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Rhetorik der Angst

Zur Rhetorik und Logik eines neuerdings grassierenden Sicherheitsdiskurses

Die Verbreitung von Angst und Schrecken ist die Botschaft aller Terroristen dieser Welt. Und die Botschaft kommt an. Diesen Eindruck erhält jedenfalls, wer die massenmedial reproduzierte Rhetorik vieler Politiker und Beamter genauer betrachtet. So sehr sie sich im Einzelfall um eine realistische Beurteilung der terroristischen Bedrohungslage bemühen mögen, so schnell wird daraus eine Rhetorik der Angst, die ein Bedürfnis nach immer mehr Sicherheit erzeugt.

Während sich die einen im internationalen Vergleich noch helvetisch zurückhaltend geben, setzen andere auf alarmistische Formulierungen. Samuel Schmid, Verteidigungsminister, schrieb jüngst in einem Artikel: «Wir liegen mitten drin in der Gefahrenzone.» Und Christoph Keckeis, Korpskommandant, sagte in einem Interview: «Wir müssen damit rechnen, dass sich ein Anschlag ereignet, ja ich bin sicher, dass er passieren wird.»

Zu sagen, die Schweiz sei keine Insel der Sicherheit mehr, ist banal. Die Banalität gewinnt aber eine unheimliche Dimension, wenn sie von einem Bundesrat oder dem höchsten Militär ausgesprochen wird. Die Eingeweihten spielen mit dem Wissen, das ihnen unterstellt wird: haben sie vielleicht Kenntnis von Bedrohungen, die sich die Bürger nicht einmal vorzustellen wagen? – Achten wir genau auf den Wortlaut von Keckeis’ Statement, zeigen sich Ungereimtheiten. Einerseits prophezeit er einen – unter den gegebenen Umständen wahrscheinlichen – Terrorakt, wobei er suggeriert, dass sich dieser allenfalls abwenden liesse. Im zweiten Teil seines Statements spricht er jedoch so, als könnten keine wie auch immer gearteten sicherheitspolitischen Massnahmen skrupellose Terroristen an ihren Untaten hindern. Betreibt Keckeis hier also unerwartete Ideologiekritik, indem er uns daran erinnert, dass die versprochene Sicherheit bloss eine Illusion ist? Oder will er vielleicht doch eher ein Sicherheitsbedürfnis wecken, das er zu erfüllen verspricht, ohne sich auf dem Versprechen behaften zu lassen?

Wer der Rhetorik der Angst mit Skepsis begegnet, wird schnell in die Ecke der Realitätsverweigerer gestellt, die den Ernst der weltpolitischen Lage partout nicht erkennen wollen. Und natürlich haben die selbsternannten Realos die Vernunft auf ihrer Seite – zumindest auf den ersten Blick. Denn wenn tatsächlich einmal ein terroristischer Anschlag in der Schweiz verübt werden sollte, ist es zu spät fürs

Beschwichtigen. Die Argumentation erinnert an die Pascalsche Wette. Es ist besser, an das Eintreten eines Anschlags zu glauben als nicht daran zu glauben. Denn solange man vor etwas warnt, was noch nicht stattgefunden hat, sagt man nichts nachweislich Falsches. Und sollte eines Tages tatsächlich eine Bombe hochgehen, wird man in seinen Prophezeiungen bestätigt.

Der ehemalige Schachweltmeister Garry Kasparow, der sich seit 2005 politisch engagiert, hat in seiner Autobiographie «Strategie und die Kunst zu leben» (Piper 2007) den im Westen umsichgreifenden Sicherheitsdiskurs treffend beschrieben. «Wir tauschen Freiheiten gegen Sicherheitsversprechen, und wenn keine Sicherheit gewährleistet wird, erfahren wir, liege das daran, dass wir noch nicht genügend Freiheiten hergegeben haben.» Wir treffen hier auf eine Logik, die jenseits persönlicher Bekenntnisse und politischer Parolen unser aller Denken beherrscht: weil die Sicherheit eine hypothetische Grösse ist, mangelt es stets an ihr oder – anders formuliert – kann es nie genug davon geben. Selbst wenn Sicherheitskräfte einen Anschlag vereiteln konnten, bedeutet dies nicht, dass der Staat die Situation unter Kontrolle hat. Vielleicht regt sich genau in diesem Moment eine Gruppe von Terroristen, von deren Existenz er nichts weiss… Das philosophische Problem besteht darin, dass sich die Nichtexistenz von etwas nicht beweisen lässt.

Während es also darum gehen sollte, ein Maximum an persönlicher Freiheit durch ein Minimum an Sicherheitsmassnahmen zu garantieren, neigt der von Kasparow beschriebene Sicherheitsdiskurs dazu, die Freiheit auf ein

Minimum zu reduzieren. Dabei zeitigt er durchaus paradoxe Effekte. Setzt ein Staat auf maximale Sicherheit und lässt also möglichst alle Bürger umfassend überwachen und dringt in ihre Privatsphäre ein, führt dies zu einer kaum mehr kontrollierbaren Datenmenge, was umgekehrt wieder die Unsicherheit zu erhöhen droht. Man malt sich besser nicht aus, wie potentielle Terroristen diese neue Unsicherheit für sich nutzen könnten, die sich unter einem allgemeinen Anschein von Sicherheit verbirgt.

Unbestritten ist, dass der Staat für die innere Sicherheit zu sorgen hat. Und ausser Frage steht auch, dass die persönliche Freiheit der Bürger ohne eine solche Sicherheit von der Willkür anderer Menschen abhinge, mithin zu einer beliebigen Grösse würde. Doch gleichzeitig bleibt zu beachten, dass die dem Sicherheitsdiskurs eigene Maximierungslogik eine Gefahr für freiheitliche Gesellschaften bedeutet. «Wir lernen die Freiheit erst schätzen», schrieb Friedrich August von Hayek einmal, «nachdem wir sie verloren haben».

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