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Pragmatiker, Zweifler und ökonomische Ingenieure

Mit der wachsenden Einsicht in die unvermeidliche demographische Entwicklung hat auch in der Schweiz eine breite Debatte über die Zukunft (oder eher das Ende) des Wohlfahrtsstaates eingesetzt. Die Linke tendiert dabei nach wie vor zur Verdrängung der Alterungsproblematik, träumt – zum Teil gegen besseres Wissen – von unrealistischen Produktivitätsfortschritten bzw. Wachstumsraten und spielt sich populistisch […]

Pragmatiker, Zweifler und ökonomische Ingenieure

Mit der wachsenden Einsicht in die unvermeidliche demographische Entwicklung hat auch in der Schweiz eine breite Debatte über die Zukunft (oder eher das Ende) des Wohlfahrtsstaates eingesetzt. Die Linke tendiert dabei nach wie vor zur Verdrängung der Alterungsproblematik, träumt – zum Teil gegen besseres Wissen – von unrealistischen Produktivitätsfortschritten bzw. Wachstumsraten und spielt sich populistisch als Verteidigerin der Besitzstandswahrer gegen die liberalen «Sozialabbauer» auf. Diese Haltung ist besonders problematisch, weil einiges darauf hindeutet, dass die Effekte der demographischen Verschiebung sowohl quantitativ als auch qualitativ eher unterschätzt werden. Auch in der Schweiz gehen die offiziellen Szenarien tendenziell von vergangenheitsorientierten und damit zu günstigen Prognosen aus.

Auf der Seite der Reformer sind, grob vereinfacht, drei Stossrichtungen auszumachen. Die ökonomischen und politischen Pragmatiker versuchen die Parameter der sozialstaatlichen Umverteilung so zu verändern, dass die Renten- und Versicherungssysteme nicht zusammenbrechen, wenn schon ab 2010 die Masse der Babyboom-Generation in deren Genuss kommen wird. Weil unter den Bedingungen der Globalisierung sich weder die Arbeitskosten erhöhen lassen, noch das «Kapital eine weitere ausufernde Umverteilung finanzieren wird» (Hans Werner Sinn), läuft dies auf eine Einschränkung der Leistungen hinaus. Dazu gehören die Erhöhung des gesetzlichen, vor allem aber des faktischen Rentenalters oder andere Einschränkungen des Bezugs von Leistungen (Stichwort Lebensarbeitszeit), der Verzicht auf automatische Rentenerhöhungen (oder umgekehrt die Koppelung der Rente an eine demographische Nachhaltigkeitsformel), die konsequente Anwendung des Beitragsprimats etc. Das Schicksal der 11. AHV-Revision wie auch das Drama der deutschen Rentenreform zeigen aber, dass selbst solch geringfügige Anpassungen auf heftigsten Widerstand stossen. Dieser betrifft weniger konkrete Leistungen als das Prinzip angeblich wohlerworbener und unantastbarer Ansprüche auf staatliche Leistungen. Ironischerweise scheinen gerade diejenigen, die den westeuropäischen Wohlfahrtsstaat, wenn auch auf niedrigerem Niveau, retten wollen, an seinen ideologischen Verteidigern zu scheitern.

Für die grundsätzlichen Zweifler an der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung birgt der demographische Druck die Chance, Grundsätzen wie Selbstverantwortung, Subsidiarität und Bedürftigkeitsprinzip zu neuem Gewicht zu verhelfen. Der Weg dazu führt weniger über die Reform einzelner wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen als über die Einschränkung der öffentlichen Haushalte. In der Tat zeigen Negativbeispiele wie die Entwicklung der Invalidenversicherung, dass die Systeme der sozialen Sicherung als kommunizierende Röhren funktionieren: wenn es bei der Pensionskasse nichts (mehr) gibt, lässt sich vielleicht bei der Invalidenversicherung etwas holen. Die Zweifler können sich deshalb darauf konzentrieren, Steuer- und Abgabenerhöhungen zu bekämpfen; der deutliche Abbau der sozialstaatlichen Leistungen ergäbe sich dann automatisch durch die steigende Zahl der Bezüger, die ihre Vorsorge und Versicherung wieder stärker in die Hand nehmen würden. Im Tauziehen um die öffentlichen Haushalte zeigt sich aber ein anderer Trend: die wahl- und abstimmungsrelevanten älteren Jahrgänge, die ja auch im Parlament recht gut vertreten sind, werden geschont, die «starve the beast»-Strategie trifft – nachdem die Friedensdividende nun endgültig verteilt ist – die Investitionen und die Bildung, erfolgt also zulasten der jüngeren Generationen.

Die eskalierenden Transfers von Jung-Arm zu Alt-Reich haben – nach dem Scheitern der wohlfahrtsstaatlichen Pragmatiker und der Zweifler am Wohlfahrtstaat – nun einen dritte Gruppe von Reformern auf den Plan gerufen: die ökonomischen Ingenieure. Ihr Ansatzpunkt ist die extreme Unübersichtlichkeit der Umverteilungsmaschinerie à la Tinguely, ihr Rezept der totale Neubau, ihre Hoffnung die Effizienzgewinne, aus denen sich ceteris paribus die notwendigen Sozialtransfers finanzieren liessen. Auch wenn man den Aspekt der politischen Realisierung zu Recht vollkommen ausser acht lässt, stellt sich aber die Frage, ob in Gesamtentwürfen à la Paul Kirchhoff oder Manfred Rose oder eben jetzt Markus Schneider die möglichen Effizienzgewinne nicht über-, die moral hazards erheblich unterschätzt werden. Der angestrebte Neubau könnte am Ende noch grösser geraten als unser vielfältig geflickter und in alle Richtungen erweiterter Umverteilungs-Palast.

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