Professionelle Provokateure
Ein Interview mit Nick Hayek und Juri Steiner Das renovationsbedürftige Haus an der Spiegelgasse 1 in Zürich, die Geburtsstätte des Dada 1916, soll noch dieses Jahr zu einem Kulturzentrum umgebaut werden. Nick Hayek, CEO der Swatch Group, ist Hauptsponsor des Projekts; der Kunsthistoriker Juri Steiner arbeitet als Mitglied des «Komitees pro Dada-Haus» an der künstlerischen Konzeption.
Herr Hayek, an der Spiegelgasse 1 in Zürich soll der Dadaismus wieder auferstehen, dort wo sich 1916 die Kriegsverweigerer aus Deutschland, Frankreich und Rumänien trafen und auf der Bühne des «Cabaret Voltaire» ihre Aktionen mit «Dada» ankündigten. Lange kümmerte sich niemand um die Geburtsstätte des Dada. Nun soll sie umgebaut werden und als Dada-Haus zu einem neuen Kulturzentrum werden. Sie haben sich von Anfang an für das Projekt engagiert und es grosszügig unterstützt. Die Bauarbeiten sollen bald beginnen. Was motiviert Sie, einen solchen Ort der Reminiszenz zu unterstützen, der doch ganz gegen den Geist des Dada ist, der Anti-Kunstbewegung schlechthin, die niemals eine Institution werden wollte?
N. Hayek: Ich würde mir nicht anmassen zu wissen, was die Dada-Leute wollten oder nicht. Wir wollen mit dem Dada-Haus nicht ein Denkmal schaffen, wo die Leute sagen «Oh, wunderbar, hier ist ein Dada-Museum!». Nein. Der Sinn der Dada-Bewegung ist heute noch genauso modern und aktuell wie damals. Das Dada-Haus soll als eine Stätte wiederbelebt werden, wo man im Geist dieser Provokation weiter leben kann.
Wie wollen Sie neuen Schwung hineinbekommen? Wie wollen Sie erreichen, dass die Wiederbelebung den Staub der bald 90 Jahre abschütteln kann, die seit der Gründung vergangen sind?
N. H. Schauen Sie, wir sind keine Bank. Uns geht es nicht um Sicherheit und nicht darum, ob das Dada-Haus einen Wert hat für die Stadt oder die Institutionen. Wir denken nicht: «Das ist aber riskant. Wer weiss, ob es gelingt, den Dada-Geist wiederzubeleben, wer weiss, ob daran jemand interessiert ist.» Dada hat existiert und Vieles beeinflusst – darum hat es seinen Platz. Das genügt. Wie das funktionieren wird, das ist unberechenbar. Da wird es immer Puristen geben – ich nehme an, Sie stellen Ihre Fragen als Provokation – die sagen: «Oh, mein Gott, Dada hat nie so etwas gewollt!». Dann wird’s die anderen geben, die sagen werden: «Oh, wir sind enttäuscht, das ist ja ein Museum!». Warten wir es doch ab, experimentieren wir und schauen, was passiert! Daran zu erinnern, dass die Stadt Zürich ein Hort war, wo Dada existieren und sich ausdrücken konnte, das finde ich wichtig.
Schön, dann gebe ich die Frage an Herrn Steiner weiter, der für die Umsetzung der Idee mitverantwortlich ist. Herr Steiner, wie wollen Sie garantieren … N. H. … eben nicht garantieren …
… wie wollen Sie also erreichen, dass das Dada-Haus nicht zu einer weiteren Stätte der Dada-Andacht wird, sondern dass etwas Neues entsteht?
J. Steiner: Dokumentieren, Transformieren und Experimentieren, das ist unsere guideline. Daran werden wir uns halten. Dada war eine Kulturrevolution, wobei man nicht unterschätzen darf, was das gesellschaftlich für das gesamte 20. Jahrhundert bedeutet hat. Es spricht für Dada, dass es heute möglich ist, dass sich ein Konzernchef mit so einem Projekt auseinandersetzt, es ernst nimmt. Das ist an der Basis dadaistisch, das stellt eine Revolution dar. Man ist nicht mehr gefangen in einer Rolle, sondern wandelbar schizophren, paradox. So sehen wir die Zusammenarbeit mit Herrn Hayek auch als etwas Dadaistisches an.
Doch auch Herr Hayek wird als Sponsor nicht ohne ein konkretes Konzept und ein Programm für das nächste Jahr auskommen. Und damit komme ich wieder auf meine eingangs gestellte Frage zurück.
N. H. Kultur, die in einem Museum versteckt wird, ist in einem Ghetto. Das ist falsch, nur ausserhalb des Ghettos bedeutet Kultur Bewegung. Und was ist schlecht daran, mit dem Dada-Haus daran zu erinnern, dass sich etwas bewegt? Das Establishment verteidigt immer nur seine Position. Denn es ist angekommen, Bewegung bedeutet daher Gefahr fürs Establishment. Die progressiven Teile der Gesellschaft hingegen können nur existieren, wenn es Bewegung gibt. Dada in Zürich hilft zu sehen, dass Dinge unkonventionell gemacht werden können und dass es möglich ist, gegen Regeln zu verstossen, ohne dass man ein Bösewicht ist. Kennen Sie die Worte «Alibi» und «Bequemlichkeit»? Damit beginnt das Alphabet.
Nachher kommt das C für «Chaos»?
N. H. Nein, Dada kommt. Dada kommt und wirft genau das über den Haufen. Dada gibt nie ein Alibi und Dada ist gegen jede Bequemlichkeit. Es ist etwas, was die Gewohnheit durcheinander bringt, aus der die Bequemlichkeit folgt. Ich glaube, die Diskussion, ob ein Dada-Haus im Sinn der Dadaisten ist, ist Alibi und Bequemlichkeit. Dada zu vergessen ist wunderbar und viel bequemer, als zu versuchen, es ins Bewusstsein zu bringen. Wir sollten gegen dieses AB kämpfen; wir sollten das Alphabet mit D beginnen lassen: Dada. Nicht mit A und B, mit Alibi und Bequemlichkeit.
Gegen Alibi, gegen Bequemlichkeit: das sind negative Definitionen, mit denen Sie Ihr Engagement für Dada umschreiben. Können Sie es auch positiv ausdrücken?
N. H. Sie kommen her, und anstatt neugierig, offen und ohne Vorurteile zu sein, fragen Sie: «Warum ein Dada-Haus?». Wir müssen eine Begründung liefern. Wissen Sie, wir sagen Ihnen: weil wir Lust haben dazu und weil wir uns damit identifizieren können.
Damit haben Sie ja meine Frage schon beantwortet.
N. H. Aber es ist keine intellektuell nachvollziehbare Antwort, denn Sie werden jetzt bestimmt sagen: «Da muss doch mehr dahinter sein.» Und das ist genau gegen die Idee des Dada-Hauses. Statt neugierig zu sein, argumentieren Sie mit Alibi und Bequemlichkeit und sagen, es ist gegen die Natur von Dada, das Dada-Haus zu erhalten. Ich bin nicht bereit, diese These zu erhärten.
Legen wir meine Eingangsthese ad acta und gehen zum offenen Gespräch über.
N. H. Was bedeutet Dada für Sie?
Ich kann ein interessantes Heft machen.
N. H. Endlich! Sie wollen Dada instrumentalisieren.
Dazu stehe ich: ich will eine höhere Auflage haben und mehr Aufmerksamkeit.
N. H. Glauben Sie nicht, dass Sie mit Dada alle die Leute vor den Kopf stossen, die sagen, Dada wollte nie in einem etablierten Heft abgedruckt sein? Das ist ja eine Vergewaltigung von Dada!Dada liebt die Widersprüche: die etablierten Schweizer Monatshefte und Dada, das passt doch dann zusammen.
N. H. Ah, gut, Sie können, ich sehe, ja selber die Antworten in diesem Interview schreiben.
Kommen wir zurück auf den Umbau und die Ausarbeitung des Programmkonzepts. Werden Sie das auch dadaistisch aufziehen?
J. S. In der Organisation sind wir zeitgemäss, da werden wir uns keine chaotischen Freiheiten erlauben. Das Chaosprinzip wurde auch bei den Dadaisten nie völlig als Credo gelebt; im Cabaret Voltaire etwa wurden die Monatsabrechnungen auf den Rappen genau gemacht. Es geht uns darum, das Vertrauen zu bekommen, dass diese Investition sich lohnt, dass ein Betrieb gemacht wird, der nicht am Publikum vorbei geht und der kulturpolitisch etwas in der Stadt bewegt.
N. H. Umbau und Programm werden professionell gemacht. Die Dada-Leute waren ja auch professionelle Provokateure. Für mich ist auch noch etwas anderes wichtig. Für mich war Dada ein Teil meiner Jugend. Damals wussten wir noch, was Dada ist. Heute kennt Dada kaum noch jemand. Im Dada-Haus in der Spiegelgasse können die vielen «normalen» Leute, die dort durchgehen, die Dadaisten kennenlernen. Aber eben nicht im Museum, sondern mitten in einer Stadt, wo es brodelt, wo es lebendig ist, und dazu noch in einem Viertel, in dem alles durchmischt ist, wo es Szeneleute gibt, Touristen und die vom Rotlichtmilieu.
J. S. Dada ist kein Kunststil, der historisch werden kann. Dada war eine Revolution es modernen Bewusstseins, die stärker und nachhaltiger war als die psychoanalytische Revolution oder der Kommunismus, weil Dada nichts Dogmatisches hat, sondern individual-anarchistisch funktioniert. Deswegen stand zu Beginn die Zerstörung, die dazu diente, sich zu befreien und selber zu finden. Da alles zum Chaos hinneigt, muss man eine Organisation haben, die funktioniert und das Chaos abwendet. Das ist die eine, operative Seite des Dada-Hauses. Die andere Seite ist das programmatische Befreiungsmotiv für die Unabhängigkeit und die Selbstfindung.
Das setzt voraus, dass der Besucher, der zu sich finden will, etwas hat, wovon er sich befreien kann. Wollen Sie mit dem Dada-Haus die Zwänge aufzeigen und es als einen Ort der organisierten Befreiung aufziehen?
N. H. Chaos ist immer das Schönste, weil es Kreativität zulässt. Organisation ist leider etwas Notwendiges, aber Sie brauchen immer die am wenigsten nötige Organisation, sonst verlieren Sie die Kreativität. Das gilt auch für das Dada-Haus. Dass wir an einem Konzept arbeiten, das Substanz hat, das ist klar. Wir sind keine Bande von Amateuren. Aber wir sind auch nicht ein Trägerschaftskomitee eines Opernhauses, das darüber diskutiert, wie der neue Opernhausflügel auszusehen hat. Wir wollen die Organisation so klein, spontan, ehrlich und kontrovers wie möglich halten. Für mich geht es auch um Erfahrung. Erfahrung heisst, die Spuren nicht zu vergessen, die gelegt worden sind. Das ist etwas anderes, als in den Spuren zu gehen. Wenn wir über Dada reden, wecken wir die Erinnerung. Durch das Dada-Haus soll die Erfahrung rüberkommen. In einem Museum, in einem Keller, blockieren Sie das Gedächtnis und die Möglichkeit, Erfahrungen weiterzugeben.
Können Sie etwas konkreter werden und mir sagen, wie das Konzept, sehen wir von so allgemeinen Qualitäten wie Professionalität mal ab, aussehen wird? Ich frage mich noch immer, wie es Ihnen gelingen wird, einen Ort für Spontaneität und Selbstfindung zur schaffen, ohne dass alles in beliebiges Allerlei ausartet. Wie werden Sie die Leute zu Ungehorsam, zu Kreativität, zu Spontaneität inspirieren?
N. H. Sie unterstellen immer das Scheitern. Wenn wir jetzt schon über das Scheitern diskutieren würden, dann kämen wir dahin, wo wir sagen würden: «Das wird zu gross, das lassen wir lieber!». Dass es Stimmen gibt, die am Gelingen zweifeln und von der Gefahr des Scheiterns reden, ist nicht unser Problem. Ohne unsere Initiative gäbe es in der Spiegelgasse eine Apotheke oder eine Galerie, und das Projekt wäre schon vor sechs Monaten gestorben. Also, wir sind in Bewegung. Jetzt wundert’s mich, was Ihre Erwartung ist!
Dass Sie Ihre Erwartung umsetzen können. Deswegen wollte ich ja gerne Konkretes darüber hören. Aber Sie sagen immer nur: «Ich bleibe offen, ich bleibe kreativ». Sicher, jeder von uns will Kreativität, Dissidenz, will etwas anderes, will Dagegen-sein, möchte sich nochmals ausleben, spontan sein und so fort … da sind wir ja alle einer Meinung. Dennoch, braucht ein Dada-Haus nicht auch Pläne, die mehr Detail wagen?
N. H. Nein, Sie reden wie der Wirtschaftsredaktor im Wirtschaftsteil einer grossen Schweizer Tageszeitung. Sie wollen Konkretes. Fragen Sie sich selber, ob Sie neugierig sind oder ob Sie Konkretes haben wollen. Es tut mir leid, wenn ich Ihren Bedarf an Konkretem nicht befriedigen kann.
Mir scheint, als ob Sie mit dem Dada-Haus eine Art Dissidenzmaschinerie fürs Establishment bauen wollen. Ein Alibi für seine unausgelebte Sehnsucht nach dem Anderen.
N. H. Klären wir erst mal den Begriff «Establishment». Establishment hat nichts mit Reichtum zu tun. Es hat etwas mit der Akzeptanz der Normen zu tun, nicht damit, ob man ein guter Geschäftsmann ist oder nicht. Es gibt Leute aus dem Establishment, die aus schlechtem Gewissen, aus Alibifunktion oder aus Langeweile Kultur unterstützen – oder auch einfach aus Lust und weil es ihnen gefällt. Aber ich würde unterscheiden zwischen aktiver und passiver Unterstützung. Wenn Sie nicht einfach nur Bilder aufhängen, sondern wenn Sie mit den Künstlern zusammenarbeiten, sich mit dem Entstehungsprozess identifizieren und mit Geld dafür einsetzen, dann hat das nichts mit Alibi zu tun. Dann geht es um Engagement, um den Spass, die Lust und die Neugierde. Für mich ist Dada lebendig, es ist ein Beispiel, das über die Kunst hinausgeht; es betrifft die Gesellschaft und die Wirtschaft mehr als je; denn dort würde in jedem Bereich mehr Dadaismus wahnsinnig gut tun. Es ist so verkrustet, was passiert. Ich sehe wirklich eine Notwendigkeit, dass wir der Gesellschaft den Mut zur Spontaneität zurückgeben und auch das Recht, zu scheitern und Dinge zu produzieren oder zu machen, die vielleicht sinnlos erscheinen oder sind, die aber Spass machen.
J. S. Bei den Dadaisten gehörte ja von Anfang das Lampenfieber dazu, die Passage durch die Blamage. Du beginnst Dich vor einem Publikum auf der Bühne zu produzieren und dann beginnt Dich dieses Publikum zu hassen und buht Dich aus, weil Du Dinge machst, die es nicht versteht. Diese «rite de passage» ist eigentlich das, was mit dem Dada-Haus schon jetzt im Projektstadium wieder da ist. Einsetzen heisst auch, sich der öffentlichen Meinung aussetzen. Das geht nur über das persönliche Engagement. Und daher finde ich das Mäzenatentum, das von Herrn Hayek kommt, so spannend.
Die Dadaisten hatten ein Publikum, solange sie Tabus brachen. Welche Tabus können heutzutage noch gebrochen werden, um nach diesem Akt der Selbstbefreiung sich neu zu finden? Um sich auf der Bühne nackt auszuziehen, mit grossem Tatam und Trara ein Gedicht zu rezitieren oder mit Materialien aus dem Papierkorb eine Collage zu basteln, müssen keine Tabus gebrochen werden, dazu ist kein Dada-Haus mehr nötig.
J. S. Es sind à priori immer die gleichen: es sind die persönlichen Tabus. Man muss sich permanent befreien, denn man ist permanent Situationen ausgeliefert, die sich einem ungewollt entgegenstellen, die schrecklich sind, die böse sind, man muss Steuern zahlen und all diese Dinge. Das bleibt immer gleich, das sind die Konstanten. Die Initialgesten der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts zeigen noch heute Methoden auf, wie man sich davon befreien kann.
N. H. Ich bin nicht der Meinung von Herrn Steiner. Tabus haben sich verändert. Viele Tabus, ob richtig oder falsch, existieren nicht mehr. Ich denke, es gibt tatsächlich wieder neue Tabus, die wir aufbauen und es ist ein Problem, mit welcher Selbstverständlichkeit wir über gewisse Tabus hinweggehen. Machen wir jetzt Schluss. Wir haben viel gelacht. Es war erfrischend.
Nachtrag der Redaktion: Eine Konzeptskizze für Organisation, Betrieb, Programm und Umbau des Dada-Hauses wurde Anfang 2003 im Namen des «Komitees pro Dada-Haus» erarbeitet. Im Anschluss wurde im Auftrag der Stadt Zürich und der Swatch Group das detaillierte Vorprojekt unter der Leitung von Thomas Kramer, Kulturredaktor in Zürich, realisiert. Auf dieser Basis soll das Dada-Haus 2004 seinen Betrieb aufnehmen. Der Ball liegt zur Zeit beim Zürcher Gemeinderat, der Anfang September 2003 darüber befindet, ob die Stadt die Mietkosten für die Lokalität an der Spiegelgasse während der kommenden fünf Jahre übernimmt oder nicht.