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Poesie, durch das Schlimmste hindurch eine Festung

Philippe Jaccottet: «Notizen aus der Tiefe». Übersetzt von E. Edl, W. Matz & F. Kemp. München: Hanser, 2009.

«Notizen»: Aufzeichnungen, Gedanken und Beobachtungen, lyrische Passagen, Überlegungen, die Verbindung von Erlebtem und angelesenem Wissen, gelegentlich in loser, skizzenhafter Form, und doch sehr dicht. Texte, die eigene, weiterführende Gedanken des Lesenden zulassen und anregen.

Der erste Teil der «Notizen aus der Tiefe» von Philippe Jaccottet trägt den Titel «Israel, blaues Heft». Kritisch und wohltuend unangepasst, sich nach keinem Muster und keiner politischen Haltung richtend, betrachtet der Autor die heutige Lage in Israel, wo sich inmitten von säkularen und orthodoxen Juden, Palästinensern und anderen Völkern auch die Wiege des Christentums befindet. Jaccottet erstarrt keinesfalls in Ehrfurcht, auch nicht vor Heiligtümern wie der Grabeskirche. Vielmehr erschüttert ihn der menschliche Aberglaube, das götzenhafte Verehren, das kitschige Vereinnahmen. Er verbindet einzelne, wie zufällig gefallene Wissenssplitter mit persönlichen Assoziationen und beschreibt in einer aufrüttelnden, provokativen und doch sehr menschlichen Art «Knoten der Finsternis».

Im zweiten Teil, demjenigen mit der titelgebenden Überschrift «Notizen aus der Tiefe», finden sich Gedanken nach dem Tod eines Freundes. Da stehen Sätze aus einem Traum: «In jedem Augenblick ist auf dieser Welt einer damit beschäftigt zu weinen; und manchmal durch unsere Schuld» oder aufmunternd Lyrisches wie «Das Lachen eines Kindes, wie eine Traube roter Johannisbeeren».

Im dritten Teil «Das Wort ‹Russland›» nähert sich Jaccottet über die Literatur dem Kulturkreis Russland. Es ist nicht das gastfreundliche, kulturell vielgestaltige Russland, sondern das der düsteren russischen Schriftsteller: «In Gedanken immer wieder an diese Schicksale, die wie mit Eisenketten zusammengeschmiedet waren, sah ich im Geist Dantes Inferno vor mir. Auch dort, in den Tiefen der Hölle, ist das ‹traurige Loch› kein Ort der Flammen, sondern der Auslöschung der Wärme und des Lichtes, die absolute Kälte, der gefrorene See in der Nacht, der See hart wie der Fels…» Schliesslich sei es die Poesie, die half, das Unmenschliche zu überleben. Der Straflagerrückkehrer Schalamow «überlebt, allem zum Trotz; er überlebt nicht nur, sondern kehrt ins Leben zurück mit einem unbeschädigten Glauben an dieses Wort der Poesie, von der er versichert, dass sie, durch das Schlimmste hindurch, seine ‹Festung› geblieben sei. Wie sollte man einem solchen Zeugen nicht Glauben schenken?»

Auf poetische und zugleich kritische Art hat Philippe Jaccottet, seit diesem Jahr auch Träger des Grossen Preises der Schillerstiftung, in diesem Buch Politisches, Persönliches und Literarisches verarbeitet. Poetisch oft im Ausdruck und in der mehrdeutigen, bildlichen Umschreibung, während die Inhalte Allzumenschliches bis Unmenschliches erfassen.

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