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Ordnungspolitische Konzepte

EU, Deutschland, Schweiiz im Vergleich

Robert Nef: Was ist die Quintessenz des diesjährigen Zermatter Symposiums?

Rolf Hasse (R.H.): Im Zentrum steht für mich die Erkenntnis, dass wir alle, trotz den grossen Reformen, die in den einzelnen Ländern sowie in der EU, im Binnenmarkt ’92 und in der Wirtschafts- und Währungsunion stattgefunden haben, in vielen Bereichen noch in einer Anfangsphase stecken. In Europa, und analog dazu auch in der Schweiz – die doch vieles nachvollzieht –, können wir eine erstaunliche Vielfalt von teils gleichläufigen und teils zeitlich verschobenen Lösungen und Lösungsansätzen beobachten. Viele Bereiche sind dem Wettbewerb noch nicht zugeführt worden, weil die Widerstände zu gross sind. Es ist lohnenswert, die einzelnen Konzepte zu vergleichen, und einfach zu prüfen: Was ist realisiert worden? Was bleibt noch zu tun? Was kann an Lösungsmustern – eventuell mit Modifikationen – auf die eigene Situation übertragen werden?

Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Avenir Suisse und dem Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig zustande gekommen? Welche Rolle spielte Avenir Suisse bei der Formulierung des diesjährigen Programms?

Thomas Held (T.H.): Ich hatte im Jahre 2001, als Avenir Suisse die Arbeit aufnahm, die Gelegenheit, am 10. Zermatter Symposium zum Thema: «Was wird Europa?» zu sprechen. So ergab sich einerseits der Kontakt mit Rolf Hasse und einigen anderen «Stammkunden» des Symposiums, anderseits war das ordnungspolitische Spannungsfeld Schweiz – Europa vorgezeichnet. Ausgehend von unseren Studien zur Marktöffnung in der Schweiz und auf Vermittlung durch Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv haben wir dann für 2003 die Rolle des Partners übernommen. Das Programm haben Uwe Wagschal und ich zusammen mit Rolf Hasse entwickelt. Aus schweizerischer Sicht ging es uns um das ordnungspolitische Paradox, dass die Schweiz einerseits aus der über-regulierten deutschen oder der über-harmonisierten europäischen Perspektive als Hort liberaler ordnungspolitischer Prinzipien erscheint, anderseits aber offensichtlich nicht in der Lage ist, die Marktöffnungen, Deregulierungen und Liberalisierungen, die dem gemeinsamen Markt zugrunde liegen, aus eigener Kraft zu vollziehen.

Wie sind diese Fragestellungen verknüpft mit dem übergeordneten Ziel der ganzen Veranstaltungsreihe? Kann man das diesjährige Symposium in die Tradition der bisherigen Veranstaltungen einfügen?

R.H. Ja, neben dem Vergleich Deutschland – Schweiz geht es in den Symposien immer auch um den Begriff der «Sozialen Marktwirtschaft». Darin mögen Nicht-Eingeweihte eine Einengung sehen, tatsächlich geht es aber um ein offenes Modell, das einerseits auf der Freiheit des Individuums, auf der Markwirtschaft und auf dem Prinzip der Leistungsfähigkeit und des Wettbewerbs beruht und anderseits auf dem Sozialen. Auch der Einsatz für die Freiheit der eigenen Entscheidungen ist nämlich im Grunde genommen ein gesellschaftspolitisches Ziel, das nur erreichbar ist, wenn es mit einer sozialpolitisch motivierten Umverteilung verknüpft wird.

Ohne die Grundlage eines auf die Leistungsfähigkeit abgestützten Erwerbspotentials fehlen jedoch die materiellen Voraussetzungen für eine Umverteilung.

Gibt es bei diesen Symposien neben den wissenschaftlichen Hauptzielen auch Nebenziele, die zu berücksichtigen sind?

R.H. Ja, und diese sollen in Zukunft noch viel stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Wir wollen zu einem Forum werden, in dem Politiker, Wissenschafter und Fachleute aus den Ministerien und Ämtern – jene, die tatsächlich die Probleme lösen müssen – einen freien Meinungsaustausch pflegen können.

Es zeigt sich immer wieder, dass sich etwa zwischen den Juristen und den Ökonomen, und zwischen dem akademischen Bereich und dem Bereich der Wirtschafts-

praxis ein erhebliches Kommunikationsdefizit entwickelt hat, das man in solchen Veranstaltungen abbauen kann. Das Beste, das man dazu beitragen kann, ist wohl eine vertrauensbildende Umgebung. Wichtig ist die Bereitschaft, die offizielle Rolle abzulegen und, vor allem, auch andere anzuhören. So wächst die Bereitschaft, voneinander zu lernen, indem man bei freier gegenseitiger Anerkennung auch die eigene Position in einem anderen Licht sieht.

T.H. Ich kann das, was Rolf Hasse sagt, nur unterstreichen. In der Schweiz ist dieser Austausch noch weniger institutionalisiert, gerade was die Volkswirtschafter betrifft, sofern sie nicht einfach Konjunkturprognosen liefern. Es gibt bei uns keinen Sachverständigenrat und keine «Weisen», die der Regierung oder den Bundesämtern einen ordnungspolitischen Spiegel vorhalten könnten. Der Wettbewerb hat in der Schweiz, wenn man einmal von der Wettbewerbskommission absieht, eigentlich wenige Promotoren.

Zum Gelingen dieses Symposiums haben neben der Partnerschaft zwischen dem Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig und dem Think Tank Avenir Suisse auch die Lokalpartner in Zermatt beigetragen. Wie sind diese Kontakte zustande gekommen und welchen Stellenwert haben sie aus Ihrer Sicht?

R.H. Unsere Partner in Zermatt sind seit Jahren die Burgergemeinde und die Munizipalgemeinde, die unser Symposium durch Sonderkonditionen bei der Unterkunft und durch die unentgeltliche Benützung der Bergbahnen nachhaltig unterstützen. Nicht zu vergessen sind die originellen Beiträge, die die Präsidenten der beiden Institutionen, Andreas Biner und Robert Guntern, über die historischen Wurzeln, die gegenwärtigen Aufgaben und die lokalen sozioökonomischen Besonderheiten ihrer traditionsreichen Körperschaften beigesteuert haben.

Wie ist die Bilanz? Welche Ziele wurden erreicht? Wo, glauben Sie, dass im Hinblick auf künftige Veranstaltungen noch ein Handlungsbedarf besteht?

R.H. Eine Diskussion über ordnungspolitische Konzepte ist eigentlich ein «Perpetuum mobile». Im Zentrum steht der gegenseitige Lernprozess. Ich halte den Entscheid, sich auf ausgewählte Teilbereiche zu beschränken, die dafür intensiv diskutiert werden, für richtig. Die Fachleute aus den herkömmlichen Monopolbereichen Telefonie und Post hatten ausgiebig die Möglichkeit, ihre mit dem Tagesgeschäft notwendigerweise verbundene Befangenheit abzulegen. Die Öffnung des Wettbewerbs ist für alle Beteiligten eine Chance, aber sie bedeutet nicht unbedingt das Ende des wirtschaftlichen Überlebens. Wer verfolgt hat, wie sich diese ehemaligen Monopolisten in den letzten Jahren entwickelt haben, staunt über die dabei entwickelte Kreativität. Es gab Lernprozesse, die man sich in den öffentlichen Unternehmen selbst gar nicht zugetraut hätte.

T.H. Wichtig ist auch, dass man in Zukunft die Ergebnisse und Erkenntnisse des Symposiums noch verstärkt nach aussen tragen kann. Die intime, vertrauensbildende Umgebung ist gut, aber wir müssen auch Ideen entwickeln, wie das Symposium über den Kreis der direkt angesprochenen Akademiker und Experten hinaus ausstrahlen kann. Wir müssen Mittel und Wege finden, um die Beteiligung der wirtschaftlichen Entscheidungsträger zu verstärken.

Nach Abschluss des 11. Zermatter Symposiums vom 24. bis 28. August befragte Robert Nef die beiden Organisatoren Rolf Hasse, Professor an der Universität Leipzig, und Thomas Held, Direktor des Think Tanks Avenir Suisse, über die Ziele und die wichtigsten Ergebnisse der Veranstaltung.

Rolf R. Hasse ist Professor für Volkswirtschaftslehre, Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig und Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig. (hasse@wifa.uni-leipzig.de)

Dr. Thomas Held ist Direktor von Avenir Suisse, think tank for economic and social issues, Zürich. (thomas.held@avenir-suisse.ch)

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