtstag von Otto Graf Lambsdorff
Stuttgart: Lucius & Lucius, 2007
Wenn ein liberales Urgestein wie Otto Graf Lambsdorff Geburtstag feiert, ist die Tabula gratulatoria reich besetzt – dazu zählen politische Weggefährten ebenso wie Freunde, liberale Mitstreiter und Experten, Staatsmänner und -frauen und sogar ein religiöses Oberhaupt. Deren Beiträge werden in verdienstvoller Weise gesammelt und herausgegeben von der Friedrich-Naumann-Stiftung, der der Geehrte vielfach verbunden ist. Welches Bild von Otto Graf Lambsdorff zeichnen diese 55 Beiträge?
Zuerst ist da einmal eine Biographie, die geprägt ist von einer schweren Kriegsverwundung. Das Handicap macht die Karriere, die sich durch ein hohes Mass an Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein auszeichnet, nur noch brillanter: nach Studium und Promotion zum Dr.iur. Tätigkeit in der Bank- und Versicherungsbranche; Mitglied des Deutschen Bundestags und Wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion von 1972–98, 1977–84 Bundesminister für Wirtschaft. Nach seiner politischen Laufbahn war Graf Lambsdorff ein entschiedener Sprecher für die liberale Sache (etwa als Präsident der Liberalen Internationale) sowie für den Freiheitskampf des tibetischen Volkes und als Leiter der Verhandlungen zur Entschädigung ehemaliger Zwangs- und Sklavenarbeiter (mit Stuart E. Eizenstat auf der amerikanischen Seite) engagiert.
In all diesen Funktionen kamen die Qualitäten Lambsdorffs zum Tragen, die letztlich seine Persönlichkeit ausmachen: Überzeugungstreue und -kraft, Rückgrat, zugleich Humor und Schlagfertigkeit. Er ist ein Freiheitskämpfer, der «nur in Grenzen bereit ist, sich angenehm zu machen»; dabei kein Ideologe, sondern immer parat, seine Meinung neuen Gegebenheiten anzupassen – er hat gleichzeitig Weite des Blicks, Verstandesschärfe und Offenheit für neue Ideen, aber auch Standfestigkeit in den Grundsätzen.
Es erstaunt in der Retrospektive nicht, dass gerade Graf Lambsdorff im Jahre 1982 Zeitgeschichte schreiben sollte. Was zuweilen salopp als «Wendepapier» des (von Wehner natürlich despektierlich gemeinten) «Marktgrafen» bezeichnet wurde, in Wahrheit aber ein seriös durchdachtes und immer noch aktuelles «Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit» war, bildete den Anstoss zur Auflösung der seit 1969 regierenden sozialliberalen Koalition.
Lambsdorff hat die politische Kultur in Deutschland während Jahrzehnten massgeblich mitgeprägt. Seine Vision ist vielfältig, aber kohärent: die einer wettbewerbs- und wachstumsfähigen Gesellschaft, eines eingedämmten und Privateigentum respektierenden Steuerstaates und eines neugeordneten föderalen Systems, ein Gleichgewicht zwischen Rechtsstaat und Marktwirtschaft suchend. Die ausländischen Stimmen zeigen ihn auch als einen resoluten Verfechter von Menschenrechten in internationalen Belangen, nicht zuletzt aber auch als Kämpfer gegen extreme Armut, und sensibel auch für die Gefahr des Autoritarismus, dieser immer wieder drohenden Herrschaft einer kleinen Gruppe bei einer durchgehenden Apathie der vielen.
Lambsdorff will keine Freiheit ohne Staat, weiss um die konstitutive Notwendigkeit von Regeln, wenn die Freiheit Bestand haben soll. Dann aber sollen sich der private Lebensentwurf und die Wahlmöglichkeiten des Einzelnen entfalten können, Leistungsbereitschaft und Lernen sich lohnen. Letztlich ist er ein Meister der Kunst der staatlichen Ordnungspolitik, die darin besteht, «den Bürgern möglichst viel ihrer Freiheit zu lassen, anderseits aber die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass der einzelne das Allgemeinwohl fördert, zumindest aber nicht dagegen verstösst, wenn er nach seinem eigenen Nutzen handelt».
Vor dem Hintergrund des eindrücklichen Lebenswerks zeigt sich einmal mehr, dass nur Pluralität und Wettbewerb, also auch das Aushalten und Bereinigen von Divergenzen, vor allem aber der Kampf um Klarheit und gegen «die Verwirrung der Begriffe» und der Kompetenzen Fortschritt bringen. So stand Lambsdorff in «distanzierter Akzeptanz zur EU». Auch hier sollte konsequent politische Verantwortung auf die kleineren Einheiten verlagert und dort Risiko, Verantwortung, aber eben auch Erfolg erfahren werden.
Die Friedrich-Naumann-Stiftung darf sich glücklich schätzen, mit diesem Band ihren langjährigen Vorsitzenden gebührend ehren zu können. Und Deutschland darf über sein Wirken, vor allem als Bundesminister, stolz sein. Wo aber, mit Verlaub sei’s gefragt, sind seine Nachfolger gleicher Statur?
besprochen von DANIEL BRÜHLMEIER, geboren 1951, Leiter der Abteilung «Koordination der Aussenbeziehungen» der Staatskanzlei des Kantons Zürich.
Paul Widmer
Die Schweiz als Sonderfall
Zürich: Verlag NZZ, 2007
Viele Schweizer kennen die paradoxe Situation, dass intern ausgerechnet die originellsten, aktuellsten und kopierbarsten Elemente unseres politischen Systems selbst in Frage gestellt, relativiert oder gar schrittweise abgeschafft werden sollen. Um die mit autonomen Steuer- und Haushaltkompetenzen verbundene wettbewerbliche Kommunalautonomie werden die Schweizer von Bürgermeistern der ganzen Welt beneidet. Sie erlaubt die Gewährung von Steuervorteilen auf kommunaler und kantonaler Ebene und wird deshalb von der EU als Einfallstor zu unerlaubten Fördermassnahmen gebrandmarkt. Die föderalistische Schweiz ist kein Modell; sie ist ein Experiment, das aber auch andern für sie interessante und direkt verwertbare Erfahrungen vermittelt. Die Schweiz darf, wie der Autor des neuen Buches über den Sonderfall Schweiz unterstreicht, auf die positiven Seiten ihrer traditionellen Strukturen durchaus stolz sein. Während der Begriff «Sonderfall» in den vergangenen Jahrzehnten auch in der Schweiz vor allem unter Intellektuellen verpönt war und als Ausdruck nationalistischer Arroganz gewertet wurde, taucht er in neuester Zeit wieder in Buchtiteln auf. So im Sammelband «Eigenständig. Die Schweiz – ein Sonderfall» (Zürich 2002). Der Sonderfall Schweiz muss weder relativiert, noch intern oder extern harmonisiert und kaputtreformiert werden. Man muss ihn «radikal», das heisst «von den Wurzeln her» begreifen, erneuern und an neue Gegebenheiten anpassen. Es braucht dabei den Mut zur Vielfalt und die Bereitschaft, jene Kosten zu tragen, die auch dadurch entstehen, dass die Vielfalt immer auch Suboptimales und Ineffizientes zulässt. Nur: wer weiss denn so genau und im voraus, was auf die Dauer optimal und effizient ist? Dass der Konformitätsverweigerer durch seinen Sonderfall den Neid und den Zorn aller Zentralisierten, Vereinheitlichten und Harmonisierten anstachelt, sollte mit Fassung getragen werden. Der Schweizer Diplomat Paul Widmer, zur Zeit Botschafter beim Europarat, hat mit seinem neuesten Buch einen wichtigen Beitrag zu einem positiven Verständnis des Sonderfalls Schweiz geleistet.
besprochen von ROBERT NEF.
Daniel Brühlmeier, Dieter Kläy (Hrsg.)
Staatliche Leistungsfähigkeit in globalisierter Gesellschaft
Biel: Editions Libertas Suisse, 2007
Der Titel legt die Assoziation zur oft beklagten Defensivsituation des Nationalstaates nahe, der sich dem Druck der Globalisierung beugen und anpassen muss, da der volkswirtschaftliche Rahmen nicht mehr mit den Grenzen seiner Souveränität zusammenfällt. In dieser Optik liesse sich etwa die Auseinandersetzung um die Werkschliessung des Mobiltelefonherstellers Nokia in Deutschland betrachten. Der Wirtschaftsbetrieb folgt den Marktkräften und Investorenerwartungen, während der Staat als betrogener Liebhaber dasteht, der sein heftiges, mit Hilfe von Subventionen und Steuervorteilen entfaltetes Werben mit einer lediglich kurzen Beziehung belohnt sieht. Hat der Staat hier nicht genug geleistet – oder zu viel und das falsche? Hinzu kommt: Nokia zieht es in das EU-Land Rumänien, wo billigere Arbeitskosten locken (soweit die Globalisierungslogik), aber auch EU-Subventionen, Folgen eines erfolgreichen europäischen Integrations- und somit ebenfalls Ausweis staatlichen Gestaltungswillens.
Dass es in einer globalisierten Welt kompliziert zugeht und dass sich die Frage staatlicher Leistungsfähigkeit nicht auf einfache Formeln reduzieren lässt, zeigt auch ein anderes jüngeres Beispiel: die zunehmende Aktivität von Staatsfonds, die als strategische Investoren aufzutreten beginnen. In der jüngsten Finanzmarktkrise wurde so dem einen oder anderen global operierenden Bankinstitut staatlicherseits unter die Arme gegriffen. Die Logik dieser Rettungstaten erinnert kaum mehr an die Funktion eines nationalstaatlich verfassten Stabilitätsgaranten, sondern mehr an die eines global denkenden Investors, von dem nicht mehr klar ist, wie sehr er in letzter Instanz einer politischen Steuerung untersteht.
Zwei Beispiele, deren anekdotische Evidenz es zumindest nahelegt, nicht mehr von einer «Containereinheit» Staat (mit integrierter Wirtschaft, Gesellschaft usw.) auszugehen, sondern sich von diesem Paradigma sowohl politisch als auch analytisch zu verabschieden. Statt dessen gilt es, die systemischen Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, die die globalisierte Gesellschaft heute ausmachen.
Greift man mit solchen Erwartungen zum vorliegenden Band, wird man zunächst enttäuscht. Schon der Umschlag in Flaggenrot (mit Kreuz) signalisiert: hier geht es vor allem um die Schweiz. Die Lektüre bestätigt das. Auch wo nicht explizit von schweizerischen Institutionen und Sozialstrukturen die Rede ist, bleiben die Ausführungen einem hiesigen, allenfalls westeuropäisch geprägten Denken verhaftet. Die Globalisierung bleibt, wo explizit auf sie eingegangen wird, ein modellhaftes Abstraktum. Doch wird man mit einigen anregenden Gedanken zur Weiterentwicklung des schweizerischen Staatswesens (vor allem in Reiner Eichenbergers und Mark Schelkers Essay «Leistungsfähiger Staat dank Markt für Staat») entschädigt. So liegt der Wert des Bandes weniger dort, wo man ihn vom Titel her erwarten würde. Ein effizienter und anreizgerechter Finanzausgleich, ein kluger Föderalismus und die Erwägung funktionaler Körperschaften auf nationaler Ebene sind auch vor dem Hintergrund grenzüberschreitender Systemzusammenhänge keinen Deut weniger relevant. Nur entsprechen sie dem selbstverständlichen Gebot möglichst effizienten Umgangs mit staatlichen Ressourcen – und nicht in erster Linie einer Herausforderung seitens der Globalisierung.
besprochen von OLAF BACH, geboren 1977, promovierter Ökonom.