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Polarisierung blockiert die Politik

Auswege aus der Konkordanzkrise

Die Erleichterung war spürbar, als nach dem letzten Urnengang des Jahres Bilanz gezogen wurde. Nach drei Abstimmungsniederlagen hatten Bundesrat und Mehrheit des Parlaments ihre drei Vorlagen beim Souverän durchgebracht, darunter die sehr anspruchsvolle Reform der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen und des Finanzausgleichs. Lässt sich daraus ableiten, dass man sich nun getrost frohe Festtage und ein gutes politisches Jahr wünschen kann? Zweifel sind angebracht, denn die Mechanismen der halbdirekten Demokratie, die man gemeinhin mit dem Begriff Konkordanz charakterisiert, funktionieren nicht mehr richtig und werden zunehmend in Frage gestellt. Das hat verschiedene Gründe.

Zum einen hat die Problemlösungskapazität des Staates Grenzen erreicht. Wachsende Defizite und Schulden zwingen zu Einschränkungen und zu Sanierungsprogrammen, die nur schwer durchzusetzen sind. Das führt zu polarisierenden, ideologisch aufgeladenen Verteilungskämpfen. Mehrheitsfähige Kompromisse zu suchen, ist zu einem unpopulären Geschäft geworden. Dabei haben die Abstimmungen dieses Jahres klar gezeigt, dass zuwenig austarierte Vorlagen selbst mit dem Einsatz beträchtlicher Mittel scheiterten, während breiter abgestützte Projekte auch ohne grosse Kampagnen erfolgreich waren. Immerhin bewegte sich der Preis sowohl bei der Erwerbsersatzordnung wie auch beim Finanzausgleich in einer Grössenordnung, die bei künftigen Vorlagen wohl kaum mehr erreicht werden dürfte.

Zum andern hat die parteipolitische Landschaft ein anderes, akzentuierteres Gepräge erhalten. Die grossen Parteien sind nach wie vor heterogen. Sie sind von Kanton zu Kanton unterschiedlich segmentiert und mit einer Vielzahl von Interessengruppen verflochten. Trotzdem hat sich unter dem Druck medialer Profilierung eine Dreiteilung des Spektrums mit einem rechten und einem linken Pol und einem hin- und hergezerrten mittleren Block ergeben. Das von Politologen und Politgeographen erstellte und methodisch wesentlich verbesserte Parlamentarierrating 2004 bildet dies aufgrund des Abstimmungsverhaltens im Nationalrat anschaulich ab. Die tripolare Struktur widerspricht dem Wunschbild vieler arenageschädigter Auguren, die ein Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition nach dem Muster ausländischer parlamentarischer Demokratien vor Augen haben. Eine Univox-Untersuchung hat zudem ergeben, dass die schweizerischen Parteien ideologisch wesentlich schärfer positioniert werden, die SP also weiter links und die SVP weiter rechts als die grossen Volksparteien in den benachbarten bipolaren Systemen. Neckischerweise sehen sich die Anhänger dieser Parteien freilich weniger einseitig fixiert als ihre Parteien. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass die Schweiz derzeit von zwei Parteien dominiert wird, die zwar an der Regierungsverantwortung teilhaben, sich aber primär als Opposition verstehen. Mehrheiten kommen nur zustande, wenn die mittleren Parteien sich im Einzelfall mit dem einen oder anderen Pol verbünden. Die Crux dieser sogenannten Mitte-Parteien ist es, dass sie die Chance der Mehrheitsbeschaffung für konstruktive Problemlösungen mit einem Verlust an ideologischer Glaubwürdigkeit erkaufen. Sie können zwar noch Abstimmungen gewinnen, werden jedoch bei Wahlen bestraft. Die beiden Pole allein können fast nur mit Veto-Kampagnen gewinnen, was gerade bei Reformvorhaben immer häufiger zu Blockaden führt.

Ist die Schweiz zum Immobilismus verdammt, in einer Zeit, da die Wachstumsschwäche, der sich verschärfende internationale Wettbewerb, die Beziehungen zur EU, die an Alterung leidende Sozialversicherung eigentlich dringenden Handlungsbedarf erzeugen? Auswege müssten in zwei Richtungen gesucht werden. Wenn man davon ausgeht, dass in der Referendumsdemokratie weder für radikale rechte noch für einseitig linke Vorhaben Mehrheiten gefunden und einmal erworbene Besitzstände nur mit grosser Überzeugungskraft angetastet werden können, sind breit abgestützte Koalitionen unerlässlich. Die Lust am blossen Opponieren dürfte bei anhaltenden Misserfolgen wohl bald einmal vergehen und die in unserem System erprobten Konkordanzmechanismen re-ha-bilitieren. Für die mittleren Parteien, die dabei ihre Rolle wahrnehmen müssen, kann dies jedoch nicht bedeuten, einfach im alten Trott weiterzumarschieren. Die geschilderten Herausforderungen sind nur mit ordnungspolitischer Disziplin und mit dem Mut zu schonungsloser Offenheit gegenüber Wählerschaft und Stimmbürgerschaft zu bewältigen. Bedingung für eine erneuerte und verbesserte Zusammenarbeit auf breiter Basis ist wohl, dass sie sich weniger auf ideo-logische Ansprüche als auf realistische Problemanalysen stützt. Diese müssten die Grundlage für einen rationalen Dia-log zwischen Parteien bilden, die ihre grundsätzlichen Positionen durchaus beibehalten. Konkordanz würde dann nicht die Suche nach generellen Koalitionsprogrammen bedeuten, sondern jeweils nach einem gemeinsamen Nenner für mehrheitsfähige Problemlösungen. Nur so lässt sich wahrscheinlich auch der Befürchtung begegnen, dass die direkte Demokratie nicht mehr in der Lage sei, angemessene Entscheidungen zu komplexen Sachverhalten zu treffen. Sie ist es durchaus, wenn man die Eigenheiten der Meinungs- und Willensbildung beim auf Ausgleich bedachten schweizerischen Souverän berücksichtigt.

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