Pulsfühlung bei den Gründern
Wie bewährt sich der Wirtschaftsstandort Schweiz im Welt- und Aussenhandel? Wir haben bei fünf ausgewählten Start-up-Unternehmen nachgefragt, wie sie ihre Zukunft hier beurteilen und welche Probleme sie gern gelöst sähen.
Standort Schweiz – die Vorteile
Beekeeper ist ein Spin-off der ETH Zürich. Die Firma existiert seit März 2012 und bietet eine Mitarbeiter-App als Kommunikationslösung für Unternehmen mit vielen gewerblichen Mitarbeitern an. Qualysense hingegen entwickelt und vermarktet Sortierungsgeräte zur Qualitätskontrolle in der Lebensmittelindustrie. Die Firma wurde bereits 2010 von Francesco Dell’Endice gegründet, nachdem er seinen Doktortitel in Naturwissenschaften an der Universität Zürich gemacht hatte. Auch Stefan Zanetti und Marc Beermann, die Gründer von Allthings, einer Plattform zur Kommunikation von Immobiliennutzern und -bewohnern mit dem Eigentümer oder dem Verwalter, wurden an Schweizer Unis ausgebildet. Drei Start-ups, alle aus dem universitären Umfeld heraus entstanden. Dass man in jenem Land gründet, in dem man sich ausbildet und lebt, ist nicht aussergewöhnlich. Der Standort Schweiz weist aber nach Ansicht der Unternehmer noch mehr Besonderheiten auf: gut ausgebildete Mitarbeiter, eine herausragende Infrastruktur, eine hohe Lebensqualität, die Anwesenheit von Investoren auf den verschiedensten Finanzierungsebenen, eine hohe Wertschätzung von «Swiss Made» (insbesondere bei High-Tech-Produkten) und nicht zuletzt ein Grundvertrauen in das Funktionieren des Staates samt (im internationalen Vergleich) unbürokratischen Verwaltungen. Silvan Küng, einer der Gründer der Relish Brothers AG in Kriens, die seit November 2013 handgefertigte Gitarren herstellt und über 90 Prozent davon ins Ausland exportiert, fasst es so zusammen: «Unsere Marke baut auf Swissness auf. Wir können überhaupt erst existieren aufgrund der Attribute, die einer Schweizer Marke attestiert werden: Excellence, High End, Innovation, Avantgarde, Quality.» Und er fügt an: «Neben dem Vertrauen seitens der Händler ist das auch bezüglich der Endkunden erkennbar, die zu 100 Prozent vorauszahlen und uns vertrauen, dass wir dann auch die beste Ware liefern. Hinsichtlich unserer Preislage von 2000 bis 6000 Franken pro Gitarre hat uns das zunächst erstaunt.»
Der starke Franken
Bemerkenswert ist, dass nicht eines der von uns befragten Unternehmen explizit über den zu starken Schweizer Franken und die damit zusammenhängenden Probleme für den Export klagt. Zwar stellt Relish eine «zurückhaltende Kaufbereitschaft der Händler weltweit» fest. Allthings meldet aber: «Die Effekte heben sich auf», was Mike Kurt von «I believe in you», einer seit 2012 existierenden Crowdfunding-Plattform in Bern, die weltweit Sportprojekte finanziert, bestätigt: «Unsere Software-Entwicklungspartner rechnen in Schweizer Franken ab, wobei wir nicht von den Währungsvorteilen profitieren konnten. Auf der anderen Seite generieren wir leicht tiefere Lizenzerträge bei unserem Joint-Venture in Österreich, sparen aber beim Aufbau unserer Tochtergesellschaft in Norwegen aufgrund der schwachen norwegischen Krone auch wieder Geld. Das gleicht sich also in etwa aus.» Beekeeper konnte keine signifikanten Auswirkungen des starken Frankens auf das Wachstum beobachten – und Qualysense machte gerade die ersten Schritte in den Verkauf, als sich der «Frankenschock» ereignete, kennt also gar keine andere Situation.
Standort Schweiz – die Nachteile
Als problematisch wahrgenommen werden dagegen die enorm hohen Personalkosten und die wenig risikofreudige Kultur in der Schweiz. Andreas Slotosch von Beekeeper sagt: «Letztere macht insbesondere die Suche nach Investoren schwierig, die eine globale Vision teilen. Auch ist das Start-up-Ökosystem im Vergleich mit Standorten wie Berlin oder dem Silicon Valley noch unterentwickelt.» Und dann ist da die Steuergesetzgebung, die mit der Realität der Start-ups nicht übereinstimmt. Dell’Endice erwägt deswegen, sein Unternehmen aus dem Kanton Zürich in einen anderen Kanton zu verlegen: «Gründer sind dazu gezwungen, eine Steuer auf ein Vermögen zu bezahlen, das nur virtuell existiert. Das ist nicht nachhaltig.» Silvan Küng von Relish schliesst an: «Wären wir im Raum Zürich angesiedelt, so würden wir als Eigentümer der Firma starke privatsteuerliche Nachteile vorfinden.» Zanetti von Allthings kritisiert, dass die Besteuerung von Start-ups in Zürich auf der Basis der Bewertung der letzten Finanzierungsrunde erfolge – was negative Auswirkungen auf die Standortattraktivität habe. Dem pflichtet Mike Kurt in Bern bei: «Es macht keinen Sinn, wenn Start-ups oder deren Gründer steuerlich zu sehr belastet werden, dies vor allem, solange die Unternehmen noch keinen Gewinn erzielen. Im Vergleich zu skandinavischen Ländern ist es in der Schweiz weiterhin kompliziert, ein Unternehmen zu gründen – und erst noch mit hohen juristischen Kosten verbunden.»
Die Schweiz und das Ausland
Die Relish-Gitarren werden in Kriens gefertigt, einzelne Komponenten müssen aber importiert werden. Der regen Handelsbeziehung seines Unternehmens zum Trotz sieht Silvan Küng keinen Einfluss der Beziehung zwischen der Schweiz und der EU auf den Export: «Handelsabkommen existieren. Und falls nicht, haben wir auch in diesen Ländern klare Ausgangslagen. Sie funktionieren handelstechnisch.» Mike Kurt sagt: «Da wir in den Ländern lokale Tochtergesellschaften und Joint-Venture-Partner haben und so auf die Gegebenheiten vor Ort eingehen können, sehe ich aktuell von unserer Seite her keine Probleme rund um die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU.» Dell’Endice ist vor allem von der Bürokratie genervt: «Manchmal ist es frustrierend, eine volle Dokumentation erarbeiten zu müssen, auch wenn wir nur mit einigen von unseren Geräten an einer Messe in der EU oder in den USA teilnehmen wollen – das bindet nicht nur Zeit, sondern auch Kapital, denn der Zoll verlangt jeweils einen Teilbetrag als Pfand.»
Die Fachkräfte
Die englischsprachige Firma Qualysense hätte, so betont er überdies, sehr gerne mehr inländische Arbeitskräfte eingestellt, doch das sei gerade zu Beginn an der fehlenden unternehmerischen Kultur der sich bewerbenden Hochschulabgänger gescheitert – was die Firma dazu gezwungen habe, sich im Ausland umzusehen. Um das Problem auf lange Frist zu beheben, schlägt Dell’Endice vor, schon auf Sekundarschulstufe Kurse in Unternehmertum anzubieten. So könnten junge Menschen auf die Möglichkeit des Firmengründens aufmerksam gemacht werden – und ihre Träume und Ideen bereits in jungem Alter in Angriff nehmen. Nachholbedarf bei der Ausbildung sieht auch Küng: «Die Potenziale der Studenten werden nicht ausreichend gefördert und abgeholt.» Viele von ihnen würden eine klassische Karriere der Selbständigkeit vorziehen: «Somit prägt sich vielerorts die gesellschaftliche Einstellung aus, dass wir nicht risikofreudig sind und für jeden Fall eine Absicherung benötigen. Dies ist nicht mit dem Charakter eines Unternehmers vereinbar, der Risiken eingehen muss und sich nicht einfach auf Sicherheiten ausruhen kann. Diese Einstellung scheint sich gerade bei der jüngeren Generation zu ändern, dennoch ist hier gegenüber dem Ausland noch viel Potenzial.»
Allthings und Beekeeper berichten ebenfalls von Schwierigkeiten, an hochqualifiziertes, spezialisiertes und bezahlbares Personal heranzukommen. Es gebe nur «wenige potenzielle Mitarbeiter, die schon ähnliche Dinge aufgebaut und die entsprechenden Erfahrungen haben», sagt Slotosch. «Die grösste Herausforderung stellt deshalb für uns der schwierige Zugang zu ausländischen Arbeitskräften aus Nicht-EFTA-Ländern dar.» Zufrieden mit dem Ausbildungsstand der hiesigen Arbeitnehmer ist dagegen Relish Guitars: «Auch wenn der Schweizer Arbeitsmarkt derzeit leider keine Gitarrenbauer ausbildet, liefert er gute Schreiner, die nach einer vierjährigen Ausbildung und ein paar Jahren Berufserfahrung eine gute Basis mitbringen, um sich das Rüstzeug für den Gitarrenbau anzueignen.» Mike Kurt war es bisher ebenfalls möglich, gute Leute zu rekrutieren: «Nachdem wir die ersten drei Jahre die Software ‹offshore› haben entwickeln lassen, sind wir nun daran, die Softwareentwicklung ‹inhouse› in der Schweiz aufzubauen, um agiler zu werden. Gute Leute in diesem Bereich zu finden ist und bleibt sicher eine grosse Herausforderung.»
Wünsche an die Politik und die Verwaltung
Als unsinnige, nicht mehr zeitgemässe Besteuerung abschaffen würde Küng das Gesetz zur Emissionsabgabe (Bundesgesetz über die Stempelabgaben [StG] vom 27. Juni 1973), das nach einer Freigrenze von einer Million Franken investiertem Kapital eine einprozentige Steuer auferlegt. Slotosch wünscht sich, dass auch Start-ups und nicht nur Grossunternehmen einen vereinfachten Zugang zu Mitarbeiterkontingenten erhalten. Etwas grundsätzlicher und ausführlicher wird Zanetti: «Wir registrieren zwar seitens der Politik und der Verwaltung meistens guten Willen und Interesse. Trotzdem besteht nur wenig echtes Verständnis für Start-ups und für die Chancen, die sich damit für den Standort auftun. Aus unserer Sicht rührt das von einem Mangel an eigener, relevanter Erfahrung in oder mit global ausgerichteten, schnell wachsenden Technologiefirmen.» Seine direkten Wettbewerber seien eben nicht in Genf oder Stuttgart, sondern in San Francisco, London oder Tel Aviv und gediehen dort in extrem kompetitiven Start-up-Ökosystemen mit beinahe unbegrenztem Zugang zu Spitzenkräften, Kapital und globalen Netzwerken. «Das versteht man aber nicht wirklich, wenn man nur ein Buch darüber liest oder mal für eine Woche ins Silicon Valley reist. Ein besseres Verständnis dafür würde sicher helfen, damit die Politik von selbst die Weichen richtig stellt und grösser zu denken beginnt – denn das Potenzial in der Schweiz ist vorhanden.»