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Private Firmen haben das Nachsehen
Peter Morf, zvg.

Private Firmen haben das Nachsehen

Der Staat wird zunehmend in funktionierenden Märkten aktiv. Das führt zu Verzerrungen zulasten der Privatwirtschaft.

 

«Der Staat ist zu gross, zu unübersichtlich geworden, er regiert an sich und ohne wirksame Kontrolle.» Nein, das Zitat stammt nicht von einem Corona-Massnahmenskeptiker, sondern vom Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, der den Satz 1966 in einem Gespräch zum Nationalfeiertag sagte. Die Klagen über den ausufernden Staat sind also alles andere als neu. Trotzdem sollen sie heute zu erhöhter Sorge Anlass geben. Umso mehr, als der wachsende Staatseinfluss auf die Wirtschaft im Grundsatz dem Artikel 94, Absatz 1 der Bundesverfassung zuwiderläuft. Dort steht: «Bund und Kantone halten sich an den Grundsatz der Wirtschafts­freiheit.» Mehr Staatseinfluss heisst weniger Wirtschaftsfreiheit.

Das Wachstum des Staates lässt sich zunächst an den rund 40 000 Angestellten des Bundes ablesen. Neben ihnen haben dabei Betriebe wie Swisscom, Post, SBB, Skyguide und Ruag einen genaueren Blick verdient. 2020 beschäftigten diese fünf Unternehmen zusammen gut 110 000 Mitarbeiter und realisierten einen Umsatz von rund 29 Milliarden Franken. Dabei könnten diese Unternehmen problemlos privatisiert und dem Wettbewerb ausgesetzt werden – mit Ausnahme des Infrastrukturteils der SBB sowie allenfalls des Flugsicherers Skyguide. Das Schienennetz der Bahnen kann als natürliches Monopol bezeichnet werden, das sich Privatisierung und Wettbewerb weitgehend entzieht. Hinzu kommt, dass mit der Landwirtschaft eine ganze Branche am staat­lichen Tropf hängt.

Geht man in der föderalen Struktur eine Stufe nach unten, zu den Kantonen, zeigt sich neben den direkten Beschäftigten ein Mehrfaches jener des Bundes, das Phänomen von Unternehmen, die ganz oder teilweise in kantonalem Besitz, aber in funktionierenden Märkten aktiv sind. Paradebeispiel dafür sind die Kantonalbanken als direkte Konkurrenten der Geschäftsbanken. Fast alle Kantonalbanken profitieren heute nach wie vor von einer Staatsgarantie, die zu einem anderen Risikoprofil als bei den privaten Geschäftsbanken führt.

Gemäss einer Studie des Beratungsunternehmens ­Polynomics aus dem Jahr 2017 hielten die Kantone rund 800 Beteiligungen an über 500 Unternehmen. Die Branchenpalette ist breit: Die Beteiligungen reichen von Energie- und Versorgungsunternehmen über Verkehr und Transport, Versicherungen, Gesundheit, Bildung und Informatik bis hin zu Finanzen. Die Liste liesse sich verlängern.

Noch unübersichtlicher präsentiert sich das Beteiligungsgeflecht auf der Ebene der Gemeinden. Dazu gibt es keine zuverlässige Übersicht. Viele Gemeinden sind etwa im Wohnungsbau und der Vermietung aktiv. Als Ziel formuliert wird die Bereitstellung von günstigem Wohnraum. Gerade in jüngster Zeit haben etliche Städte, wie etwa Lausanne, Bern oder Zürich, zig Millionen Franken bereit­gestellt, um im Immobilienmarkt aktiv zu werden. Zudem verfügen viele Gemeinden über eigene Tiefbauunternehmen, sind im Gastgewerbe mit eigenen Restaurants aktiv oder halten sich eigene Weingüter oder ­-kellereien. Die Kantone und Gemeinden werden so in immer mehr Bereichen zu Unternehmen, die private Akteure konkurrieren oder im schlimmsten Fall gar aus dem Markt drängen.

Der Fall BKW

Zwei konkrete Beispiele mögen dies verdeutlichen. Die BKW, die Bernischen Kraftwerke, haben sich über die vergangenen Jahre hinweg in mehreren funktionierenden Märkten engagiert. Die BKW gehören zu 52 Prozent dem Kanton Bern, sie sind mit dem Segen des Eigentümers in funktionierende, private Märkte eingedrungen.

So sind zwei neue Konzernbereiche entstanden, die ­direkt nichts mehr mit dem Urzweck der BKW, Produktion und Verteilung von Elektrizität, zu tun haben. Da ist der Bereich der Building Solutions, der in den Sparten Heizung, Lüftung, Klima, Elektro, IT und Automation aktiv ist. Der Bereich umfasst rund 50 Einzelunternehmen, die in den vergangenen Jahren zugekauft worden sind. Hinzu kommt das Engineering mit ebenfalls rund 50 Unternehmen.

Massiv expandiert haben die BKW unter anderem im Markt der Elektroinstallationen, einem Teilbereich der ­Gebäudetechnik. Dieser Markt ist kleinteilig und bietet vielfältige Akquisitionsmöglichkeiten. Und genau in diesem Bereich sind Verzerrungen entstanden. Die BKW ­zahlen zum Teil überhöhte Preise für Übernahmen. Potentielle private Investoren werden so benachteiligt. Sie können nicht mehr mithalten.

Die BKW erzielen in diesem Teilmarkt einen Anteil von schweizweit schätzungsweise fünf bis sechs Prozent des Umsatzes. Zusammen mit den Centralschweizerischen Kraftwerken (CKW) und kleineren Elektrizitätswerken, die auch im Installationsmarkt aktiv geworden sind, befindet sich ein Marktanteil von schätzungsweise rund zehn Prozent in der öffentlichen Hand. Der private Marktleader Burkhalter kommt ebenfalls auf einen Anteil von gegen zehn Prozent.

Fast noch heikler und ganz sicher komplexer ist der Bereich der Informatik. Hier stellen staatliche Verwaltungen Leistungen in erster Linie für den Eigenbedarf bereit. Gleichzeitig werden die Leistungen zum Teil aber auch ­privaten oder halbprivaten Kunden angeboten, um die Grenzkosten zu senken. Damit aber wird der private Markt beeinträchtigt. Der nächste Schritt ist die Beteiligung einer staatlichen Verwaltung an privaten IT-Unternehmen. Das geht so weit, dass sich einige Kantone eigene Informatikunternehmen geschaffen haben, die als Konkurrenten auf privaten Märkten aktiv werden. Das gilt etwa für die Bedag Infor­matik im Eigentum des Kantons Bern oder für Abraxas ­Informatik der Kantone Zürich und St. Gallen.

Exklusive Vorteile

Nun kann man einwenden, was denn daran so schlimm sei, Konkurrenz belebe doch das Geschäft. Das ist im Grundsatz zwar richtig. Nur: Ganz oder halb staatlich beherrschte Unternehmen profitieren von Vorteilen, die Private nicht haben. Es war sinnigerweise der Bundesrat selbst, der in dieser Hinsicht auch nicht über alle Zweifel erhaben ist, der eine Auslegeordnung der möglichen Wettbewerbsverzerrungen machte. In seinem Bericht zu zwei parlamentarischen Vorstössen von 2017 1 deckte er die problematischen Wirkungen auf.

Demnach profitieren die staatlich beherrschten Unternehmen in Bereichen der Regulierung und Besteuerung von Privilegien. So unterliegen etwa die Lastwagen der Post nicht dem Nachtfahrverbot. Und die entsprechenden Unternehmen profitieren oft von Informationsvorteilen. Gemeint sind etwa der Zugriff auf Kundendaten oder die Kenntnisse von Staatsvertretern im Verwaltungsrat. Der Staat ist zudem, und das ist besonders heikel, meist in mehreren Funktionen gleichzeitig tätig. Er ist oft nicht nur Eigner des Unternehmens, sondern auch noch Regulator und Aufsichtsbehörde in einem – Interessenkonflikte sind programmiert.

Ein weiterer grosser Vorteil für staatliche oder halbstaatliche Unternehmen ergibt sich in der Finanzierung. Besonders klar ist dies etwa bei der Staatsgarantie der ­Kantonalbanken. Sie führt für die betreffenden Institute zu einem höheren Kreditrating als für vergleichbare private Banken. In lebhafter Erinnerung bleiben die «Too big to fail»-Debatte nach der Finanzkrise 2008/09 und die ­Rettung der UBS durch die Eidgenossenschaft. Da ist die implizite Staatsgarantie für vermeintlich oder echt systemrelevante Unternehmen zum Tragen gekommen.

Schliesslich finden in Staatsunternehmen oft Quersubventionierungen statt – aus einem geschützten Monopol in einen ungeschützten Bereich, oder auch umgekehrt. In beiden Fällen wird die Wettbewerbsposition des staatlichen Unternehmens vis-à-vis dem privaten verbessert.

Derartige Wettbewerbsverzerrungen reduzieren grundsätzlich die Effizienz der Märkte. Die Innovationsanreize schwinden, dafür steigen die Preise. Das führt zu einer Wohlstandseinbusse, die allerdings kaum exakt zu beziffern ist. Gesunde private Unternehmen können aus dem Markt gedrängt werden, was in letzter Konsequenz zu einer Monopolisierung des Marktes führen kann.

Liberale Forderungen

Aus liberaler Sicht sind zwei wichtige Forderungen zu stellen: Erstens ist Transparenz über staatliche Beteiligungen in der Privatwirtschaft herzustellen. Betroffen sind da insbesondere die Kantone und Gemeinden: Bis heute ist das Ausmass ihrer Aktivitäten in privaten Märkten im Detail kaum bekannt.

Zweitens hat sich die öffentliche Hand grundsätzlich aus Märkten mit funktionierendem Wettbewerb zurückzuziehen. So ist etwa nicht einzusehen, warum der Monopolbetrieb Post mit Postfinance eine eigene Bank braucht. Ebenso wenig ist einleuchtend, warum Swisscom immer noch mehrheitlich im Besitz der Eidgenossenschaft ist. Es gibt dafür keinen sachlichen Grund. Auch der Bau und die Vermietung von Wohnungen durch die öffentliche Hand lassen sich nicht rechtfertigen, das ist keine öffentliche Aufgabe. Das gilt natürlich auch für die unzähligen Restaurants im Besitz von Gemeinden oder für die schon genannten Weingüter.

Erst wenn sich der Staat aus diesen Sektoren zurückzieht, die Liste ist keineswegs abschliessend, kann sich die Wirtschaft in Richtung effizienterer Märkte wie auch der Bundesverfassung entwickeln. Die Freiheit, und mit ihr die Wirtschaftsfreiheit, geniesst in der Verfassung einen hohen Stellenwert. Von wachsendem Engagement des Staates hingegen ist nirgends die Rede. Die Politiker sollten sich dessen wieder vermehrt bewusstwerden – und entsprechend handeln.

  1. «Staat und Wettbewerb. Auswirkungen staatlich beherrschter Unternehmen auf Wettbewerbsmärkte», 8. Dezember 2017, http://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/50761.pdf

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