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Partei des urbanen Protests

Die Grünliberalen geben sich smart, urban, pragmatisch.* Sie sind unverbraucht. Sie haben die Aura des Neuen und Erfolgreichen. Wie aber ticken sie wirklich? Eine Innensicht.

Partei des urbanen Protests
Die Grünliberale Partei Schweiz (GLP) ist eine Protestpartei. Wer ihren Erfolg verstehen will, muss einen Blick auf die Veränderungen in der Schweizer Politlandschaft der letzten Jahre werfen. Der «Schweizer Monat» kümmert sich für gewöhnlich nicht um Parteienpolitik. Doch zum Verständnis der Phänomens GLP sei mir ein solcher Abstecher zugestanden.

Der Aufstieg der Schweizerischen Volkspartei (SVP) um die Jahrtausendwende hat die Schweizer Politlandschaft umgepflügt. Davon profitierte die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP), indem sie sich als einzige Kraft präsentierte, die der SVP die Stirn bot. Indem man SP wählte – so das Versprechen –, konnte man etwas gegen die SVP tun. So holte die SP das Wählerpotential der urbanen Bevölkerung ab, die sich als weltoffen verstand und tendenziell EU-freundlich eingestellt war. Die SP war sozusagen die urbane Wahl, während die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) nach dem verheerenden Jahrzehnt der «Koalition der Vernunft» mit der SP hilflos zwischen SVP und SP lavierte und durch äussere Ereignisse wie den Swissair-Bankrott zusätzlich belastet wurde.

Protestpartei

Vor etwa fünf Jahren änderte die Stimmung. Die SVP hatte sich als neue, bestimmende Kraft etabliert, wobei die ewigen Warnungen der SP vor der SVP an Überzeugungskraft einbüssten. Die SP musste sich wieder vermehrt an ihren inhaltlichen Positionen messen lassen. Diese bestanden im Wesentlichen darin, dass sie sich unverdrossen als Beschützerin der sozial Benachteiligten ausgab und für alle Probleme stets dieselbe Lösung bereithielt: mehr Staat. Diese Selbstdarstellung kontrastierte zunehmend mit der Fremdwahrnehmung der SP als Partei der Gutverdienenden. Die SP galt nun als diejenige Partei, deren Vertreter an den Schalthebeln des Staats sassen und von diesen Positionen profitierten.

In dieser Situation brauchte es eine neue Partei, die die Stimme der urbanen Protestwähler absorbieren konnte. Die GLP besetzte nun als unverbrauchte Kraft genau diese Nische.

Dabei kam ihr zu Hilfe, dass sie keine neue Partei im eigentlichen Sinn ist. Als Abspaltung von den Grünen im Kanton Zürich entstanden, konnte sie auf funktionierende politische und soziale Netzwerke zurückgreifen. Das Gründungspersonal der GLP verfügte über politische Reputation. Deshalb wurde sie von den Medien von Anfang an als seriöse Kraft wahrgenommen. Trotzdem konnte sich die GLP den Nimbus des Neuen umhängen. Damit wurde sie attraktiv für viele politisch interessierte Personen, die mit den etablierten Parteien unzufrieden waren.

Vor allem für gut ausgebildete Personen eröffnete die Gründung der GLP eine Gelegenheit, sich politisch zu engagieren. Solche Personen sind meist in ein erfolgreiches Berufsleben eingespannt und verfügen über viele Alternativen, ihre Freizeit zu gestalten. Damit sich diese Personen politisch engagieren, muss politisches Engagement als befriedigend empfunden werden. Dies ist der Fall, wenn mit dem Engagement etwas bewirkt wird – und genau diese Perspektiven konnte die GLP bieten.

In etablierten Parteien mit gefestigten Organisationsstrukturen sind alle Positionen besetzt. Einem Neumitglied verbleibt kein anderer Weg, als ganz unten zu beginnen und sich in der Parteihierarchie hochzudienen. Die politische Ochsentour von der Schulpflege bis zur obersten Listenposition für die Nationalratswahlen ist vor allem für gut ausgebildete Personen, die konkrete Resultate für ihr Engagement erwarten, abschreckend. Die GLP hatte hier viel effizientere Karrieremöglichkeiten vorzuweisen. Hier bedeutete schon die Mithilfe beim Aufbau der Parteistrukturen interne Anerkennung. Dar-über hinaus boten die schnellen Erfolge bei verschiedenen Wahlen das Versprechen auf eine steile politische Karriere. Damit wurde ein sich selbst verstärkender Prozess in Gang gesetzt: die gut ausgebildeten Personen stiessen in grosser Zahl zur Partei, engagierten sich stark und stellten sich für Wahlen zur Verfügung. Der hohe Akademikeranteil auf den Wahllisten signalisierte der Bevölkerung, dass es sich bei der GLP um eine zwar unverbrauchte, aber dennoch ernstzunehmende Kraft handelt. Mit dem Einlegen der GLP-Liste konnte ein wahrnehmbares Zeichen gegen den etablierten Politikbetrieb gesetzt werden. Die Wahlerfolge an der Urne führten der GLP in der Folge weitere neue, meist gut ausgebildete Mitglieder zu. Wahlerfolge und Mitgliederwachstum gingen so Hand in Hand – bis zum heutigen Tag.

Expertenpartei

Der überdurchschnittlich hohe Akademikeranteil macht die GLP zu einer Expertenpartei. Diese Eigenschaft ist problematisch. Experten tendieren dazu, ihre eigenen Kompetenzen und diejenige ihrer Kollegen zu überschätzen. Gleichzeitig neigen sie dazu, die Kompetenzen der Bevölkerung zu unterschätzen. Diese Haltung des Besserwissens macht sich in der Positionierung der GLP bezüglich Umweltfragen deutlich bemerkbar.

Die GLP gibt sich staatskritisch und tritt folgerichtig auf die Bremse, wenn es um die Finanzen der öffentlichen Hand geht. Bei Umweltfragen beschränkt sich die GLP allerdings nicht auf Ordnungspolitik, sondern vertritt einen dezidiert interventionistischen Ansatz. Da wird plötzlich nach einem eingreifenden Staat gerufen, der alternative Energien fördern und technische Innovationen fördern soll. Im Falle der CO2-Abgabe beispielsweise wird deren Teilzweckbindung befürwortet, was aus einer ursprünglich staatsquotenneutralen Abgabe eine neue Steuer macht.

Hier betreibt die GLP – wie alle anderen Parteien – Interessenpolitik. Experten lieben es, neue Subventionsquellen zu erschliessen und in gut dotierten Expertengruppen Einsitz zu nehmen. Das liegt in der Natur der Sache. Aber es widerspricht einer liberalen Ausrichtung. Denn es geht nicht mehr darum, die staatliche Macht zu beschränken und zu kontrollieren, sondern sie zu erobern.

Demokratiedefizit

Dieser Eindruck, dass die GLP eine Expertenpartei ist, bestätigt sich, wenn man die parteiinternen Machtstrukturen und Auswahlprozesse näher untersucht.

Die GLP hat ein eindeutiges Machtzentrum, und dieses heisst Martin Bäumle. Die ganze Organisationsstruktur ist auf den Parteipräsidenten ausgerichtet. Die Rolle, die Bäumle für die GLP spielt, ist möglicherweise noch wichtiger als die Rolle Blochers in der SVP. Sein Einfluss beruht auf der Hausmacht, die er mit der Zürcher Kantonalpartei aufgebaut hat. Auch wenn Bäumle in der Zwischenzeit die Führung auf nationaler Ebene übernommen und die Leitung der Kantonalpartei an ein junges Co-Präsidium abgegeben hat, zieht er nach wie vor die Fäden in der Kantonalpartei, wobei sein Einfluss bis in die Bezirke reicht.

Das Machtgefüge der GLP beruht darauf, dass der Eintritt in den inneren Machtzirkel der Partei streng kontrolliert wird. Dafür sorgen parteiinterne Auswahlprozesse. Merkmal dieser Prozesse ist ein eklatantes Demokratiedefizit innerhalb der GLP. Gemäss Statuten ist die GLP ein Verein, und die Mitglieder der Parteiorgane werden in offener Wahl gewählt. Wahl bedeutet Auswahl. Tatsache ist allerdings, dass den Parteiversammlungen in den seltensten Fällen eine echte Auswahl angeboten wird und in der Regel keine Kampfwahlen stattfinden. Es ist die Geschäftsleitung, die der Parteiversammlung die Kandidaten zur Wahl präsentiert, und es werden exakt so viele Kandidaten aufgestellt, wie Plätze zu vergeben sind. Offensichtlich findet die Geschäftsleitung die Kompetenz, die richtige Wahl zu treffen, bei sich besser aufgehoben als bei der Parteiversammlung.

Dieses Misstrauen gegenüber der Parteiversammlung kommt gar in den Statuten zum Ausdruck. In den meisten Parteien in der Schweiz sind es die kantonalen Mitgliederversammlungen, die ihre Vertreter für die Delegiertenversammlung auf nationaler Ebene wählen. Nicht so in der GLP des Kantons Zürich. Hier ist es (gemäss den im November 2008 revidierten Statuten) der Vorstand, der diese Delegierten wählt.

Aber ist innerparteiliche Demokratie überhaupt wichtig? Das Beispiel der GLP zeigt, dass eine Partei auch ohne solche Prozesse Erfolg haben kann. Allerdings ist Demokratie auch innerhalb von Parteien kein Selbstzweck. Demokratische Auswahlprozesse innerhalb einer Partei führen dazu, dass die Parteikader ständig herausgefordert werden. Offene und transparente Strukturen zwingen die Amtsinhaber, Stellung zu beziehen und Rechenschaft abzulegen, kurz: sie müssen ihre Position über Leistungen legitimieren. Es ist selbstredend für die Parteikader viel bequemer, wenn sie sich zu einem Machtkartell zusammenschliessen. Auf diese Weise können sie die parteiinterne Kommunikation manipulieren und die Spielregeln (zum Beispiel die Sitzungsordnung oder die Traktandenliste) zu ihren Gunsten verändern. Allfällige Herausforderer werden so aussen vor gehalten.

Die längerfristigen Kosten machterhaltender Strukturen sind indes nicht zu unterschätzen. Werden die internen Auswahlprozesse manipuliert oder blockiert, führt dies zur Erstarrung und Verknöcherung der Partei. So mühsam dies für die Parteikader ist, interne demokratische Prozesse bringen Dynamik in die Partei. In einer demokratisch institutionalisierten Partei können sich neues Personal und neue Inhalte viel schneller etablieren als in Parteien, die solche Prozesse erschweren oder unterbinden.

Die GLP bezeichnet sich als liberale Partei. Doch ist ihre Haltung zum Liberalismus widersprüchlich: einerseits gibt sich die GLP bürgernah und staatskritisch, andererseits wird Expertenwissen gepflegt und innerparteiliche Demokratie behindert. Solange sich die GLP in der Wachstumsphase befindet, können solche Widersprüche überdeckt werden. Wenn sich der erfolgsbedingte Schwung abschwächt, könnten diese inhärenten Widersprüche die Partei schneller als erwartet in eine Krise stürzen.

* Vgl. das Interview mit dem Präsidenten der Grünliberalen Partei, Martin Bäumle, in: «Schweizer Monat», Ausgabe 987, S. 19–23.

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