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Operation an der wachen Patientin

Operation an der wachen Patientin

Yael Inokai: Ein simpler Eingriff.

 

Meret ist Krankenschwester. In der Klinik, in der die 25-Jährige arbeitet, werden neuartige Eingriffe durchgeführt: Mit Operationen am Gehirn sollen Menschen von psychischen Störungen befreit werden. Die Ich-Erzählerin erklärt: «Schwestern sagten, es sei ein radikaler Behandlungsansatz, um Menschen von seelischen Störungen zu heilen.» Meret hat sich auf das Leben zwischen Schwesternhaus und Klinik gut eingestellt. Ihre Uniform trägt sie mit Stolz.

Die Patienten und Patientinnen – meist sind es junge Frauen – kennt sie gut. Sie verbringt mit ihnen viel Zeit, tauscht sich aus und spielt Karten. Meret ist aber auch diejenige, die dem Doktor während des Eingriffs assistiert und weiter mit den Patienten spricht, denn die Operationen werden am wachen Subjekt durchgeführt. Der Arzt navigiert dann seine Instrumente zur betroffenen Stelle im ­Gehirn und macht diese «unschädlich».

Der kurze und elegante Roman «Ein simpler Eingriff» wirft ein Schlaglicht auf ein problematisches Kapitel der Medizingeschichte des 20. Jahrhunderts, bei dem Patientinnen als Versuchskaninchen missbraucht wurden. Das Buch fokussiert dabei auf die Geschichten dreier junger Frauen: Die Erzählerin betreut die Patientin Marianne aus einer einflussreichen Industriellenfamilie, die von Wutanfällen befreit werden soll. Und Meret verliebt sich in die Zimmer­kollegin Sarah, die dem Eingriff kritisch gegenübersteht. Formal ist das Buch in drei Teile gegliedert, die je einem ­dieser Frauen zugeordnet sind.

Die Autorin Yael Inokai, 1989 in Basel geboren, bleibt in vielen Punkten absichtlich vage: Es bleibt offen, wann genau sich die Geschichte abspielt, wo sich die Klinik befindet und welche Operationstechnik angewendet wird. Präzise ist sie dagegen, wo es um die Wahrnehmung und Emotionen der Charaktere geht, die in starre familiäre und berufliche Hierarchien eingebunden sind. Manches erinnert dabei an «Alles, was wir geben mussten» von Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro. Bei Inokai liegt der Abgrund aber in der realen Vergangenheit, nicht in einer vorgestellten Gegenwart.


Yael Inokai: Ein simpler Eingriff. Berlin: Hanser Berlin, 2022.

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