Rot, gelb, rechteckig, frei
Der Künstler Claude Augsburger
Was würden Sie denken, wenn Sie in einer Kunstausstellung acht dunkelhäutige Vollplastikmännchen mit Tropenhelm sehen, von denen jedes mit je einem Plastikband über dem Hals und einem über den Knien auf einem Manöverwegweiser des Schweizer Militärs festgezurrt ist, und die in zwei Reihen zu je vier auf Augenhöhe an der Wand hängen?* Wohl kaum, dass das nichts, aber auch rein gar nichts zu bedeuten habe. Und dass es keinerlei symbolischen Bezug herstelle zu irgendetwas, was es auf der Welt gibt oder jemals vorgefallen ist. Doch genau dies beteuert Claude Augsburger, der Urheber dieses Werkes. Er lächelt verlegen und überlegt, die acht Manöverwegweiser samt Figuren vielleicht doch wieder mit nach Hause zu nehmen und sie besser nicht der Öffentlichkeit zu zeigen. Denn die kann ja nur das Falsche denken, da sie immer etwas denkt. Oder?
Bei anderen Kunstwerken von Claude Augsburger ist es leichter, nichts zu denken. Allenfalls: rot, blau, gelb, grün, rechteckig, etwa wenn man mit dem Zug im Bahnhof Lausanne ankommt und im Zugang zur hohen Haupt-
halle nicht nur auf die eigenen Füsse schaut. Denn oben an der Decke hat der Künstler einfarbige Tafeln im Abstand von rund sechs Metern hintereinandergehängt. An diesen Tafeln wird einiges deutlich, was die Programmatik der Konkreten Kunst postuliert, als deren Vertreter sich auch Claude Augsburger sieht: keinerlei symbolische Bedeutung, nur geometrische Module, ein serielles Strukturprinzip.
Man darf sich vom Begriff «konkret» nicht verleiten lassen, an eine realistische Darstellung konkreter Alltagsgegenstände zu denken. Denn das ist gerade nicht gemeint. Konkrete Kunst ist keine gegenständliche Kunst, sie ist auch etwas anderes als abstrakte Kunst, die sich vom Gegenstand gelöst hat, jedoch immer noch Bezüge erkennen lässt. Denn Konkrete Kunst hat erst gar keinen Gegenstand als Ausgangspunkt. Ein konkretes Kunstwerk ist nicht mehr als das, was es konkret ist: rot, blau, gelb, grün, rechteckig. Ein rotes Rechteck will nichts sein als ein rotes Rechteck, weder ein symbolischer roter Teppich, noch eine verkappte Mao-Bibel oder eine abstrahierte Blutlache. «konkrete kunst ist in ihrer eigenart selbstständig», so Max Bill, einer ihrer Gründungsväter in einem 1949 erschienenen Katalog.
Wer nichts als die Wirkung von Farben, Formen und Struktur empfindet und mit heiterer Miene geniesst, kommt wohl dem nahe, was sich Claude Augsburger für die Wahrnehmung seiner eigenen Kunst wünscht. Er jedenfalls wirkt, umgeben von seinen Werken, stets heiter. Diese Heiterkeit rührt vielleicht auch daher, dass solche Kunst ein Freiheitsangebot ist. Sie verweist auf nichts ausserhalb des Werkes, das wir erkennen sollten. Sie drängt uns keine im Hintergrund verborgene Bedeutung auf, über die wir rätseln müssten. Sie nimmt uns nicht in Beschlag, wie eine allzu redselige Nachbarin, indem sie uns eine Geschichte erzählt, nach der wir gar nicht gefragt haben. Das ist ungewöhnlich. Denn Kunst ist sonst fast immer narrativ, symbolisch, bedeutungsvoll. Sie will bestätigen, beruhigen, versöhnen, hinweisen, anklagen oder verunsichern. Sie ist all dies, weil sie persönlich ist, weil der Künstler seine Weltsicht in sie legt und der Betrachter auf diese Weise immer auch vereinnahmt wird.
Konkrete Kunst hingegen ist öffentlich, denn ihre Sprache ist universell und nicht an einen bestimmten historischen Kontext gebunden. Konkrete Kunst kann daher von jedem voraussetzungslos wahrgenommen werden. Insofern ist sie eine demokratische Kunst und keine Cliquenkunst. Und eignet sich wohl gerade auch deswegen so gut für öffentliche Räume und ist als Bild, Wandbehang oder Skulptur häufig in den Gängen von Krankenhäusern, Eingangsbereichen von Geldinstituten oder den Ruhebereichen von Fussgängerzonen zu finden.
Die demokratische, auf die Freiheit bezogene Programmatik der Konkreten Kunst lässt sich auch an ihren Ursprüngen ablesen. Viele konkrete Künstler, die in den 1930er Jahren die Schweiz als Exil wählten, verbanden mit ihrer Kunst sozial-utopische Ansprüche und wollten durch sie zum Frieden und der Völkerverständigung beitragen. Sie hatten es nicht leicht, sich Anerkennung und Förderung zu verschaffen. Kunst zu jener Zeit war nationalistisch; Italien etwa propagierte einen den Alltag idealisierenden Naturalismus, die Nazis erklärten kurzerhand alles für entartet, was ihrer Ideologie widersprach. Auch die Schweiz instrumentalisierte die Kunst in den staatlichen Ausstellungen, wie etwa 1939 in der der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich. Denn gerade in jenen Jahren, in denen sie als ein der Neutralität verpflichteter Staat auf allen Seiten von kriegführenden faschistischen Staaten umgeben war, wollte sie durch eine Hinwendung zu den eigenen Traditionen ihre autonome Haltung und ihre Besinnung auf das Eigene unterstreichen. Alpenpanoramen, idyllische Bauerszenen, weidende Kühe und kräftige Landarbeiter waren die bevorzugten Sujets. Die Kunst der Konkreten liess sich da nicht so einfach einbinden. Ohne narrative Komponente, ohne Bezug auf die Mythen und Legenden, war sie nur schwer zu instrumentalisieren. Rot, blau, grün, gelb, rechteckig hiess: zeitlos, geschichtslos, überindividuell, frei.
Claude Augsburger geht mit seinem Freiheitsanspruch noch einen Schritt weiter als seine Vorgänger. Er erweitert die Programmatik – keinerlei symbolische Bedeutung; geometrische Module, serielles Strukturprinzip – indem er auch andere Module als geometrische zulässt. Und gibt auf diese Weise all den interpretationsgesättigten Gegenständen
ihre Freiheit zurück. Er ordnet quadratische Schalen in lange Reihen, legt in sie eine Kuckucksuhr oder eine Sammlung altmodischer Schlüssel, die er einmal mit roter, einmal mit blauer Ölfarbe übergiesst; dann bettet er sorgfältig Dinge wie Billardbälle und CDs in Schalen, die schon mit gelber, auch grüner Farbe gefüllt sind. ** Achtung: nicht zuviel denken!
Claude Augsburger, geboren 1957 in La Chaux-de-Fonds, lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Lausanne. Der Künstler besitzt ein Diplom für Malerei der Ecole cantonale d’art Lausanne (ECAL), lehrte eine Zeitlang Theorie der Farbe an der ETH Lausanne und unterrichtet momentan an der Kunstschule von La Chaux-de-Fonds. Claude Augsburger sammelt unter anderem kleine Plastikfiguren, Spielzeugautos, Blechflugzeuge, Bücher von Tintin, Heiligenbildchen und Computermäuse, die die Regale und Nischen seines verwinkelten Ateliers in einem Lausanner Park vollstellen. Wenn es in Lausanne und Umgebung leuchtend bunt wird, dann hat er häufig seine Finger im Spiel. In der Bahnhofshalle oder im Krankenhaus, in der Kaserne oder im Gymnasium. Und wenn der Kreuzgang einer Lausanner Kirche besonders farbintensiv ist, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass auch hier Claude Augsburger dahintersteht. (www.augsburger.biz)
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