Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Ratbriefe für junge Mädchen und anfangende Dichter
Hermann Hesse, fotografiert von Sibylle Siegenthaler-Hesse.

Ratbriefe für junge Mädchen und anfangende Dichter

 

Dezember 52

An eine Sechzehnjährige

Liebes Fräulein

Ich kann Ihnen nur kurz antworten, meine Kräfte sind erschöpft. Aber Ihr Brief hat mir gut gefallen, darum soll er nicht ganz ohne Antwort bleiben.

Die Hemmung gegen das Schreiben oder Dichten, die Ihrer ebenso grossen Sehnsucht danach im Wege steht, ist ganz berechtigt. Sie sind in der Tat zu jung, um der Welt auf diesem Weg etwas geben zu können. Aber ich rate Ihnen, an das Geben und an die Welt beim Schreiben überhaupt nicht zu denken, sondern das Schreiben, wenn das Verlangen danach überstark wird, ganz für sich allein zu üben, als Klärung Ihrer Gedanken, als Rechenschaft vor sich selbst, und immer nach Klarheit und Kürze zu streben, ohne Rücksicht auf hübsche Vorbilder und auch ohne Rücksicht auf etwaige Leser. Das Schreiben soll Ihnen nicht etwas Verbotenes, wohl aber etwas Heiliges sein, eine Einkehr, eine Bemühung, den Sinn Ihrer Einsamkeit zu erkennen. Wovor man sich in der Jugend hüten muss, ist das Schreiben als Rausch, als Genuss, als Laster. Doch glaube ich nicht, dass Sie in dieser Gefahr sind. Wenn Sie schreiben, so soll es mit gutem Gewissen und mit dem Gefühl der Verantwortung geschehen. Freundlich grüsst Sie

8. Jan. 53

Einem Siebzehnjährigen, Montagnola

Lieber Herr G.

Ich bin eigentlich nicht der geeignete Mann, um Ihre Frage zu beantworten. Zum Kritiker, und zum guten Leser überhaupt, gehört literarische Interessiertheit und Neugierde, und die besitze ich nicht mehr. Aber ich habe, durch Ihren Brief angeregt, eine Anzahl der Gedichte gelesen. Sie sind nicht so, dass sie in die Weltliteratur eingehen werden, aber das ist meines Wissens Gedichten eines Siebzehnjährigen noch nie widerfahren, mit der einzigen Ausnahme von A. Rimbaud. Es wäre auch schade, wenn Sie wie Rimbaud schon in diesem Alter vollendete Gedichte machen würden. Sie hätten dann keine Zukunft, wie ja auch aus dem armen Rimbaud nichts geworden ist.

Mir scheint, Sie haben Talent genug, um ein Dichter werden zu können. Vielleicht werden Sie mit zwanzig Jahren das ins Feuer werfen, was Sie mit siebzehn geschrieben haben, und mit 25 das, was Sie mit 20 geschrieben haben, und dann werden Sie den Punkt erreicht haben, wo Ihre Begabung, nach erledigtem Abtasten vieler Betrachtungs- und Darstellungsarten, sich auf das konzentriert, was nur Sie erleben und darstellen können. Vielleicht schreiben Sie dann auch das Gespräch zwischen Lau Dan und Kung (von dem die Tao-Schüler sagten, er sei «der, der gewusst hat, dass es nicht geht, und es doch probiert hat»).

Gutes auf den Weg wünscht Ihnen Ihr

 

April 53

Lieber Herr W.

Mit dem Alter bin ich im Belehren und Beeinflussenwollen andrer Menschen immer vorsichtiger geworden. Ich habe in meinen Büchern seit Jahrzehnten immer wieder erzählt, welchen Weg ich gegangen bin. Es war ein einsamer Weg, niemand hat mich geführt und mir geholfen. Und nun kommen immer wieder Leser meiner Bücher zu mir und wollen ein Rezept haben, wie man sich selbst und damit «Gott» finden könne. Ich besitze solche Rezepte nicht, und wenn es mir in sechzig Jahren nicht gelungen ist, mich verständlich zu machen, dann kann ein kurzer Brief das auch nicht tun.

Was Sie suchen, das würden Sie vielleicht in einer Yoga-Anweisung finden. Im Verlag Rascher gibt es eine ganze Anzahl grosser und kleiner Bücher, die sich damit befassen. Auch gibt es eine kleine buddhistische Gemeinde in der Schweiz, ihre gute kleine Zeitschrift «Die Einsicht» wird redigiert von Max Ladner, Zürich-Witikon, Lehfrauenweg 15. Doch müssen Sie wissen, dass Sie auch dann, wenn Sie den Weg des Yoga oder den ähnlichen des Buddhismus einschlagen, sich unter eine Führung und Leitung begeben, und eben dies war Ihnen ja in Ihrer eigenen Religion zuwider. Übrig bleibt, wenn Sie diese Führungen und starren Lehren nicht ertragen, nur der Weg, den Ihnen niemand zeigen kann, den nur Sie selbst durch Hingabe und äusserste Geduld finden und erleben können: der Weg ins eigene Selbst, das für jeden Menschen das Wirklichste sein sollte und das doch nur wenige kennen.

Ich habe in meinen Schriften versucht, von meinem Weg zu berichten – den Ihren kann ich Ihnen nicht zeigen. Ich habe dennoch das Vertrauen, dass der Weg des Leidens und Verzichtenmüssens, den Sie durch Ihre Krankheit geführt werden, keine Sackgasse sei. Man muss durch das Leid und durch die Verzweiflung hindurch, um wieder ans Licht zu kommen.

Mit freundlichen Grüssen Ihr

 

Okt. 53

An ein ganz junges Mädchen

Liebes Fräulein

Die Zeit ist vorbei, da ich viele und lange Briefe schreiben konnte. Ich muss es kurz machen, und das ist schwierig, denn Sie haben mir keine genauen Fragen gestellt. Aber ich sehe Sie von Nöten der Entwicklung bedrängt, die das Werden einer Persönlichkeit ahnen lassen. Eine Persönlichkeit, ein einmaliger, eigener Mensch zu werden ist nicht jedem bestimmt, der Weg dahin hat Gefahren und bringt Schmerzen, er bringt aber auch Glück und Tröstungen, die die andern nicht kennen.

Was den «Glauben» betrifft, von dem Sie schreiben, so weiss ich nicht, welchen Glauben Sie gehabt und verloren haben. Auf jeden Fall war es ein Glaube, der mit Ihrer Bestimmung nicht zu vereinen war, er war vermutlich allzu dogmatisch, allzu genau formuliert. Dass Sie ihn nicht mehr haben, ist kein Verlust, es ist das Durchstossen zum Individuellen, Persönlichen, und auch wenn Sie später einmal zu ihm zurückkehren wollten, würde er dann ein ganz anderes Gesicht haben und ganz andere Forderungen an Sie stellen als irgendein Katechismus.

Ängstigen Sie sich nicht zu sehr, fliehen Sie weder ins Kindliche zurück noch nach vorwärts in Trotz und Schnoddrigkeit, es würde Ihnen beides nichts nützen. Sagen Sie Ja zum Besten und Stärksten in Ihnen! Dann geht es schon weiter. Mit Grüssen Ihr

 

Nov. 53

Lieber Herr D.

Mit dem Abitur und der Berufswahl sollte die Frage nach Ihrer Berufung oder Berechtigung zum Dichten nichts zu tun haben. Die Verse, die Sie mir sandten, sind schön und begabt, für mein Gefühl etwas zu sehr traditionell gebunden, begabt aber auf jeden Fall. Sie sollten diese Gabe ernst nehmen und pflegen, keineswegs aber einen Lebensberuf von ihr ableiten. Das Dichten soll Ihre Freude und Kraftquelle, Ihre Selbstprüfung und Selbstbefreiung sein. Wenn das zu Erfolgen führen sollte, dann umso besser! Aber um vom Schreiben leben zu können, braucht es entweder ungewöhnliche Erfolge oder aber ein Herabsteigen in die Journalistik oder sonst ein Schreibgewerbe.

Ich rate Ihnen, einen Beruf zu wählen, der Ihr Dichtertum nicht oder möglichst wenig berührt. Zum Glück sind Sie vielseitig, das erschwert zwar die Wahl, aber es verspricht auch ein Fertigwerden mit einem beliebigen Beruf ohne zu grosse Opfer. Dann bleibt Ihnen Raum und Kraft dafür, zu denken und zu schreiben.

Genug, ich hoffe, es diene Ihnen ein wenig auf Ihrem Weg, auf den ich Ihnen Glück wünsche. Ihr

 

Jan. 54

An Herrn F. L. in Z.

Lieber Herr L.

Sie haben eine Scheu davor, Ihre Gedichte «vor aller Öffentlichkeit» erscheinen zu lassen, das ist begreiflich. Der Schritt in die Öffentlichkeit ist ein Wagnis, er kann zweierlei Arten der Enttäuschung bringen: die der Erfolglosigkeit oder die andere, die des Erfolgs und der Berühmtheit, das schmeckt eine kleine Weile gut und wird dann bitter und immer bitterer.

Aber ich glaube, wem es mit seiner Dichtung voller Ernst ist, der muss es wagen, eine dieser beiden Formen der Enttäuschung auf sich zu nehmen. Das Dichten im Poetenstübchen, bei geschlossenen Fenstern und ohne Wagnis, ist angenehmer, aber es muss irgendeinmal ein Ende haben. Der Künstler braucht die Teilnahme und Mitverantwortung am Ganzen, er kann durch die Berührung mit der Aussenwelt und Öffentlichkeit etwas Unersetzliches erleben und lernen.

Ohne mehr von Ihnen zu wissen, als was Ihr Brief mir sagt, bin ich also dafür, dass Sie es wagen.

Ihr

 

Juli 54

Fräulein M. H., München

Danke für Ihren Brief.

. . . Ihre Gedichte gefallen mir durchaus, sie sind schön. Aber sie zehren ganz aus dem Schatz der Tradition, sie führen nicht weiter, sie sind von den modernen Problemen, auch den Formproblemen, unberührt. Das vermindert ihren Wert für uns ältere Leser nicht, im Grunde haben wir die überkommene Schönheit lieber als die wilde Problematik der Jungen. Aber ein heutiger Mensch Ihres Alters hat als Dichter, glaube ich, keine Zukunft, wenn er nicht durch die Höllen jener Probleme gegangen ist, er kann zwar die Alten erfreuen, nicht aber die Jungen überzeugen.

Lassen Sie, ehe Sie sich entschliessen, mein Urteil aber nicht das einzige sein, auf das Sie hören.

Mit freundlichem Gruss

 

9. Febr. 1955

Frl. L. T.

Liebes Fräulein

Sie sind nicht so allein, wie es Ihnen scheint, und «die andern» sind keineswegs so glücklich oder so stumpf, wie es Ihnen scheint. Diese andern, und sei es auch nur einer oder eine von ihnen, müssen Sie zu erreichen suchen. Viele leiden dasselbe wie Sie, viele sind allein und finden sich von allen getrennt und verschieden, nur weil sie zu sehr in sich selbst verkapselt und verhebt sind und zu keinem andern hinfinden. Was ihr brauchet, ist Liebe, ist Hingabe, ist Gespräch, Offenheit, Mitteilung, Vertrauen. Solang ihr das nicht leistet, bleibt die Welt dunkel und das Leben sinnlos.

 

März 1955

An einen dichtenden Maler

Lieber Herr K.

Danke für die beiden Gedichte, das vom Frühlingsregen gefällt mir gut. Aber ich würde an Ihrer Stelle doch nicht bedauern, dass Ihre Verse nicht publiziert werden und auf viele wirken können. Sie würden, als Dichter, dann in eine neue Phase treten, in der Sie zwar die Möglichkeit jener Wirkung hätten, in der Sie aber sofort auch unter anderen, strengeren, lästigeren Gesetzen stehen würden. Das Beste und Schönste an jeder Kunstübung ist die Freude am eigenen Tun, am erregenden Spiel mit der Sprache, am Erproben der eigenen Gedanken und Erfahrungen, für welche die Formulierung im geschriebenen Wort ein guter Prüfstein ist. Diese Freude, die bei einiger Selbstkritik auch eine Schule ist, haben Sie als privater Dilettant ganz ebenso, wie wenn Sie publizieren würden und Leser hätten. Ich würde Ihnen das nicht oder doch mit etwas anderen Worten sagen, wenn das Dichten für Sie den ersehnten Weg ins Reich der Kunst bedeuten würde. Sie sind ja Künstler, sind Maler und haben sich als solcher bewährt, das sollte Ihnen genügen. Das Verseschreiben, meine ich, sollten Sie etwa so betreiben, wie ich das Malen manche Jahre betrieben habe: als Erholung und edles Spiel, als Einkehr und auch als Rückkehr zur Unschuld kindlicher Freuden.

Herzlich grüsst Sie Ihr

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!