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«Politisch ist auch das Kleine wichtig»
Tito Tettamanti, zvg.

«Politisch ist auch das Kleine wichtig»

Der Tessiner Financier über Geld als Geist, die Pandora Papers und seine philanthropischen Aktivitäten.

 

Herr Tettamanti, in der Schweizer Öffentlichkeit gelten Sie als einer der letzten eingefleischten Kapitalisten. Verschenken Kapitalisten Geld?

Ich vermute, dass Kapitalisten nicht dazu tendieren, Geld zu ­verschenken, sondern ihr Vermögen vernünftig – auch für die ­Gesellschaft – arbeiten lassen.

Was ist ein guter Philanthrop und was ein schlechter?

Das ist schwierig zu beantworten: Philanthropie ist per se gut und sollte gut gemeint sein. Selbstverständlich kann sie effizient oder weniger effizient betrieben werden. Auch können sich die gesetzten Ziele und die erreichten Erfolge stark unterscheiden.

Was ist Ihre Motivation, Geld zu geben? Aus welchen Gründen sind Sie philanthropisch tätig?

Ich komme aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Da meine drei Töchter kein Interesse hatten, meine unternehmerische Tätigkeit weiterzuverfolgen, habe ich schon vor dreissig Jahren im Ein­verständnis mit ihnen und meiner Ehefrau entschieden, dass es korrekt wäre, einen Grossteil meines Vermögens an die Gesellschaft und ihr System zurückzugeben. Sie sind es, die mir erlaubt haben, mein Vermögen zu erwirtschaften.

Sie sprechen vom marktwirtschaftlichen System der Schweiz?

Ja, aber nicht nur.

Über Ihre eigene Erziehung sagten Sie 2008 im «Schweizer Monat»: «Die Familie war sehr intakt, aber Sie müssen wissen, dass ich Einzelkind war. Ich bin der typische egoistische Individualist. Einzelkinder haben oft Mühe zu teilen. Wenn ich teile, so tue ich dies aus Über­zeugung, verspreche mir einen Nutzen davon.» Ist das Ihr Grund­verständnis von Philanthropie?

Ich war, bin und bleibe ein gesunder, vernünftiger Egoist, wie fast alle von uns. Der Unterschied ist, dass ich geständig bin. Vielleicht hat das etwas zu tun mit den interessanten Ideen von Charles ­Darwin. Egoismus verbietet jedenfalls nicht, Philanthropie zu ­be­treiben, und diese befördert den Aufbau einer harmonischen Gesellschaft, die menschliche Bedürfnisse nicht vergisst. Gesunde Egoisten schätzen die Vorteile der Harmonie.

«Ich war, bin und bleibe ein gesunder, vernünftiger

Egoist, wie fast alle von uns. Der Unterschied ist,

dass ich geständig bin.»

«Der Mann, der reich stirbt, stirbt in Schande», behauptete der ­US-Stahltycoon Andrew Carnegie im 19. Jahrhundert. Was bedeutet es Ihnen, Geld zu besitzen?

Sich die Frage zu stellen, was Geld ist und wofür es nützlich ist. Als ich 1993 von der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften angefragt wurde für einen Vortrag über das Thema «Geld und Geist», stellte ich die These auf, dass Geld eine der besten Erfindungen des Geistes sei und in diesem Sinn angewendet werden sollte. Es ist ein Mittel, das bei der Verwirklichung von menschlichen Zielen hilft. Geld ist Geist, ja, es ist eine der wichtigsten und originellsten Schöpfungen des Geistes.

Warren Buffett und Bill Gates haben sich der «Giving Pledge» angeschlossen, einem öffentlichen Commitment, den Grossteil des eigenen Reichtums an die Philanthropie zu übergeben – würden Sie da auch beitreten?

Nein, aus dreizehn Gründen: erstens, weil ich bei weitem nicht das Vermögen eines Buffetts oder Gates’ besitze. Die anderen 12 Gründe sind nicht so wichtig. Spass beiseite, ich habe für mein Vermögen eine Lösung gefunden, die auf mich zugeschnitten und meinen Mitteln angepasst ist.

Im Jahr 1960 haben Sie im Alter von 30 Jahren Fidinam gegründet. Anfang Oktober war die Beratungsfirma in den Medien: Berichtet wurde mit Informationen aus einem Datenleck namens Pandora ­Papers über das Verhalten der Firma. Herausgekommen ist dabei, dass Fidinam gesetzestreu gehandelt hat. Wie haben Sie das aufgenommen?

Das ist eine kalte Suppe. Vor zehn Jahren waren es die Panama ­Papers und vor fünf Jahren die Paradise Papers, dieses Mal eben die Pandora Papers. Der Grund für die Publikation dieser Leaks ist zu suchen in linken und staatlich gelenkten Strömungen, die ganz allgemein gegen den Wettbewerb zwischen Systemen sind. Sie wollen verhindern – und deswegen auch gesetzlich verbieten –, dass ein Land, das besser geführt wird als ein anderes, die Möglichkeit wahrnimmt, seine Bürger nicht so massiv zu besteuern wie ein anderes. Es gibt Geldgeber, die Journalisten finanziell unterstützen für eine Kampagne, die den Moralismus (nicht die Moral) über das Gesetz stellt. So werden gesetzlich erlaubte Mittel, um eine Steuerverminderung zu erreichen – und darum handelt es sich –, kritisiert aus moralistischen Überlegungen. Das sind ­Beweggründe, die auf sehr wackliger Grundlage stehen. Denn von wem, frage ich, werden diese Standards festgelegt? Dieselben Moralisten schämen sich nicht, gestohlene Dokumente für ihre Kampagnen zu benutzen. Es ist im Grunde die gleiche Moral wie bei der Hehlerei von Steuerdokumenten seitens deutscher Behörden, die – man staune – nicht als Verbrechen angesehen wurde. Steht der Staat über den Gesetzen? Das erinnert mich an gefähr­liche Theorien des letzten Jahrhunderts.

Sie sind Stiftungsratspräsident der gemeinnützigen Fidinam Stiftung, die in den letzten zehn Jahren – zusammen mit ihrer Schwester­organisation Fidinam International Charity Foundation – insgesamt 14 ­Millionen Schweizer Franken gespendet hat. Was fördern Sie, was nicht? Was liegt Ihnen am Herzen?

Die ersten Jahre waren wir sehr vorsichtig in der Vergabe, weil auch Philanthropie erst einmal gelernt werden muss. Die Ziele der Stiftung – Bildung und Kultur, Gesundheit, Armutsbekämpfung und Förderung der Marktwirtschaft – liegen mir am Herzen. Wir können uns im Tessin dank unserer bescheideneren Grösse auch um Anträge kümmern, die nur relativ kleine Summen anfragen. Wie bei den Unternehmungen gibt es auch bei den Stiftungen die «Multis» und die KMU – wir zählen uns zu letzteren.

«Egoismus verbietet jedenfalls nicht, ­Philanthropie zu betreiben,

und ­diese ­befördert den Aufbau ­einer ­harmonischen Gesellschaft,

die ­menschliche ­Bedürfnisse nicht ­vergisst.

Gesunde ­Egoisten schätzen die Vorteile der ­Harmonie.»

Wie gehen Sie vor?

Wir beurteilen die Gesuche von Fall zu Fall, ob sie unseren Zielen entsprechen sowie nach Wichtigkeit und Dringlichkeit. Bei Anfragen seitens Stiftungen, NGO oder anderer Institutionen schauen wir auch auf die Bilanzen, und wenn wir sehen, wie es manchmal ­passiert, dass 20 oder 30 Prozent der Einnahmen den Strukturkosten gewidmet sind, beeinflusst uns das negativ.

Müssen Stiftungsräte gratis arbeiten?

Ohne weiteres, bei uns ist das ein Must. Die Bearbeitung der einzelnen Gesuche wird von unserer Vizepräsidentin ad honorem ­gemacht und das Sekretariat wird von der Fidinam SA gespendet. Damit fliessen 100 Prozent des Geldes zugunsten der Antragsteller. Selbstverständlich muss man einen Unterschied machen zwischen KMU-ähnlichen Stiftungen wie unserer und Stiftungen, die in die Milliarden gehen und die ohne Strukturen unmöglich zu führen wären.

Was für Projekte unterstützen Sie konkret?

Konkret haben wir im kleineren Rahmen zum Beispiel Laientheater unterstützt, lokale Kinderbetreuung sichergestellt, während der Pandemie bedürftige Personen beim Einkauf und mit der Verteilung von Lebensmitteln unterstützt, Nachhilfestunden für Schüler ermöglicht – es sind Projekte, die dem gemeinschaft­lichen Leben in verschiedenen Ortschaften zugutekommen. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine Hilfe zur Ent­faltung der Zivilgesellschaft in Gemeinden und in der Region und somit indirekt um eine Unterstützung der direkten Demokratie. Politisch ist auch das Kleine wichtig.

Über welche Erfolge Ihres finanziellen Engagements haben Sie sich ­besonders gefreut?

Wir wollen und können mit unseren bescheidenen Mitteln die Welt nicht verändern, aber auch das Meer besteht aus vielen kleinen Tropfen Wasser. Ein Erfolg war die Einführung eines Lehrstuhls in Humanitarian Logistics an der Università della Svizzera Italiana (USI) in Lugano dank unserer Unterstützung. Das Ziel ­dieser Initiative ist es, Leute aus unterentwickelten Ländern zu schulen und ihnen Kompetenzen zu vermitteln, so dass sie im Katastrophenfall vor Ort richtig intervenieren können. Wir wissen, dass etwa im Fall einer Naturkatastrophe in einem sich entwickelnden Land die allgemeine Generosität geweckt wird, zum Beispiel in Europa. Ein Teil der Schenkungen jedoch geht schon in Europa verloren oder wird gestohlen, während ein anderer Teil aufgrund des Mangels an fähigen Leuten an Ort und Stelle verschwendet wird. Durch den erwähnten Master verfügen heute ­sicher einige hundert Leute aus sich entwickelnden Ländern über die notwendigen Kompetenzen. Das entspricht meiner Überzeugung: Die Hilfe soll an Ort und Stelle stattfinden.

«Wenn wir mehr ­Subsidiarität möchten, benötigen wir mehr

Abzugsmöglichkeiten im Rahmen der Steuererklärung. Das motiviert

dazu, das Geld nicht als Ersparnis zu halten,

sondern wieder zugunsten einer ­Unterstützung

von ­Bedürftigen in den ­Verkehr zu setzen.»

Was soll der Staat machen, was die Philanthropie? «Wir müssen nur den perfekten Staat bauen, dann braucht es keine Philanthropie», behaupten die Linken.

Diese Einstellung ist falsch und von der Ideologie behaftet. Stiftungen sind auf globaler Ebene aus mehreren Gründen ausser­ordentlich wichtig. Sie stellen erstens Geld zur Verfügung, ohne die öffentlichen Bilanzen zu belasten. Sie sind zweitens viel mobiler als Staaten, entscheiden rasch und sparen die Kosten der ­bürokratischen Vermittlung ein. Und sie bemühen sich drittens auch um Fälle, die für Staaten – auch aus klientelistischen Gründen – keine Priorität darstellen.

Gemeinnützige Stiftungen und Zuwendungen sind steuerlich ­begünstigt – zu wenig oder zu viel?

Wenn wir mehr Subsidiarität möchten, benötigen wir mehr Abzugsmöglichkeiten im Rahmen der Steuererklärung. Das motiviert dazu, das Geld nicht als Ersparnis zu halten, sondern wieder zugunsten einer Unterstützung von Bedürftigen in den Verkehr zu setzen. Noch dazu sind die Abzüge sehr wichtig für die Stiftungen, die sich durch öffentliche kleine Spenden finanzieren.

Ist eine Welt denkbar nur mit Stiftungen mit privatem Geld – ohne Staatsapparat, ohne Gewaltmonopol und Eigentumsgarantie ­eines Territorialstaats? Haben Sie schon mal daran gedacht, in eine freie Privatstadt auszuwandern?

Das sind reine Utopien. Mit aller Anerkennung für Figuren wie Thomas Moore, Francis Bacon und Tommaso Campanella sind Utopien gefährlich und bestehen aus schönen Träumen – und Träume sind Schäume. Ich kenne und schätze die Überlegungen von Murray Rothbart und Hans-Hermann Hoppe. Ihre Studien sind interessant, um uns wach zu halten, in der Realität aber schwierig anzuwenden. Deshalb bin ich nie auf die Idee gekommen, in eine freie Privatstadt auszuwandern.

Viele Financiers und Industrielle wie Sie sammeln Kunst – Sie auch?

Nein, dafür fehlt es mir an Leidenschaft, Begabung und der entsprechenden Kultur. Museen wie das der Stiftung der Hilti-­Familie in Liechtenstein setzen nicht nur Geld voraus, sondern auch Anstrengungen, Studien, Begeisterung und Kultur. Die Sammlung von Christoph Blocher – insbesondere die Kunstwerke von Ferdinand Hodler und Albert Anker – entspricht auch seinen Interessen und Kenntnissen der Schweizer Geschichte und seiner Würdigung für die Wichtigkeit der Wurzeln unserer Gesellschaft.

Als vermögender Mann haben Sie täglich mit Leuten zu tun, die Sie um Geld bitten. Wie gehen Sie damit um?

Ich leite sie weiter an die Fidinam Stiftung.

60 Prozent der Aktien der Fidinam SA sind bereits jetzt in der Hand der Fidinam Stiftung und nur 40 Prozent in den Händen des Führungs­personals des Unternehmens. Was geschieht im Falle Ihres Todes?

Das ist kein Problem. Die Aktien sind bei der Charity Foundation, worauf weder ich selbst noch meine Nachfolger einwirken können, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Jene Personen, die ich mit der Verwaltung betraut habe, sind langjährige Vertrauensleute von mir. Man weiss am Ende nie, was passiert, aber an sich bin ich guten Mutes, dass das Geld nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft in meinem Sinne verwaltet werden wird. Auf jeden Fall: Sic transit gloria mundi.

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