Privatwirtschaft und Umweltschutz
Die Industrie bringt in internationalen Umweltverhandlungen ihre Erfahrung und ihr Wissen noch immer viel zu wenig zum Tragen. Wenn sich die Wirtschaft eine ihren Leistungen entsprechende effiziente Mitsprache sichern will, muss sie die dafür notwendige Kompetenz entwickeln. Nur so kann der Gegensatz zwischen Wirtschaft und Umweltschutz schliesslich überwunden werden.
In den letzten 30 Jahren hat die internationale Staatengemeinschaft insgesamt etwa 100 globale und regionale Umweltverträge ausgehandelt, welche die Zusammenarbeit in Bereichen wie Handhabung gefährlicher Abfälle und Chemikalien, Bekämpfung der Verschmutzung von Meeren, Schutz des Klimas und der Ozonschicht, Schutz von Artenvielfalt und Ökosystemen sowie Handhabung genetisch modifizierter Organismen regeln. Da diese Verträge unter anderem international gültige Umweltstandards für Produktion und Handel festlegen, haben sie ganz konkrete Auswirkungen auf die Tätigkeit privater Unternehmen, die der Hoheit eines oder mehrerer Parteistaaten unterstehen. Dies gilt besonders für international tätige Grossfirmen, vor allem in Bereichen wie Chemie und Biotechnologie. Betroffen sind aber auch industrielle Betriebe ohne Auslandbeziehungen; denn internationale Umweltverträge legen Auflagen und Grenzwerte fest, die für Produktionsprozesse massgebend sind (s. Tabelle). Wenn die Schweiz solchen Verträgen beitritt, werden deren Bestimmungen in die schweizerische Gesetzgebung übernommen und müssen von einheimischen Betrieben eingehalten werden.
Völkerrechtliche Verträge werden von der internationalen Staatengemeinschaft ausgehandelt und im Rahmen von Vertragsparteikonferenzen durch die Staaten regelmässig weiterentwickelt. Gerade im Umweltbereich hat sich jedoch die Praxis eingebürgert, nichtstaatliche Akteure, wie Umweltorganisationen und Wirtschaftsverbände, als Beobachter zuzulassen, damit sie ihren Standpunkt und ihr Fachwissen beisteuern können. In einer Atmosphäre, die stark von Interessengegensätzen und Ideologien geprägt ist, hat das Lobbying durch nichtstaatliche Interessengruppen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Die Privatwirtschaft jedoch hat – anders als die Umweltverbände, die sich schon früh und mit Erfolg in die einschlägigen Verhandlungen eingeschaltet haben – in den vergangenen Jahrzehnten diese Gelegenheit nur zögernd wahrgenommen.
Traditionell war das Interesse der Wirtschaft für Umwelt und Nachhaltigkeit gering. Diese Themen wurden allgemein mit «grünen» Nichtregierungsorganisationen in Verbindung gebracht. Dies hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Die meisten international tätigen Grossfirmen haben heute eine Nachhaltigkeitsstrategie und publizieren regelmässig Nachhaltigkeitsberichte. Der Dow Sustainability Index bestimmt die Sustainability Leaders der verschiedenen Branchen. Es werden Nachhaltigkeitsstiftungen gegründet und Nachhaltigkeitspreise verliehen. Zudem engagieren sich viele multinationale Unternehmen in Projekten für Umwelt und Nachhaltigkeit in ihren diversen Standortländern. Schätzungen zufolge übertreffen beispielsweise die Ausgaben des Privatsektors für Wasserprojekte in Entwicklungsländern die gesamten Investitionen der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bereich.
Für dieses Engagement gibt es viele Beispiele. Ein in der Getränkeproduktion tätiger multinationaler Konzern hat vor einigen Jahren an einem Standort in Südamerika in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden ein Schutzgebiet im Einzugsgebiet des Flusses errichtet, von dem der Betrieb sein Wasser bezieht. Damit ist sowohl die Wasserqualität für den Betrieb und die umliegenden Dörfer als auch der Schutz des Ökosystems gewährleistet. Mit solchen und ähnlichen Projekten leisten Firmen einen Beitrag zum Umweltschutz und tragen gleichzeitig zu ihrem «Nachhaltigkeitsimage» bei. Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Entwicklungsbehörden im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich ist ebenfalls ein Thema, dem in Wirtschaftskreisen immer mehr Beachtung geschenkt wird. Der World Business Council for Sustainable Development hat 2004 einen Leitfaden für Firmen publiziert, die mit Entwicklungsinstitutionen zusammenarbeiten wollen. Das World Economic Forum lancierte 2003 eine Wasserinitiative, die Partnerschaften zwischen privaten und öffentlichen Akteuren zum Schutz und der nachhaltigen Nutzung von Wasserressourcen weltweit unterstützt. Unter der Ägide der Basler Konvention über gefährliche Abfälle arbeiten staatliche Institutionen und führende Hersteller von Mobiltelefonen gemeinsam an einem Plan für die umweltgerechte Entsorgung ausgedienter Handys.
Das Engagement des Privatsektors in internationalen Umweltverhandlungen hat bisher mit solchen Entwicklungen nur beschränkt Schritt gehalten. Dabei liegt die Teilnahme von Firmen und Industrieverbänden nicht nur in deren eigenem Interesse, sondern ist auch für den Ausgang der Verhandlungen nutzbringend. Die einschlägige Industrie verfügt über umfassende Sachkenntnisse und kann dazu beitragen, dass ein Vertragswerk entsteht, das dann auch praktisch umsetzbar ist. Als positives Beispiel ist hier die erfolgreiche internationale Haftpflichtregelung für Meeresverschmutzung durch Öl zu nennen, die auf einem bereits bestehenden freiwilligen System der Öltransportindustrie aufbaute. Ein negatives Beispiel ist das Haftpflichtprotokoll zur Basler Konvention über gefährliche Abfälle, bei dessen Erarbeitung die Versicherungsindustrie nicht genügend einbezogen wurde und das deshalb ein Haftpflichtsystem vorsieht, das in vielen Ländern nicht versicherbar ist. Es ist bis heute nicht in Kraft getreten.
Wie können Firmen und ihre Verbände auf dem internationalen Parkett eine Rolle spielen? Der Beobachterstatus in den Verhandlungen eröffnet eine ganze Reihe von Mitwirkungsmöglichkeiten, die von Umweltverbänden längst erfolgreich genutzt und auch von Firmen und Industrieverbänden zunehmend erkannt werden. Die interessierten Branchen können zum Beispiel gemeinsame Positionen zu einem Thema erarbeiten. Als Beobachter können sie an den Debatten teilnehmen und diese Positionen darlegen. Oft haben Staaten wie auch Beobachter Gelegenheit, vorgängig einer Verhandlungsrunde schriftliche Eingaben zum jeweiligen Verhandlungsgegenstand zu machen. Zudem können Broschüren und Flugblätter aufgelegt werden. Direkte informelle Kontakte mit Länderdelegationen während der Verhandlungen sowie die Organisation von Rahmenveranstaltungen in den Verhandlungspausen bieten weitere wichtige Einflussmöglichkeiten. Workshops auf Länderebene, in denen mit Vertretern nationaler Behörden und der Zivilgesellschaft die konkreten Auswirkungen einer geplanten internationalen Regelung diskutiert werden, sind ein innovatives Mittel, um Industriepositionen den direkt Betroffenen nahezubringen.
Es gehört allerdings etwas Mut dazu, in Verhandlungsprozessen als Industrievertreter aufzutreten. In diesen Kreisen ist die Meinung noch immer verbreitet, die Privatwirtschaft wirke generell dem Umweltschutz entgegen und sei bereit, Mensch und Umwelt in Entwicklungsländern dem Profit zu opfern. Deshalb begegnet man Industrievertretern zum Teil mit offener Ablehnung. Auch Delegierte «gemässigter» Staaten meiden oft den Kontakt zu ihnen aus Angst, als «industrienahe» eingestuft zu werden. Viele Manager scheuen diese Konfrontation. Dies ist sicher mit ein Grund, weshalb die Erfahrung und das Wissen der Industrie in internationalen Umweltverhandlungen noch immer zu wenig Eingang findet.
Für eine effiziente und erfolgreiche Teilnahme sind internationale Verhandlungserfahrung, Kenntnis des jeweiligen Prozesses, Konfliktfähigkeit und diplomatisches Fingerspitzengefühl unerlässlich. Statt einer Teilnahme einzelner Firmen kann es deshalb sinnvoll sein, wenn die betroffenen nationalen und internationalen Branchenverbände ihre Interessen in den sie tangierenden Verhandlungen durch entsprechend qualifizierte Personen wahrnehmen lassen.
Wie auch der erwähnte Leitfaden des World Business Council for Sustainable Development festhält, ist es an der Zeit, die einst unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Wirtschaft und Umweltschutz endgültig zu überwinden. Das Potential für eine gewinnbringende Zusammenarbeit kann und soll auch international genutzt werden.
Internationale Umweltverträge mit konkreten Auswirkungen für die Industrie:
Einschränkungen bzw. Auflagen für den internationalen Handel
• Basler Konvention (1989): Gefährliche Abfälle, einschliesslich rezyklierbare Abfälle wie Schwermetalle
• Rotterdamer Konvention (1998): Industriechemikalien und Pestizide
• Protokoll von Cartagena (2000): Genetisch modifizierte Organismen
Pflicht zur sukzessiven Elimination bestimmter Substanzen
• Protokoll von Montreal (1987): Ozonschädigende Substanzen wie FCKWs und Halone
• Konvention von Stockholm (2001): Schwerflüchtige organische Schadstoffe wie PCBs und DDT
Grenzwerte für die Emission bestimmter Substanzen
• Protokoll von Kyoto zur Klimakonvention (1997): Treibhausgase wie CO2 und Methan
• Europäische Konvention über grenzüberschreitende Luftverschmutzung (1979) und Zusatzprotokolle: Schwefel, Stickoxid, flüchtige organische Verbindungen, schwerflüchtige organische Schadstoffe, Schwermetalle, Stickstoff, Ammoniak
Katharina Kummer Peiry, geboren 1960, promovierte in Rechtswissenschaften an der Universität London. Sie ist Inhaberin des Beratungsbüros Kummer EcoConsult (www.ecoconsult.ch) und Lehrbeauftragte für internationales Umweltrecht an der Universität Bern.