Reinhard Wittmann: Der Carl Hanser Verlag 1928–2003. Eine Verlagsgeschichte.
München, Wien: Hanser 2005
Carl Hanser, der Gründer des renommierten Münchner Verlags, war mit seinem Lektor Michael Krüger ausserordentlich unzufrieden. «Sie ruinieren», schrieb er ihm, «nicht nur wirtschaftlich den Verlag, sondern sind auch, wie uns in der letzten Zeit wiederholt bestätigt worden ist, dem Ansehen des Verlages abträglich.» Das Schreiben mit diesen harschen Vorwürfen datiert vom 9. Juli 1972. Buchhändler hatten sich reihenweise über unverkäufliche Titel beschwert, und Krüger sah sich trotzdem nicht zu Konsequenzen veranlasst. Doch damit war nun Schluss: «Sollte ich mich in der Beurteilung des Textes», kommentierte Hanser ein erneut erfolgtes Votum Krügers für ein Manuskript von Helmut Eisendle, «tatsächlich täuschen, in der Beurteilung der Verkäuflichkeit tue ich es bestimmt nicht.»
Carl Hanser hatte sich nicht getäuscht. Erinnert sich überhaupt noch jemand an Eisendle, dessen Debüt «Walder oder die stilisierte Entwicklung einer Neurose» 1972 bei Hanser erschienen ist? Dennoch könne man, entgegnete Krüger damals beherzt, sich nicht einfach von den unrentablen Autoren trennen. Der Verlag müsse nicht nur für Leser, sondern auch für Schriftsteller eine attraktive Adresse bleiben. Und deshalb dürfe man die literarischen Suchbewegungen in der Zeit des Aufbruchs nach den Studentenunruhen nicht einfach ignorieren. Bei aller Aufgeschlossenheit war für Hanser aber eine Grenze erreicht, bei der er sich als Kaufmann kompromisslos zeigte. Auch Günter Grass sagte er ab, als dieser 1975 von Luchterhand in seinen Verlag wechseln wollte, weil Grass zur Bedingung gemacht hatte, dass den Autoren ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt werde. Darauf konnte Hanser sich nicht einlassen. Die ökonomische Verantwortung trug am Ende ja auch er allein.
Hanser setzte aber weitsichtig darauf, einem Lektor wie Krüger grosse Freiräume zu lassen. Bei allem Sinn für ökonomische Zwänge wusste er, dass er Mitarbeiter wie ihn brauchte, damit der Verlag den Anschluss an die aktuelle literarische Entwicklung nicht verpasste und langfri-stig überlebensfähig blieb. Schon einmal war aus diesem Grund eine programmatische Kurskorrektur notwendig geworden. Der 1928 gegründete Fachverlag von Zeitschriften wie «Betriebstechnik» oder Büchern wie Wolfgang Dietzes «Metallkundliche Untersuchungen über die natürliche Alterung an widerstandsgeschweissten und genieteten Aluminiumknetlegierungen» hatte zwar von 1946 an auch literarische Titel im Programm, aber es handelte sich neben den berühmten Klassikerausgaben ausschliesslich um Bücher «Innerer Emigranten». Mit Georg Britting, Gerd Gaiser, Friedrich Georg Jünger, Eugen Roth oder Emil Strauss verströmte der Literaturverlag zu Beginn der fünfziger Jahre den Charme des konservativ Gediegenen. Dass das angesichts einer immer mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehenden «Gruppe 47» auf die Dauer nicht zukunftsweisend sein konnte, erkannte Hanser lange bevor sich 1959 mit dem Erscheinen der «Blechtrommel» von Günter Grass und «Mutmassungen über Jakob» von Uwe Johnson die junge Autorengeneration durchsetzte. Schon 1954 gewann er Walter Höllerer und Hans Bender dafür, in seinem Verlag eine neue Massstäbe setzende Literaturzeitschrift herauszugeben, die noch immer existierenden «Akzente». Sie war kostspielig und ist bis heute defizitär geblieben. Damals aber verschaffte sie dem Unternehmen binnen kürzester Zeit ein neues Image.
Gegenwärtig steht der Verlag so blendend da wie kaum ein anderer. Das verdankt sich nicht zuletzt dem Engagement Michael Krügers, an dem Carl Hanser 1972 trotz dem heftigen Konflikt festhielt. 1986 übernahm Krüger die Leitung des literarischen Verlagssegments, seit 1995 gehört er auch zu den geschäftsführenden Gesellschaftern.
Im Programm finden sich heute zahlreiche herausragende Schriftsteller, die zum Teil erstaunliche Auflagen erzielen, darunter – um nur einige zu nennen – Elias Canetti, Umberto Eco, Arno Geiger, Wilhelm Genazino, Reinhard Jirgl, Norbert Kron, Pascal Mercier, Margriet de Moor, Martin Mosebach, Norbert Niemann, Philip Roth, Rüdiger Safranski, W.G. Sebald und Botho Strauss.
Wie es gelang, das Unternehmen dorthin zu führen, wo es steht, hat der Münchner Verlagshistoriker Reinhard Wittmann auf der Grundlage der Quellen im Verlagsarchiv anschaulich nachgezeichnet, ohne dabei einen heftigen Konflikt, wie den zwischen Hanser und Krüger im Jahr 1972, zu verschweigen. Einiges wüsste man gern noch viel genauer, aber naturgemäss schweigt ein tätiger Verlag zum Beispiel über die Höhe von Vorschüssen oder aufschlussreiche Bilanzkennzahlen noch mindestens so lange, bis die Gegenwartsliteratur Geschichte geworden sein wird.
besprochen von Gunther Nickel, Lektor des Deutschen Literaturfonds e.V. in Darmstadt.