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Partnerschaft mit der Nato – von der Theorie zur Praxis
Philipp Häsler, zvg.

Partnerschaft mit der Nato – von der Theorie zur Praxis

Die sicherheitspolitische Kooperation mit dem Bündnis stärkt die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz. Der Bundesrat will sie verstärken und dabei die Neutralität bewahren.

Es war der 11. Februar 2022, und wir führten unsere jährlichen Stabsgespräche zwischen der Schweiz und der Nato in Brüssel. Eine Delegation aus dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) war angereist, um mit dem Sekretariat der Nato die breite Palette der Themenfelder unserer Zusammenarbeit zu besprechen: politischer Dialog, konkrete Zusammenarbeit etwa bei Reformen im Bereich Sicherheit in anderen Partnerstaaten oder unser Engagement mit der Swisscoy in Kosovo.

Die angespannte Sicherheitslage in Europa war im Nato-Hauptquartier zu spüren. Seit mehreren Wochen beschäftigte die Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine auch das Bündnis, und wir von der Schweizer Mission berichteten über die Einschätzungen unserer Nato-Kontakte nach Bern.

Während der Stabsgespräche wurde der Delegationsleiter der Nato aus dem Sitzungszimmer gerufen. Er musste dringend an ein Briefing mit Generalsekretär Jens Stoltenberg – es gebe neue Entwicklungen in bezug auf die Ukraine, entschuldigte er sich sichtlich bewegt. Seine Stellvertreterin führte die Gespräche weiter. Später kehrte der Delegationsleiter zurück und erläuterte, dass man sich nun nahezu sicher sei, dass Russland die Ukraine angreifen werde, freilich noch nicht genau wann. Es folgte der Kriegsausbruch, und die Zeitenwende erfasste auch die schweizerische Sicherheitspolitik.

«Partnerschaft für den Frieden»

Die Kooperation mit der Nato geht zurück auf das Jahr 1996, als die Schweiz entschied, an der «Partnerschaft für den Frieden» (PfP) teilzunehmen (und entsprechend auch die Mission in Brüssel einzurichten). Sie erklärte damals, dass sie an der Neutralität festhalte und nicht beabsichtige, dem Bündnis beizutreten. Dies gilt auch heute noch.

Ursprünglich als ein Projekt zur Zusammenarbeit nach dem Kalten Krieg konzipiert, fokussierte sich die PfP nach den Jugoslawienkriegen auf die Teilnahme an Nato-Operationen in Kosovo und Afghanistan. Noch heute ist der Schweizer Beitrag an die «Kosovo Force» (KFOR) ein Fundament unserer Zusammenarbeit mit der Nato. Während das Bündnis früher den Fokus auf das Krisenmanagement mit Einsätzen ausserhalb seines Territoriums gerichtet hatte, rückte nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 und mit dem Abzug der Nato aus Afghanistan 2021 wieder die kollektive Verteidigung in den Vordergrund.

Die Palette der heutigen Aktivitäten in der Partnerschaft ist relativ breit: Die Schwerpunkte liegen in den Bereichen Interoperabilität, Ausbildung und Expertise – dies auch in Zusammenarbeit mit dem Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP), das 1995 vom EDA und vom VBS gegründet wurde. Kooperiert wird auch mit dem von der Schweiz und anderen Staaten 1998 ins Leben gerufenen Genfer Internationalen Zentrum für humanitäre Minenräumung (GICHD) und dem 2000 etablierten Zentrum für Sicherheitssektor-Gouvernanz (DCAF).

Die Teilnahme an der Partnerschaft lebt von praktischer Zusammenarbeit. Die Schweizer Armee beteiligt sich jährlich im Rahmen der PfP an fünf bis sieben Übungen, nimmt an Trainings und Kursen der Nato teil und leistet in Form von regelmässigen Aus- und Weiterbildungsprogrammen für PfP-Nationen selbst einen wichtigen Kooperationsbeitrag. Die Schweiz beteiligt sich an Nato-Trust-Funds, unter anderem im Bereich Abrüstungs- und Streitkräftereformprojekte. Dabei geht es beispielsweise um die Korruptionsprävention oder die Vernichtung alter Munition in Partnerstaaten. Die Teilnahme am PfP-Programm ermöglicht ausserdem einen institutionellen Zugang zur Nato und bietet eine Plattform für den sicherheitspolitischen und militärstrategischen Dialog im Bereich der europäischen Sicherheit.

Qualitativ neue Stufe der Partnerschaft

Kehren wir zurück zu den Gesprächen vom 11. Februar 2022. Die damalige Einschätzung sollte sich als richtig erweisen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat in Erinnerung gerufen, dass eine sicherheitspolitische Bedrohung bis hin zum Krieg in Europa weiterhin möglich ist. Auch in der Schweiz wird der Sicherheitspolitik wieder grössere Bedeutung eingeräumt. Der Bundesrat hat im September 2022 in seinem Zusatzbericht zum sicherheitspolitischen Bericht 2021 Wege aufgezeigt, um die Verteidigungsfähigkeit der Armee zu stärken.1 Gleichzeitig hält er fest, dass er die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Nato (und der EU) stärken und die Kooperation systematischer nutzen will.

Die Schweiz hat ein Interesse an einer vertieften Beziehung zur Nato, denn diese bleibt auf absehbare Zeit die sicherheitspolitische Garantin Europas. Sie ist die Messlatte für moderne, westliche Armeen und definiert die Standards für westliche Rüstungstechnologie. In einem Konflikt muss die Option bestehen, mit Nachbarstaaten – und damit mit der Nato – auch im Verteidigungsfall zu kooperieren. Dazu braucht es die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, die Interoperabilität. Das ist nichts Neues, sondern steht bereits in früheren sicherheitspolitischen Berichten des Bundesrats. Neu ist jedoch, dass die Interoperabilität nicht nur rein hypothetisch bleibt. Interoperabilität gibt es nicht von heute auf morgen, sondern muss langfristig aufgebaut werden.

Für die Schweiz stellt sich auch die Frage, wie sie sich als sicherheitspolitische Partnerin neu positioniert, nachdem sich Finnland und Schweden für den Nato-Beitritt entschieden haben. Der Bundesrat spricht von einer Stärkung der Partnerschaft unter Beibehaltung der Neutralität. Eine US-amerikanische Kollegin meinte: «This is a chance to step up», also eine Chance für die Schweiz, die Partnerschaft auf eine neue Stufe zu heben.

Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeit

Die Schweiz soll künftig die Zusammenarbeit mit der Nato vermehrt dazu nutzen, ihre eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Die Hauptarbeit dazu fällt in der Schweiz an. Im Aufbau der neuen Fähigkeiten gemäss Zusatzbericht und in der Einführung neuer Mittel (wie neue Fliegerabwehrlenkwaffen) kann sie von Anfang an von den Erkenntnissen der Nato-Staaten profitieren. Dazu müssen Zusammenarbeit und Interoperabilität konsequent auf Verteidigung ausgeweitet werden. Entsprechend ist es auch im Interesse der Schweiz, an verteidigungsrelevanten Übungen teilzunehmen, soweit dies mit der Neutralität vereinbar ist (was im Einzelfall geprüft wird), und vermehrt Personal in die Kommandostruktur der Nato zu entsenden.

Nützlich für die Schweiz ist ausserdem eine vertiefte Zusammenarbeit in den Themenfeldern Cyber, Hybrid, Innovation, neue Technologien, Resilienz sowie Klimawandel und Sicherheit. In diesen Bereichen bieten sich neue Möglichkeiten der Kooperation, etwa im Rahmen der Nato Centers of Excellence. Schon heute ist die Schweiz Teil des Cyber-Zentrums (Cooperative Cyber Defense Center of Excellence) in Tallinn und beteiligt sich dort an Forschung und an Übungen. Diesen Themen ist gemeinsam, dass die geografische Position der Schweiz keinen Schutz gegen Bedrohungen bietet und dass die Gefahren für die Schweiz weitgehend unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts liegen.

Die Partnerschaft mit der Nato wird damit qualitativ auf eine neue Stufe gehoben, was die Sicherheit der Schweiz stärkt. Die neuen Wege der Kooperation sind neutralitätskonform bzw. können neutralitätskonform ausgestaltet werden. So hält es der Bundesrat im Zusatzbericht zum sicherheitspolitischen Bericht fest.

Auch die Nato hat ein Interesse an dieser Zusammenarbeit. Wo die Schweiz kooperiert, tut sie dies auf einem auch technologisch hohen Niveau, sie kann in Bereichen wie Innovation Beiträge leisten. Der Schweiz stehen viele Türen offen, und ihre Neutralität wird respektiert. Doch selbstredend orientiert sich diese Zusammenarbeit auch an den Interessen der Nato, und es gibt Bereiche, die einem Nichtmitglied nicht offenstehen.

Wichtig bleibt die Teilnahme der Schweiz an der KFOR in Kosovo. Das Engagement mit Swisscoy, das seit 1999 besteht, ist ein starkes Zeichen für die gelebte Solidarität mit europäischen Partnern. Die Sicherheitslage im Westbalkan bleibt auf absehbare Zeit volatil. Die Rückkehr der Geopolitik nach Europa führt zu einer stärkeren Einmischung von Grossmächten in der Region – mit potentiell destabilisierender Wirkung, auch auf die Sicherheit der Schweiz. Ein Beitrag zur Stabilisierung der Region ist im Interesse Europas und der Schweiz.

Die Stärkung der Partnerschaft führt auch zu einer Intensivierung des politischen Dialogs. Die Nato als sicherheitspolitischer Akteur hat wieder stark an Bedeutung gewonnen. Unsere Kontakte stellen sich auf eine länger anhaltende Zeit der Unsicherheit ein. Der direkte Zugang zum Nato-Hauptquartier ist deshalb wichtiger denn je.

  1. «Zusatzbericht zum Sicherheitspolitischen Bericht 2021 über die Folgen des Krieges in der Ukraine», herausgegeben vom Eidgenössischen ­Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), 2022.

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