Perikles Monioudis (1/2) Gespräch
Im Gespräch mit Friederike Kretzen
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Friederike
Kretzen Ich möchte mit
einem Zitat von Roland Barthes anfangen: «Der Roman liebt die Welt, weil er sie
umfasst und umarmt. Es gibt eine Grosszügigkeit des Romans, eine
nichtsentimentale, da mediatisierte Überschwenglichkeit.» Barthes benennt hier
etwas, was ich als die Schönheit eines Romans empfinde. Eine Schönheit, die mit
der Art und Weise zusammenhängt, wie ein Roman die Welt berührt. In deinen
Romanen geht es um so eine Schönheit. Kannst du mit dem Zitat etwas anfangen?
Perikles
Monioudis Ja, natürlich. Wir streben
ja alle nach Schönheit. Ich denke, sie ist der eigentliche Beweggrund eines
jeden Künstlers, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht.
Schwierig, der Begriff der Schönheit.
Sehr breit, und doch absolut.
Für mich ist es neu, dass ich so
einen Begriff wage, aber es hat tatsächlich mit der Berührung von Welt in den
Worten zu tun.
Ja, völlig einverstanden.
Und diese Berührung sehe ich in
deinen Texten am Werk. Dieses Beschreibenwollen, seien es Gegenstände, seien es
Ansichten, seien es Städte, gefunden oder erfunden. Das meine ich mit «so etwas
wie die Schönheit wollen».
Unbedingt, ja. Was immer das heisst und wie immer
der Weg dahin aussieht.
Es ist kein festgelegterWeg.
Nein. Durchaus serpentinenreich. Manchmal sogar
zyklisch. Immer aber eine suchende Bewegung.
Das ist für mich besonders in deinem
letzten Buch «Land» deutlich geworden. Es ist durchdrungen von dieser Bewegung.
Es ist wie ein grosses Umkreisen der Welt, ein Immer-wieder-Abstossen und ein
Immer-wieder-Hingehen. Das verstehe ich als eine Form, die Welt zu berühren.
Und aus dieser Berührung kann sich Schönheit ergeben.
Schon als Gymnasiast habe ich Handbücher gesammelt
und gelesen; allerlei Bücher, die zur Berufsausbildung von Konditoren oder
Schreinern verwendet werden. Mich hat daran fasziniert, wie die Welt mit den
Händen angefasst wird. Später hat mich dann auch das geistige Anfassen fasziniert.
Mir sind noch immer beide Aspekte lieb.
Die Handwerklichkeit der Gedanken
sozusagen, in denen jeder Griff sitzt.
Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass «Land»
eine Dividende aus dieser sozusagen haptistischen Lektüre abwirft. Doch du hast
recht. Schon in meinen früheren Texten findet sich das Haptische, der Versuch,
die Welt über ihre Details wahrzunehmen. In «Land» ist dann auch die Art und
Weise wichtig, wie das geschieht. Ich kann als Schriftsteller nicht davon
absehen, wie ein Roman geschrieben ist. Wenn ich alles, was im Roman steht,
auch in einem zweiminütigen Telefongespräch hätte sagen können, dann wäre der
Roman sinnlos. Insofern ist der Aspekt der Schönheit im Formalen und des
Begreifens im doppelten Sinn – also des Be-greifens – zentral für mich.
Beides gehört eng zusammen.
Und die Unterscheidung ist sekundär. Sie ist beim
Schreiben selbst nicht präsent. Da ist nur der Anspruch der Schönheit und
gleichzeitig der tiefen Empfindung vorhanden – falls man das heute noch so
formulieren darf.
Da bin ich unbedingt dafür. Denn es
geht ja um Empfindung. Aber du hast schon recht. Heutzutage kann man fast nicht
mehr sagen, dass es beim Schreiben um Empfindung gehe, um die Wahrnehmung der
Welt als einer Welt, die ich schreibend empfinde und dadurch auch herstelle.
Und die jeder wieder anders empfindet. Hier liegt
das Ureigene, das darin Platz findet.
Lass mich mal ein wenig weitermachen
mit meinen Fragen. Wenn wir sagen, ein Bauer sei jemand, der Land bebaut, der
an etwas arbeitet, was ein Stück Erde ist, das mit Unverfügbarkeit und
Zugehörigkeit zu tun hat, dann könnte man doch auch sagen, dass du ein Bauer,
ein Landmann bist.
Der Titel «Land» ist höchst artifiziell und
ambivalent. Das wird ja auch bei den Übersetzungsversuchen deutlich. Meint das
Wort nun «Festland» oder gar «Nation»? In anderen Sprachen ist das Wort nicht
so deutlich konnotiert wie im Deutschen. Eigentlich kann ich mich für keine
fremdsprachige Denotation dieses Wortes begeistern. Lustigerweise. Insofern
würde ich unbedingt meinen, dass dieses Wort nicht auf Wurzeln hinweist,
sondern eher auf die bare Hypothese der Landnahme oder des Ankommens.
Das Wort verweist darauf, dass wir
alle ein Stück Land haben, da, wo wir gerade sind.
Ich denke nicht, dass jeder von uns immer schon
inneres Land besitzt. Das hängt sicher auch mit meiner biographischen Situation
zusammen. Meine Familie sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits hat in
den letzten drei Generationen gleich zweimal alles verloren. Ich weiss nicht,
ob mich das prägt oder nicht. Ich selbst bin in der Schweiz geboren und
aufgewachsen. Zwar habe ich mich immer auch für die Herkunft meiner Eltern und
Vorfahren interessiert. Aber in Wahrheit ist das nicht meine Realität. Ich bin
ja weder emigriert noch immigriert.
Das gilt auch für die Hauptfigur in
«Land».
In «Land» ist die Hauptfigur allerdings mit
Zuweisungen konfrontiert, mit den Vorstellungen anderer über sich. Du heisst so
und so, du siehst so und so aus, du machst das und das und also bist du so und
so. Diese Vorurteile, seien sie nun positiv oder negativ, bestimmen die
Selbstwahrnehmung. Die Hauptfigur, dieser Reisende, fährt ums und übers
Mittelmeer und fragt sich überall: hat das jetzt etwas mit mir, hat das etwas
mit meiner persönlichen Geschichte zu tun? Oder ist das bloss das, was die
anderen in mir sehen möchten und ich der Einfachheit halber auch als das
akzeptieren könnte? Viele machen es sich auf diese Weise leicht und willigen
ein, jemand zu sein, der sie nicht sind. Nur, um eine angebliche Identität zu haben.
Diese Vorstellungen, die bekommt man
zugewiesen. Aber das, was man ohne Bezug ist, das ist das Land.
Das ist schön gesagt. Man kann alles streichen, was
ich gerade gesagt habe. Du hast völlig recht. Ich kann nur vielleicht noch
folgendes hinzufügen. Die existentielle Diskussion, was Heimat sei und wer man
selbst, ist ein urschweizerisches Thema. Auch die Schweizer Nachkriegsliteratur
wurde davon bestimmt. Und doch hatte ich früh gemerkt, dass das nicht die
entscheidende Frage für mich ist. Die Frage ist vielmehr: Wo kann ich mich
einbringen? Wo finde ich inneres Land, in dem ich sein kann? Wo habe ich
Grenzen? Wo kann ich Grenzgänger sein? Wo kann ich andere Länder überblicken,
andere Länder zulassen? Die Frage «Wo bin ich?» ist mir viel wichtiger als die
Frage «Wer bin ich?».
Eine schöne Wendung. Dieses Land, das
ich bin, dieses Land ohne Bezug. Es ermöglicht ja erst, dass neue Bezüge
eröffnet werden können.
Die Reise der Hauptfigur hat den Zweck, zu
sortieren, was ihr zugeschrieben wird und in welchen Anteilen davon sie sich
erkennen kann. Insofern geht es auch um eine innere Landkarte, die sie von sich
selbst anfertigt.
Es geht also um die Stelle, die man
selber ist. Land ist etwas, das wir mitbringen, wenn wir auf die Welt kommen,
egal wo, und das uns wirklich ausmacht. Etwas, wozu man selbst gar nichts getan
hat oder tun muss. Ich habe das Gefühl, dass uns das meist gar nicht bewusst
ist. Und das ist ja das Schwierige an unserer Arbeit als Schriftsteller: dieses
Etwas aufzunehmen und es zu schreiben. Ich finde, dass dein Buch «Land» das
sehr subtil versucht.
Ja. Das Buch ist wohl der Versuch einer radikalen
Subjektivität und letztlich Individualität. Ein poetisch kontrolliertes
Zurückschnellen auf sich selbst.
Deine Figuren sind oft grosse Einsame.
Männer wie Frauen wie Kinder. Ihr Einsamsein lässt sie zugleich Einsamkeiten
ermessen als wären diese ein grösserer Raum. Du musst dich dazu selbst in die
Einsamkeit des Reisens und Schreibens begeben.
Das ist keine Last, da selbstgewählt. Für mich ist
gerade mit «Land» übrigens etwas zusammengekommen, stilistisch, formal,
inhaltlich, in der Folge meiner bisherigen Bücher. Ich empfinde eine bestimmte
Freude darüber, auch Dankbarkeit, dass es mir vergönnt war, das Buch zu
schreiben, dass ich nicht erkrankte, etwa, oder unter ein Auto gekommen bin
oder Ähnliches. So stark habe ich den Abschluss einer Arbeit noch nie
empfunden, bei keinem meiner Bücher. Ich denke nicht, dass ich in den nächsten
fünf, sechs Jahren wieder so etwas Umfassendes schreiben werde, das ist unmöglich,
allein schon der Versuch dazu wäre Unsinn.
Aber du schreibst doch nach wie vor.
An Konvoluten, Ideen, Rümpfen, die sich über die
vergangenen zwanzig Jahre halt gebildet haben. Daraus wird sich ein längerer
Text kristallisieren, früher oder später.
Ist das beängstigend? Dieses «Was
kommt dann»?
Für mich nicht, weil ich keine Möglichkeit
ausschliesse. Auch nicht die, mich vorwiegend mit anderen Dingen als Literatur
zu beschäftigen. Nein, das Gegenteil wäre beängstigend. Das maschinelle
Verfertigen von Texten als Lebensstil.
Das ist unheimlich
wichtig – das Wartenkönnen beim Schreiben.
Dass kommt vielleicht auch davon, dass ich exzessiv
geschrieben habe.
Du hast sehr viel publiziert.
Das könnte man sagen.
Hat das auch mit Berlin zu tun, wo du
von 1995 bis 2007 lebtest?
Meine ersten Berliner Jahre zündeten eine Explosion
meiner literarischen Produktion. Das war eine sehr intensive Zeit.
Berlin ist nochmals ein sehr anderes
Umfeld als die Schweiz.
Ja. Aber niemand hat mich gezwungen, dort zu
bleiben.
Klar, ich denke nicht, dass Berlin
dir etwas angetan habe.
Berlin wartet nicht auf dich, und es trauert dir
auch nicht nach. Dort geht es wirklich nur um dich. Das ist klar. Du triffst
dort auf Umstände, die dir förderlich sind. Aber irgendwann ist die Stadt dann
auch gegessen.
Und ist das jetzt für dich so, ja?
Ja. Aber die Erinnerung lebt natürlich weiter.
Dein Roman «Palladium» wurde als
Berlin-Roman rezipiert. Ich fand das Berlin darin verblüffend schön. Diese
Durchdrungenheit der Stadt von Göttern und antiken Statuen.
Die sind da, und kein Mensch schaut hin.
Keiner bemerkt sie. Ich hab auch
lange dazu gebraucht. Ich las «Palladium» und dachte, o Mann, stimmt ja: ich
renne da herum und habe nie bemerkt, dass die Stadt voll ist von diesen Statuen
– und damit voller alter Geschichten.
Die Mythologie, die der Volksmund oder wer auch
immer erfunden oder gefügt hat, sind unsere Geschichten, unsere Gleichnisse.
Das sind ja nicht Geschichten über Personen, die dich überhaupt nichts angehen,
sondern unsere Geschichten, die stilisiert, symbolisiert sind und uns unser
Leben erklären.
Und auch in diesem Sinne dann wieder
die Zeiten öffnen.
Genau.
Nach «Palladium» habe ich dann in den
griechischen Sagen nachgelesen, wie Athene aus dem Kopf ihres Vaters geboren
wird. Das ist grossartig. Doch vorher, ha, da hat der Vater ihre Mutter
verschlungen.
Ja, siehst du.
Du hast doch gerade etwas von wegen
gegessen gesagt.
Berlin ist gegessen.
Das ist es. Man könnte sagen: es ist
eine alte Form, sich mit Kräften auszustatten. Man isst, was einem widersteht,
auf.
Ja. Genau.
Noch eine Frage zu der Zeit, wieder
in «Land». Mir ist unklar, wieviele Zeiten es gibt. Es gibt keine aktuelle
Zeit. Es gibt nichts Jetziges. Und doch kommt mir das Erzählte manchmal so
nahe, dass ich denke, das spielt ja jetzt vor einem Jahr oder so. Und dann
rückt es wieder so fern. Und so bewegt sich ja auch der Text, der weniger
erinnert als vergegenwärtigt.
Das ist wahrscheinlich so, weil sich Orte schwerlich
auf einer Zeitachse markieren lassen, ich das aber trotzdem versuche. Wenn ich
etwa im arabischen Raum unterwegs bin, in Kairo oder Alexandria, weiss ich,
dass es da zwölf Geheimdienste gibt und keinen Ansatz irgendwelcher
persönlichen Freiheit. Ich hoffe an solchen Orten nur, dass ich nicht als
auffällig wahrgenommen werde. Diese genauso auch ungerechtfertigte Befürchtung
gründet wohl auch im Vormodernen jenes Raumes, im fehlenden Universalismus.
Interessant, das «vormodern» zu
nennen.
Wenn unser Universalismus mit dem Konzept der Masse
konfrontiert wird, hat dieses Konzept im Vergleich etwas Vormodernes. Eine
Reise in den arabischen Raum kommt mir daher manchmal wie eine Zeitreise vor.
Diese Ungleichzeitigkeit wird ja auch
vom Reisenden im Buch gesucht.
Ich habe ihm eine ähnliche biographische Lage
mitgegeben wie die meine. Meine Eltern sind ja in Alexandria geboren und
aufgewachsen. Mit meiner Schwester und mir sind sie sehr viel später erstmals
wieder dorthin gefahren, haben uns alles gezeigt, ihre erste Wohnung und die
Kirche, wo sie getraut wurden. Wenn man diese Belle-Epoque-Stadt anschaut, den
einstigen Reichtum – und jetzt diesen Verfall. Meine Eltern sind dreissig und
zweiunddreissig geboren. Sie waren bei der Uno beschäftigt. Beide haben viele
Geschwister, mein Vater sechs, meine Mutter drei. Und die haben alle weit weg
geheiratet, nach Australien, Amerika, Kanada, Indien, auch nach Griechenland
und Zypern. Die Familie ist auf der ganzen Welt verstreut. Das hat die Zahl
ihrer Geschichten und Legenden ins Unendliche gesteigert.
Die Welt in deinem Buch besteht aus
so vielen Schichten und Geschichten. Diese Geschichten sind weit verstreut und
haben alle ihre Zeiten… Das Gespringe der Zeiten und Räume, das macht «Land»
aus.
Das ist ein Stilelement, das ich schon früh
verwendete. Etwa in «Eis», 1997 erschienen. Das ist die Geschichte eines
Jungen, der nach der Matura bei seinem Vater aushilft, weil er das Bedürfnis
hat, vor dem Studium körperlich zu arbeiten. Sein Vater hat mehrere
Baugeschäfte. Es ist Winter. Und da im Winter nicht gebaut wird, haben sich im
19. Jahrhundert die Baugeschäfte aufs Eisgeschäft verlegt. Sie haben das Eis
gefrorener Seen zersägt und die Brauereien damit beliefert. Bei uns im
Glarnerland gibt es den Klöntalersee, einen Stausee, den man früher abgeerntet
hat. Schon als Kind haben mich die Bilder davon magisch angezogen. Ich habe mir
dann diese Geschichte ausgedacht, diesen Vater-Sohn-Konflikt. Und in dieser
Geschichte, in «Eis», gibt es eben gleichzeitig den Eisabbau und Handys.
Das fand ich ziemlich irre, als ich
«Eis» las. Ohne irgendeine Vermittlung wird ein Handwerk aus der Urzeit und ein
Apparat der Moderne zusammengeführt, und sie bestehen nebeneinander, als
trennte sie keine Zeit.
Deutlich wird das auch im ein Jahr später
erschienenen «Deutschlandflug». Der Untertitel lautet «Ein Traum». Denn mir war
aufgegangen, dass man eben im Traum von jetzt auf sofort an einen anderen Ort
oder in eine andere Zeit wechseln kann. Das Traumprinzip habe ich als mein
poetisches Prinzip für diese beiden Texte erspürt. In «Deutschlandflug» liegt
ein Junge auf dem Bett und liest Bücher von Walter Mittelholzer, dem
Flugpionier, der die Swiss-air gegründet hat. Der Junge liest von der freilich
fiktiven Flugexpedition von Zürich über Stuttgart und Frankfurt nach Berlin und
imaginiert sich aus dem Jetzt in das fiktive Damals.
Ich fand
erstaunlich, wie er in diese Fotos hineingeht. Und sie dann als wirklich
gestaltet. Und auch hier ist das Handwerkliche wieder sehr wichtig, von dem Du
anfangs schon gesprochen hast. Auch die grosse Liebe dazu. Die Liebe zu dem,
was da bearbeitet worden ist. Das ist eine Arbeit an Erfahrungen. Durch die
Imaginationsbewegung werden Bilder zu Leben erweckt. Und das hat auch wieder
mit Deiner Hauptfigur in «Land» zu tun. Sie verlebendigt Länder, die in uns zu
Bildern erstarrt waren.
Das stimmt. Für diese Figur selbst. Und hoffentlich
auch für den Leser. Doch ist Literatur stets stilisiert, und ich erhebe keinen
Wahrheitsanspruch.
Stilisierung?
Im Sinne einer poetischen Verfremdung. Im Sinne von bigger
than life. Nicht im Sinne von ästhetischer Stilisierung.
Das heisst es, zu erzählen.
Richtig. Aber man muss das manchmal dazu sagen.
Du meinst, so weit sind wir schon?
Ja, klar – zumindest, wenn du auf die Weise
autobiographisch arbeitest wie ich. Da liegt es für viele nahe zu sagen: «Das
bist doch du.» Und: «Du warst doch damals da.»
Diese Anträge von aussen sind eine
aggressive Verkürzung. Wie wenn es ein Sport geworden wäre, herauszufinden: Ja,
aber, das bist doch du! – Ja, wer denn sonst?, kann ich da nur fragen.
Das führt uns wieder an den Anfang zurück. Dass man
sein eigenes Land selbst kartographieren und sich nicht damit abfinden will,
was andere von einem meinen.
Schreiben ist doch immer etwas
anderes, als man selbst sein kann. Dem Schreiben wird dieses ganz andere oft
gar nicht mehr zugemutet. Dem Ich auch nicht. Beides wird, wenn immer alles auf
die Autobiographie zurückgeführt wird, gegeneinander gekürzt. Wer sonst als
der, der schreibt, schreibt? Jeder, der schreibt, sucht in diesem Schreiben
nach einer Form, etwas zu erzählen, was nur er erzählen kann, will und muss,
und das ist das andere, das, was wir nicht wissen können, wenn wir es nicht
schreiben.
Ich kann es auch so formulieren: Ich habe nicht den
Anspruch, die Wirklichkeit abzubilden. Besonders nicht meine eigene.
Werke u.a.:
«Land» (2007)
«Im Äther»
(Poetikvorlesung, 2005)
«Palladium»
(2000)
«Deutschlandflug»
(1998)
«Eis» (1997)
Auszeichnungen,
u.a.:
Preis des
Schweiz. Schriftstellerverbands (1997)
Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis
(1997)
Preis der
Schweiz. Schillerstiftung (1995)
Foto: S.-V. Renninger
Perikles
Monioudis wurde 1966 in Glarus geboren. Nach dem Soziologiestudium
in Zürich zog er für 12 Jahre nach Berlin und lebt heute
mit seiner Frau in Zürich. Seit
2000 beschäftigt sich derSchrifsteller
intensiv mit Online-Journalismus.