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Die Bitcoin-Revolution

Die neue Sprache des Geldes.

Für die Unterstützung dieses Dossiers danken wir der Fondazione Fidinam. Redaktionell verantwortlich ist der «Schweizer Monat».

Inhalt

Hayeks Traum wird wahr

Seit Jahrzehnten denken visionäre Ökonomen über ein Geldsystem der Zukunft nach. Über eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

 

Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss man ihr Geldwesen verwüsten», soll Wladimir Iljitsch Uljanow, auch Lenin genannt, einmal gesagt haben. Die Zentralplaner und Geldsozialisten in allen Parteien, Zentralbanken und Regierungskreisen, die Nutzniesser des billigen Geldes, haben innerhalb der letzten rund 100 Jahre das wichtigste Gut der Marktwirtschaft, das Tauschmittel, monopolisiert. Dessen Preis und Produktionsmenge lenkend, zerstören sie dadurch die marktwirtschaftliche Gesellschaft, indem sie das einst marktwirtschaftliche Geldwesen zerstören. Nicht erst seit der internationalen Kreditmarktkrise des Jahres 2007 entsteht die wichtigste Preisinformation einer funktionierenden Marktwirtschaft fatalerweise nicht mehr in einer spontanen Ordnung der Wettbewerbskräfte. Das geldökonomische Phänomen Bitcoin könnte dies ändern.

Geld sollte Marktprinzipien unterstehen

Die Erkenntnis, dass gutes Geld ein privates, spontan am Markt entstehendes Gut ist und keiner Intervention der Regierung oder Notenbanken bedarf, wurde bereits früh gemacht. Der Begründer der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, Carl Menger, erkannte dies in seinen «Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre» im Jahre 1871. Streng genommen greift er hier auf die Schriften der spanischen Scholastiker aus dem 15. und 16. Jahrhundert zurück. Bereits 1382 schrieb Bischof Nikolaus von Oresme, dass Geld das Ergebnis des freien Marktprozesses sei und keinerlei Staatseingriffe bedürfe. Das Bedürfnis nach einem Tauschmittel lasse Geld spontan am Markt entstehen. Es existiere nicht dank Notenbanken, sondern vielmehr trotz der andauernden Interventionen derer, wie uns die Geldgeschichte lehrt. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek verfasste 1976 sein Werk «Entnationalisierung des Geldes», in welchem er für freien Geldwettbewerb plädierte. Ein Jahr zuvor machte er bei einer Vorlesung in London den Vorschlag, mittels freier Währungswahl die damalige Inflation zu stoppen.

Geld sollte – wie jedes andere Gut auch – frei am Markt produziert werden und dem Ordnungsprinzip des Marktes unterstehen. Hayek begründet dies wie folgt: Ist die Preisinformation des Tauschmittels durch ein Monopol verfälscht, sind es jegliche anderen Preisinformationen in einer Marktwirtschaft auch. Der Koordinationsmechanismus der Preisfindung kann seine Aufgabe nicht mehr erfüllen. Zweifel hatte Hayek dabei vor allem hinsichtlich der Geldstabilität. Hayek wusste, dass es in einem freien Marktsystem kein stabiles Geld geben kann, da sich der Wert des Geldes, sein Grenznutzen, subjektiv und intertemporal fortlaufend ändert. Bei seinem Lehrer, Ludwig von Mises, erkannte er in der damaligen «Socialist Calculation Debate» die Unmöglichkeit der Wirtschaftsrechnung im Sozialismus. Hayek verstand, dass ein monopolistischer Geldproduzent immer versagen wird, da die Geldmenge sowie der künstlich gesetzte Grenznutzen des Geldes immer zu hoch oder zu tief sein werden. Dadurch ist «stabiles Geld» ein «Es-soll-sein»-Versprechen der (Geld-)Planwirtschafter.

Jedes System ist endlich

Der Zeitpunkt des Erscheinens von Hayeks «Entnationalisierung des Geldes» dürfte kein Zufall gewesen sein. Als US-Präsident Nixon im Jahr 1971 offiziell das Goldfenster schloss, entstand weltweit ein Währungssystem, welches ein beispielloses monetäres Experiment wagt: «Ein System, in dem alle wichtigen Währungen der Welt mit einem nicht einlösbaren Papiergeldstandard operieren», wie Milton Friedman festhielt. Es zeichnet sich aus durch Währungen, die von staatlichen Zentralbanken de facto in beliebiger Menge produziert werden, durch ungedecktes Papiergeld sowie ein Teilreservebankensystem, welches durch die künstliche Zinssetzung der Notenbanken seinerseits zur Geldschöpfung beiträgt. Damit haben die Regierungen den lang gesuchten Stein der Weisen gefunden, um sich ihrerseits billig verschulden zu können und im Sonderinteresse ihrer sich abwechselnden Klientel nicht nur Kriegs-, sondern vor allem auch Wohlfahrtsstaatsfinanzierung zu betreiben.

Hayek sah voraus, was mittlerweile eingetreten ist: dass ein Geldmonopolist ohne die natürliche Begrenzung der Geldmenge durch die Golddeckung und ohne den Ordnungsrahmen der Marktkräfte eine in Friedenszeiten in dem Ausmass noch nie dagewesene Produktionsmengenausweitung des Tauschmittels vornehmen konnte. Es ist kein Zufall, dass dadurch die Staatsverschuldung chronisch anwuchs und dass das internationale Finanzsystem dadurch von immer grösseren Verwerfungen heimgesucht wurde und werden wird. Die Gier der mit billigem Fremdkapital gefütterten Banker frass deren Hirn. Fehlallokationen und der immer weiter auseinanderklaffende Graben zwischen Entscheidungen und Haftung förderten Vermögenspreisblasen wie in Japan Anfang der 90er Jahre, die Mexiko- und Asienkrise, die Dotcom Bubble im Jahr 2001 sowie die durch massive Fehlallokationen im Kreditmarkt hervorgerufene Staatsschuldenkrise von 2007. Die Gier frass aber auch das Hirn der zuständigen Politiker, welche ihrerseits die Staaten in exzessive Verschuldungen trieben, gefüttert von der Möglichkeit der Verschuldung zum vermeintlichen Nulltarif.

«Die Gier der mit billigem Fremdkapital

gefütterten Banker frass deren Hirn.»

Bitcoin erblickt das Licht der Welt

Hayek sprach 1984 in einem Fernsehinterview einen zentralen Punkt an: «Ich denke nicht, dass wir je wieder gutes Geld haben werden, wenn wir es nicht aus den Händen der Regierung nehmen; alles, was wir tun können, ist, etwas einzuführen, was sie nicht stoppen können.» Dabei dachte Hayek an ein Tauschmittel, welches spontan am Markt entsteht und sich der Kontrolle durch die Regierungen und Notenbanken entziehen kann. Er forderte dabei nicht die Abschaffung des staatlichen Geldmonopols, sondern lediglich das Zulassen von Wettbewerb in der Produktion des Geldes. Ein Beispiel, dass solches Marktgeld sofort im Namen des Geldmonopols und der Antiterrorbekämpfung zerstört wird, lieferte Bernard von Nothaus mit seinem «Liberty Dollar», welcher 2006 als Verbrechen eingestuft wurde.

Mit dem Erscheinen des «Crypto Anarchist Manifesto» im November 1992 wird ein weiterer zentraler Grundstein für die Entstehung des Bitcoin gelegt. Der Verfasser Timothy May war sich bewusst, dass er damit wohl eine entscheidende Entwicklung in der Cypherpunkszene ermöglichte: Durch Public-Key-Verschlüsselung und kenntnisfreie Beweistransaktionssysteme wurde das Verschicken von Daten aller Art anonym und ohne Intermediär oder Intervention Dritter ermöglicht. Für Milton Friedman war sogleich klar, dass das aufkommende Internet neue Möglichkeiten im Bereich der Geld- und Umlaufmittel bringen würde: «Was fehlt, aber bald entwickelt werden wird, ist ein verlässliches E-Geld», liess er sich 1999 in einem Interview mit der Taxpayers Union zitieren. Erste Experimente mit elektronischen Währungen erfolgten in der Cypherpunkszene. Es sollte aber erst der Interventionsexzess im Nachgang der 2007er Krise sein, welcher Satoshi Nakamoto (das Pseudonym des oder der Bitcoin-Entwickler) veranlasste, sein Bitcoin-Protokoll zu veröffentlichen. Mutmasslich tat er das aus überzeugter Kritik an den Bankenrettungen und der systemischen Instabilität des Geldsystems durch das Teilreservebankensystem, wie man dem «Genesis-Block», dem ersten Block der Bitcoin-Blockchain, entnehmen kann. In diesen war die Schlagzeile des Tages eingraviert: «Chancellor on brink of second bailout for banks», die Titelstory der «London Times» des 3. Januar 2009.

Bitcoin als Phänomen des Geldwettbewerbs

Bitcoin als ein geldökonomisches Experiment und eine Form von privatem, spontan am Markt entstandenem Geld- und Umlaufmittel ist zweifelsfrei eines der spannendsten Projekte für Verfechter einer wettbewerblichen Geldordnung. Bitcoin ist zugleich ein Beweis, dass Geld kein öffentliches Gut ist, wie allgemein angenommen wird. Geld (und Bitcoin) erfüllt nicht die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes, namentlich die Nichtrivalität im Konsum und die Nichtausschliessbarkeit im Konsum. Bitcoin erfüllt die wesentliche Funktion des Geldes: die Tauschmittelfunktion. Wie Ludwig von Mises bereits 1912 darlegte, sind die Recheneinheits- und die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes lediglich Unterfunktionen der Tauschmittelfunktion. Dabei sind die Recheneinheitsfunktion des Geldes als in Güter ausgedrückte Tauschrelation des Tauschmittels sowie die Wertaufbewahrungsfunktion als eine Erhaltung der Kaufkraft hinsichtlich späterer Tauschmitteltransaktionen zu verstehen. Ein Ausblick, wie Bitcoin diese erfüllen werde, wäre eine Anmassung von Wissen. Fest steht aber: Bitcoins nonzentrale Struktur ist ein wesentliches Hindernis für die Intervention der Geldmonopolisten.

Durch starke Netzwerkeffekte und strikte Begrenztheit der Geldmenge wurde es zu jenem Geld- und Umlaufmittel, welches in den vergangenen zehn Jahren am stärksten an Kaufkraft zulegen konnte. Insbesondere Millennials erfreuen sich am neuen Geldwettbewerb der Kryptowährungen, unabhängig ihrer Erwartungshaltung, ob damit etwas erfunden wurde, was die Geldmonopolisten nicht zu stoppen vermögen, und ob Babylon auch dieses Mal fallen wird – was es dereinst wird.

Warum die Bitcoin-Story um die Welt ging

Geheimnisvolle Gründer. Eine anarchische Idee. Eine neue Art von Geld. Es zeigt sich auch bei Bitcoin: Packende Geschichten führen zum ökonomischen Erfolg.

 

Narrative Ökonomie, also die Erforschung der viralen Ausbreitung allgemein bekannter Narrative, die wirtschaftliches Verhalten beeinflussen, kann unsere Fähigkeiten verbessern, ökonomische Ereignisse vorherzuahnen oder sich darauf vorzubereiten. Sie kann uns auch dabei helfen, wirtschaftliche Institutionen und Strategien zu strukturieren.

Ein ökonomisches Narrativ ist eine ansteckende Story, die das Potenzial hat, den Prozess wirtschaftlicher Entscheidungen von Menschen zu verändern – wie die Entscheidung, einen weiteren Arbeiter einzustellen oder auf bessere Zeiten zu warten, etwas zu riskieren oder im Geschäft vorsichtig zu sein, ein Unternehmen zu gründen oder in eine hochspekulative Anleihe zu investieren. Die Bitcoin-Story ist ein Beispiel für ein erfolgreiches ökonomisches Narrativ, denn sie war hochansteckend und resultierte in beträchtlichen ökonomischen Veränderungen in vielen Teilen der Welt. Nicht nur hat sie echten unternehmerischen Eifer geweckt; sie hat auch das Geschäftsklima zumindest eine Zeit lang stimuliert.

Von Bitcoin und Blasen

Das Bitcoin-Narrativ beinhaltet Geschichten von jungen, kosmopolitischen Leuten im Kontrast zu uninspirierten Bürokraten; eine Geschichte von Reichtum, Ungleichheit, fortschrittlicher Informationstechnologie und verbunden mit mysteriösem, unverständlichem Fachjargon. Die Bitcoin-Epidemie hat eine Reihe an Überraschungen für die meisten Menschen bereitgehalten. Bitcoin überraschte, als er zum ersten Mal angekündigt wurde, und dann überraschte er immer wieder aufs neue, als das Interesse weltweit explosionsartig anstieg. An einem bestimmten Punkt überstieg der Wert aller Bitcoin 300 Milliarden US-Dollar. Aber der Bitcoin hat keinen Wert, ausser die Menschen glauben, dass er Wert besitzt, wie seine Befürworter freimütig zugeben. Wie konnte der Wert des Bitcoin innerhalb weniger Jahre von 0 auf 300 Milliarden US-Dollar steigen?

Oft behaupten Kritiker, der Wert des Bitcoin sei nichts weiter als eine Spekulationsblase.

Der legendäre Investor Warren Buffett sagte: «Es ist ein Glücksspiel.» Kritiker sehen Ähnlichkeiten zum berühmten Tulpenmanie-Narrativ in den 1630er Jahren in den Niederlanden, als Spekulanten den Preis von Tulpenzwiebeln auf solche Höhen trieben, dass eine Zwiebel ungefähr so viel wert war wie ein Haus. Das heisst, Bitcoin haben aufgrund der öffentlichen Begeisterung einen solchen Wert. Damit der Bitcoin diesen spektakulären Erfolg haben konnte, mussten die Menschen genug Begeisterung für das Bitcoin-Phänomen entwickeln, um die ungewöhnlichen Transaktionen auf sich zu nehmen, die damit verbunden sind, Bitcoin zu kaufen.

Für die Advokaten des Bitcoin ist es die grösste Beleidigung, ihn nur als Spekulationsblase zu bezeichnen. Bitcoin-Befürworter weisen oft darauf hin, dass die öffentliche Wertschätzung des Bitcoin sich nicht wesentlich von der Wertschätzung der Öffentlichkeit für viele andere Dinge unterscheide. Zum Beispiel hat Gold in der öffentlichen Wahrnehmung seit Tausenden von Jahren einen beträchtlichen Wert, aber die Öffentlichkeit hätte ihm genauso gut einen geringen Wert zuschreiben können, wenn die Menschen etwas anderes als Währung benutzt hätten.

Menschen wertschätzen Gold vor allem, weil sie sehen, dass andere Menschen Gold wertschätzen. Zusätzlich hat Peter Garber in seinem Buch «Famous First Bubbles» (2000) darauf hingewiesen, dass Blasen eine lange Zeit anhalten können. Lange nach der Tulpenmanie im 17. Jahrhundert haben seltene und schöne Tulpen immer noch einen hohen Wert, wenn auch nicht mehr so extrem. In gewissem Umfang hält die Tulpenmanie immer noch an, wenn auch abgeschwächt. Dasselbe könnte mit dem Bitcoin passieren.

Nichtsdestotrotz ist der Wert des Bitcoin sehr instabil. Zu einem Zeitpunkt, laut einer Schlagzeile im «Wall Street Journal», stieg der Preis des Bitcoin in US-Dollar ohne ersichtliche Ursache in 40 Stunden um 40 Prozent. Eine solche Volatilität weist auf die epidemische Qualität ökonomischer Narrative hin, die zu einer sprunghaften Preisänderung führen kann.

Bitcoin und Anarchismus

Die anarchistische Bewegung, die jede Regierung ablehnt, nahm ihren Anfang 1880 und hatte eine langsame Wachstumskurve, wie die Suche nach Anarchist oder Anarchismus auf Google ergibt. Aber der Begriff selbst ist Jahrzehnte älter und geht auf die Arbeit des Philosophen Pierre-Joseph Proudhon und anderer zurück. Proudhon beschrieb Anarchismus in den 1840er Jahren folgendermassen: «Regiert zu werden bedeutet, beobachtet zu werden, inspiziert, ausspioniert, gesteuert, von Gesetzen gegängelt, nummeriert, reguliert, eingezogen, indoktriniert. Es werden einem Vorträge gehalten, man wird kontrolliert, überprüft, eingeschätzt, als Wert betrachtet, zensiert und kommandiert von Kreaturen, die weder das Recht noch die Weisheit, noch die Tugend haben, das zu tun.»

Proudhons Worte fallen bei Menschen auf fruchtbaren Boden, die von Autoritäten frustriert sind oder sie für ihren Mangel an persönlicher Erfüllung verantwortlich machen. Es dauerte etwa 40 Jahre, bis der Anarchismus epidemische Ausmasse annahm, aber er hat enormes Durchhaltevermögen bewiesen, bis zum heutigen Tag. Tatsächlich ist auf der Website Bitcoin.org eine Textpassage des Anarchisten Sterlin Lujan aufgeführt, die aus dem Jahr 2016 stammt: «Der Bitcoin ist der Katalysator für eine friedliche Anarchie und Freiheit. Er wurde als Reaktion auf korrupte Regierungen und Finanzinstitutionen aufgebaut. Er wurde nicht nur kreiert, um die Finanztechnologie zu verbessern. Aber manche Menschen verfälschen diese Wahrheit. Tatsächlich sollte der Bitcoin wie eine monetäre Waffe funktionieren, eine Kryptowährung, die die Obrigkeit untergräbt.»

Die meisten Bitcoin-Fans würden ihren Enthusiasmus nicht in solch extremen Begriffen umschreiben, aber diese Passage scheint ein zentrales Element ihres Narrativs einzufangen. Sowohl Kryptowährungen als auch die Blockchains (die Buchhaltungssysteme hinter den Kryptowährungen, die so ausgelegt sind, dass sie demokratisch und anonym von einer grossen Anzahl von Individuen aufrechterhalten werden und angeblich nicht von einer Regierung reguliert werden können) scheinen für manche Leute eine grosse emotionale Anziehungskraft zu besitzen und wecken starke Gefühle, was ihre Position und Rolle in der Gesellschaft angeht. Die Bitcoin-Story findet besonders viel Widerhall, weil sie ein Gegennarrativ zu den älteren antianarchistischen Narrativen bildet, die Anarchisten als bombenwerfende Irre darstellten, deren Vision für die Gesellschaft nur zu Chaos und Gewalt führen könne. Der Bitcoin ist ein ansteckendes Gegennarrativ, denn es steht beispielhaft für die Erfindungen, die eine freie, anarchistische Gesellschaft letztlich entwickeln könnten.

«Die Bitcoin-Story findet besonders viel Widerhall,

weil sie ein Gegennarrativ

zu den älteren antianarchistischen Narrativen bildet,

die Anarchisten als bombenwerfende Irre darstellten,

deren Vision für die Gesellschaft nur zu Chaos und Gewalt führen könne.»

Der Bitcoin als ein Narrativ des Menschlich-Allzumenschlichen

Das Bitcoin-Narrativ ist ein motivierendes Narrativ für die Kosmopoliten auf der ganzen Welt, für Menschen, die gerne dieser Klasse angehören würden, und für diejenigen, die sich mit fortschrittlicher Technologie identifizieren. Und wie viele ökonomische Narrative hat der Bitcoin seinen Superstar, Satoshi Nakamoto, die zentrale Human-Interest-Story für den Bitcoin.

Zusätzlich zur Romantik des Bitcoin-Narrativs wird daraus ein Krimi, denn Satoshi Nakamoto wurde noch nie von jemandem gesehen, der beschwören würde, ihn tatsächlich getroffen zu haben. Einer der frühen Bitcoin-Programmierer sagte, dass Satoshi nur per E-Mail kommunizierte und sich die beiden nie tatsächlich getroffen hätten. Auf der Website Bitcoin.org steht lediglich: «Satoshi hat das Projekt Ende 2010 verlassen, ohne viel über sich selbst preiszugeben.» Die Leute mögen einen guten Krimi und lieben es, ein Rätsel zu knacken – so sehr, dass es ein reichhaltiges Genre an Krimiliteratur gibt. Der Bitcoin-Krimi wurde viele Male wiederholt, besonders wenn unermüdliche Detektive jemanden identifiziert haben, der Nakamoto sein könnte. Die wiederholte öffentliche Aufmerksamkeit für diese spannende Rätselgeschichte hat die Ansteckungsrate des Bitcoin-Narratives noch über das normale Mass hinaus gesteigert.

Der Bitcoin als Eintrittskarte in die Weltwirtschaft

Wir leben in einer eigenartigen Übergangsperiode in der Menschheitsgeschichte, in der viele der erfolgreichsten Menschen der Welt sich selbst als Teil einer breiteren kosmopolitischen Kultur sehen. Unsere Nationalstaaten erscheinen für unsere ehrgeizigen Ziele manchmal zunehmend irrelevant. Der Bitcoin hat keine Nationalität, was ihm einen demokratischen und internationalen Anreiz verschafft. Teil seines pannationalen Narrativs ist die Idee, dass keine Regierung ihn kontrollieren oder stoppen kann.

Im Gegensatz dazu suggeriert das altmodische Papiergeld, normalerweise mit Bildern von berühmten Männern versehen, die in der Geschichte des Landes eine Rolle spielten, einen obsoleten Nationalismus, etwas für Verlierer. Papiergeld lässt sich auf gewisse Weise mit kleinen Nationalflaggen vergleichen; es ist ein Symbol der eigenen Nationalität. Ein Bitcoin-Wallet zu haben, macht den Besitzer zu einem Weltbürger und in mancherlei Hinsicht psychologisch unabhängig von traditionellen Bindungen. Der überraschende Erfolg des Bitcoin ist nicht wirklich so überraschend, wenn wir die grundlegenden Prinzipien der Narrative berücksichtigen, die von Intellektuellen entdeckt wurden, die über den menschlichen Geist nachgedacht haben, über Geschichte und über mathematische Feedbackmodelle.

Die meisten dieser Denker waren weder als Wirtschaftswissenschafter ausgebildet noch haben sie als solche gearbeitet.


Dies ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch «Narrative Wirtschaft: Wie Geschichten die Wirtschaft beeinflussen – ein revolutionärer Erklärungsansatz» (Plassen-Verlag, 2020).

Andreas M. Antonopoulos, zvg.

Das Internet des Geldes wird Realität

Viele tun sich schwer mit Bitcoin, weil sie das Wesen des Geldes nicht verstehen. Zeit, das zu ändern.

 

Read the English version here.

Was ist Geld? Viele Menschen stellen sich diese Frage nicht, weil sie sich in ihrem Alltagsleben nicht damit auseinandersetzen müssen. Ihrer Erfahrung nach ist Geld etwas, das sie im Tausch für ihre Arbeit erhalten und anderen im Tausch für deren Arbeit geben. Sie verwenden es, ohne sich zu fragen, was es genau sei oder weshalb ihm Wert zukomme.

Beantwortet doch jemand die Frage, wird schnell klar, dass viele Menschen noch an die Märchen von einst glauben: Unser Geld sei von Gold gedeckt, das in unterirdischen Gewölben à la Fort Knox unter den wachsamen Blicken von Staatsbeamten einlagert. Obwohl diese Sicht der Dinge dem Reich der Legenden angehört, ist sie doch tröstlich, setzt sie doch den Wert des Geldes mit einem anderen Ding (Gold, Öl, Handelsgüter) in Beziehung, das einen «inneren» Wert besitzt. Aber was ist ein innerer Wert? Was verleiht etwas einen inneren Wert? Denkt man diese Fragen zu Ende, gerät man in einen Zirkelschluss: Wer schuf den Schöpfer?

Was verleiht einem inneren Wert einen inneren Wert?

Ökonomen würden die Frage vermutlich mit einer komplexen Analyse der Mechanismen beantworten, nach denen moderne Geldsysteme funktionieren: Geld ist demnach die «Rechnungseinheit» in einem System multilateraler Handelsflüsse zwischen souveränen Staaten, das Schwankungen in Angebot und Nachfrage am heimischen Markt ausgleicht. Nur: Diese technische Definition beschreibt zwar die Mechanismen der Geldschöpfung und -nutzung, erklärt aber nicht, was Geld eigentlich ist. Sie mag einen Ökonomen überzeugen, ermöglicht aber kein intuitives Verständnis des Problems.

Ich bevorzuge eine einfache Antwort: Geld ist eine Sprache, eine Abstraktion, die Menschen erfunden haben, um sich gegenseitig etwas von Wert zu übertragen. Gleichzeitig ist Geld auch die Technik, die wir zum Sprechen dieser Wertesprache benutzen, also Münzen, Scheine und digitale Buchungen. Tatsächlich ist Geld eine mehrere tausend Jahre alte Kulturtechnik, die der Schrift vorausgeht. Vermutlich war Geld eine der Ursachen für die Entwicklung der Schrift. Fasst man Geld als Sprache auf, werden einige Dinge sehr viel klarer.

Wie Sprache erwächst auch Geld aus Notwendigkeit und bekommt dadurch einen Wert, dass es von Menschen genutzt wird, unabhängig davon, ob es sich um staatlich geprägtes Geld oder eine dezentrale Kryptowährung handelt. Denn die physischen Ausprägungen des Geldes, ob materiell (wie Münzen) oder immateriell (wie Tabellenkalkulationen), besitzen selbst keinen «Wert» – dieser steckt in den Dingen, gegen die wir unser Geld eintauschen können. In der Vergangenheit war es dennoch wichtig, dass es für diesen Wert eine physische Entsprechung gab – zuerst Metall, später Papier und Kunststoff. Aber im Internetzeitalter ist Materialität weder notwendig noch nützlich. Im Gegenteil: Die physische Repräsentation schränkt seine Nutzungsmöglichkeiten ein.

«Geld ist eine Sprache, eine Abstraktion, die Menschen

erfunden haben, um sich gegenseitig etwas von Wert zu übertragen.»

Ein mathematisch-monetäres Kommunikationssystem

Wenn wir Geld als Sprache des Wertes ansehen, was ist dann Bitcoin? Bitcoin ist eine neue Form von Geld, eine revolutionäre Art und Weise, Wert(e) über das Internet auszudrücken und zu teilen. Bitcoins sind wertvoll, weil sie nützlich sind und – im Internet – genutzt werden. Bitcoin ist rein digital und wird nicht durch Regierungen geprägt oder ausgegeben. Aber Bitcoin ist noch viel mehr. Es ist ein Softwaresystem, das nach transparenten Regeln funktioniert. Jeder kann an Bitcoin teilhaben, und jeder weitere Teilnehmer verschafft den Bitcoin-Regeln mehr Geltung und trägt dazu bei, eine berechenbare und faire Plattform für das Geld aller zu erschaffen.

Bitcoin ist kein Unternehmen, keine Organisation. Es gibt keinen zentralen Akteur, keine zuständige Behörde, keinen Geschäftsführer – das System wird ohne Machtzentrum von den Teilnehmern selbst gepflegt und verwaltet. Es ist ein «dezentrales» System.

Aber Bitcoin markiert in seiner abstraktesten, immateriellen und dezentralisierten Ausprägung vor allem eine radikale Abkehr von herkömmlichen, zentralisierten Formen von Geld, da es sich um ein gänzlich offenes und auf Mitbestimmung ausgerichtetes System handelt, das seit seinen Anfängen 2009 eine globale Dimension besitzt. Das dezentrale Wesen von Bitcoin impliziert das Auftreten zahlreicher Merkmale, die in keinem anderen traditionellen Geldsystem zu finden sind. Bitcoin ist offen, auf Kooperation beruhend, überstaatlich, neutral, unveränderlich, knapp, vorhersehbar, zulassungsfrei und unzensierbar.

Viele dieser Eigenschaften sind in bezug auf Geld vollkommen neuartig, und es gibt Kritiker, die nicht alle davon als innovative Elemente begrüssen. Und doch ist Bitcoin da und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden – es existiert, wurde erfunden und kann unendliche Male neu erfunden werden. Verschwinden wird es nicht, denn es handelt sich um ein rein mathematisches Geldsystem, das Geld in eine reine digitale Sprache überträgt.

Lassen Sie uns die besonderen Merkmale rein digitalen und mathematischen Geldes wie Bitcoin genauer unter die Lupe nehmen.

Offenheit – Bitcoin ist offen. Bitcoin fragt nicht nach Ihrem Ausweis, erfordert kein «Konto», keine «Registrierung». Es ist also im wahrsten Sinne egalitär: offen für alle, unabhängig von Staatsangehörigkeit, Religion, Rasse, Geschlecht oder Standort. Alle können am System teilhaben, wenn sie über eine Software verfügen, die die Sprache (das Protokoll) von Bitcoin «spricht». Da jede(r) ein solches Programm schreiben kann, gibt es auch keine «Gatekeeper», die den Zugang zum System überwachen. Auch eine Maschine kann ohne menschlichen Eigentümer Geld besitzen.

Auf Kooperation beruhend – Bitcoin basiert auf einer Reihe von Softwareregeln, für deren Einhaltung jeder einzelne Teilnehmer im System sorgt. Keiner kann betrügen, denn jeder überprüft und verleiht den Regeln Durchsetzungskraft. Bitcoins Eigenschaften kommen in der Zusammenarbeit von Millionen von Menschen zum Ausdruck, die über eine Software handeln. Grundlage für diese Zusammenarbeit ist ein Peer-to-Peer (P2P)-Netzwerk, in dem die Teilnehmer (über Softwareagenten) alle gleichberechtigte Peers der anderen sind.

Überstaatlichkeit – Bitcoin kennt wie das Internet keine Grenzen. Es sieht Nationen nicht als eigenständige Einheiten, es macht keine Unterschiede zwischen lokal und global. Wie im Internet auch können Menschen versuchen, Grenzen, Barrieren und Firewalls zu errichten. Aber diese sind leicht zu umgehen, insbesondere dann, wenn Nutzer aus einer Motivation der Notwendigkeit handeln. Kein Staat kann sich entziehen. Ich sage gerne: «Du kannst dein Land aus Bitcoin ausschliessen, aber Bitcoin nicht aus deinem Land.» Eine Welt ohne Grenzen ist auch eine Welt der grenzenlosen wirtschaftlichen Chancen für alle.

Neutralität – Sie haben vermutlich schon einmal von der «Netzneutralität» gehört, einem Prinzip des Internets, nach dem Daten ohne Ansehen von Quelle, Anwendung oder Zweck übertragen werden. Dieses Prinzip hat zu einer Blüte unabhängig betriebener Systeme geführt, die gleichberechtigten Zugang zum Internet und zum weltweiten Publikum haben. Bitcoin ist eine neutrale Zahlungsplattform, die Transaktionen unabhängig von Quelle, Ziel, Anwendung oder Zweck verarbeitet.

Unveränderlichkeit – Bitcoin verzeichnet Transaktionen in einem weltweit einsehbaren, dezentralen Register (Distributed Ledger – verteiltes Kontobuch), einer Datenbank aller Transaktionen. Dieses Register ist unveränderlich, d.h. seine einzelnen Verkettungen in der Blockchain können (zumindest praktisch) nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das ist eine zentrale Eigenschaft von Bitcoin und seines globalen Konsensmechanismus namens Proof of Work: Zur Sicherung und Überschreibung des Registerbuches muss nach diesem Mechanismus Energie (Elektrizität) eingesetzt werden. Noch nie zuvor stand der Menschheit ein solch unveränderliches digitales Erfassungs­system zur Verfügung. Wir kennen noch längst nicht alle Anwendungsbereiche, die uns diese Technologie erschliessen wird. Vielleicht werden wir eines Tages nicht mehr sagen: «Es ist in Stein gemeisselt», sondern: «Es ist in die Blockchain ­gemeisselt.»

Knappheit – Eine der wichtigsten Regeln von Bitcoin, der alle Teilnehmer Geltung verschaffen, ist die der Knappheit. Neue Bitcoins werden in festgesetzten Mengen ausgegeben, die alle vier Jahre kleiner werden, bis schliesslich keine Bitcoins mehr hinzukommen. Das Bitcoin-Aufkommen ist kurzfristig (Emissionsgrenzwerte) und langfristig (Gesamtaufkommen) begrenzt. Im Gegensatz zu anderen Systemen, in denen höhere Nachfrage den vermehrten «Abbau» einer Ressource bewirkt, ist der Bitcoin-Nachschub mathematisch begrenzt und nimmt laufend ab. Digitale Knappheit war vor Bitcoin ein Widerspruch in sich, nun ist sie Realität geworden.

Vorhersehbarkeit – Eine Erweiterung des Knappheitsmerkmals bei der Emission ist die Vorhersehbarkeit von Bitcoin. Was die Geldpolitik betrifft, ist Bitcoin deterministisch. Seine Emissionsregeln wurden ganz zu Beginn aufgestellt und können nicht verändert werden. Würde man dies versuchen, erschüfe man ein anderes System, das definitionsgemäss nicht mehr Bitcoin wäre, während das ursprüngliche Bitcoin unverändert bliebe. Dass das verfügbare Angebot im voraus bekannt ist, mutet in einem Geldsystem überraschend an und ähnelt in dieser Hinsicht allenfalls Gold und seinem von Jahr zu Jahr nur wenig variierenden Abbauvolumen. Dieser Eigenschaft verdankt Bitcoin den Beinamen «digitales Gold». Aber im Gegensatz zu Gold, dessen Angebot Preisschwankungen unterliegt und dessen Förderung intensiviert werden kann, ist Bitcoin völlig unelastisch. Der Algorithmus seines Angebots bedingt, dass die Emissionsrate dieses Geldsystems stets im voraus bekannt ist.

Zulassungsfreiheit – Bitcoin benötigt keine Zulassung, um zu existieren und genutzt zu werden. Wäre eine Zulassung beantragt worden, wäre der Bescheid sicherlich negativ ausgefallen. Jeder kann Bitcoin nutzen, es gibt keine Zugriffsbeschränkungen. Auch wenn einige Staaten versuchen, es zu illegalisieren, kann der Zugriff auf Bitcoin nicht unterbunden werden. Wer Bitcoin nutzen möchte oder muss, kann dies ungeachtet seines Standortes tun.

Unzensierbarkeit – Bitcoin-Transaktionen lassen sich nicht zensieren. Das ist keine moralische, sondern eine praktische Aussage. Geld ist Meinungsäusserung, nicht aufgrund seiner moralischen, sondern seiner funktionalen Gleichwertigkeit. Im Bitcoin-System ist eine Transaktion einfach eine Übertragung von Daten an einen anderen Netzwerkteilnehmer. Solange es symbolische Kommunikation gibt, bleiben auch Bitcoin-Übertragungen möglich.

«Was man auch immer von Bitcoin hält:

Fakt ist, dass sich am 3. Januar 2009

eine der ältesten Techniken der Menschheit – Geld –

für immer und auf zuvor unvorstellbare Weise verändert hat.»

Eine uralte Idee in neuester Form

Geld als Kulturtechnik besteht seit Tausenden von Jahren und hat dennoch nur vier oder fünf wesentliche Veränderungen erlebt. Die jüngste und vielleicht radikalste ist seine Erhebung zu einer rein symbolischen, immateriellen und mathematischen Form, die ausserhalb jedes Macht- und Kontrollzentrums existiert. Ein solch radikaler Wandel in der monetären Technologie wird von vielen mit Angst und Ungewissheit aufgenommen werden.

Dabei gab es über Tausende von Jahren bereits ein solch radikal offenes Geldsystem: Bargeld in Form von Metallmünzen. Seit dem Aufkommen des Geldes in menschlichen Gesellschaften konnte jeder durch einfachen Besitz Teil des Geldkreislaufs werden. Erst seit den letzten 30–50 Jahren unterliegt Geld Kontrollen und immer mehr Teilnahmebeschränkungen. Bitcoin kehrt den erschreckend faschistischen Trend zur «bargeldlosen Gesellschaft» um. Es kann und wird keine bargeldlose Gesellschaft geben, denn Bitcoin ist digitales Bargeld, das allen offensteht.

Grenzenloses Geld ist ebenfalls nicht neu – mit wertvollen Metallmünzen konnte man bereits in der Antike überall zahlen. Aber im Gegensatz zu diesen physischen Tokens kann Bitcoin nahezu unverzüglich über die ganze Erde und auch in den Weltraum übertragen werden (ja, es gibt Satelliten, die Bitcoin-Botschaften tragen). Ein derart globales, unmittelbares und unaufhaltsames Digitalgeld gab es noch nie.

Für manche Menschen stellen Bitcoins begrenzter Vorrat und sein deflationärer geldpolitischer Ansatz ein Problem dar – für sie handelt es sich um ein ökonomisches Einhorn, weil es nicht in den Rahmen ihrer traditionellen Definitionen passen will. Für andere ist es genau dieser Einhornstatus, der Bitcoin von der Herde von Kryptowährungen abgrenzt und seine Einzigartigkeit begründet. Unbeschadet aber aller Divergenzen sind sich Kritiker und Apologeten darin einig, dass Bitcoin vollkommen neue Experimente und Denkanstösse in der Wirtschaft bewirken wird.

In den vergangenen 50 Jahren wurde Geld unter dem Vorwand, Kriminalität zu bekämpfen, zunehmend als Kontrollsystem eingesetzt. Aber die Regulierung der Werkzeuge der Kriminalität statt der Ahndung der kriminellen Machenschaften selbst hatte schreckliche, unbeabsichtigte Folgen: Milliarden Menschen wurden im Zeichen der «Bekämpfung des internationalen Verbrechens» von der Weltwirtschaft ausgeschlossen, obwohl es zahlreiche Belege dafür gibt, dass Kriminelle solche Kontrollen leicht umgehen können. Die Überwachung von Geldflüssen hat die Verarmung von Milliarden von Menschen zur Folge und erzeugt so noch mehr Kriminalität. Natürlich lieben Diktatoren diese Merkmale moderner Finanzsysteme ganz besonders, können sie doch unliebsame politische Kräfte als «Kriminelle» einstufen und ihren Zugang zu Finanzdienstleistern unterbinden. Unabhängig von der Frage, ob Sie einen anonymen Zugang zu Zahlungen gut oder schlecht finden, hat Bitcoin den Zugang für alle demokratisiert. Natürlich werden auch Kriminelle Bitcoin nutzen, genau wie sie andere Technologien nutzen können. Aber das Wichtigste ist doch: Auch alle Unbescholtenen können es nutzen, so dass der moralistische, wirtschaftliche Ausschluss von Milliarden von Menschen bald ein kurzlebiger politischer Fehler der Vergangenheit sein könnte.

Die Existenz eines vollständig offenen, überstaatlichen, neu­tralen und unzensierbaren Geldes ist in vielerlei Hinsicht herausfordernd, aber auch ein Fait accompli. Für viele ist es nicht weniger als die technische Verwirklichung eines unveräusserlichen Menschenrechts: des Rechts Werte gegenüber anderen Menschen auszudrücken und einzutauschen.

Ängstigen diese Merkmale von Bitcoin die einen, schenken sie Milliarden von Menschen, für die der aktuelle monetäre Status quo ein grausames Kontroll- und Ausschlusssystem ist, Hoffnung und Grund zum Optimismus. Was man auch immer von Bitcoin hält: Fakt ist, dass sich am 3. Januar 2009 eine der ältesten Techniken der Menschheit – Geld – für immer und auf zuvor unvorstellbare Weise verändert hat.

Cash oder Trash?

Stimmen zu Bitcoin

1 In einem Interview mit James U. Blanchard III im Jahr 1984.
2 In einem Tweet vom 16. Mai 2020.
3 In einem Artikel in «The Times of London» vom 21. März 2018.
4 In einem «Ask Me Anything» auf Reddit im März 2013.
5 In einem Interview mit der National Taxpayers Union im Jahr 1999.
6 Anlässlich eines geheimen Treffens mit Google CEO Eric Schmidt im Juni 2011, das 2013 auf WikiLeaks veröffentlicht wurde.
7 In einem Interview mit dem Bitcoinmagazin «Breakermag» im Februar 2019.
8 In einem Interview am «Buttonwood Gathering» im Jahr 2015.
9 In einem Video auf CNBC.
10 In einem Interview mit der BaZ vom 25. Juni 2018.
11 An der Bitcoin 2019 Conference in San Francisco.
12 In einem Tweet vom 12. Juli 2019.
13 In einer Rede an der Barclays Global Financial Services Conference vom 12. September 2017.
14 In seiner Talkshow «Last Week Tonight» vom 11. März 2018.
15 In einer Rede vor dem US-Kongress im Jahr 2018.
16 In einem Interview mit CNBC im Mai 2018.
17 In «The Curse of Cash» (Princeton University Press, 2016).

Daniel Jeffries, zvg.

Die nächste Stufe
der Buchführung

Die letzte grosse Innovation der Buchführung fand in der Renaissance vor 500 Jahren statt. 2009 kam Bitcoin.

 

Read the English version here.

Ohne Buchführung würden Sie weder diesen Artikel auf Ihrem Smartphone lesen noch ein neues Auto fahren oder Musik auf Spotify hören können. Ohne Buchführung gäbe es kein Gewerbe, keinen Handel. Ohne Handel aber hätten wir keine Flugzeuge, Züge, Traktoren, keine Dampfmaschinen, Wolkenkratzer oder Computer. Es gäbe keine Nationalstaaten, keine Schiffe, keine Schiffscontainer, die um die ganze Welt reisen und Güter von nah und fern transportieren.

Ohne Buchführung würden wir noch immer Hirschen im Wald nachstellen oder versuchen, ein kleines Stück Land so zu bewirtschaften, dass es uns ein Auskommen sichert. Der Grund dafür ist einfach. In der gesamten bisherigen Weltgeschichte gab es genau zwei Quantensprünge in der Buchführung, und beiden folgte ein massiver Schub, was die Komplexität und Innovation menschlicher Gesellschaften betrifft.

 Einfache Buchführung: mit Blut geschrieben

Unsere Fähigkeit, den Überblick darüber zu behalten, wer wem was schuldet, wer wen bezahlt hat und wem was gehört und was nicht, führte auf direktem Weg zu grösseren und dynamischeren Zivilisationen. Dank ihr entwickelten sich aus Stammesgesellschaften riesige Staaten mit hunderten Millionen Einwohnern. Statt dass alle Menschen wie in buchführungslosen Zeiten den gleichen, wenigen Tätigkeiten wie Jagen, Sammeln oder Landwirtschaft nachgingen, wurden nun Arbeitsteilung und ­berufliche Spezialisierung möglich. Durch die Arbeitsteilung konnten sich Menschen auf immer kleinere Probleme konzen­trieren, was immer grössere Vorteile nach sich zog. Jemand hatte herausgefunden, wie man grosse Schiffe baut, ein anderer hatte die Schrift erfunden – es dauerte nicht lang, da durchpflügten Galeeren die hohe See, um Gewürze und exotische Tiere und Seide aus den entlegensten Gebieten der Erde in die heimischen Häfen zu bringen.

Ich schreibe diesen Artikel auf einer Reise durch das wunderschöne Bayern. Die Burg, die ich gestern besichtigt habe, mit ihren prächtigen Schlachtengemälden, den stattlichen, von prächtigen Hirschen gestützten Kandelabern und ihren edlen Kirschholzmöbeln, wurde auf dem Boden der einfachen Buchführung gebaut – und mit ziemlich viel Blut. Denn die ästhetische Verbrämung des Blutes auf den Gemälden im romantischen Stil kann nicht verschleiern, dass sich damaliger Wohlstand aus offenem Krieg speiste. Aber was hat Buchführung mit Burgen zu tun?

Es war die einfache Buchführung, die nachvollzog, wie viel Geld sich Könige wie der närrische Träumer Ludwig II. von Bayern borgten, um ebenso närrische Paläste wie das Schloss Neuschwanstein zu bauen, das heute Millionen von Touristen anziehen mag, damals aber die Bauern dazu bewegte, aufzubegehren und Rechenschaft für den Schlendrian des Staatsoberhaupts zu verlangen. In der einfachen Buchführung besteht das Kassenbuch aus einer einzigen Spalte, in der verzeichnet wird, was jemand schuldet oder bezahlt hat: Daniel hat 50 Euro bezahlt, Daniel schuldet 50 Euro.

Das erwies sich als effektiv genug, um uns durch das feudale Zeitalter mit seinen Herzögen, mächtigen Dynastien und Privatarmeen zu bringen. Aber die einfache Buchführung ist sehr begrenzt und betrugsanfällig. Ein Buchhalter muss nur eine einzige Zeile aus einem Register tilgen, um eine Geldschuld oder ein Guthaben für immer auszulöschen. Es gibt keine Möglichkeit der Kontrolle, der Buchprüfung, keine Möglichkeit für ein Vieraugenprinzip.

Im Zeitalter der Feudalherren war der Bruder des Königs naturgemäss der einzige verlässliche Buchhalter, denn man musste diesem Typen wirklich trauen können, und ein beliebiger Händler erfüllte diese Voraussetzungen nicht. Handel war also eine Familienangelegenheit. Die Könige und Königinnen handelten mit Herzögen, behielten den Löwenanteil des Geldes für sich und liessen ihre Untertanen am Hungertuch nagen. Mächtige Geschlechter beherrschten die Erde.

Ein Mönch stellte die Buchführung auf neue Füsse

Der zweite grosse Durchbruch in der Buchführung änderte all das und machte die Welt zu der, die wir heute kennen. Um das 15. Jahrhundert drohte die einfache Buchführung endgültig an ihrer Beschränkung zusammenzubrechen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit fuhren grosse Schiffe von einem zum anderen Ende der Welt. Man konnte Handel mit Menschen treiben, die man nie zu Gesicht bekam, mit Menschen, die nicht Teil eines weitverzweigten Familienverbundes waren. In der frühen Neuzeit bildeten Schiffe das neue Zentrum des Wirtschaftslebens, und Hafenstädte wie Venedig wurden zu Mittelpunkten der damaligen Welt.

Aber das immer grössere Handelsvolumen erhöhte auch die Anfälligkeit für falsche Buchungen. Die Handelsregister waren bald ein hoffnungsloses Chaos aus näherungsweisen Annahmen und verlorenem Geld. Mit der Menge der in Verkehr gebrachten Güter türmte sich auch die Zahl der Fehler immer mehr auf. Mehrere Zivilisationen, etwa die Italiener im 14. Jahrhundert, Korea oder das zweite islamische Kalifat, entwickelten deshalb Formen doppelter Buchführungssysteme. Nur setzte sich zunächst keines dieser Systeme durch, weil eine ebenso durchschlagende Erfindung noch nicht erfunden war: der Buchdruck.

Ohne Buchdruck blieb Wissen segregiert. Menschen irgendwo auf der Welt gelangen bahnbrechende Erkenntnisse, doch viele davon kennen wir bis heute nicht: Die Zeit hat ihre Spuren verwischt, weil ihre Entdecker sie nicht niederschreiben und mit anderen teilen konnten. Erst der Buchdruck ermöglichte die unendliche Vervielfältigung, so dass Wissen überlebte und zirkulierte, anstatt mit seinem Schöpfer zu sterben. Zwei Dinge wollte die Menschheit besonders dringend niederschreiben und teilen: religiöse Überzeugungen – und Schulden, also Buchführung. So war es vermutlich kein Zufall, dass die Buchführungsrevolution von einem Mann ausging, der in Religion und Geschäftswelt gleichermassen zu Hause war. Im 15. Jahrhundert verschriftlichte ein Franziskanermönch, Luca Pacioli, endlich das doppelte Buchführungssystem, das darauf rasch zum Standard unter venezianischen Händlern wurde.

Dies eröffnete dem Welthandel ganz neue Dimensionen. Güter konnten nun leicht über die Ozeane und die Seidenstrassen in alle Reiche der damals bekannten Welt gelangen, ohne dass die Übersicht verloren ging.

«Blockchains und digitale Währungen

werden Albträume und bahnbrechende Fortschritte

in Technologie und Kultur wahr werden und Gesellschaften

entstehen lassen, von denen wir heute nicht einmal träumen.»

Schluss mit Tricks

Springen wir zurück in die Gegenwart: Noch immer ist die doppelte Buchführung das massgebliche Buchführungssystem. Nutzen Sie beispielsweise Quickbooks für Ihre Buchführung, verwenden Sie die doppelte Buchführung. Aber auch diese Systeme zeigen allmählich Alterungserscheinungen. Nehmen Sie ein Unternehmen wie Enron. Seine Buchhalter fanden genügend Schlupflöcher in der Doppik, um Milliarden an Schulden zu kaschieren und betrügerische Geschäfte zu verschleiern. Bei Systemen mit doppelter Buchführung ähneln Unternehmens­finanzen einer Blackbox, in die nur die wenigen Firmenbuch­halter Einblick haben, deren Job ja aber gerade darin besteht, ­Betrug zu vertuschen.

Natürlich verfügte Enron über «unabhängige» Buchprüfer, die einen Blick in die Blackbox werfen durften, aber diese Prüfer waren einem Interessenkonflikt ausgesetzt, denn sie wurden vom Konzern bezahlt, und wer spuckt schon gern seinem Brötchengeber in die Suppe? So steuerten letztendlich auch die Buchprüfer ihren Teil dazu bei, die Enron-Bilanzen zu fälschen. Genau hier tritt die dreifache Buchprüfung auf den Plan, ein gänzlich neuer Ansatz in der Buchführung und erst die dritte Revolution in ihrer Geschichte.

Den Anfang machten der Volkswirtschaftsprofessor Yuji Ijiri und der Kryptograf Ian Grigg, die unabhängig voneinander zwei theoretische Systeme dreifacher Buchführung entwickelten. Beide dieser Systeme blieben jedoch Papiertiger, bis ein junger Programmierer oder ein Programmierteam um 2007/08 mit grosser Wahrscheinlichkeit darauf stiess – bei der Arbeit an einem geheimen Projekt, das unsere Vorstellung von Geld völlig auf den Kopf stellen sollte: Bitcoin. Bitcoin ist das weltweit erste funktionierende Beispiel für eine dreifache Buchführung.

Neben den Registern beider Vertragspartner erfolgt eine dritte Buchung in einem globalen, digitalen Hauptbuch, das alle Nutzer online einsehen und teilen können: der Blockchain.

Auch wenn Sie nicht an Bitcoin glauben, werden Sie es doch verstehen wollen, denn wie die beiden buchhalterischen Quantensprünge davor ebnet die dreifache Buchführung den Weg für eine gänzlich neue Welle der Innovation und Komplexität in menschlichen Kulturen.

Dreifache Buchführung – und im weiteren Sinne die Blockchain – ist eine Möglichkeit, sich auf eine objektive Realität zu einigen. Wohlgemerkt, nicht auf die objektive Realität. Dieses philosophische schwarze Loch wollen wir an dieser Stelle ignorieren, aber es ist eine objektive Realität. Zwei Parteien einigen sich auf eine Version vergangener Ereignisse, während eine dritte Stelle diese objektive Realität für die ganze Welt zu Prüfungs- und Bestätigungszwecken registriert. Die dritte Buchung, die in der Blockchain erfolgt, ist gleichzeitig Beleg und Transaktion. Sie liefert den Nachweis, dass sich etwas zwischen diesen beiden Parteien ereignet hat, das über die Belege hinausgeht, die jede von ihnen in einem System doppelter Buchführung verwahrt.

Unternehmenseigene Firewalls sind überholt

Was lässt sich ausserdem noch mit dreifacher Buchführung anstellen? Millionen von Dingen, aber einer der einfachsten und vielversprechendsten Anwendungsfälle ist die Ausgabe von Aktien. Sagen wir, Sie haben ein kleines Unternehmen, das wir Enron nennen wollen. Es erfreut sich bester Gesundheit. Sie besitzen eine Million Aktien, etwa zehn Prozent der gesamten Unternehmensanteile. Oder sagen wir besser, Sie glauben, dass Sie zehn Prozent der Unternehmensanteile besitzen, denn Sie haben ein offiziell aussehendes Schreiben vor sich, aus dem hervorgeht, dass Sie eine Million Aktien besitzen. Mehr benötigen Sie nicht, oder? Auf dem Dokument prangt ein Stempel, also muss alles korrekt sein.

Aber leider ist dem nicht zwingend so, denn wie wir beim Enron-Skandal gesehen haben, können Bilanzen gefälscht werden. Die Bücher mit Aktien zu fälschen, würde in diesem Fall bedeuten, doppelte Aktien auszugeben. Bei den heutigen Systemen doppelter Buchführung wird es als Sicherheitsproblem angesehen, Ihnen Zugriff auf Bilanzen einzuräumen, so dass Sie sie als kleiner Aktionär nicht prüfen können. Die Konzerne leben hinter der unternehmenseigenen Firewall. Sie als Anleger müssen darauf vertrauen, dass sie Ihnen die Wahrheit sagen, auch wenn es keinen Grund gibt, ihnen über den Weg zu trauen.

Aber die dreifache Buchführung ändert dies alles. Ein Unternehmen kann nun Aktien ausgeben, und Sie können Ihre Anteile anhand der dritten Buchung im Register, der Blockchain, überprüfen. Sie müssen nun nicht mehr in die Bücher schauen, um zu wissen, dass Sie tatsächlich zehn Prozent besitzen. Sie schauen auf die Chain, sehen dort zehn Millionen ausgegebene Aktien, von denen Sie eine Million und damit echte zehn Prozent besitzen. All dies wissen Sie, ohne hinter die Corporate Firewall schauen und Enrons Bücher selbst prüfen zu müssen.

Das mag nicht völlig verhindern, dass Bilanzen gefälscht werden, aber vielen betrügerischen Finanztricks, die heute mit veralteten Systemen doppelter Buchführung für Unternehmen ein Kinderspiel sind, würde ein Riegel vorgeschoben. Wenn Sie künftig Aktien erwerben, wissen Sie, dass diese nicht doppelt emittiert wurden und dass man Sie nicht übers Ohr gehauen hat.

Blockchains und Systeme dreifacher Buchführung werden die Art und Weise revolutionieren, wie wir die verschlungenen Pfade von Gütern und Dienstleistungen zurückverfolgen. Heute wissen Sie nicht mit Sicherheit, woher die Shrimps auf Ihrem Teller überhaupt kommen. Stammen sie aus nachhaltiger Aufzucht, in der die Vorschriften eingehalten werden, oder aus einem korrupten Staat, dem diese Vorschriften egal sind?

Wenn Landwirte in Zukunft auf der ganzen Welt ein einheitliches System nutzen, das mit jedem Teil der Lebensmittellieferkette verknüpft ist, werden Nahrungsmittel geprüft und in eine Blockchain aufgenommen, die jeden Schritt in der Lieferkette verfolgt. Es wird nicht mehr möglich sein, einen Inspektor zu bestechen, und wenn jemand doch betrügt, muss man nur im weltweiten Registerbuch die einzelnen Passagen zurückverfolgen, um den Schuldigen auszumachen und ihn dafür zu bestrafen, dass er die Verbraucher mit schlechten Lebensmitteln vergiftet.

Neue Technologien können Fallen bereithalten

Natürlich haben auch Systeme dreifacher Buchführung ihre Schwächen. Viele Menschen in der Krypto-Community sehen Bitcoins und dezentrale Kryptowährungen als universales Gemeingut an, das nicht von Staaten oder feindlichen Akteuren korrumpiert oder gekapert werden kann, aber ihnen entgeht offensichtlich, dass dies längst geschieht.

Es überrascht daher nicht, dass China als erster Staat Blockchains als staatliches Tool nutzt. Dort wurde in zahlreichen Provinzen bereits die Beta-Version einer Central Bank Digital Currency (CBDC) eingeführt, die bald die nationale Währung ablösen soll. Diese Währung soll eng mit sozialen Kreditbewertungen verknüpft werden und die Bürger danach bewerten, wie gut sie die Richtlinien der Partei befolgen. Auf diese Weise könnte der Staat Menschen, die den ständig wechselnden Launen der Parteilinie nicht entsprechen, den Geldhahn abdrehen.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis China ein nicht zurückverfolgbares, physisches Bargeld vollständig abschaffen wird. Weitere Länder werden diesem Beispiel folgen. Viele haben es bereits versucht und sind gescheitert, etwa Indien. Aber das sind nur kurzfristige Rückschläge. Mit Blockchains sind diese Staaten in der Lage, Bargeld für illegal zu erklären und es durch ein Zahlungsmittel zu ersetzen, das Einblicke in jeden Lebensaspekt erlaubt. Wie bei jeder technologischen Revolution gibt es auch bei dieser nicht nur Schwarz und Weiss. Sie erzeugt sowohl Gutes als auch Böses – und alles dazwischen.

Blockchains und digitale Währungen werden Albträume und bahnbrechende Fortschritte in Technologie und Kultur wahr werden und Gesellschaften entstehen lassen, von denen wir heute nicht einmal träumen. Sie werden Panoptikon-Geld und das Spionieren ruchloser Diktaturen ermöglichen, aber es offenen Demokratien auch erlauben, den fairen Handel von Gütern und Dienstleistungen nachzuverfolgen.

Die dreifache Buchführung markiert den Beginn eines völlig neuen Zeitalters des Handels und der Zivilisation. Und erst die Kinder der Zukunft werden sehen, welche Wunder sie der Welt bringen wird.

Didi Taihuttu, zvg.

Die ersten Menschen
von Kryptopia

Wie ich eines Tages mein Hab und Gut verkaufte, um mit meiner Familie an exotischen Orten von Bitcoin zu leben.

 

Read the English version here.

Vielleicht ist Mittwoch, der 13. November 2002, ein guter Einstieg. Ich war damals 24 Jahre alt, und wir assen wie immer zu Abend bei meinen Eltern. Es war ein schöner Abend, an dessen Ende ich mich wie üblich verabschiedete: «Tschüss, Mama, bis morgen.»

Es waren meine letzten Worte an meine Mutter, die in dieser Nacht in ein Koma fiel. Ihr Herz versagte nach sieben Tagen seinen Dienst. Sie war ganz gesund gewesen, erlitt aber dennoch einen Infarkt, fiel und wachte nicht wieder auf. Es war schrecklich. Ich wusste nicht, wie ich mit den Emotionen umgehen sollte, und so wurde ich zum Workaholic und gründete mein erstes Unternehmen, aus dem im Laufe von zwölf Jahren drei Firmen mit mehr als 20 Angestellten wurden.

In dieser Zeit lernte ich Bitcoin kennen, und weil mich der revolutionäre Geist und die potentielle Gewinnspanne anzogen, begann ich 2013 mit ein paar Freunden, Coins zu schürfen. Dazu räumten wir ein Büro in meinem 1700 m² grossen Bürogebäude leer, legten uns Motherboards zu und bauten Mining-Einrichtungen. Ich war damals ein materialistischer Kerl und wollte so schnell wie möglich Millionär werden. Im Dezember 2014 war ich gerade unterwegs mit meinem Jeep Cherokee, als mich mein Vater anrief. Damals schwebte ich noch auf Wolke sieben, denn ich besass alle Reichtümer, die ich mir immer erträumt hatte. «Setz dich erst mal», sagte er, «ich muss dir etwas sagen.» – «Ich sitze, im Auto, was ist denn?» Er antwortete, er sei gerade im Krankenhaus gewesen. Er habe Krebs und noch etwa ein Jahr zu leben. Ich beschloss, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen, er war mein Held, ein ehemaliger Fussballer und jetzt Profitrainer. Ich stellte Manager für meine Unternehmen an und zog mit meiner Familie ins Souterrain seines Hauses, wo ich mich fortan um ihn und meine Familie kümmerte.

Wir schauten Fussball, verbrachten Ostern zusammen, fuhren in den Urlaub und feierten Weihnachten zum letzten Mal gemeinsam. Im Januar 2016 starb er, mit meinem Bruder, meiner Schwester, seiner Freundin und mir an seiner Seite. Meine Welt fiel in sich zusammen, aber ich musste stark bleiben, denn das Begräbnis, das Erbe und alles andere wollten organisiert sein. Einen Monat nach seiner Beerdigung stellte ich einen Benefizmatch zwischen einem All-Star-Team seines langjährigen Klubs VVV-Venlo und dem FC Maluku (seinem Heimatverein) auf die Beine. All dies erschöpfte mich restlos, und ich wurde von einem Burn-out heimgesucht, den ich vor allen versteckt hielt. Es wurde aber immer schlimmer, und schliesslich schlug ich meiner Frau vor, auf eine tropische Insel zu reisen, damit ich mich geistig und körperlich erholen konnte.

Was ist das alles wert?

Wir buchten einen Flug nach Thailand und planten einen dreimonatigen Trip. In dieser Zeit fand ich mich selbst wieder, schaute auf mein Leben und entschied, dass es nicht das Leben war, das ich leben sollte. Ich musste mich auf meine Familie konzentrieren und Zeit mit meinen Kindern verbringen, etwas, das ich in all den Jahren als Workaholic nicht getan hatte. Als drei Monate um waren, entschieden wir, unseren Trip zu verlängern. Meine Frau und ich fühlten uns als reisende Familie mit nur drei Rucksäcken und ohne jegliche Luxusgüter vollkommen glücklich, es fehlte uns an nichts. Insgesamt waren wir sieben Monate unterwegs, und meine Energie war bereits nach einem Monat wieder da, weil ich wusste, dass ich nun die richtigen Dinge im Leben im Blick hatte.

Als wir im Jahre 2017 gerade auf Bali waren, rief mich ein Freund an, um mich zu fragen, ob ich die Dogecoins und Bitcoins noch besässe, die wir damals in 2013 gemeinsam geschürft hatten. Ich sagte: «Ja, irgendwo sind sie wohl noch, aber ich bin gerade am Strand, betrachte den Sonnenuntergang und meine Kinder bauen Sandburgen, während ich an meinem Lieblingsdrink nuckle. Warum fragst du?» Er antwortete: «Didi, das ganze Ding explodiert gerade, die Coins steigen im Wert, die Community wächst und wächst.» Am Abend rief ich meine Schwester an und bat sie, meinen Laptop in den Niederlanden zu checken, um zu sehen, ob da noch Dogecoins in meinem Wallet seien. «Ja, ein paar Millionen», antwortete sie.

Der erste Schritt war getan. Ich musste nun noch die Person anrufen, die meinen Safe mit meinem Paper Wallet verwaltete. Und ja, es waren noch ein paar Bitcoins darauf. Mit allen Coins zusammen hätten wir die Reisekosten der letzten sieben Monate locker begleichen können. Ich checkte die entsprechenden Foren, und tatsächlich schienen dort alle sehr aufgekratzt und euphorisch zu sein.

Ich fühlte sofort eine Flamme in mir und begriff, dass der Umbruch im Geldsystem begonnen hatte. Genau das hatte ich gebraucht: ein neues Abenteuer, das die Lücke füllte, die ich geschaffen hatte, als ich mein altes Leben aufgegeben und meine Firmen verkauft hatte. Am nächsten Tag fragte ich meine Frau am Strand bei Sonnenuntergang: «Was wäre, wenn wir weiter so nomadisch lebten? Lass uns nach Hause fliegen, all unseren Besitz verkaufen, zu digitalen Nomaden werden und die Welt mit den Kindern entdecken!» Sie nickte, sagte ja, und ich konnte in ihren Augen sehen, dass ihr die Vorstellung gefiel. Schliesslich hatten wir oft darüber gesprochen, unseren Kindern ein Vorbild zu sein und ihnen zu zeigen, was im Leben wirklich wichtig war. Nicht Reichtum zu sammeln, sondern Glück.

Wir gehen «all-in»

Aber ich musste ihr noch den letzten Schritt erläutern, den ich zu gehen beabsichtigte. Um mir Mut zu machen, füllte ich unsere Gläser: «Weisst du, wenn wir alles verkaufen, haben wir eine schöne Stange Geld, das wir zum Reisen nutzen können. Aber was ist, wenn wir all dieses Geld in Bitcoin investieren? Ich bin überzeugt, dass Bitcoin die nächste Stufe in der Evolution des Geldes ist, und fühle, dass ich Teil dieser Revolution sein muss.» Sie schaute mich an, wie sie es immer tat, wenn ich ihr mit verrückten Ideen kam: «Didi, versteh mich nicht falsch, aber ich weiss, dass du sehr an deinen Sachen hängst, und du möchtest wirklich dein Cherokee-Cabriolet aufgeben? Das wirst du nie tun.» Sie musste lachen, aber ich blieb ernst und sagte: «Doch, werde ich. Wir wissen jetzt, dass all der Reichtum uns nicht glücklich gemacht hat und dass alles im Leben sehr schnell gehen kann. Wir wollen doch auch ein Vorbild für unsere Kinder sein, um ihnen zu zeigen, dass Luxusgüter nicht wichtig sind. Lass es uns also tun und mit gutem Beispiel vorangehen.»

Ich inserierte also meine Autos im Internet zum Verkauf und kaufte Bitcoins. Dann flogen wir heim und boten unser Haus zum Verkauf an, ebenfalls gegen Bitcoins. Ein lokaler Fernsehsender bekam Wind davon und wollte uns eine Reportage widmen, weil die Redaktoren nicht verstanden, weshalb wir unser Haus gegen etwas eintauschten, das für sie Schwindel war. Die Sendung wurde von einem grossen nationalen Sender aufgenommen, dann waren wir plötzlich weltweit in den Nachrichten und für alle die Bitcoin-Familie. In den Augen vieler war diese Familie bestenfalls verrückt, tauschte sie doch ein scheinbar perfektes Leben gegen eine sehr ungewisse, unberechenbare Existenz. Das Haus war in zwei Wochen verkauft. Wir machten weiter; für den Erlös all unserer Habe kauften wir Bitcoins. Als Nächstes kamen unsere Ersparnisse, die der Kinder und meine Rentenversicherung dran – jetzt waren wir wirklich all-in. Bitcoin hob ab, ein Bitcoin war nun 20 000 Dollar wert, und wir lebten auf einem Campingplatz. Das «Wall Street Journal» suchte uns auf, um eine Reportage zu machen, bald stand der Sender News Asia auf der Matte, viele weitere folgten, und die Bitcoin-Familie war nun überall bekannt.

Es ist nicht alles rosig in der Kryptowelt

Kurze Zeit später rief mich Arte an, um zu fragen, ob sie in Thailand eine Doku über uns drehen können. Ich besprach es mit meiner Frau, da wir Ruhe nötig hatten, aber wir waren uns beide bewusst, dass es nun kein Halten mehr gab. Eine Woche später traf das Fernsehteam ein und drehte eine tolle Doku, die bald zur meistgesehenen in der Geschichte des Senders avancierte. Seitdem bereisen wir die Welt und setzen uns in Vollzeit für Bitcoin, Blockchain und viele andere Kryptowährungen ein. Ich habe ein Buch geschrieben, das nun vom Niederländischen ins Deutsche und bald auch ins Englische übersetzt wird. Ich schreibe bereits an einem zweiten, bin ein gefragter Redner bei Blockchain- und Krypto-Events sowie Meet-ups, werde aber auch zu Motivationsveranstaltungen eingeladen. Ich bin als Botschafter und Berater für viele Start-ups der Branche tätig, und wir unterstützen auch andere Projekte, die dazu beitragen, Industriezweige zu dezentralisieren, die dezentralisiert werden müssen.

Da Krypto-Debitkarten und solche Dinge damals noch nicht existierten, waren die ersten zweieinhalb Jahre für uns nicht einfach. Wir mussten stets Geschäfte finden, die Bitcoin akzeptierten, oder sogenannte Lokalbitcoins einsetzen, um an Bargeld zu kommen. Meist suchen wir gezielt nach Geschäften und Restaurants, die Kryptogeld direkt annehmen. In anderen Situationen versuchen wir es mit kreativen Lösungen wie dem Kauf von Online-Gutscheinen, die wir dann in Geschäften einlösen, oder wir bestellen Lebensmittel im Internet und zahlen mit Bitcoin. Ich habe sogar manchmal Bitcoins an Freunde und Familie verkauft, um Lebensmittel einkaufen zu können. Auch wir benötigen also manchmal Bargeld, aber für uns geht es in erster Linie darum, das Bankensystem zu umgehen, deshalb geht Bargeld in Ordnung, zumal wir natürlich verstehen, dass noch nicht jeder auf der Welt das ungeheure Potenzial von Bitcoin realisiert hat.

Mir ist klar, dass man Menschen nicht einfach zu Bitcoin zwingen kann, denn Zwang ist ein schlechtes Überzeugungsmittel. Alles wird einen natürlichen Verlauf nehmen, wenn die Weltökonomie allmählich kollabiert und die Menschen sich nach mehr Datenschutz sehnen. Ich denke, die Entwicklung wird in folgenden Schritten vor sich gehen:

Erstens: Staaten rufen zentralisierte Formen von Kryptowährungen wie CBDC oder den Digitalen Yuan ins Leben. Zweitens: Staaten machen die Welt bargeldlos. Drittens: Alle Erdenbürger werden nur noch digitale Zahlungsformen verwenden und begreifen, dass sie ihre Anonymität durch die Nutzung dieser zentralisierten Kryptowährungen völlig verloren haben. Viertens: Die Menschen werden sich nach privatsphärefreundlichen und dezentralisierten Währungen umsehen und sich gegen die staatlich verordnete zentralisierte Kryptowährung wenden. Fünftens: Sie verstehen nun das Potenzial von Bitcoin, DASH, XMR, LTC und allen anderen Kryptowährungen, die ihnen die Anonymität bieten, die sie vom Bargeld gewöhnt waren.

Ja, es wird eine Weile dauern, aber jede grosse Veränderung in der Welt braucht ihre Zeit.

Sie können sich sicher vorstellen, dass ein Leben, wie wir es führen, nicht immer leicht ist und auch zu Frust und Diskussionen in der Familie führen kann, etwa als wir an der türkischen Grenze festsassen, weil wir unsere Visa vergessen hatten. Die Debitkarten funktionierten nicht, und wir mussten irgendwie für die Visa zahlen. Glauben Sie mir, das sind Situationen, in denen es im Auto ganz schön laut werden kann! Mehr als einmal standen wir mit einem vollen Einkaufswagen an der Kasse, und dann funktionierte die Debitkarte nicht. Das kann frustrierend sein, aber wir versuchen immer, das Komische darin zu sehen und darüber zu lachen.

Weniger ist mehr

Wir messen Geld keine grosse Bedeutung mehr bei und schauen nicht allzu weit in die Zukunft, sondern auf das Hier und Heute. Wir wissen, dass wir für unsere Lebenshaltungskosten ca. 2800 Euro im Monat benötigen, nicht mehr. Ich glaube fest daran, dass Bitcoin in Zukunft einen Kurs von mehr als 100 000 Euro erreichen wird. Auch wenn wir in zwei Jahren nur noch drei Bitcoins übrighaben sollten, hätten wir unseren Kapitaleinsatz also wieder hereingeholt und vier bis fünf Jahre schön gelebt. Und so schwören wir also dem Materialismus ab und vertrauen ganz in Bitcoin. Unser jetziges Leben ist sowohl finanziell als auch emotional wie eine Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen und vermutlich bald auch einigen Loopings. Für mich ist dies eine Revolution, die den Menschen in allen Lebensbereichen, nicht nur in finanzieller Hinsicht, wieder volle Selbstbestimmung schenkt.

Ich glaube, dass es bald keine Rolle mehr spielt, in welchem Teil der Erde du geboren bist, und alle gleiche Chancen im Leben haben, weil sie dann über die Werkzeuge verfügen, ohne Bankkonto auf das Geldsystem zuzugreifen. Kryptowährungen sind der nächste Schritt in der Evolution des Geldes und werden all jenen gerechtere Chancen einräumen, die bisher keine hatten. Gleichzeitig wird diese grossartige technologische Entwicklung, die wir Blockchain nennen, die heutige komplexe Welt in eine dezentralisiertere verwandeln, in der Interessen von Drittparteien verschwinden und die Menschen untereinander vertrauensvoll Handel treiben können. Ich weiss, dass sich das heute noch verrückt anhört und man mich als Träumer abstempeln wird, aber das Leben hat mich gelehrt, dass man besser seinen Gefühlen und Träumen ins Ungewisse folgt, als ein Leben in Angst zu führen, denn Angst wird all unsere Träume abtöten.

Im Moment sind wir weiterhin als reisende Familie unterwegs, ich bleibe als Trader aktiv, habe aber auch zu bloggen begonnen und einen Vlog auf YouTube gestartet. So kann ich ein grosses Pu­blikum erreichen und gleichzeitig kreativ sein. Ich mache nun eine tägliche Show, mein Kanal wächst und wächst, und den Umsatz, den ich so erziele, spenden wir Wohltätigkeitsorganisationen und armen Menschen, denen wir auf unseren Reisen begegnen. Daneben baue und unterstütze ich zwei Projekte – houseofdao.io aus Thailand und blockchainvalley.com aus Bulgarien –, die Blockchain-Co-Working-Spaces und Blockchain-Lebensorte schaffen, um die positive Wirkung, die wir als Community auf die Welt haben können, zu maximieren. Denn am Ende geht es ums wahre Leben, wie ich immer am Ende meiner Videos sage:

«You need to zoom out of Bitcoin and zoom in at life.»

Bitcoin ist digitales Gold

Ein Berechnungsmodell, das auch für Gold und Silber funktioniert, elektrisiert seit Jahren viele, die sich genauer mit Bitcoin beschäftigen.

 

Ein gemeinsames Merkmal aller Geldformen im gesamten Lauf der Geschichte ist die Existenz irgendeines Mechanismus, der die Produktion neuer Einheiten des Guts einschränkt, um den Wert der bestehenden Einheiten zu erhalten. Die relative Schwierigkeit, neue Geldeinheiten zu produzieren, bestimmt die Härte des Geldes: Geld, dessen Angebot schwer zu erhöhen ist, wird als hartes Geld bezeichnet, während weiches Geld eine Art von Geld ist, dessen Angebot sich leicht vergrössern lässt.

Wir können die Härte des Geldes verstehen, indem wir uns zwei verschiedene Grössen verdeutlichen, die mit der Bereitstellung eines Guts zusammenhängen:

1) Der Bestand (stock), der das vorhandene Angebot des Guts darstellt, bestehend aus allem, was in der Vergangenheit produziert wurde, abzüglich allem, was verbraucht oder zerstört wurde, und

2) der Neuzugang (flow), der die zusätzliche Produktion darstellt, die im kommenden Zeitraum stattfindet.

Das Verhältnis zwischen Bestand (stock) und Neuzugang (flow) ist ein zuverlässiger Indikator für die Härte eines Gutes, welches als Geld genutzt wird, und wie sehr es dazu geeignet ist, eine monetäre Rolle zu spielen. Ein Gut, das ein niedriges Stock-to-Flow-Verhältnis hat, ist eines, dessen vorhandenes Angebot drastisch erhöht werden kann, wenn Menschen es als Wertanlage nutzen. Ein derartiges Gut würde vermutlich kaum seinen Wert halten können, wenn es als Wertanlage verwendet würde. Je höher jedoch das Stock-to-Flow-Verhältnis ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Gut seinen Wert im Laufe der Zeit behält und somit dauerhaft verkaufsfähig bleibt.

Bis zur Erfindung von Bitcoin waren alle Formen von Geld in ihrer Menge unbegrenzt produzierbar und damit nicht in der Lage, ihren Wert über einen langen Zeitraum zu speichern. Die unveränderliche Geldmenge von Bitcoin macht ihn zu dem am besten geeigneten Medium, um den Wert der begrenzten menschlichen Zeit zu speichern, und damit wohl zum besten Wertspeicher, den die Menschheit je erfunden hat. Anders ausgedrückt ist Bitcoin der billigste Weg, um die Zukunft zu kaufen, denn Bitcoin ist das einzige Medium, das garantiert nicht entwertet werden kann, unabhängig davon, wie stark sein Wert steigt.

Im Jahr 2018, als Bitcoin erst neun Jahre alt war, wurde es bereits von Millionen von Menschen weltweit genutzt. Seine aktuelle Angebotswachstumsrate ist vergleichbar mit der von globalen Reservewährungen. Im Hinblick auf das Stock-to-Flow-Verhältnis war die Anzahl der bestehenden Bitcoins im Jahr 2017 rund 25mal grösser als die Anzahl der im Jahr 2017 neu produzierten Coins. Dies ist immer noch weniger als die Hälfte des Verhältnisses von Gold, aber um das Jahr 2022 herum wird das Stock-to-Flow-Verhältnis von Bitcoin das von Gold übertreffen, und bis 2025 wird es etwa doppelt so hoch sein wie das von Gold. Um das Jahr 2140 herum wird es kein Geldmengenwachstum an Bitcoin mehr geben, wodurch das Stock-to-Flow-Verhältnis zu diesem Zeitpunkt unendlich gross wird. Es wird zum ersten Mal vorkommen, dass eine Ware oder ein Gut dieses Ziel erreicht. (…)

Fast über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg wurden physische Objekte als Wertspeicher verwendet. Die Funktion der Wertspeicherung braucht keine physische Form, aber eine zu haben bietet die Möglichkeit, die Erhöhung der Anzahl an Wertspeichern zu erschweren. Bitcoin, der keine physische Präsenz hat, sondern eine rein digitale Struktur besitzt, ist in der Lage, eine streng kontrollierte Knappheit zu bieten. Kein teilbares und bewegliches physisches Material konnte jemals zuvor diese Eigenschaft aufweisen. Bitcoin ermöglicht es uns, Werte digital zu transportieren, ohne dabei von der physischen Welt abhängig zu sein. Dies erlaubt den weltweiten Transfer grosser Summen innerhalb von Minuten. Die strenge digitale Knappheit der Bitcoin-Token kombiniert die besten Elemente physischer monetärer Medien, ohne sich dabei die physischen Nachteile aus der Handhabung und dem Transport zu erkaufen. Bei Bitcoin könnte es sich um die geeignetste Technologie zum Sparen handeln, die jemals entwickelt wurde.


Dies ist ein Auszug aus Saifedean Ammous’ «Der Bitcoin-Standard. Die dezentrale Alternative zum Zentralbankensystem», in deutscher Übersetzung 2019 bei Aprycot erschienen.

Könnte Bitcoin den US-Dollar als Reserve­währung ­ersetzen?

Duell des Monats November

PRO

Lucas Betschart, zvg.

«Als neutrale Währung,
die keiner nationalen
Geldpolitik untersteht,
eignet sich Bitcoin vortrefflich
als Ausgleichsventil im
internationalen Handel.»

Ja, denn Bitcoin eignet sich hervorragend als Wertaufbewahrungsmittel über längere Zeiträume, da sich die Anzahl neugeschöpfter Bitcoin alle vier Jahre halbiert und die maximale Anzahl der sich im Umlauf befindlichen Bitcoin auf 21 Millionen begrenzt ist. Sofern die Nachfrage nach Bitcoin stabil bleibt oder zunimmt, ist langfristig mit einer stabilen oder zunehmenden Kaufkraft pro Bitcoin zu rechnen.

Auch als Recheneinheit kann Bitcoin problemlos dienen, lässt er sich doch in kleinere Einheiten mit bis zu acht Nachkommastellen teilen. Die kleinste Einheit bildet ein «Satoshi» und dieser könnte in Zukunft durchaus als gängige Recheneinheit verwendet werden. Anders als beispielsweise Gold können Bitcoin mühelos als internationales Zahlungsmittel verwendet werden, schliesslich lassen sie sich elektronisch auf einfachste Weise übermitteln.

Wie der Ökonom Robert Triffin aufzeigte, hat das Konzept einer staatlichen Leitwährung seinen inhärenten Schwachpunkt: Die nationalen, geldpolitischen In­teressen stehen im Widerspruch zu den internationalen Handelsinteressen. Deshalb löst irgendwann eine neue Reservewährung die alte ab. Als neutrale Währung, die keiner nationalen Geldpolitik untersteht, eignet sich Bitcoin vortrefflich als Ausgleichsventil im internationalen Handel. Bitcoin repräsentiert die vieldiskutierte Lösung einer supranationalen Währung, die niemand kontrollieren kann.

CONTRA

Roger Darin, zvg.

«Wenn ein Kilo Brot heute
3000 Satoshi kostet, vor ein
paar Monaten noch 8000 Satoshi
und nächstes Jahr vielleicht
noch 1000 Satoshi, dann
erschwert dies den Abschluss
von internationalen
Handelsverträgen in Bitcoin.»

Nein, und wenn, könnte es das Ende von Bitcoin bedeuten. Die ungeheure Volatilität von Bitcoin macht das Kryptoasset als primäres Wertaufbewahrungsmittel denkbar ungeeignet. Die hohe Volatilität erschwert zudem den Einsatz von Bitcoin als Recheneinheit: Wenn ein Kilo Brot heute 3000 Satoshi kostet, vor ein paar Monaten noch 8000 Satoshi und nächstes Jahr vielleicht noch 1000 Satoshi, dann erschwert dies den Abschluss von internationalen Handelsverträgen in Bitcoin.

Dass dieses Auf und Ab bei Bitcoin einmal aufhören wird, ist unwahrscheinlich, zumal die Volatilität in keiner Weise bewältigt werden kann. Seit der Einführung von Bitcoin im Jahr 2009 ist klar vorgegeben, wann wie viele Bitcoin maximal existieren werden. Auf Nachfrageschocks kann über die Angebotsseite aber nicht reagiert werden. Würde sich die Weltwirtschaft so entwickeln, dass Zen­tralbanken mehr Bitcoin kaufen wollten, könnte dem eintretenden Nachfrageüberhang nichts entgegengesetzt werden. Dasselbe wäre der Fall, wenn sämtliche Zentralbanken gleichzeitig ihre Bitcoin wieder in nationale Währungen tauschen wollten (Gold hatte dasselbe Problem in den 1990er Jahren).

Bitcoins Existenz ist Software zu verdanken. Damit lässt sich das theoretische Risiko nicht ausschliessen, dass die Bitcoin-Software versteckte Fehler enthält oder dass das ihr zugrunde liegende Konzept irgendwann ausgehebelt werden kann. Die gesamte Weltwirtschaft daher auf etwas zu bauen, das potentiell «unbekannte Unbekannte» hat, wäre fahrlässig. Fiatwährungen sind mit ihren bekannten Unbekannten (z.B. künftige Geldpolitik) zwar nicht der Weisheit letzter Schluss, doch kennt man wenigstens die damit verbundenen Risiken.

Doch der Umstand, dass Bitcoin primär als Software lebt, wäre in einer Welt, wo Bitcoin als primäre Reservewährung eingesetzt würde, möglicherweise auch sein Untergang. Tatsächlich beruht ein wesentlicher Teil des Sicherheitskonzepts von Bitcoin darauf, dass die Kryptowährung genügend oft eingesetzt wird, um die Miner zu motivieren, durch die von ihnen eingebrachte Rechenleistung das Netzwerk zu schützen. Wenn nun in erster Linie ein paar Dutzend Zentralbanken noch Bitcoin halten würden, bräche die Profitabilität des Mining zunehmend ein, nicht zuletzt, weil langfristig das Netzwerk von den Transaktionsgebühren leben muss und es genügend Transaktionen geben muss, um das Netz auszulasten.

Vinay Gupta, fotografiert von Peter Buxton.

Nun ist die Wirtschaft an der Reihe

Bitcoin hat einen Transformationsschub ausgelöst, der alle Branchen erfassen wird.

Das unsterbliche Bild des Schriftgelehrten, der sich im Schummerlicht über ein halbfertiges Manuskript beugt, ist in unsere kollektive Vorstellungskraft eingebrannt, weil in dieser Zeit so grosse Teile unserer Kultur geformt wurden. Es ist der Höhepunkt des mittelalterlichen Lernens. Mit der Erfindung beweglicher Druckbuchstaben begann das Informationszeitalter. Die Möglichkeit, Bleilettern in verschiedenen Texten mehrfach zu verwenden, Text zu erstellen und zu transformieren, Bücher aus wiederverwendbaren Buchstaben in Massenproduktion herzustellen, weist bereits viele Attribute der Digitalisierung auf, lange bevor etwas, das auch nur im Entferntesten wie ein Computer aussah, erfunden war.

Einige Bereiche unserer Kultur sind heute bereits vollständig digitalisiert. Musik, Fernsehen, Bücher: All diese Dinge tragen noch etwas von der alten Welt in sich – zum Beispiel ist es noch nicht möglich, auf eine Filmleinwand zu klicken und einzelne Schauspieler auszutauschen –, aber was ihre Verbreitungskanäle betrifft, sind sie bereits vollständig im Internetzeitalter angekommen. Sie haben den Übergang ins Digitale geschafft. Social Media haben eine unendliche Vielfalt vernetzter Inseln der Popkultur geschaffen, die gleichzeitig lokal und global sind – eine kulturelle Struktur, die ihresgleichen sucht.

«Eine digitale Finanzwelt bedeutet nicht nur die Automatisierung der bestehenden bürokratischen Papierprozesse, sondern eine Veränderung der grundlegenden Machtverteilung innerhalb des Finanzsystems zugunsten von Einzelpersonen und weg von Institutionen und Regierungen.»

Wenn ich gerade durch die sozialen Medien gestöbert oder einen Film gestreamt habe und dann mit meiner Bank interagiere, kommt es mir vor wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. Obwohl einige Finanzbereiche oberflächlich digitalisiert worden sind, wenn ich etwa an den Aktienhandel über Hochglanz-Apps denke, dominiert doch das Gefühl, dass wir in der Finanzwelt einer gigantischen globalen Bürokratie gegenüberstehen, die zwar Feder und Tinte durch E-Mails und Kassenbücher durch Datenbanken ersetzt hat, aber jederzeit zurückwechseln könnte, ohne ihre Strukturen grundlegend zu verändern. Anders ausgedrückt: Es fühlt sich vordigital an, selbst wenn ich über eine App auf die Dienste zugreife.

Die dezentrale Finanzrevolution der Bürger

Das Hauptmerkmal der modernen digitalen Kultur ist Empowerment. Ich kann in Sekundenschnelle von einem Video auf YouTube dazu übergehen, selbst ein Video aufzunehmen: Genau zwei Klicks dauert der Wechsel. Auf sozialen Medien wie Facebook oder Twitter kann ich mit demselben Handgriff lesen und antworten. In einer Aktienhandels-App hingegen kann ich nicht einfach eine neue Aktie erstellen. Wenn ich mit meiner Bank interagiere, kann ich kein neues Konto einrichten oder entscheiden, ob mein Konto in einer neuen Währung geführt werden soll. Alles hat feste, starre Abläufe, alles folgt unsichtbaren Regeln. Ich bin in einem bürokratischen Käfig gefangen, der sich ganz anders anfühlt als der Rest der Welt um mich herum.

Man mag einwenden, Geldfragen seien nun mal etwas anderes als Medien und Meinungen. Aber auch Medien und Meinungen sind ein grosses Geschäft. Der Marktwert von Facebook – 800 Milliarden US-Dollar! – basiert fast ausschliesslich auf Medien und Meinungen.

Eine digitale Finanzwelt bedeutet also nicht nur die Automatisierung der bestehenden bürokratischen Papierprozesse, sondern eine Veränderung der grundlegenden Machtverteilung innerhalb des Finanzsystems zugunsten von Einzelpersonen und weg von Institutionen und Regierungen. Kryptoaktivisten würden im Zusammenhang mit dieser Machtverschiebung vielleicht von «Selbstsouveränität» sprechen oder das so entstehende, einer finanziellen Anarchie sehr ähnlich sehende System als «dezentral» bezeichnen. Aber es ist ein bisschen, als würde man Facebook-Posts als «selbstsouveräne Nachrichten» oder ein selbstgedrehtes YouTube-Video als «selbstsouveränen Film» bezeichnen.

Der eigentliche, grundlegende Einflussfaktor ist, dass Individuen ihre eigene kleine, vereinfachte, aber für sie zufriedenstellende Version der gleichen Dinge erstellen können, die grosse In­stitutionen produzieren und verkaufen: Professionelle Pop-Clips mit einem Budget von einer Million Dollar haben manchmal weniger Aufrufe als ein Kind mit Gitarre und guter Stimme, das in seinem Schlafzimmer das richtige Lied zur richtigen Zeit covert.

Befreien wir digitale Waren von pathologischen Regeln

Die Welt ist voller Dinge, die wir gern besitzen würden. Einige dieser Dinge sind schwer zu bekommen, selbst wenn wir Geld haben: Limited Editions oder Spaghetti, die genauso schmecken wie bei diesem Koch neulich. Das Geld steckt zwar in den Märkten, aber viele dieser Märkte haben seltsame, pathologische Regeln.

Nehmen wir das Beispiel Flugtickets: Warum kann ich ein Flugticket nicht zum Preis meiner Wahl an jemand anderen weiterverkaufen? Nun, weil die Fluggesellschaft den von mir bezahlten Betrag viel lieber behalten und meinen Sitzplatz ein zweites Mal verkaufen will, wenn ich den Flug nicht wahrnehmen kann – natürlich zu erpresserischen Last-Minute-Bedingungen. Wie wäre es denn, geschätzte Fluggesellschaften, wenn Sie die Flugzeuge fliegen und wir uns um die Sache mit den Tickets kümmern? Verkaufen Sie sie doch einfach im Grosshandel und lassen Sie sie auf dem Sekundärmarkt bewerten.

Klingt verrückt? Wenn Sie diese Logik auf die bestehende Luftfahrtindustrie anwenden, ist es tatsächlich verrückt: Die Airlines würden alle sofort bankrottgehen. Es zeigt jedoch auch, wie wichtig die räuberische Preisgestaltung für das Funktionieren der Luftfahrtindustrie ist. Wie aber würde die Welt aussehen, in der es für alles eine angemessene Marktinfrastruktur gäbe? In der Sie alles, was Sie kaufen können, auch verkaufen könnten? Alles ist jederzeit gut übertragbar: Warum sollten Sie einen Mietwagen nicht an jemanden weitergeben dürfen, der ihn mehr braucht als Sie, solange er sich bereit erklärt, Sie auf dem Weg bei Ihrem Hotel vorbeizubringen? Ist doch super, solange die Versicherung auf den Fahrer übergeht.

Es ist schwer, sich eine solche Welt vorzustellen, denn wir sind es gewohnt, von Marktmachern ausgenutzt zu werden. Fluggesellschaften, Autovermieter, Vermieter – jeder versucht, den Markt für seine Waren zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Nicht nur, indem er versucht, höhere Preise durchzusetzen, sondern indem er die Preise manipuliert, Kunden in Notsituationen ausnutzt und es den Menschen ganz allgemein möglichst schwer macht, zu bekommen, was sie eigentlich haben wollen.

«Wir sind letztlich immer noch Mönche, die Bücher von Hand abschreiben, und das ist ärgerlich, ineffizient und ungerecht.»

Dies hinterlässt allenthalben das Gefühl, dass der Markt manipulativ und korrupt sei, und wirft uns zurück in längst vergangene Zeiten des Finanzwesens, als Tante Emma und Otto Normalverbraucher die Opfer streng überwachter Informationsflüsse und undurchschaubarer Verträge waren. Ein echtes digitales Finanzwesen ist jedoch ein transparentes Finanzwesen, und die effektiven Kosten für die Einrichtung liquider Märkte für (zum Beispiel) alle Arten von Handelsrechten sinken von Tag zu Tag: Die Einrichtung der oben genannten 100-Dollar-Währung wird in einem Jahr nur noch einen Dollar kosten, und ihre Einheit könnten limitierte Flugticketangebote für eine bestimmte Strecke sein. Oder Mietzeiträume für Autos in und um Zürich, Kita-Plätze oder Konzertkarten.

Die meisten Marktpathologien, wie massenhafte, betrüge­rische und überteuerte Ticketwiederverkäufe bei eBay, sind auf Intransparenz und Transaktionsschwierigkeiten zurückzuführen. Dem kann mit einer geeigneten technischen Marktinfrastruktur für Märkte Abhilfe geschaffen werden: Menschen könnten endlich das bekommen, wofür sie bezahlen, ohne bizarre Marktdynamiken und Manipulationen. Keine Zwischenhändler mehr, nur klar definierte Handelsrechte in liquiden, globalen Märkten. Wie diese Transformation gesteuert und verwaltet werden soll, will wohlüberlegt sein, aber ich kann nicht genug betonen, wie stark der zugrunde liegende technologische Trend ist: Medien sind sozial, Märkte sind liquide – und um die nächste Ecke wartet bereits die künstliche Intelligenz.

KI für die Realwirtschaft nutzen

Quantitative Hedgefonds sind bereits heute überwiegend KI-getriebene Unternehmen. Ja, die Algorithmen, die sie verwenden, können es nicht mit DeepMind oder GPT3 aufnehmen – der Ansatz ist ein anderer, aber letztendlich geht es darum, Korrelationen in einem riesigen Meer von Wirtschaftsdaten zu erkennen und zu nutzen, die ein Mensch ohne Maschinenhilfe auch in tausend Jahren nicht entdecken würde. Diese Ansätze sind effizient – sehr, sehr effizient.

Das grosse Aber: Sie funktionieren nur für Dinge, die Maschinen kaufen und verkaufen können. Ein Quant Fund kann Zinn-Futures und Schweinebäuche kaufen, weil das Chicago Board of Trade oder eine andere Warenbörse diese Güter über einen elek­tronischen Markt zugänglich macht. Aber kein automatisierter Marktspekulant kann eigenständig flüssiges Kapital in einen zusätzlichen Flug von Chicago nach Oakland am späten Freitagabend stecken, weil er glaubt, dort eine Nische entdeckt zu haben: Man müsste einen bestimmten Menschen bei einer Fluggesellschaft überzeugen, und die Fluggesellschaft ist für solche Kapitalanlagen nicht konfiguriert: Sie ist illiquide.

Jetzt betreten unsere hyperliquiden Märkte die Bühne: Hier bieten Sie auf einem Markt ganz einfach «Optionen für zukünftige Tickets für diesen Flug» an, beweisen so, dass genügend Nachfrage besteht, um einen Flug durchzuführen, und betätigen dann die Schnittstelle der Airline, damit diese einen Flug für den entsprechenden Start-Slot anmeldet. Jetzt steigen die Optionen im Wert, nun besteht die ernsthafte Aussicht, dass dieser Flug tatsächlich stattfindet. Die Optionen bleiben auf dem Markt verfügbar, bis der Flug gechartert wird – dann werden sie eingelöst und verwandeln sich in Sitzplatzreservierungen, mit denen wiederum gehandelt werden kann, bis das Flugzeug startet.

Das mag kompliziert und chaotisch klingen, aber ich garantiere Ihnen, dass es mit einem System wie diesem keine Last-Minute-Angebote für 5000 US-Dollar geben wird, während die Flugzeuge, die tatsächlich abheben, immer gut gefüllt sein werden. So werden Kunden nicht durch überhöhte Ticketpreise verprellt, wenn sie einmal Last Minute fliegen müssen: Selbst wenn ein Flug fast voll ist, wird es immer jemanden geben, der für 500 Dollar gern einen späteren Flug nimmt.

Die Menschen, die diese Systeme betreiben, müssen gar keine Menschen sein. KIs könnten miteinander konkurrieren, um alle Daten der Welt zusammenzukratzen und die Ergebnisse in Dienstleistungen und Produkte umzuwandeln, die Menschen haben wollen, indem sie Komponenten zusammenstellen, die auf solchen hyperliquiden Märkten gehandelt werden. Wenn alles, von Hotelzimmern über Tourbusse bis hin zu Restaurantreservierungen, über Marktstrukturen dieser Art mit dem Internet verbunden ist, so dass Sie Restaurantreservierungen kaufen und verkaufen können und immer einen Tisch bekommen, wenn Sie wirklich
einen brauchen, ist es auch möglich, dass ein Roboter Ihre Pauschalreise am anderen Ende der Welt zusammenstellt und verkauft.

Verbessern hochpräzise Märkte wirklich unser Leben?

Verrückt? Nicht verrückter als die Art und Weise, wie wir es jetzt tun, wo Sie an einem Schalter auftauchen, Ihren Namen sagen und als Antwort «zwei Stunden Verspätung» hören – und das erst, wenn Sie schon da sind. Wir sind letztlich immer noch Mönche, die Bücher von Hand abschreiben, und das ist ärgerlich, ineffi­zient und ungerecht. Es macht das Mieten oder Kaufen von Immobilien zur Hölle und vernichtet Hunderte von Arbeitsstunden, um Transaktionen abzuschliessen, die in wenigen Minuten abgewickelt werden könnten. Es bedeutet, Flüge weit im voraus zu planen oder am Tag X das Zehnfache zu bezahlen. Es bedeutet, auf einen Bildschirm starrend herumzusitzen und alle fünf Sekunden auf «Neu laden» zu klicken, um Konzertkarten zu ergattern. Kurz gesagt, statt funktionaler Märkte erleben wir in nahezu allen Lebensbereichen Reibungsverluste und Unannehmlichkeiten. Die meisten von uns würden noch so gern dafür bezahlen, diese Dinge loszuwerden.

Würde diese Art von Welt die Lebensqualität alles in allem erhöhen oder verringern?

Beides. Wie bei jeder Innovation wird es Gewinner und Verlierer geben. Tolle Restaurants mit beschissenen, unvorhersehbaren Reservierungssystemen werden leiden, während seelenlose Ketten mit perfektem Gästemanagement gedeihen. Vielleicht sind Fluggesellschaften ohne die heutige, brutale Preispolitik nicht mehr rentabel, und so gäbe es in diesem Bereich keinen Fortschritt. Wir können die Zukunft nicht vorhersagen.

Wenn diese Transformation einst abgeschlossen und normal geworden ist, wird es genauso seltsam erscheinen, Geschäfte auf andere Weise zu tätigen, wie es heute wäre, für die geschäftliche Korrespondenz zum Briefbogen zu greifen. Das ist die Dimension der Transformation, die gerade stattfindet. Ja, die ersten Anwendungen der Blockchain mögen etwas halbseiden aussehen, aber bedenken Sie, dass die ersten 8-Bit-Heimcomputer in den 1980er Jahren hauptsächlich für Videospiele verwendet wurden, dazu vielleicht das eine oder andere Manuskript. Inmitten des Chaos und Lärms um die Blockchain wächst eine neue Welt heran.

Im Stollen des neuen Goldes

Das Schürfen von Bitcoin ist kein Selbstzweck. Das komplizierte Verfahren dient der Sicherheit des Netzwerks und ist für die Umwelt besser als sein Ruf.

 

Vor sieben Jahren hörte ich das erste Mal von Bitcoin und damit von der Idee eines globalen Zahlungsmittels, das über Ländergrenzen hinweg ganz ohne Banken, Scheine oder Münzen auskommen würde. Das klang revolutionär. Ein Algorithmus, der tatsächlich etwas Digitales zu schaffen vermag, das einmalig und nicht kopierbar ist.

Für mich war klar, dass ich mit Bitcoin Bahnbrechendes entdeckt haben muss. So wurde ich zum Miner der ersten Stunde. Noch heute fasziniert mich die Infrastruktur rund um Bitcoin, die die hohe Rechendichte sowie die enorme Abwärme zu bewältigen imstande ist: viele weltweit verteilte Rechner, die das Herzstück des Bitcoins bilden und die im Protokoll-Code definierten Rechenvorschriften ausführen und das System so am Laufen halten.

«Ohne das Dazutun der Rechner wäre keiner der nur digital existierenden Bitcoin so einmalig wie ein nummerierter Geldschein.»

Die Rechner sind es, welche das Bitcoin-System vor Fälschungen bewahren. Eine jede Bitcoin-Transaktion ist kryptografisch verschlüsselt, was eine gegenseitige Kontrolle unter den Rechnern ermöglicht. Ohne das Dazutun der Rechner wäre keiner der nur digital existierenden Bitcoin so einmalig wie ein nummerierter Geldschein. Wer einmal verstanden hat, wie der geniale Algorithmus hinter Bitcoin funktioniert, den wird Bitcoin nicht mehr loslassen.

Bitcoin-Mining im Schnelldurchlauf

Man stelle sich ein grosses Kassenbuch vor. In diesem wird jedes Bitcoin-Konto registriert. Ein solches entspricht einer Adresse, die Teil des Bitcoin-Netzwerkes ist. Auf einer jeden Adresse können Bitcoin verbucht sein, die dann eben im Kassenbuch aufgeführt sind. Wird eine Bitcoin-Transaktion – angenommen, ein halber Bitcoin – ins Netzwerk eingespeist und durchgeführt, wird diese verrechnet und im Kassenbuch niedergeschrieben. Konkret bedeutet das: Bei einer Adresse im Netzwerk wurde der Gesamtstand soeben um einen halben Bitcoin reduziert, während dieser halbe Bitcoin einer anderen Adresse gutgeschrieben worden ist. Mit der Transaktion wird sogleich der neue Stand einer jeden Adresse im Kassenbuch vermerkt. So weit, so gut.

Hier beginnt nun die Arbeit der Miner (von engl. «to mine», schürfen). Gewissermassen als dezentralisierte Buchhalter führen sie gemeinsam das Kassenbuch, die Bitcoin-Blockchain. Jeder Miner hat Einsicht in das Kassenbuch und nur, was die Mehrheit der Miner als korrekt ansieht, schafft es auch in die Bitcoin-Blockchain.

Mining ist das neue Goldschürfen

Der Begriff des Minings ist in Anlehnung an das Schürfen von Gold gewählt. Das Edelmetall ist eine endliche Ressource auf unserem Planeten. Das heisst: Je mehr Gold geschürft wird, desto weniger ist davon noch auf der Erde vorhanden. Jede weitere Goldeinheit zutage zu fördern, wird daher schwieriger und kostspieliger.

Diese Beschaffenheit ahmt Bitcoin nach. Die Gesamtmenge aller je existierenden Bitcoin ist auf 21 Millionen limitiert. Voraussichtlich im Jahr 2140 soll diese Obergrenze erreicht sein. Bis dahin wird die neugeschaffene Bitcoin-Menge, die pro Block ausgeschüttet wird, alle vier Jahre halbiert.

«Es ist das geniale ­Anreizsystem des ­Minings,
das den Bitcoin quasi fälschungssicher macht.»

Doch zurück zu den Transaktionen. Alle Transaktionen, die abgewickelt werden sollen, landen zunächst in einem grossen Pool, auf den alle Miner Zugriff haben. Daraus suchen sich diese ständig Transaktionen heraus und vergleichen, ob letztere nach dem aktuellen Stand des Kassenbuchs gültig sind. Verfügte diejenige Adresse, von der Bitcoin verschickt werden sollen, auch über den nötigen Betrag? Dies ist eine zwingende Voraussetzung, kann ein Bitcoin-Konto doch niemals überzogen werden.

Sind die Transaktionen gültig und stimmen mit dem aktuellen Stand der Blockchain überein, werden sie in einem Block zusammengefasst. Damit ein Miner diesen Block nun an die Blockchain anhängen kann, also neue Transaktionen ins Kassenbuch eingetragen werden, muss er ihn mit einem speziellen Code aus Zahlen und Buchstaben mathematisch verschlüsseln. Diese Aufgabe erfordert ungemein viel Rechenaufwand. Der Miner muss durch ständiges Ausprobieren einen Schwellenwert finden, der bestimmte, durch das Bitcoin-Protokoll festgelegte Kriterien erfüllt.

Auf diese Weise konkurrieren Miner rund um die Uhr um den nächsten Eintrag ins Kassenbuch beziehungsweise darum, den nächsten Block an die Blockchain anzufügen. Findet ein Miner den richtigen Wert und hängt seinen Block der Blockchain an, wird er mit neu geschaffenen Bitcoins belohnt. Diese erhält er allerdings erst, wenn an seinen Block mindestens 100 weitere Blocks angehängt worden sind.

Die Blockchain ist also eine Kette von Blöcken und fungiert als Transaktionshistorie. Ist bloss eine Transaktion ungültig, schafft es der entsprechende Block nicht in die Blockchain. Einen ungültigen Block zu produzieren, lohnt sich nicht. Als Miner hat man letztlich den starken Anreiz, für seine Blöcke nur gültige Transaktionen zu akzeptieren. Nur so wahrt man sich die Chance auf die Belohnung in Form neuer Bitcoin. Es ist dieses geniale Anreizsystem des Minings, das den Bitcoin quasi fälschungssicher macht.

Wertspeicher einer digitalen Welt

Dieser faszinierende Algorithmus macht Bitcoin zu einer neuen Art der Aufbewahrung und Übertragung von Werten, die unserer globalisierten Welt mit ihren digitalen Strukturen und Lebens­stilen gerecht wird. Bitcoin kennt keine Ländergrenzen. Wer über einen Internetzugang, einen Computer oder ein Smartphone verfügt, kann das Netzwerk nutzen. Innerhalb von höchstens 10 Minuten sind Bitcoin zwischen beliebigen zwei Teilnehmern weltweit in beliebiger Menge übertragbar.

Weder Banken noch Regierungen können die Geldpolitik des Bitcoins manipulieren. Das macht ihn letztlich zu viel mehr als einem Zahlungsmittel oder einer Anlageform – es macht ihn zu einem gesellschaftlichen und damit politischen Phänomen. Werte sicher und komplett unabhängig vom Bankensystem zu verschicken, dafür steht Bitcoin.

Zumal die Bitcoin-Blockchain nicht manipulierbar ist, können mit den Transaktionen in einem Block auch beliebige Dokumente fälschungssicher abgelegt werden. Gerade für Bereiche, wo Informationen unverfälschbar gespeichert werden müssen, kann die Bitcoin-Blockchain interessant sein. Im Vertragswesen könnte das beispielsweise dazu führen, dass Vermittlungsdienstleister obsolet werden oder dass Liefer- und Transportketten in der Logistik lückenlos nachverfolgt werden können.

Seinen Kritikern ist vor allem der hohe Energieverbrauch des Bitcoin-Netzwerks ein Dorn im Auge. Forscher des MIT und der TU München gehen zurzeit von rund 46 Terawattstunden (TWh) aus, die pro Jahr für die Aufrechterhaltung von Bitcoin anfallen. Eine lose Zahl taugt jedoch wenig, nur im Vergleich zu anderen Dingen ergibt sie unter Umständen Sinn. So verbraucht alleine das Drucken von Scheinen und Prägen von Münzen 11 TWh pro Jahr. Damit das globale Bankensystem täglich läuft, wird sogar von einem offiziellen Verbrauch von 650 TWh pro Jahr ausge­gangen. Selbst der arbeitsintensive Abbau von Gold soll jährlich 132 TWh in Anspruch nehmen.

Im Lichte dieser Vergleiche relativiert sich der Energieverbrauch von Bitcoin. Noch weniger Sinn macht die Kritik am Energieverbrauch Bitcoins, wenn man ihn nicht für eine überflüssige, verschwenderische digitale Spielerei hält, sondern sein enormes Innovationspotenzial als erstes neutrales, zensurresistentes und rein digitales Zahlungsmittel vor Augen hat. Dass Bitcoin sich zum Beispiel auch preisgünstige Wasserkraft zunutze macht und diesen Kraftwerken somit eine Mindestabnahme und Planungssicherheit garantiert (die wiederum Entwicklung und den Ausbau erneuerbarer Energien fördert), sei hier nur am Rande erwähnt.

Entwicklungssprung durch Bitcoin

Heute bin ich nicht mehr Bitcoin-Miner, sondern CEO eines Grosskonzerns, welcher Rechenleistung verkauft. Noch immer nutze ich meine Erfahrungen, die ich über sieben Jahre während des eigenen Bitcoin-Minings gesammelt habe. In meiner Industrie war Bitcoin-Mining die erste grosse kommerzielle Anwendung des High-Performance-Computings (HPC). Derzeit haben wir ein riesiges Rechenzentrum in Texas im Bau: über 300 Meter lange Hallen auf 40 Hektar, einer Fläche, die insgesamt 57 Fussballfeldern entspricht. Bis Anfang nächsten Jahres soll das Rechenzen­trum rund ein Gigawatt Strom aufnehmen können. Unter unseren Kunden sind zwei japanische Milliardenkonzerne, welche im grossen Stil Bitcoin-Mining betreiben. Interessanterweise besteht der Strommix schon heute zu rund 25 Prozent aus erneuerbaren Energien. Texas ist heute derjenige Bundesstaat mit der höchsten Produktion an Windstrom – Tendenz steigend.

Positiv hinzu kommt: Wir als Entwickler und Betreiber von globalen Infrastrukturlösungen sind in der Lage, auf Basis der beim Bitcoin-Mining gesammelten wertvollen Erfahrungen auch jede andere Anwendung des High-Performance-Computings für unsere Kunden zu realisieren. Diese Innovationen gehen längst weit über Bitcoin hinaus und betreffen längst auch Berechnungen in Bereichen wie Deep Learning, künstlicher Intelligenz oder Rendering.

S.D. Prinz Michael von und zu Liechtenstein

«Ich glaube an den Wettbewerb, auch beim Geld»

Die aktuelle Vertrauenskrise in das Geldsystem ruft nach Alternativen.

Prinz Michael, warum ist das Thema Geldsystem aus Ihrer Sicht gerade so aktuell?
Es gibt verschiedene Gründe. Vermehrt kommen Zweifel an der Werthaltigkeit der bestehenden Gelder auf. Das Fiat-Money, also der Euro, der Dollar und die meisten anderen Währungen, die wir heute kennen, beruht auf dem Vertrauen, dass die herausgebenden Institutionen, das heisst die Zentralbanken, das Leitmotiv der Werterhaltung des Geldes verfolgen. Heutzutage ist dies leider nicht mehr der Fall, weil die Zentralbanken häufig unter Einfluss der Politik stehen oder sogar selber Fiskal- und Wirtschaftspolitik betreiben. Zudem werden Währungen immer öfter als Waffe eingesetzt, besonders von den USA. Seit Bretton Woods haben wir ein System mit dem Dollar als weltweiter Leitwährung, die USA nützen das mit Sanktionen und Ähnlichem aus. Die EU verhängt ebenfalls Sanktionen und übt Druck aus, am leichtesten lässt sich das über die Geldsysteme umsetzen. Deswegen versucht nun zum Beispiel China, eine Währung herauszugeben für seine «Belt and Road Initiative», die Neue Seidenstrasse. Einen Korb aus Gold, dem chinesischen Renminbi plus anderen Währungen. Ob das erfolgreich sein wird, weiss ich nicht. Klar ist: Hier handelt es sich um eine Gegenreaktion zum Dollar. Es gibt auch andere Versuche, gewisse Staaten aus dem internationalen System unabhängiger zu machen. Mittlerweile haben wir auch Technologien, die uns erlauben, parallele Währungen zu erschaffen, die auch global tätig sind. Bisher war immer Vertrauen gegenüber einer Institution, über Blockchain haben wir dezentralisiertes Vertrauen in eine Technologie.

 

«Die grosse Bedrohung wird dann kommen, wenn die Kaufkraft der älteren Bevölkerung stark schwindet.»

 

Ist die jetzige Situation ein Versagen des Staates oder der Zentralbank?
Ich denke beider. Meiner Meinung nach haben in der ganzen Menschheitsgeschichte die meisten Staaten grosszügig Geld ausgegeben. Der Staat versucht, sich Geld zu beschaffen. Das Römische Reich ist untergegangen, als sie Kupfer in Silbermünzen beigemischt haben, die antike Form von «Quantitative Easing». John Law gab im Frankreich des 18. Jahrhunderts erstmals das Papiergeld heraus, auch hier war keine Wirtschaftsleistung dahinter. Geführt hat das schliesslich zur Französischen Revolution. Die heutige Situation ist also nichts Neues, es ist ein Zusammenspiel mit der Politik. Sobald Geld unter der Kontrolle der Politik ist, ist es ein Problem. Ich befürchte, das wird auch in Zukunft irgendwie bleiben; die Politik wird versuchen, dieses Machtinstrument für sich zu behalten.

 

Bisher ging ja jede Leitwährung irgendwann zugrunde. Ist es überhaupt realistisch und möglich, eine Leitwährung zu etablieren, die nicht an einen Staat geknüpft ist?
Das wäre wohl das Ideal, ich halte es aber für eine Utopie. Geld beruht ja darauf: Ich verkaufe Ihnen etwas und erhalte dafür 100 Euro. Mein Wert liegt darin, dass ich mit den 100 Euro Waren oder Dienstleistungen in demselben Gegenwert bekommen kann. Ich kann das aber nur bekommen, wenn mein Geld allgemein ­akzeptiert ist. Ideal wäre eine Währung, die auf universellem Konsens beruht, unabhängig davon, ob das dezentral oder zentral zustande kommt. Immer wieder sehe ich aber das Primat der Politik, welches oftmals fälschlicherweise für demokratisch gehalten wird. Ich befürchte, dass das Primat der Politik auch bei einer ­universellen Währung versuchen würde, das System für seine Zwecke einzusetzen. Deshalb ist es wohl besser, auf das Ideal der Universalwährung zu verzichten.

 

Auch keine dezentrale universelle Währung?
Ich denke, es ist immer schlecht, nur ein Pferd im Stall zu haben. Ich glaube stark an den Wettbewerb, auch beim Geld. Wettbewerb ist das beste Korrektiv.

 

Was ist derzeit die grösste, unmittelbar bevorstehende Gefahr für das jetzige Geldsystem?
Dass das Vertrauen verschwindet. Das beinhaltet die Frage der Staatsverschuldung, die offenen und nicht finanzierten Pensionsansprüche. Mittlerweile ist das so zentralisiert, dass ich Angst habe, dass Staaten sehr leicht auf die Sparguthaben der Bürger zurückgreifen können, um zumindest kurzfristig die Staatsschulden zu neutralisieren.

 

Die Verschuldungskrise gibt es nun schon eine ganze Weile. Woran liegt es, dass diese im Geldsystem enthaltene Gefahr so vielen Menschen nicht bewusst ist? Wie kann es sein, dass sich dieses System trotzdem am Leben erhält?
Das Problem wird immer grösser. Wir haben eine sehr effiziente Wirtschaft, das hält das krankende System gewissermassen am Leben. Wir wissen nicht, wann der Breaking Point erreicht wird, an welchem das nicht mehr geht. Die grosse Bedrohung wird dann kommen, wenn die Kaufkraft der älteren Bevölkerung stark schwindet. Es kann ja sein, dass die Pension nominal ausgezahlt wird; das hilft mir aber nichts, wenn sie real nur noch halb so viel wert ist.

 

Was würde dann passieren? Würde diese Generation dann beginnen, ihre Assets zu verkaufen, und so eine deflationäre Spirale auslösen?
Die Jungen würden nicht einsehen, weshalb sie plötzlich 70, 75 Prozent ihres Einkommens als Sozialleistungen und Steuern zahlen, um die Älteren zu finanzieren. Auch in Demokratien sind dann Eingriffe in die persönliche Freiheit zu befürchten.

 

Leben wir noch im Kapitalismus, wenn der Mensch für sein erarbeitetes Geld nicht nur keine Zinsen bekommt, sondern gar de facto enteignet wird? Wie würden Sie dieses System beschreiben?
Wir leben nicht mehr wirklich in einem eigentumsfreundlichen System der freien Marktwirtschaft. Eigentumsrechte, freie Marktwirtschaft und auch persönliche Freiheit gehören zusammen. Wir sind so überreguliert, dass wir sehr wenig freie Entscheidungen treffen können. Wir dürfen eigentlich auch nicht mehr frei über unsere Vermögenswerte verfügen, da gibt es sehr viele Beschränkungen. Die Forderungen, die Lenin aufgestellt hat, um in ein kommunistisches System zu kommen, von diesem Katalog erfüllen wir bereits 80 Prozent.

 

Lenin hat auch sinngemäss gesagt: «Wer die Macht im Staat übernehmen will, muss sich das Geldsystem unter den Nagel reissen.»
Und auch das Geld wertlos machen. Er sagt auch, man müsse die Bourgeoisie zermürben zwischen dem System der Steuern und der Inflation.

 

Welche Möglichkeiten der Sicherung von Eigentum empfehlen Sie Anlegern?
Man braucht Diversifikation und möglichst geringe Schulden. Kommt es hart auf hart, wird dem einzelnen wahrscheinlich ein Teil vom Vermögen weggeworben, doch die Schulden werden ihm belassen. Die Diversifikation soll sowohl in Branchen wie auch geografisch ausgestaltet werden. Die Zukunft vorauszusehen ist schwierig. Es empfiehlt sich, Vorsicht zu bewahren. Die nächsten Generationen sollen wissen, dass sie selber etwas leisten müssen.

 

Ist die junge Generation schlecht informiert, wenn es um Geldfragen geht?
Das glaube ich nicht. Schon immer gab es solche, die mit Geld umgehen konnten, und andere, die es nicht konnten. Ich glaube nicht, dass sich das wesentlich geändert hat. Es hat nur wenige Zeiten gegeben, in welchen die junge Generation so viel Geld zur Verfügung hatte wie heute.

 

Welche Bestrebungen trifft Liechtenstein konkret, was die Entnationalisierung des Geldes angeht?
Eine eigene Währung haben wir nicht, dafür sind wir zu klein. Wir sind im Schweizer-Franken-Raum, damit sind wir auch ziemlich zufrieden. Liechtenstein hat bei den dezentralen Technologien eine Vorreiterrolle übernommen. Kürzlich hat unser Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Token rechtlich beschreibt. Das Ziel ist aber nicht nur, Kryptowährungen zu haben, sondern das ganze System der Blockchain, das geht wesentlich weiter. Wir versuchen, ein liberales Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten.

 

Haben Kleinstaaten bezüglich solcher Änderungen der Infrastruktur einen Vorteil gegenüber Grossnationen?
Kleinstaaten können schneller reagieren. Aber: Ein Kleinstaat muss sich wesentlich stärker an «International Best Practice» halten als grössere; wenn Staaten wie Deutschland im Finanzsystem gewisse internationale Regeln nicht voll umsetzen, ist das kein existenzielles Problem. Für ein kleines Land ist es eines.

 

Haben Sie persönlich Bitcoin?
Ja, ich hatte Bitcoin. Am World Economic Forum 2013 in Davos hat Bitcoin erstmals mein Interesse geweckt: Ich sah im Fernsehen eine Rede des damaligen amerikanischen Finanzministers. Von 45 Minuten brauchte der Mann ungefähr 30, um zu sagen, wie ­gefährlich Bitcoin sei und weshalb wir alles tun sollten, um die Kryptowährung zu verhindern. Das fand ich interessant.

 

Sind heutzutage die «Contrarians» besser aufgestellt als solche, die mit der Masse mitgehen?
Ich glaube ja. «Contrarians» hat man ja immer schon gebraucht, auch heute. In vielen Dingen, gerade in Krisen und in Zeiten von grossen Veränderungen, sind sie gut aufgestellt. Gut, sie können aber auch falsch liegen!

Wie kauft und verkauft man am einfachsten Bitcoin?

Bitcoin kaufen und verkaufen ist inzwischen ein Kinderspiel. Und auch das Ausgeben im Alltag wird immer leichter. Wir stellen ein paar gänzlich unkryptische Wege vor.

  1. Wenn’s mal schneller gehen soll: Relai.ch

Relai ist ein junges Start-up-Unternehmen aus der Schweiz, ­welches den weltweit wohl einfachsten Weg vorstellt, Bitcoin zu kaufen, zu versenden und zu verkaufen (wir haben den Gründer kürzlich im «Schweizer Monat» vorgestellt). Man lädt die App ­he­runter, überweist den gewünschten Betrag auf das Konto der Partnerbank und bekommt Bitcoin auf dem Wallet gutgeschrieben. Monatliche Sparpläne kann man ebenfalls einrichten. Es braucht für all das keinerlei Identifikation oder den Austausch von Unter­lagen; Relai.ch nutzt die Regulierung, die auch für ­Bitcoin-ATMs gilt. Bis zu 5000 CHF pro Tag oder 100 000 CHF pro Jahr kann man so in wenigen Schritten in Bitcoin umwandeln. Noch schneller geht es nur noch mit Bargeld am Bitcoin-Geld­automaten: ­coinatmradar.com.

  1. Der Platzhirsch: Bitcoin Suisse

Bitcoin Suisse ist der Platzhirsch in der Schweiz für Finanzdienstleistungen rund um Kryptowährungen. Auf der Handelsbörse kann man neben dem blossen Kauf und Verkauf auch weitere Finanzdienstleistungen rund um Krypto­währungen in Anspruch nehmen. Wie bei allen Handelsbörsen eröffnet man auf der Webseite einen Account und lässt sich identifizieren (KYC/AML). Danach schickt man Fiatgeld von seinem Konto auf das neueröffnete Konto bei der Handelsbörse, und schon kann man mit dem Kaufen von Bitcoin & Co. loslegen. Will man die Bitcoins ­wieder loswerden, kann man diese ebenfalls über eine dieser ­Handelsbörsen verkaufen. Weitere bekannte Handelsbörsen in der Schweiz sind Swissquote, Lykke oder Bity. Die grossen Handelsbörsen der Welt sind Coinbase, Kraken, Bittrex, Bitstamp oder ­Bitfinex. Sie alle bieten ähnliche Dienstleistungen an.

  1. Gut festhalten: HODL Wallet & Co.

Wer seine Bitcoins nicht einer Handelsbörse anvertrauen will, kann auch eine digitale Bitcoin-Geldbörse («Wallet») einrichten. Im Unterschied zu einem Konto bei einer Handelsbörse ist man hier im alleinigen Besitz des privaten Zugangsschlüssels. Drei b­ewährte Wallets sind: HODL Wallet, Blockstream Green oder Bridge Wallet. Alle sind sie für Apple ­sowie An­droid erhältlich. Während die ersten beiden Wallets nur für Bitcoin funktionieren, ermöglicht es Bridge ­Wallet, auch weitere Kryptoassets zu verwahren.

  1. Das Schliessfach für die Hosentasche: das Hardware Wallet

Für grössere Summen sollte man sich ein Hardware Wallet ­anschaffen. Dabei handelt es sich um ein kleines Gerät, ähnlich ­einem USB-Stick, auf dem Kryptowährungen besonders sicher verwahrt werden können, da es die Verwahrung ohne Zugang zum Internet (sogenanntes «Cold Storage») ermöglicht. Dies ­gewährt mehr Sicherheit als Smartphone-Wallets oder die Verwahrung bei Handelsbörsen. Man kann das Hardware Wallet zum Beispiel auch in einem klassischen Bankschliessfach oder Tresor hinterlegen. Kaufen sollte man ein Hardware Wallet direkt beim Hersteller. Die beiden Pioniere sind Ledger und ­Trezor. Eine interessante Lösung bietet auch Shift­crypto. Das ist eine Firma aus der Schweiz, die mit der BitBox02 ein Hardware Wallet nach Schweizer Standards auf den Markt gebracht hat.

  1. Zahlen Sie einfach mit Karte

Um Bitcoin leicht auszugeben, eignet sich für Einsteiger eine ­normale Prepaid-Karte (Visa/Mastercard), wie sie beispielsweise von den Firmen Crypto, Cryptopay oder Bitwala herausgegeben wird. Auch bei diesen Anbietern erstellt man ein Konto und lässt sich identifizieren. Ist man im Besitz seiner Karte, lädt man diese ganz einfach mit Bitcoin oder anderen Währungen auf und bezahlt an der Ladenkasse so, wie man es per Kartenzahlung gewohnt ist: diskret und direkt.

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