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Online Spezial: Grübeln in der Uni-Bar der Duke University

Die US-amerikanischen Wahlen, Trump – und die nun zu ziehenden Lehren für Ökonomen.

Als jemand, der noch zu Lebzeiten Breschnews in Bulgarien geboren worden ist, bewundere ich die USA, genauer gesagt das, wofür das Land traditionell steht. Trotz häufiger Konferenzbesuche ist es gerade mein längster Aufenthalt: sechs Monate an der Duke University in North Carolina, einer Privatuniversität, die mit einem gewissen Augenzwinkern Präsident Richard Nixon ihren berühmtesten Absolventen nennt.

Seit ich USA-bezogen politisch denken kann, also seit der Kampagne 1992 zwischen Bush senior und Clinton, hatte ich nie Sympathien für den Kandidaten der Demokraten. Genauso wenig wie diesmal für Hillary Clinton. Allerdings: als liberaler Ökonom hielt ich Donald Trump wirtschafts- und gesellschaftspolitisch für schlicht nicht wählbar. Das liegt nicht an der «Duke», die zugegebenermassen eine Art Blase ist: Wie an den meisten US-Unis ist die Anhängerschaft der Republikaner auch hier übersichtlich, was einem im Campus-Wahlkampf und auch während der drei TV-Debatten klar wurde, die ich bei studentischen Veranstaltungen mitverfolgte. Diesmal war es noch deutlicher: sogar die Duke College Republicans haben sich geweigert, Donald Trumps Kandidatur zu unterstützen. So schien vor den letzten FBI-Untersuchungen der «Spuk» Trump doch gebannt.

Bekanntlich kam es anders. Ich sass am Wahlabend mit Kollegen in der Uni-Bar, und es wurde schon nach der Schliessung der Wahllokale an der Ostküste klar, dass es gar keine klare Sache wird. Die für die Bar übliche allabendliche Sportlautstärke übertrug sich nun für mehrere Stunden auf das Politduell – äusserlich keine grosse Umstellung, da sich das gewohnte Befeuern der blauen Duke-Farben nun auf das Blaue der Demokraten übertrug. Nur eine ältere Familie war sichtlich angetan, als ein Staat nach dem anderen an Trump ging. Zwar konnte ich mit Freude feststellen, dass mein Favorit, der liberale «Outlaw» Gary Johnson, sehr gut abschneidet (mit seinen historisch einmaligen 4 Millionen Stimmen ist er inzwischen für einige Demokraten zum Sündenbock geworden), aber die Stimmung in der Bar wurde immer trister. North Carolina ging auch an Trump – ganz im Gegenteil zur Gemeinde um die «Duke», Durham County, wo Clinton knapp 80 Prozent erreichte, was bei den Studenten für etwas Aufheiterung sorgte –, aber als auch Pennsylvania kippte, war der Abend gelaufen.

Das ist jetzt einige Wochen her. Das Thema ist auf dem Campus immer noch allgegenwärtig. Erfreulicherweise gab es keine Anti-Trump-Märsche wie in New York oder Kalifornien, das wäre albern und auch antidemokratisch gewesen. Die Stimmung ist aber, trotz der südlichen Sonne, stark getrübt. Seit dem Abend in der Bar komme ich selbst auch kaum vom Thema weg. Da ich mich als Volkswirt mit der Geschichte des ökonomischen Denkens befasse und hier an der «Duke» die mitteleuropäische Ideengeschichte im frühen 20. Jahrhundert erforsche, sehe ich einige bedrückende Parallelen zur damaligen Fragilität der Ordnung: Das Narrativ, das momentan die Medien zu beherrschen scheint – die Entfremdung zwischen den politischen Eliten und dem Wahlvolk als Erklärung für Trump –, entbehrt sicher nicht der Berechtigung, wenn man die 93 Prozent für Clinton in Washington DC sieht. Als alleinige Erklärung reicht das aber nicht, sondern ist vielmehr gefährlich, denn derart oberflächliches Verständnis für die Wähler kann vieles von dem «adeln», was in diesem Wahlkampf an hässlichen Emotionen und rhetorischen Dammbrüchen sichtbar wurde.

Ausserdem beschäftigt mich primär eine andere Erklärungsmöglichkeit: das Versagen der Ökonomen. Viele Kommentatoren, auch aus dem liberalen Lager, mokieren sich vornehmlich über das Versagen der Wahlprognostiker oder sprechen gar von einem Scheitern der Politikwissenschaft. Natürlich ist das viel zu pauschal, allerdings ist es vielleicht an der Zeit, über das Bild vom Sozialwissenschafter als Glaskugelexperten nachzudenken. Für uns Ökonomen ist das nicht neu: seit Jahren haben wir ein Imageproblem, weil viele – mit grosser medialer Kelle angerührte – Konjunkturprognosen sich im Nachhinein als falsch herausstellten. Mit «Versagen der Ökonomen» meine ich aber etwas anderes: Trumps ganz offensichtlich erfolgreiche Rhetorik gegen Freihandel, Auslandsinvestitionen und Zuwanderung (letztere kann in den USA aus bekannten Gründen kaum in die Sozialsysteme münden), die auch in Europa immer populärer wird.

Der Aufschwung der neuen Anti-Globalisierungs-Koalition, die Offenheit bekämpft und dabei erfolgreich rechte und linke Kräfte vereint, ist für mich ein deutliches Fanal, dass die Ökonomenzunft ihre zentralen theoretischen Argumente und historischen Befunde kaum noch effektiv zu kommunizieren vermag. Dass Mauern wieder in Mode kommen, lässt sich zwar leicht mit den erheblichen Kosten des Strukturwandels in einigen Regionen der USA in Verbindung bringen. Dass man sich aber von diesen neuen Mauern neuen Wohlstand verspricht, indem man Handelskriege mit China anvisiert, die Investoren zur Rückkehr in den Mittleren Westen zwingt und die Hispanics des Landes verweist, zeigt eindrücklich, wie wenig Anklang die Argumente der Ökonomen beim Wähler finden. Vielleicht liegt es daran, dass sich viele Ökonomen für die Öffentlichkeit zu schade sind? Vielleicht auch daran, dass viele Politikberatung nur als Politikerberatung verstehen, während es dabei eher um Bürgerberatung gehen müsste? Ganz sicher aber braucht es wieder – angesichts der zunehmenden Fragilität unseres global-digitalen Zeitalters – mehr öffentliche Auseinandersetzung über die morgigen Grundlagen von Wirtschaft und Gesellschaft. Sollten die Trumps, Le Pens, Orbáns und Petrys als Heilsversprecher mit ihren auf Mauern basierenden Pseudolösungen dauerhaft durchdringen, werden dadurch illusionäre Wohlstandserwartungen geweckt, deren Enttäuschung nur noch gefährlichere Dynamiken auslösen kann.  

Wenden wir es positiv: Für liberale Ökonomen gibt es wieder viel zu tun. Der Westen, wie wir ihn kennen, erscheint mir in Gefahr, nicht allein wegen und nicht erst seit der US-Wahl. Hoffentlich war der Morgen des 9. November 2016 nicht die Umkehrung des Abends vom 9. November 1989.


Stefan Kolev
ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau und Vorstandsmitglied des Wilhelm-Röpke-Instituts in Erfurt. Momentan forscht er im Rahmen seines Sabbaticalsemesters am Center for the History of Political Economy der Duke University.

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