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Pelzfrühstück und seine Folgen

Mit ihrer Pelztasse wurde Meret Oppenheim als Künstlerin weltberühmt, ihr Werk umfasst jedoch weit mehr. Die Retrospektive im Kunstmuseum Bern führt mit über 200 Werken vor Augen, wie vielseitig und eigenständig die 1913 in Berlin geborene, später in Basel, Paris und Bern lebende Tochter eines Hamburger Arztes und einer Schweizerin war.

Vieles sprach schon bei ihrer Geburt dafür, dass aus ihr etwas Besonderes werden sollte. Allein die Wahl ihres Namens: den Eltern gefiel die wunderschöne, geistreiche und erotische Meret in Gottfried Kellers Roman «Der grüne Heinrich». Vielleicht waren sie deshalb nicht überrascht, als ihre Tochter Künstlerin werden wollte. Geboren 1913 in Berlin-Charlottenburg, verbrachte Meret ihre Jugendzeit in Basel, in Delémont, im süddeutschen Steinen und in Carona im Tessin. 1932, erst achtzehnjährig, zog Meret von Basel nach Paris, wo sie sich bald im Surrealistenkreis um Alberto Giacometti, Max Ernst und André Breton bewegte. Sie wurde eingeladen, zusammen mit ihnen auszustellen. Meret gehörte damit zum erlesensten Künstler-Clan des damaligen Paris. Mit zwanzig stand die schöne junge Frau nackt einem Kollegen Modell, dem Maler und Photographen Man Ray. Die nackte Meret hinter dem grossen Rad einer grossen Druckerpresse trug zu ihrer Legendenbildung bei; schön wie eine griechische Göttin steht die Malerin da. Meret Oppenheim galt an der Seine fortan als die Muse der Surrealisten.

Mit 23 kreierte sie ein Werk, das sie mit einem Schlag berühmt machte und das zu einem Symbol für den Surrealismus wurde: das Objekt «déjeuner en fourrure» (Frühstück im Pelz), ein mit Gazellenfell überzogenes Frühstücksgedeck. Kaum entstanden, kam es 1936 ins New Yorker Museum of Modern Art. So jung war zuvor noch kein Künstler gewesen, dessen Werk von einem Museum angekauft wurde. «Wer ist uns über den Kopf gewachsen? Das Meretlein», staunte der Surrealist Max Ernst in Paris. Ein Mythos war geboren. Im selben Jahr wie das «Frühstück im Pelz» entstand ein weiteres herausragendes Objekt «Ma Gouvernante – My Nurse – Mein Kindermädchen», ein auf einem Silbertablett präsentiertes Paar weisser Stöckelschuhe, an deren Absätzen – wie bei einem Brathähnchen – Papiermanschetten angebracht sind.

Der frühe Ruhm war jedoch eher belastend als beschwingend für die junge Künstlerin. Leicht hätte sie aus ihrer fulminanten Pelztasse ein Markenzeichen machen und ruhig alles mit Pelz überziehen können, in der Art des Verpackungskünstlers Christo und seiner Verhüllungen. Der Erfolg wäre ihr auf lange Zeit sicher gewesen. Doch sie liess sich nicht in ein Stilkorsett pressen. Nach dem jugendlichen Eklat der berühmten bis berüchtigten «Pelztasse» kehrte sie zurück nach Basel. Es folgten lange Jahre der Einsamkeit, des Zweifels und der Verzweiflung, eine Berg-und-Tal-Fahrt von Tiefs und Hochs. 1949 heiratete sie den wohlhabenden Kaufmann Wolfgang La Roche, mit dem sie in Bern, Thun und Oberhofen lebte. Mit 41 Jahren waren die Depressionen und die Schaffenskrise vorbei. Wie ein Phönix aus der Asche tauchte Meret Oppenheim 1954 als Künstlerin wieder auf. Es entstand ein an keine Gattung und kein Material gebundenes Werk. Sie zeichnete, malte, schuf Objekte, die sich oft durch Rätselhaftigkeit auszeichnen. Lange galt ihre Kunst als unzeitgemäss. Erst in den siebziger Jahren wurde sie wiederentdeckt. Sie nahm 1982 an der Documenta 7 teil, erhielt Kunstpreise. Als sie 1985 mit 72 Jahren in Basel starb, war sie längst eine unverrückbare Grösse der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts.

Bekannt ist Meret Oppenheim auch wegen ihres 1983 geschaffenen Turm-Brunnens auf dem Waisenhausplatz in Bern, ihres letzten grossen Werks, eines öffentlichen Auftrags, entstanden zwei Jahre vor ihrem Tod. Das Wasser rinnt und befeuchtet die Säule aus Beton. Ein Kunstwerk in permanenter Verwandlung. Es lässt die Natur am Brunnen arbeiten. An manchen Stellen ist die Säule weich behaart wie die Pelztasse, Graswuchs umarmt den Beton. An anderen Stellen wuchern Moospolster und Pflanzen. Der Brunnen erhitzte die traditionellen Geister, sie verlangten – vergeblich – die Entfernung des zeitgenössischen Werks. Heute ist der Meret-Oppenheim-Brunnen nicht mehr aus Bern wegzudenken.

Meret Oppenheim zu Ehren wurde jetzt, 21 Jahre nach ihrem Tod, im Kunstmuseum Bern die erste grosse Retro-spektive eingerichtet. Die Institution besitzt dank einem Legat der Künstlerin sowie Ankäufen und Leihgaben die weltweit bedeutendste Sammlung von Oppenheim-Werken. Die Ausstellung «mit ganz enorm wenig viel» bietet Gelegenheit, einen Gesamtblick auf Oppenheims Malerei, Skulpturen, Zeichnungen, Objekte, Dichtung und Designarbeiten zu werfen. Vielfältig sind auch die Materialien, mit denen sie arbeitete: Holz, Metall, Leinwand, gefundene Objekte, Gips. Die Ausstellung ist nicht nach chronologischen Kriterien gegliedert, sondern nach Themen, die der unerschöpflichen Phantasiewelt der Künstlerin zugeordnet werden können: Traumszenen und Maskeraden, Wolkengebilde und Nebelschwaden, Landschaftsszenerien mit Gestirnen und Planeten, Schlangen und Mythen. Da steht auch das berühmte pelzüberzogene Frühstücksgeschirr, das nach langem Warten und Verhandlungen aus dem New Yorker Museum of Modern Art nach Bern reisen durfte, das Kunstobjekt, das als Symbol surrealistischer Intentionen in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

Dass Meret Oppenheim gerade heute im Zusammenhang mit der Kunst der Jungen mehr Beachtung findet, ist auf ihre Eigenwilligkeit, das Formulieren jenseits jeglicher Stilkategorien zurückzuführen. Die Künstlerin fasziniert durch ihren scharfsinnigen Witz, ihre Lust an Mehrdeutigkeiten und Abgründigkeiten, ihren ungebrochenen Willen zum Experimentieren. Schon als Teenager beschäftigte sie sich mit Psychoanalyse und schrieb ihre wichtigsten Träume auf. Aus solchen Quellen holte sie sich oft den Stoff für ihre Bilder. Nach einem Traum malte sie «Das Geheimnis der Vegetation». Eine Art Sonde führt vom blauen Taghimmel ins Unterirdische, umflimmert von weissen und grünen Viereckformen. Ein Austausch zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein? Eine Schlange, für Meret Oppenheim das Tier der Erkenntnis, schlängelt sich durch das Bild, eine Figur, die sich bei der Künstlerin häufig findet. Auch im Werk «Alte Schlange Natur» aus dem Centre Pompidou in Paris ist eine Schlange zu sehen, die aus einem Kohlesack kriecht. Das Gemälde «Steinfrau» ist ein Schlüsselwerk zum Verständnis der Künstlerin, die während Jahren unter dem Einfluss von Depressionen nahezu gelähmt war.

Die eigenwillige Lady porträtierte ihr Gesicht mit Tätowierung und Federohrringen. Da war sie schon bald 70 und von der Frauenbewegung als Heldin mit selbstbestimmtem Leben verklärt. Neben den berühmten Museumsstücken aus New York, Paris, Wien und Stockholm findet sich auch bisher Unbekanntes aus Privatbesitz und dem Nachlass, zum Beispiel Modeentwürfe, mit denen die junge Künstlerin versuchte, Geld zu verdienen. So entwarf sie unter anderem Armringe aus pelzbezogenen Metallrohren, aus denen dann die Idee der Pelztasse entsprang.

Die Ausstellung «Meret Oppenheim – Retrospektive: mit ganz enorm wenig viel» ist im Kunstmuseum Bern bis zum 8. Oktober 2006 zu sehen (www.kunstmuseumbern.ch).

Anne Kunz studierte Kunstgeschichte und Journalismus und lebt als Journalistin in Basel.

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