Rechtsbruch mit akademischer Billigung
Der Staatsrechtler Andreas Kley geht in seiner Abschiedsvorlesung nicht nur mit der Politik hart ins Gericht, sondern auch mit seinen Kollegen.
In der Coronakrise gehörte Andreas Kley zu den einsamen Warnern und Kritikern von Bundesrat und Parlament, die sich wiederholt über die Verfassung hinwegsetzten und bedenkenlos auf «Notrecht» zurückgriffen. Nach der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS, die der Bundesrat in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über die Bühne brachte, sah sich der renommierte Staatsrechtsprofessor in seiner Beobachtung bestätigt, dass das Notrecht zunehmend «zu einem bequemen Arbeitsmittel der Politik» werde.
In seiner Abschiedsvorlesung am Donnerstag an der Universität Zürich unterstrich Kley seine Fundamentalkritik nochmals. Und machte dabei keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über seine Kollegen aus der Rechtswissenschaft, die das Gebaren der Behörden oft genug billigten, allenfalls mit leiser Kritik oder «Bedauern». «Es überrascht, dass nicht nur die Politiker, sondern auch akademische Juristen den Bruch geltenden Rechts ohne jede Begründung akzeptieren und die kategorische Rechtsbindung durch Gefühl ersetzen», sagte Kley.
Wie gefährlich das ist, zeigte er anhand der historischen Entwicklung der Rechtswissenschaft auf. Immer wieder stellten sich Rechtsgelehrte in den Dienst der Politik, besonders eklatant in autoritären Staaten wie Nazi-Deutschland. Doch, so betonte Kley, die Politik müsse unter der Herrschaft des Rechts stehen, nicht umgekehrt.
Dabei trägt die Rechtswissenschaft aus seiner Sicht eine massgebliche Verantwortung. Er zitierte den deutschen Philosophen Leonard Nelson (1882-1927), der in «Die Rechtswissenschaft ohne Recht» schrieb: «Wenn die Wissenschaft der Unterscheidung von Recht und Unrecht die Anerkennung verweigert, so wird dadurch die Sicherheit und Geltung des Rechts selbst untergraben.» (lz)