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Publizisten und Unternehmer I

Wie werden Unternehmer in der medialen Öffentlichkeit wahrgenommen? Ich war kürzlich eingeladen, zu dieser Frage coram publico zu referieren, und habe gemerkt: Ich muss mit Selbstkritik beginnen. Dass hier strukturell bedingte Wahrnehmungsverzerrungen im Spiel sind, ergibt sich nämlich aus der Natur der Sache. Publizisten haben anders als Unternehmer Upside-Chancen, aber keine Downside-Risiken. Sie können Empfehlungen […]

Wie werden Unternehmer in der medialen Öffentlichkeit wahrgenommen? Ich war kürzlich eingeladen, zu dieser Frage coram publico zu referieren, und habe gemerkt: Ich muss mit Selbstkritik beginnen. Dass hier strukturell bedingte Wahrnehmungsverzerrungen im Spiel sind, ergibt sich nämlich aus der Natur der Sache. Publizisten haben anders als Unternehmer Upside-Chancen, aber keine Downside-Risiken. Sie können Empfehlungen abgeben, Prognosen formulieren, Skandalisierungen vorantreiben: Wenn sie all dies publikumswirksam inszenieren, bekommen sie viel Aufmerksamkeit, und ihr Marktwert steigt. Sollte sich später zeigen, dass sie falsch lagen, kassieren sie im schlimmsten Fall eine Rüge – ihrem Ruf aber hat es nicht geschadet. Ganz im Gegenteil.

Wer eine Upside, aber keine Downside hat, beurteilt auch die anderen Menschen nach diesem Muster. Unternehmer sind für Publizisten Leute, die es geschafft haben und zum Establishment gehören. Sie wurden mit den richtigen Skills geboren, sind in der richtigen Familie aufgewachsen, haben das Richtige studiert, waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort oder verfügen über einen hinreichend skrupellosen Charakter. Klar, gibt es auch ein paar, die gescheitert sind, aber grosso modo gilt die Regel: Sie haben es geschafft, weil sie es schaffen mussten. Sie, die Unternehmer, sind in den Genuss des Free Lunch, des leistungslosen Einkommens gekommen, von dem sie, die Publizisten, bestenfalls träumen.

Diese Haltung erklärt eine Ambivalenz, die mir in der medialen Darstellung der Unternehmer auffällt: einerseits eine Art Bewunderung, anderseits eine Art Ressentiment. Wie gross die Bewunderung ist, zeigen all die kursierenden Rankings und Reichstenlisten. Wer es in diese Listen geschafft hat, hat in den Augen der Publizisten ausgesorgt. Publizisten sehen für gewöhnlich nur das Sichtbare: die Listen, die Zahlen über horrende Vermögen, die Covers der Wirtschaftsmagazine mit souverän lächelnden Männern und Frauen. Was sie nicht sehen: all jene, die es nicht geschafft haben. Dabei ist klar: eine von zehn Unternehmungen gelingt, neun misslingen. Was sie auch nicht sehen: jene, die scheitern, tragen die finanziellen und persönlichen Konsequenzen. Weiter: jene, die es einmal geschafft haben, sind zumeist zuvor mehrere Male gescheitert. Und vor allem: jene, die es erst mal geschafft, müssen das Erschaffene ständig neu verteidigen und können es jederzeit wieder verlieren.

Unternehmer sind keine Rentner, sondern Gestalter – eine seltene Spezies von Halbverrückten, Schuldknechten und Asketen, die ihr Geld in ihre Firma investiert haben, mit der sie verheiratet sind. Geht ihre Firma unter, gehen sie ebenfalls unter, mit Vermögen und Ruf. Sie können mehr als bloss ihren Job verlieren.

Und woher rührt das Ressentiment? In seinem Spätwerk «Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie» (1941) analysiert Schumpeter die Rolle der Intellektuellen in der kapitalistischen Wirtschaft unübertroffen treffend. Die Grundthese: die Intellektuellen sind erstens überdurchschnittlich gebildet; sie zeichnen sich zweitens durch das Fehlen «jener Kenntnisse aus erster Hand, wie sie nur die tatsächliche Erfahrung geben kann» aus und erzielen drittens am meisten Aufmerksamkeit als «Störungsfaktor». Trotz guter Ausbildung verdienen Publizisten weniger als Unternehmer, die beispielsweise Windeln oder Erbsenbüchsen herstellen – das beleidigt ihr Gerechtigkeitsempfinden. Sie kennen die wirtschaftliche Tätigkeit nur vom Hörensagen und imaginieren eine statische Welt, die Faktoren wie Ungewissheit, Risiko, Zukunftsoffenheit ausblendet – das bestärkt sie in ihrem Gefühl intellektueller Überlegenheit. Und sie befriedigen die Bedürfnisse eines empörungsbereiten Publikums, das ebenfalls «das System» für die eigene Lage verantwortlich macht, mit der es nicht zufrieden ist. Diese Kombination nährt die Überzeugung vieler Publizisten, dass es nicht primär darum geht, über die Welt zu schreiben, wie sie ist, sondern über die Welt, wie sie sein sollte.

Persönliche Betroffenheit, die einhergeht mit einem intellektuellen Überlegenheitsanspruch und einer moralischen Mission: diese Mischung führt zu jenen Wahrnehmungsverzerrungen, von denen viele unserer Medien unfreiwillig tagtäglich Zeugnis ablegen. – Ist das selbstkritisch genug? Fortsetzung folgt im September.

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