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Regulierung per Geheimschreiben
Hans Kuhn, fotografiert von Daniel Jung.

Regulierung per Geheimschreiben

Sonderregeln für kryptobasierte Vermögenswerte, absurde Vorschriften für Staking. Die Kryptobranche klagt, die Finma bremse mit exzessiven Auflagen und mit bürokratischen Prozessen die Innovation im Finanzsektor aus. Die Realität ist etwas komplizierter.

Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht selbst sieht sich als Innovationsmotor. Im Jahresbericht 2022 schreibt sie: «Die Finma bleibt am Puls der fortschreitenden Digitalisierung und der anhaltenden technischen Innovation am Finanzmarkt (…), um den Finanzinstitutionen (…) zeitgemässe und auf die technologischen Möglichkeiten abgestimmte regulatorische Bedingungen zu bieten.»

Die Aussensicht ist deutlich kritischer. Vor allem die Kryptobranche, aber auch Fintechs und innovative Banken nehmen die Finma als Zauderer und Verhinderer wahr. Kritisiert werden langsame und schwerfällige Bewilligungsverfahren, exzessive Anforderungen («Swiss Finish»), intransparente Regulierungsprozesse und eine generell fehlende Gesprächsbereitschaft mit der Industrie. Zu einem offenen Streit kam es jüngst im Zusammenhang mit der aufsichtsrechtlichen Einordnung von Staking. Staking ist ein Validierungsmechanismus für Blockchains wie Ethereum, Solana und Cardano, die auf dem sogenannten Proof of Stake (PoS) basieren. Für die Validierung von Transaktionen erhalten Teilnehmer ein Entgelt; dafür müssen sie die entsprechende Kryptowährung hinterlegen.

«Vor allem die Kryptobranche, aber auch ­Fintechs und innovative Banken nehmen die ­Finma als Zauderer und Verhinderer wahr.»

Völlig überraschend kündigte die Finma im Sommer 2023 eine Praxisänderung an, nach der für Staking-Dienstleistungen künftig eine Bewilligung als Bank erforderlich wäre. Die Schweizer Blockchain-Industrie warnte in der Folge, dass damit Staking aus der Schweiz heraus nicht mehr zu wettbewerbsfähigen Konditionen angeboten werden könnte. Insbesondere könnte Bitcoin Suisse, der grösste europäische Staking-Dienstleister, dieses Geschäft nicht mehr betreiben. Die Schweizer Kryptobanken verfügen zwar über die notwendige Lizenz, müssten jedoch gestakte Vermögenswerte künftig mit sehr viel Eigenmitteln unterlegen, weil die Finma für kryptobasierte Vermögenswerte ein Risikogewicht von 800 Prozent verordnet hat. Das heisst, dass eine Bank für jeden Franken an gestakten Kryptowährungen 64 Rappen Eigenmittel halten müsste. Unter diesen Voraussetzungen könnten Schweizer Banken mit ausländischen, nichtregulierten Anbietern nicht mehr mithalten.

«Völlig überraschend kündigte die Finma im Sommer 2023 eine

Praxisänderung an, nach der für Staking-Dienstleistungen

künftig eine Bewilligung als Bank erforderlich wäre.»

Die Finma hat die Praxisänderung mit ihrer Auslegung der Gesetzesgrundlagen und dem Schutz der Anleger vor Staking-Risiken begründet. Gerade die Anleger wären im Konkurs des Staking-Dienstleisters aber schlechter gestellt als bisher, weil die gestakten Kryptowährungen nicht aussonderbar wären, sie aber auch nicht durch das schweizerische Einlagensicherungssystem der Banken (Esisuisse) geschützt sind, das nur Bankguthaben in offiziellen Währungen deckt.

Vorreiterrolle der Finma

Klar ist, dass die Finma in der Vergangenheit eine Vorreiterrolle bei der Regulierung von Kryptowährungen und finanzmarktrelevanten Blockchain-Modellen eingenommen hat. Sie hat damit wesentlich zum Ruf des Kryptostandorts Schweiz beigetragen. Mit dem Erlass von Richtlinien für Initial Coin Offerings (2018) und später für Stablecoins (2019) hat sie früh Rechtssicherheit geschaffen. Auch mit der Bewilligung von Kryptobanken (2019) und anderen Kryptodienstleistern sowie Kryptoprodukten war die Finma ausländischen Behörden weit voraus. Für das Stablecoin-Projekt Libra (später Diem) des Facebook-Konzerns (heute Meta) hat sie innert nützlicher Zeit einen massgeschneiderten Regulierungsrahmen geschaffen. Das Projekt scheiterte allerdings an den US-Behörden, die kein Dollarzahlungssystem ausserhalb ihrer Kontrolle dulden wollen.

Die Kritik an der Finma deutet auf eine tieferliegende Bruchlinie hin, nämlich auf grundlegende Mängel im schweizerischen Regulierungsprozess. Die Finma versucht nämlich, neuartige Geschäftsmodelle technologieneutral nach dem Grundsatz «same business, same risks, same ­rules» zu erfassen. Die Anwendung der bestehenden Regulierung funktioniert aber nur, solange die neuen Geschäftsmodelle hinreichend mit den alten übereinstimmen. Unterscheiden sich die Geschäftsmodelle in kritischen Punkten, führt die Anwendung einer gegebenen Regulierung zu mehr oder weniger unsinnigen Ergebnissen.

Ein Beispiel: Die Fintech-Bewilligung ist im Bankengesetz (BankG) normiert worden, da der Anlass für die Regulierung der allzu enge schweizerische Einlagenbegriff war. Die Tätigkeiten, welche Fintechs (Personen nach Art. 1b BankG) ausüben dürfen, haben jedoch mit der klassischen Tätigkeit einer Bank – Fristen-, Risiko- und Losgrössentransformation – nichts zu tun. Sie entsprechen eher den Dienstleistungen eines Verwahrers. Deshalb passt die Bankenregulierung für Fintechs rechtssystematisch eigentlich nicht.

Künstliche Trennung von Regulierung und Aufsicht

Die Herausforderung wird dadurch verschärft, dass das schweizerische Finanzmarktaufsichtsrecht Regulierung und Aufsicht säuberlich trennen möchte. Dabei ist Regulierung Sache von Regierung und Parlament, während die Aufsichtsbehörde die Regulierung nur anwendet. Diese Sichtweise wurde 2019 sogar in einer eigenen Verordnung zum Finanzmarktaufsichtsgesetz (Finmav) in Stein gemeisselt. Demnach darf die Finma rechtsetzende Bestimmungen nur erlassen, wenn sie dazu in einem Bundesgesetz oder in einer Verordnung des Bundesrats ermächtigt wurde; eine Rechtsetzungskompetenz der Finma ist dabei beschränkt auf den Erlass von «Bestimmungen fachtechnischen Inhalts von untergeordneter Bedeutung». Mit der Finmav sollte der als übergriffig empfundene Regulierungseifer der Finma zurückgedrängt und in geordnete Bahnen gelenkt werden.

Diese säuberliche Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung entspricht zwar den Lehrbüchern, wird aber der Praxis nicht gerecht, insbesondere nicht im Zusammenhang mit neuartigen Geschäftsmodellen. Vielmehr ist Regulierung ein kontinuierlicher Prozess, der mit der Beurteilung von Einzelfällen anfängt und sich im Laufe der Zeit zu einer mehr oder weniger gefestigten Praxis verdichtet, die schliesslich in Form von Praxismitteilungen, Wegleitungen und Rundschreiben formalisiert wird. Eine Kodifikation in Form einer Verordnung oder gar eines Gesetzes steht am Ende dieses Prozesses, der viele Jahre in Anspruch nehmen kann. Die holzschnittartige Regelung der Finanzmarktverordnung hat diesen Entwicklungsprozess abgeschnitten. Diese Realität gilt es anzuerkennen und der Finma wie bereits vor 2019 die Kompetenz zuzugestehen, mittels Rundschreiben, Praxismitteilungen und anderer geeigneter Mittel ihre Praxis offen zu kommunizieren und so Vorstufen zu einer Regulierung festzulegen.

Wichtig wäre es, dabei einige Prinzipien anzuerkennen und einzuhalten: Reguliert werden darf erstens nur, wenn ein Regulierungsbedarf ausgewiesen ist, insbesondere bei einem Marktversagen. Die Beweislast dafür liegt bei der Aufsichtsbehörde. Ist ein Regulierungsbedarf gegeben, gibt es zweitens immer mehr als nur eine Lösung. Die Entwicklung und die Auswahl von Regulierungsoptionen sind nicht allein Sache der Aufsichtsbehörde, sondern ein politischer Prozess, der letztlich in die Verantwortung der Regierung fällt. Festzulegen wären auch klare Schnittstellen für die Interaktion zwischen Aufsicht und Regierung. Drittens schliesslich ist die Implementierung der Lösung, auf die sich die Politik festgelegt hat, eine hochtechnische Angelegenheit, die hohe Präzision verlangt. Hier besteht in der Schweiz noch ziemlich viel Luft nach oben. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Transparenz dieser Prozesse und die Anerkennung der Mitwirkungsrechte der Betroffenen, wie sie im übrigen bereits im Finanzmarktaufsichtsgesetz verbrieft sind.

Wie relevant mehr Transparenz und besser strukturierte Prozesse wären, zeigt auch folgendes Beispiel: Die schweizerische Eigenmittel- und Liquiditätsregulierung erwähnt an keiner Stelle kryptobasierte Vermögenswerte wie z.B. Kryptowährungen. Dennoch hat die Finma im Herbst 2018 Sonderregeln für kryptobasierte Vermögenswerte erlassen und u.a. ein Risikogewicht von 800 Prozent sowie eine Limite von vier Prozent des Gesamtkapitals verfügt. Diese Regulierung erfolgte mittels Schreibens an den Verband der Wirtschaftsprüfer, die diese Vorgaben bis heute wie die Tafeln des Moses behandeln. Was umso erstaunlicher ist, als das Schreiben der Finma bis heute nicht veröffentlicht worden ist. Dass Kryptowährungen relativ riskante Anlagen sind, die mit hinreichend Eigenmittel zu unterlegen sind, ist unbestritten, weshalb man über die Anforderungen inhaltlich durchaus diskutieren kann. Die Regulierung mittels Geheimschreibens an einen Wirtschaftsverband ist aber aus rechtsstaatlicher Sicht inakzeptabel.

Lahme Reaktionsgeschwindigkeit

Abgesehen vom Regulierungsprozess gibt es auch bei der Reaktionsgeschwindigkeit der Finma Verbesserungspotenzial. Antworten auf Unterstellungsanfragen lassen nicht selten Monate auf sich warten; auch Bewilligungsgesuche nehmen sehr viel Zeit in Anspruch. Die Schweiz gerät hier im internationalen Standortwettbewerb ins Hintertreffen, denn die EU-Verordnung über Kryptovermögenswerte (Markets in Crypto-Assets, MiCA) macht den nationalen Vollzugsbehörden teilweise sehr enge zeitliche Vorgaben. So wird den Behörden gerade einmal 40 Arbeitstage eingeräumt, um einen Antrag auf Bewilligung als Kryptodienstleister zu behandeln. Davon kann man in der Schweiz nur träumen.

«Antworten auf Unterstellungsanfragen lassen nicht selten Monate auf sich warten; auch Bewilligungsgesuche nehmen sehr viel Zeit in

Anspruch.»

Trotz aller Kritik: Innovation ist für jede Aufsichtsbehörde eine formidable Herausforderung. Die soziale Nützlichkeit mancher Innovation ist nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Das Ausnutzen von Regulierungslücken ist ein wichtiger Innovationstreiber im Finanzsektor, und der Schutz von Kleinkunden bleibt dabei nicht selten auf der Strecke. Umso anspruchsvoller ist es für die Aufsichtsbehörden, die widerstreitenden Interessen unter einen Hut zu bringen. Die gröss­te Herausforderung ist wie oben ausgeführt das Fehlen eines transparenten, strukturierten und partizipativen Prozesses, um den Regulierungsbedarf zu evaluieren und Regulierungsoptionen zu entwickeln und umzusetzen. Dafür ist nicht primär die Finma verantwortlich.

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