Online-Spezial: No Cash? Kritische Gedanken zur Abschaffung des Papiergelds
Das Ende des Bargelds kann in verschiedenen europäischen Ländern bereits beobachtet werden. Was nebst der Wertaufbewahrung und Sicherung der Privatsphäre sonst noch alles für das Bargeld und folglich gegen seine Abschaffung spricht, legen Alois Bischofberger und Rudolf Walser dar.
Die Frage nach der Zukunft des Bargeldes ist aktueller denn je. Dies belegen nicht nur die bereits eingeleiteten Massnahmen zur Beschränkung beziehungsweise Abschaffung des Bargeldes in einigen europäischen Ländern, sondern auch die laufende, international intensiv geführte geldpolitische Diskussion. So gibt es in Frankreich, Italien, Spanien und einigen südosteuropäischen Ländern bereits gesetzliche Höchstgrenzen für die Abwicklung von Bargeldzahlungen. Für grössere Beträge muss auf Überweisungen und Kartenzahlungen ausgewichen werden. In Schweden geht man noch weiter, denn dort müssen selbst Kleinsttransaktionen mit Kreditkarten oder per Überweisung abgewickelt werden. Die dänische Nationalbank hat angekündigt, ab 2017 auf den Druck von Banknoten zu verzichten. Und in der Schweiz sind seit Beginn dieses Jahres Händler verpflichtet, bei Barzahlungen über 100 000 Franken gemäss den globalen Richtlinien gegen Geldwäscherei besondere Sorgfaltspflichten zu beachten.
Schliesslich ist die Bargelddebatte auch auf der EU-Ebene angekommen. Aufgrund eines datenmässig eher dürftigen Berichts von Europol ist die EU-Kommission Anfang 2016 von den Finanzministern der Eurozone beauftragt worden, den Bedarf an angemessenen Beschränkungen für Barzahlungen zu prüfen.1 Zur Diskussion steht eine Obergrenze von 5000 Euro. In der Zwischenzeit hat die EZB am 4. Mai 2016 beschlossen, die Herstellung und Ausgabe der 500-Euro-Scheine, auf die rund 3,5 % der insgesamt 18,2 Mrd. umlaufenden Eurobanknoten entfallen, Ende 2018 einzustellen.
Die Befürworter der Abschaffung des Bargeldes führen im wesentlichen drei Gründe ins Feld:
- Bargeld ist ein ineffizientes und kostenintensives Zahlungsmittel. Die Banken müssen Bargeldbestände unterhalten und Sicherheitsvorkehrungen treffen, und die Bürgerinnen und Bürger laufen das Risiko, Bargeld zu verlieren oder bestohlen zu werden.
- Bargeld begünstigt die Schwarzarbeit sowie die Steuerhinterziehung und erleichtert die Kriminalität (Geldwäscherei, Drogenhandel).
- Bargeld schränkt die Wirksamkeit der Geldpolitik ein, weil es nur in einer Welt ohne Bargeld und Noten möglich ist, die Zinsen für die Wirtschaftsakteure deutlich unter null zu senken. Erst dadurch erhält die Zentralbank einen Durchgriff auf Konsum und Investitionen und kann die Konjunkturschwankungen eliminieren und das Wachstum steuern.
Was ist nun aber von diesen Argumenten zu halten? Sind die Erwartungen der Bargeld-Abschaffer zutreffend oder unterliegen sie Trugschlüssen?
Bargeld, Zahlungsverhalten und Transaktionskosten
In den letzten Jahren haben die elektronischen und mobilen Zahlungssysteme im Zusammenhang mit den veränderten Zahlungsgewohnheiten einen starken Aufschwung erlebt. Stellvertretend für diesen Prozess steht etwa die Single Euro Payments Area (SEPA). Deren Ziel ist die Schaffung eines europaweit einheitlichen Zahlungsraums für bargeldlose Zahlungen in Euro, wobei die teilnehmenden Staaten weit über die Eurozone hinausgehen. Auch die Schweiz nimmt daran teil. Damit gibt es für den Bankkunden keinen Unterschied mehr zwischen nationalen und grenzüberschreitenden Zahlungen. Der Zahlungsverkehr wird nicht nur schneller, sondern es steigt auch der internationale Wettbewerb zwischen den Banken. Das neue Verfahren wird – neben dem alten Überweisungsverfahren – bereits seit 2014 angewendet und soll bis Ende Oktober 2016 zum einzigen Standard werden.
Allgemein ist mit dem zunehmenden Online-Handel und im Zuge der Digitalisierung des Bankgeschäfts ein weiteres Vordringen von mobilen und kontaktlosen Zahlverfahren zu erwarten. Die Banken und die grossen Internetkonzerne dürften in ihren Bemühungen um eine noch weitergehende Revolutionierung des unbaren Zahlungsverkehrs kaum nachlassen. Stichwörter für innovative Lösungen bei mobilen Bezahllösungen und beim Zahlungsverkehr sind etwa Paymit, Twint, Swiss Wallet und Apple Pay, wobei die beiden erstgenannten Unternehmen fusionieren sollen.2
Orientierung an den Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger
Ob in Zukunft Bargeld weiterhin benützt wird oder ob unbare, mobile Bezahlsysteme diesem den Rang ablaufen, wird sich weisen. Bargeld und Buchgeld sind nämlich keine homogenen Produkte, sondern imperfekte Substitute mit ihren jeweils eigenen Vor- und Nachteilen. Der Trend weist zwar langsam, aber kontinuierlich in Richtung mehr unbare Zahlungen. Dieser Prozess ist aber aus liberaler Sicht staatlich weder zu fördern noch zu bremsen, sondern er soll sich an den Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger orientieren. Politik soll nicht anstossen, sondern nachvollziehen. Nur so verbleiben den Konsumenten Wahlmöglichkeiten und die freie, selbstverantwortliche Entscheidung.
In den einzelnen Ländern werden sich dabei Unterschiede im Zahlungsverhalten herausbilden. Nach einer Untersuchung der Deutschen Bundesbank zum Zahlungsverhalten in Deutschland wird für rund 80 Prozent aller Transaktionen am Verkaufsort Bargeld verwendet3. Dagegen ist der unbare Zahlungsverkehr in Grossbritannien, den Niederlanden, den skandinavischen Ländern sowie den USA weiter fortgeschritten. Der Bargeldanteil beträgt nur noch rund 50 Prozent. Die Schweiz liegt dazwischen. Obwohl die Nutzung bargeldloser Zahlungsmittel steigt, wächst nach Beobachtungen der Deutschen Bundesbank die ausstehende Bargeldmenge in wichtigen Währungsräumen kontinuierlich4.
Umstritten ist, ob die elektronischen Zahlungssysteme die Transaktionskosten noch weiter signifikant senken werden, weil die Kosten des Zahlungsverkehrs durch das SEPA-Verfahren bereits deutlich gesunken sind. Zweifel sind angebracht. Erstens sind diese Systeme in Betrieb und Unterhalt relativ teuer, wollen doch ihre Betreiber daran auch verdienen. Bargeld kann dagegen ohne technische Infrastruktur eingesetzt werden. Zweitens sind Pannen und Risiken (Skimming, Phishing, Kreditkartenbetrug) bei unbaren und mobilen Zahlsystemen nie ganz auszuschliessen. So müssen Banken täglich tausende Angriffe auf ihre IT-Systeme abwehren. Es gibt sogar wichtige Stimmen, die die Informationstechnologie (genauer gesagt, damit ausgeführte sogenannte Cyberattacken) im Zentrum einer nächsten Finanzkrise sehen5. Drittens ist die Bedienung der neuartigen Zahlungssysteme auch nicht immer so einfach, wie die Anbieter glauben machen wollen. Statt an den Kassen Schlange zu stehen, schlagen sich dann die Leute – und nicht nur ältere Personen – mit den Tücken der neuen Zahlungsinstrumente herum und verlieren dabei Zeit. Schliesslich ist nicht zu vergessen, dass bei Barzahlung der Eigentumsübergang an den Zahlungsempfänger sofort erfolgt, während es beim bargeldlosen Verkehr immer noch eine zeitliche Verzögerung gibt. Dank SEPA hat sich die Zeit zwischen Überweisung und Zahlungseingang von fünf Tagen auf wenige Stunden verkürzt. Deshalb dürfte es für Alternativwährungen (Bitcoin) eher schwierig werden, noch eine Marktnische zu finden6. Ob «Instant Payment»-Systeme, die bargeldlose Transaktionen in Sekundenschnelle ermöglichen, den gleichen Sicherheitsstandard erreichen wie bei Barzahlung, bleibt abzuwarten.
Alles in allem stehen die Argumente der Bargeld-Abschaffer hinsichtlich Kosten und Effizienz somit auf wackligem Grund. Wäre Bargeld wirklich ein derart ineffizientes Zahlungsmittel, hätten andere Instrumente es längst verdrängt. Entscheiden die Konsumenten und der Handel in Freiheit, welche Zahlungsmittel sie verwenden, dürfte es vermutlich zu einer friedlichen Koexistenz zwischen Bargeld und unbaren Zahlungsmitteln kommen7.
Was spricht weiterhin für das Bargeld?
Unabhängig von den Fortschritten im bargeldlosen Zahlungsverkehr sprechen wichtige ökonomische und staatspolitische Gründe für die Beibehaltung des Bargeldes.
Münzen und Banknoten sind in der Schweiz und auch in den meisten anderen Industrieländern das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel. Bargeld ist das liquideste Zahlungsmittel. Seine Abschaffung würde die Banken nicht nur von den Kosten des Bargeldverkehrs, sondern auch von der stets latenten Sorge eines «Bank Runs», also der massenhaften panischen Abhebung der Deposita durch die Sparer, befreien. Ein wichtiges Disziplinierungsmittel würde damit verschwinden. Bargeld, vor allem Banknoten, dient als Wertaufbewahrungsmittel ausserhalb des Finanzsystems. Dies zeigt sich daran, dass in der Eurozone schätzungsweise lediglich 15 bis 20 Prozent des Bargeldes im Transaktionsumlauf sind. Der Rest wird gehortet (30 bis 40 Prozent) oder befindet sich im Ausland8. Bargeld ist folglich auch ein willkommenes Diversifikationsinstrument. Diese wichtige Funktion zeigt sich immer wieder in Zeiten erhöhter Unsicherheit oder von Krisen, in denen die Bevölkerung nach dem Motto «Nur Bares ist Wahres» eine erhöhte Präferenz für physisch greifbares Geld hat. So ist die Nachfrage nach Banknoten in der Schweiz und besonders in der Eurozone nach dem Ausbruch der Finanzkrise über die Zeit spürbar gestiegen. In der Schweiz stieg der Bargeldumlauf von knapp 7 Prozent des BIP 2008 auf heute rund 10 Prozent. Gegenwärtig sind über 40 Milliarden Franken an 1000er-Noten im Umlauf, obwohl diese für den Zahlungsverkehr kaum eingesetzt werden können. Bargeld und Barzahlungen schützen die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger und gewährleisten damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, weil die privaten Umsätze nicht dokumentiert werden können. Bargeld hinterlässt – im Gegensatz zu elektronischem Buchgeld – keine Spuren. Eine Abschaffung des Bargeldes würde die Bürger nicht nur unmittelbar in die unbaren, elektronischen Zahlungssysteme der Banken und Internetfirmen zwingen, sondern sie direkt auch deren Ausfallrisiken aussetzen («Bail-in»).
Schliesslich ist daran zu erinnern, dass mit der Abschaffung des Bargeldes auch die klassische «Seigniorage» der Notenbank, das heisst der Gewinn, der bei der Geldschöpfung aus der Differenz von Herstellungskosten und Ausgabewert entsteht, verschwinden würde. Dieser fliesst in der Regel dem ausgebenden Staat zu. Allerdings haben sich die Notenbanken mit dem «Quantitative Easing» neue Einnahmemöglichkeiten geschaffen, indem sie kostenlos neues Girogeld schöpfen, das sie in zinstragende Aktiven investieren.
All dies zeigt, dass Bargeld in einer freiheitlichen Gesellschaft ein wichtiges Element von Privatheit und Selbstverantwortung der Bürgerinnen und Bürger ist. Zwar nimmt der Anteil des Bargeldes im Zahlungsverkehr tendenziell ab, aber die Summe des im Umlauf befindlichen Bargeldes ist in den letzten Jahren trotzdem gestiegen. In diesem Zusammenhang ist wohl kaum damit zu rechnen, dass die USA gross in den Kampf gegen das Bargeld einsteigen werden. Denn sie würden dadurch die dominierende internationale Stellung des Dollars als Bargeld gefährden. So erhält das abgewandelte Zitat von Dostojewski «Geld ist geprägte Freiheit» gerade im Zeitalter von Big Data noch mehr Bedeutung.
Bargeld, Schwarzarbeit, Kriminalität und Steuerhinterziehung
Die gern ins Feld geführten Argumente, ohne Bargeld würde es weder Schwarzarbeit, Kriminalität (Drogengeschäfte und Geldwäscherei) noch Steuerhinterziehung geben, überzeugen nicht. Sie erweisen sich bei eingehender Prüfung als nicht stichhaltig und eher weltfremd. Erstens können Bürgerinnen und Bürger ohne Bargeld jederzeit auf andere Währungen oder alternative Tauschmittel (z.B. Gold) ausweichen, sofern Bargeld nicht weltweit abgeschafft wird. Dies ist jedoch kaum realistisch. Schwarzgeld muss zudem nicht zwangsläufig Bargeld sein, sondern kann ebenso gut als Buchgeld existieren. Vermutlich dürfte nicht deklariertes privates Vermögen in dieser Form wesentlich häufiger vorkommen als in Bargeld. So spricht der französische Ökonom Gabriel Zucman von 5800 Milliarden Euro, die unbar auf Konten in «Steueroasen» liegen sollen9. Zweitens ist nicht zu erwarten, dass die Schwarzarbeit und die organisierte Schattenwirtschaft mit einem Bargeldverbot einfach verschwinden werden. Zwar würden die Möglichkeiten für kleine Leute, einige Franken am Fiskus vorbei zu verdienen, eingeschränkt. Gleichzeitig ginge aber auch ein wichtiges Korrektiv gegen einen ausufernden Steuerstaat verloren10. Ohnehin geht von letzterem der grösste Anreiz für die Schattenwirtschaft aus, wie zahlreiche empirische Untersuchungen zeigen. Drittens dürfte Bargeld bei der organisierten Kriminalität keine entscheidende Rolle spielen. Längst lassen sich durch illegale Handlungen im Internet ebenso grosse Gewinne erzielen wie durch die klassischen Formen der Kriminalität (Bankraub, Einbruch, Geiselnahme). So wird der Schaden der Cyberkriminalität auf jährlich 445 Milliarden Dollar geschätzt, wobei fast alle Branchen betroffen sind. Der Löwenanteil der Kosten entfällt allerdings auf die Finanz- und Versicherungsbranche sowie die verarbeitende Industrie. Rund 25 Prozent der Unternehmen in der Schweiz sollen von Cyberkriminalität tangiert sein11.
Im übrigen weiss sich das organisierte Verbrechen schnell auf neue Rahmenbedingungen einzustellen. Für Schneider12 von der Universität Linz, der sich seit Jahren mit der Schattenwirtschaft und der organisierten Kriminalität befasst und zu den bekanntesten internationalen Experten gehört, dürfte eine Reduzierung des Bargeldes die kriminelle internationale Aktivität nur moderat reduzieren. Obwohl die USA keine grossen Dollarnoten kennen, sind die Straftaten deswegen nicht zurückgegangen. Es ist deshalb naiv zu glauben, kriminelle Handlungen würden unterbleiben oder signifikant zurückgehen, wenn in der EU der 500-Euro-Schein abgeschafft wird. Schliesslich erinnern Berentsen und Schär (2016) daran, dass Bargeld historisch gesehen ein relativ junges Phänomen ist, wogegen Kriminalität, Geldwäsche und Steuerhinterziehung wesentlich älter sind. Von daher kann Bargeld kaum die Ursache all dieser Probleme sein, aber es ist ein wichtiger Schutz gegen die Kontrolle durch den Staat oder die Digitalkonzerne.
Bargeld und die Wirksamkeit der Geldpolitik
Geldtheoretisch wird die Notwendigkeit von negativen (Nominal-)Zinsen damit begründet, dass in der heutigen Wirtschaftssituation der neutrale reale Zins, der Vollbeschäftigung und eine stabile Inflation in ein Gleichgewicht bringt, bei rund 2 Prozent liege13. Solange der aktuelle reale Zins jedoch über dem nicht beobachtbaren neutralen Zins liege, wirke die Geldpolitik kontraktiv. Deshalb, so die Empfehlung von bekannten Ökonomen wie Rogoff, Mankiw, Summers oder Bofinger, müsse die Geldpolitik viel stärker in negatives Territorium gedrückt werden, um expansiv zu wirken. Dabei stehe das Bargeld im Weg. Was ist denn nun davon zu halten?
Erstens einmal zeigen die Beispiele Dänemarks und der Schweiz, dass negative Nominalzinsen und Bargeld durchaus koexistieren können, ohne dass die Bargeldhaltung eingeschränkt werden müsste. Zweitens verkennen die Bargeldkritiker nach Berentsen und Schär14, dass das Halten von Bargeld Kosten verursacht, wobei diese für die einzelnen Wirtschaftssubjekte unterschiedlich ausfallen. Deshalb gebe es keinen «Grund zur Annahme, ein Nominalzins von null stelle einen magischen Schwellenwert dar, der wegen der Existenz von Bargeld nicht unterschritten werden kann»15. Schliesslich macht das geldpolitische Verständnis der Bargeldkritiker stutzig, denn diese gehen von einem umfassenden Mandat der Notenbanken aus, indem die Geldpolitik nicht nur die Zielinflation (2 Prozent) exakt steuert, sondern auch noch für Wachstum, Beschäftigung und Finanzstabilität zuständig ist. Es wird der Geldpolitik gewissermassen eine wirtschaftspolitische «Allzuständigkeit» zugebilligt, die einer Anmassung von Wissen der Notenbanken gleichkommt16.
In einer freiheitlichen, liberalen Ordnung haben deshalb Überlegungen, die darauf hinauslaufen, das eigene Geld steuerlich zu belasten oder gar abzuschaffen, keinen Platz. Für Thorsten Polleit äussert sich darin eine verquere Geisteshaltung, «steht doch der Negativzins für eine irrsinnige Welt, die mit einer arbeitsteiligen produktiven Wirtschaft nicht vereinbar ist»17. Nach der gängigen ökonomischen Grundregel erhält derjenige, der einem Schuldner Geld leiht, dafür einen Zins. Für viele Staaten und Schuldner mit halbwegs guter Bonität gilt dies jedoch schon seit einiger Zeit nicht mehr, ohne dass deswegen das Wachstum angesprungen und die Finanzstabilität gestärkt worden wäre. Hingegen sind die marktwirtschaftlichen Mechanismen, die auf einem positiven Zins aufbauen, ernsthaft in Gefahr. So mutet es grotesk an, dass Italien als finanzpolitisches Sorgenkind der Eurozone bis zu Laufzeiten von zwei Jahren negative Zinsen «bezahlt».
Bargeld und Privatsphäre
In der zunehmend digitalisierten Welt gerät die Privatsphäre immer stärker unter Druck. Vor diesem Hintergrund ist Bargeld einer der letzten Garanten individueller Freiheit und stellt somit ein hohes Gut dar, welches weder leichtfertig aufgeweicht noch preisgegeben werden darf. Bargeld ist Notenbankgeld und einziges gesetzliches Zahlungsmittel, mit dem Güter und Dienstleistungen in einem Zug bezahlt werden können. Es schützt die Bürgerinnen und Bürger vor Negativzinsen und ist damit auch ein wichtiger Schutzwall gegen die finanzielle Repression. Historisch gesehen reichte die Verluderung des Geldwesens von der Reduktion des Edelmetallanteils in den Münzen durch Könige und Herrscher bis hin zur Inflationierung im Zeitalter des Papiergeldes. Und es ging dabei immer auch um Staatsbereicherung. Die sukzessive Beschneidung der freien Verfügungsgewalt über Bargeld oder gar dessen Abschaffung würde im Zeitalter des Internets und der Digitalisierung neue Möglichkeiten der Einschränkung von Vertragsfreiheit und Finanzautonomie eröffnen, weshalb einer solchen Entwicklung von Anfang an dezidiert entgegengetreten werden muss. Deshalb gibt es auch keinen überzeugenden Grund, die 1000-Franken-Note abzuschaffen. In einer freiheitlichen Ordnung entscheidet der Bürger selbst, ob er lieber bar oder unbar bezahlt. Immer neue Einschränkungen von bürgerlichen Freiheiten werden weder die Schuldenkrise lösen noch zu neuem Wachstum und mehr Beschäftigung führen. Schliesslich lassen sich durch die Beschränkung oder gar Abschaffung des Bargeldes weder die Schwarzarbeit oder die Steuerhinterziehung noch die Kriminalität aus der Welt schaffen.
Alois Bischofberger
ist Senior Consultant bei Avenir Suisse. Sein Schwergewicht liegt auf Makroökonomie und Altersvorsorge. Er war Chefökonom der Credit Suisse.
Rudolf Walser
ist Senior Consultant bei Avenir Suisse. Er war Botschaftssekretär in Paris und in leitender Funktion bei der F. Hoffmann-La Roche AG in Basel tätig, bevor er Chefökonom von Economiesuisse wurde.
1 René Höltschi: Die dunkle Seite von König Bargeld. In: Neue Zürcher Zeitung, 9.2.2016.
2 Paymit und Twint vor Hochzeit. In: Finanz und Wirtschaft, 26.5.2016.
3 Carl-Ludwig Thiele: Die Zukunft des Bargelds. Rede vom 13.4.2016. Web: https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Reden/2016/2016_04_13_thiele.html
5 Andreas Dombret: Total digital? Die Zukunft des Bankgeschäfts. In: Auszüge aus Presseartikeln der Deutschen Bundesbank, Nr. 45.
6 Thiele, 2016.
7 Tim Krieger: Bargeld abschaffen? In: Zeitschrift für Studium und Forschung WiSt, Nr. 7/2015.
8 Thiele, 2016.
9 Zitiert nach: Carl-Ludwig Thiele: Die Zukunft des Zahlungsverkehrs zwischen bar und virtuell. Rede vom 20.4.2016.
10 Tim Krieger: Bargeld abschaffen? In: Zeitschrift für Studium und Forschung. WiSt, Nr. 7.
11 Simone Hofer Frei und Michael Mandl: Cyberkriminalität verursacht hohe Kosten. Web: www.avenir-suisse.ch/47191/datenschutz-cyberkriminalitaet-gefaehrdetet-daten/. Letzter Zugriff am 9.6.2016.
12 Friedrich Schneider: Die Finanzströme der transnationalen organisierten Kriminalität: Der Gebrauch von «Cash» und was wissen wir (nicht)? Linz: Johannes-Kepler-Universität, 2015.
13 Lars E.O. Svensson: Interview with Lars E.O. Svensson. In: Top of Mind #32: Negative Interest Rates: Helpful or Harmful? Goldman Sachs Global Macro Research, 27.2.2015.
14 Aleksander Berentsen und Fabian Schär: Unsinnige Forderung nach Bargeldverbot. In: Neue Zürcher Zeitung, 4.01.2016.
15 Berentsen und Schär, 2016.
16 Stephan Lorz: Ökonomen hadern mit der Realität: Weg mit Bargeld! Börsenzeitung, 22.7.2015.
17 Michael Rasch: Idee des Bargeldverbots steht für irrsinnige Welt. Neue Zürcher Zeitung, 29.5.2015.