
Partnerschaft mit der Nato – von der Theorie zur Praxis
Die sicherheitspolitische Kooperation mit dem Bündnis stärkt die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz. Der Bundesrat will sie verstärken und dabei die Neutralität bewahren.
Es war der 11. Februar 2022, und wir führten unsere jährlichen Stabsgespräche zwischen der Schweiz und der Nato in Brüssel. Eine Delegation aus dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) war angereist, um mit dem Sekretariat der Nato die breite Palette der Themenfelder unserer Zusammenarbeit zu besprechen: politischer Dialog, konkrete Zusammenarbeit etwa bei Reformen im Bereich Sicherheit in anderen Partnerstaaten oder unser Engagement mit der Swisscoy in Kosovo.
Die angespannte Sicherheitslage in Europa war im Nato-Hauptquartier zu spüren. Seit mehreren Wochen beschäftigte die Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine auch das Bündnis, und wir von der Schweizer Mission berichteten über die Einschätzungen unserer Nato-Kontakte nach Bern.
Während der Stabsgespräche wurde der Delegationsleiter der Nato aus dem Sitzungszimmer gerufen. Er musste dringend an ein Briefing mit Generalsekretär Jens Stoltenberg – es gebe neue Entwicklungen in bezug auf die Ukraine, entschuldigte er sich sichtlich bewegt. Seine Stellvertreterin führte die Gespräche weiter. Später kehrte der Delegationsleiter zurück und erläuterte, dass man sich nun nahezu sicher sei, dass Russland die Ukraine angreifen werde, freilich noch nicht genau wann. Es folgte der Kriegsausbruch, und die Zeitenwende erfasste auch die schweizerische Sicherheitspolitik.
«Partnerschaft für den Frieden»
Die Kooperation mit der Nato geht zurück auf das Jahr 1996, als die Schweiz entschied, an der «Partnerschaft für den Frieden» (PfP) teilzunehmen (und entsprechend auch die Mission in Brüssel einzurichten). Sie erklärte damals, dass sie an der Neutralität festhalte und nicht beabsichtige, dem Bündnis beizutreten. Dies gilt auch heute noch.
Ursprünglich als ein Projekt zur Zusammenarbeit nach dem Kalten Krieg konzipiert, fokussierte sich die PfP nach den Jugoslawienkriegen auf die Teilnahme an Nato-Operationen in Kosovo und Afghanistan. Noch heute ist der Schweizer Beitrag an die «Kosovo Force» (KFOR) ein Fundament unserer Zusammenarbeit mit der Nato. Während das Bündnis früher den Fokus auf das Krisenmanagement mit Einsätzen ausserhalb seines Territoriums gerichtet hatte, rückte nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 und mit dem Abzug der Nato aus Afghanistan 2021 wieder die kollektive Verteidigung in den Vordergrund.
Die Palette der heutigen Aktivitäten in der Partnerschaft ist relativ breit: Die Schwerpunkte liegen in den Bereichen Interoperabilität, Ausbildung und Expertise – dies auch in Zusammenarbeit mit dem Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP), das 1995 vom EDA und vom VBS gegründet wurde. Kooperiert wird auch mit dem von der Schweiz und anderen Staaten 1998 ins Leben gerufenen Genfer Internationalen Zentrum für humanitäre Minenräumung (GICHD) und dem 2000 etablierten Zentrum für Sicherheitssektor-Gouvernanz (DCAF).
Die Teilnahme an der Partnerschaft lebt von praktischer Zusammenarbeit. Die Schweizer Armee beteiligt sich jährlich im Rahmen der PfP an fünf bis sieben Übungen, nimmt an Trainings und Kursen der Nato teil und leistet in Form von regelmässigen Aus- und Weiterbildungsprogrammen für PfP-Nationen selbst einen wichtigen Kooperationsbeitrag. Die Schweiz beteiligt sich an Nato-Trust-Funds, unter anderem im Bereich Abrüstungs- und Streitkräftereformprojekte. Dabei geht es beispielsweise um die Korruptionsprävention oder die Vernichtung alter Munition in Partnerstaaten. Die Teilnahme am PfP-Programm ermöglicht ausserdem einen institutionellen Zugang zur Nato und bietet eine Plattform für den sicherheitspolitischen und militärstrategischen Dialog im Bereich der europäischen Sicherheit.
Qualitativ neue Stufe der Partnerschaft
Kehren wir zurück zu den Gesprächen vom 11. Februar 2022. Die damalige Einschätzung sollte sich als richtig erweisen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat in Erinnerung gerufen, dass eine sicherheitspolitische Bedrohung bis hin zum Krieg in Europa weiterhin möglich ist. Auch in der Schweiz wird der Sicherheitspolitik wieder grössere Bedeutung eingeräumt. Der Bundesrat hat im September 2022 in seinem Zusatzbericht zum sicherheitspolitischen Bericht 2021 Wege aufgezeigt, um die Verteidigungsfähigkeit der Armee zu stärken.1 Gleichzeitig hält er fest, dass er die sicherheitspolitische Zusammenarbeit…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1105 – April 2023 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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